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umwelt-online: Richtlinie für naturnahe Unterhaltung und naturnahen Ausbau der Fließgewässer (2)

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Pflichten des Ausbauträgers

Der Träger des Vorhabens für einen Gewässerausbau hat, sofern dafür ein Planfeststellungsverfahren erforderlich ist, nach § 6 Abs. 1 Satz 1 UVPG die entscheidungserheblichen Unterlagen über die Umweltauswirkungen des Vorhabens der zuständigen Behörde zu Beginn des Verfahrens vorzulegen, in dem die Umweltverträglichkeit geprüft wird. Nach § 6 Abs. 2 UVPG bestimmen sich Inhalt und Umfang der Unterlagen nach den Rechtsvorschriften, die für die Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens maßgebend sind. Diese Rechtsvorschrift wird in Nordrhein-Westfalen über § 100 Abs. 1 LWG ausgefüllt.

Bei Ausbauvorhaben, für die eine Genehmigung gemäß § 31 Abs. 3 WHG erteilt werden kann, empfiehlt sich eine frühzeitige Beteiligung der zuständigen Behörde.

Für den Ausbau von Gewässern hat der Träger nach § 6 Abs. 2 LG im Fachplan oder in einem landschaftspflegerischen Begleitplan, der Bestandteil des Fachplans ist, alle Angaben zu machen, die zur Beurteilung des Eingriffs in Natur und Landschaft erforderlich sind. Erforderlich sind insbesondere

  1. die Darstellung und Bewertung der ökologischen und landschaftlichen Gegebenheiten unter besonderer Hervorhebung wertvoller Biotope und der betroffenen Waldfläche,
  2. die Darstellung von Art, Umfang und zeitlichem Ablauf des Eingriffs und
  3. die Darstellung von Art, Umfang und zeitlichem Ablauf der Maßnahmen zur Verminderung, zum Ausgleich und zum Ersatz der Eingriffs folgen.

Beim Ausbau von Gewässern muß der Ausbauplan diese Angaben enthalten. Nur so wird sichergestellt, daß die vielfältigen Funktionen des Gewässers und seines Umlandes optimal aufeinander abgestimmt werden. Gleiches gilt bei Ausbaumaßnahmen im Rahmen von Flurbereinigungen, bei denen der wasserbauliche Plan Bestandteil des Wege- und Gewässerplans ist.

Eigentum an Gewässern

Gewässer erster Ordnung sind Eigentum des Landes, soweit sie nicht Bundeswasserstraßen sind (§ 4 LWG). Bildet ein Gewässer zweiter Ordnung kein selbständiges Grundstück, ist es Bestandteil der Ufergrundstücke und gehört deren Eigentümern (§ 5 Abs. 1 LWG). Bei selbständigen Gewässergrundstücken sind die Eigentümer aus dem Liegenschaftskataster ersichtlich. Soweit dort die Anlieger als Eigentümer bezeichnet sind, gehören diesen die Teilflächen des selbständigen Gewässergrundstücks.

Eigentum an Gewässern, das abweichend von diesen Bestimmungen am 1.6.1962 (Inkrafttreten des LWG) bestand, bleibt aufrechterhalten (§ 7 LWG).

Die Grenze zwischen dem Gewässer und den Ufergrundstücken (Uferlinie) wird durch den Mittelwasserstand bestimmt (§ 8 LWG). Die jeweilige, den natürlichen Veränderungen unterworfene Uferlinie (§§ 9 bis 11 LWG) bildet also die Grenze zwischen dem Gewässer und dem Ufergrundstück.

Das Nachbarrechtsgesetz - NachbG15 , insbesondere dessen Vorschriften über Art, Höhe und Grenzabstand von Gehölzen und Einfriedigungen, regelt die privaten Rechtsverhältnisse von Grundeigentümern untereinander, nicht aber die öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen Unterhaltungspflichtigen und Grundeigentümern. Diese sind in zahlreichen wasserrechtlichen Bestimmungen (§ 30 WHG, §§ 97 und 98 LWG unter anderem) speziell geregelt. Das Nachbarrechtsgesetz ist daher insoweit nicht anwendbar (vgl. § 49 Abs. 2 NachbG).

Anlagen in und an Gewässern

Der Bau, der Betrieb und die Unterhaltung von Anlagen in und an Gewässern unterliegen dem Grundsatz des § 1a WHG, wonach die Gewässer als Bestandteil des Naturhaushalts und als Lebensraum von Tieren und Pflanzen zu sichern sind. Der Bau solcher Anlagen kann auch ein Eingriff in Natur und Landschaft nach § 4 Abs. 1 LG sein.

Die Errichtung oder wesentliche Veränderung von Anlagen in und an Gewässern bedarf der Genehmigung. Ausgenommen sind unter anderem Anlagen, die der Unterhaltung oder dem Ausbau des Gewässers dienen (§ 99 Abs. 1 LWG). Die Genehmigung darf nur versagt oder mit Nebenbestimmungen verbunden werden, wenn das Wohl der Allgemeinheit es erfordert (§ 99 Abs. 2 Satz 1 LWG).

Anlagen zur Wasserentnahme oder Triebwerke müssen nach § 40 LFischG mit geeigneten Vorrichtungen gegen das Eindringen von Fischen ausgestattet sein.

Anlagen in Gewässern, die die Durchgängigkeit des Fließgewässers unterbrechen, beeinträchtigen dessen ökologische Funktion gravierend. Sollte dennoch in begründeten Fällen eine derartige Anlage trotz der wesentlichen Umgestaltung des Gewässers (§ 31 WHG) zugelassen werden, ist § 45 des Landesfischereigesetzes (LFischG) zu beachten:

Wer Absperrwerke und andere Anlagen in einem Gewässer herstellt, die den Wechsel der Fische erheblich beeinträchtigen, muß auf seine Kosten Fischwege anlegen und unterhalten.

Bei bestehenden Anlagen dieser Art kann die obere Fischereibehörde im Benehmen mit der zuständigen Wasserbehörde vom Betreiber der Anlage nachträglich die Errichtung von Fischwegen fordern (§ 46 LFischG).

Konsequenterweise sind Anlagen zur Benutzung eines Gewässers nach Wegfall der Benutzungsbefugnis zu beseitigen, sobald die zuständige Behörde dies anordnet (§ 31 Abs. 2 LWG). Eine vom Anlageeigentümer selbst beantragte Beseitigung der Anlage muß genehmigt werden, wann andere durch das Außerbetriebsetzen oder Beseitigen der Anlage nicht geschädigt werden.

Anlagen in und an fließenden Gewässern sind von ihren Eigentümern so zu erhalten, daß der ordnungsmäßige Zustand des Gewässers nicht beeinträchtigt wird (§ 94 LWG).

Bachpatenschaften

Naturschutzverbände, Fischereivereine, Bürgerinitiativen, Schulen und andere können im Rahmen von Bachpatenschaften, in Einzelaktionen oder auf Dauer an Gewässern ökologische Verbesserungen herbeiführen. Es ist dazu erforderlich, daß die Maßnahmen im einzelnen mit dem Unterhaltungspflichtigen vorbereitet und ausgeführt werden. Der Unterhaltungspflichtige behält dabei seine gesetzliche Verantwortung.

3. Grundlagen

3.1 Gliederung der Fließgewässer

Die Fließgewässer in Nordrhein-Westfalen umfassen eine weite Spanne unterschiedlicher Bäche und Flüsse und erfordern entsprechend ihrer Vielgestaltigkeit eine individuelle, differenzierte Behandlung. Zur Orientierung werden sie aufgrund der Einzugsgebietsgröße sowie der Spiegelbreite bei den heute anzutreffenden Verhältnissen in Gruppen gegliedert. Dabei ist zu beachten, daß naturnahe Fließgewässer häufig größere Spiegelbreiten aufweisen als ausgebaute.

Eine Untergliederung der Fließgewässer, die über die Typisierung anhand der grundlegenden Kriterien Einzugsgebietsgröße und Spiegelbreite hinaus auch Geländegestalt, Gestein und Boden mit einbezieht, führt zu folgender Übersicht:

Gewässer im Berg- und Hügelland

Der am weitesten verbreitete, unabhängig von Gestein und Boden auftretende und für wasserbauliche Maßnahmen bedeutsame Typ ist das Gewässer im Sohlental. Gewässer dieser Art gestalten ihr Bett selbständig in der Talsohle oder Auenfläche, die durch Auffüllung des Talgrundes mit Sedimenten entstanden ist.

In Sohlentälern entwickeln Gewässer einen vielgestaltigen Lauf, der je nach Talgefälle kurvenreich, geschwungen oder mäandrierend sein kann. Eine Besonderheit gefällereicher Sohlentäler stellen Laufverzweigungen dar, die infolge flächenhafter Aufschotterungen auf der Talsohle entstehen können.

Nicht so häufig, aber bezeichnend für das Bergland und vorwiegend im Wald zu finden, ist das Gewässer im Kerbtal (Siefen, Siepen). Hier steigen die Hänge unmittelbar vom Gewässer aus in die Höhe. Durch vorherrschende Erosion kommt es nicht zur Ausbildung einer ausgeprägten Sohlen- oder Auenfläche, in der sich der Wasserlauf frei bewegen könnte. Der Längsverlauf des Gewässers im Kerbtal nimmt vielmehr die gestreckte Form des ihn umgebenden Geländeeinschnitts an.

Als Übergangsform kann das Gewässer im Muldental gelten. Hier fehlt zwar noch eine deutlich erkennbare Auenfläche, aber die angrenzenden Hänge steigen nicht so steil an wie im Kerbtal.

Bergland
Bezeichnung Oberirdisches Einzugsgebiet AEo [km2] Spiegelbreite bei Mittelwasser [m] Beispiele
Quellbäche      
Kleine Bäche < 10 < 1  
Große Bäche 10 - 50 1 - 5  
Kleine Flüsse 50 - 300 5 - 10 Erft bei Arloff, Bröl bei Bröl,
Lenne bei Schmallenberg, Nethe bei Brakel
Große Flüsse > 300 > 10 Sieg bei Rosbach, Wupper unterhalb Wuppertal,
Ruhr bei Meschede, Lenne unterhalb Altena
Flachland
Bezeichnung Oberirdisches Einzugsgebiet AEo [km2] Spiegelbreite bei Mittelwasser [m] Beispiele
Quellbäche      
Kleine Bäche < 2 < 1  
Große Bäche 2 - 30 1 - 5  
Kleine Flüsse 30 - 500 5 - 10 Issel bei Anholt, Vechte an der Landesgrenze, Ahse bei Hamm, Moersbach bei Rheinberg, Schwalm bei Brüggen, Große Aue bei Rahden
Große Flüsse > 500 > 10 Niers unterhalb Geldern, Ems unterhalb Warendorf, Lippe unterhalb Schloß Neuhaus

Gewässer im Flachland

Im Flachland herrschen Gewässer mit einer deutlich erkennbaren Auenfläche vor. Hinzu kommen bei schwach ausgeprägten Geländeformen Gewässer im Flachmuldental. Die Gestalt des Gewässerprofils wird im Flachland ganz wesentlich vom Substrat an der Erdoberfläche (Lehm, Sand, Torf) mit seinen Eigenschaften wie Standfestigkeit und Transportfähigkeit bestimmt. Daher wird dieses Kriterium als wichtigstes zur weiteren Untergliederung der Flachlandbäche herangezogen. Dies gilt gleichermaßen für Bäche, die größere Flußniederungen durchziehen. Viele Gewässer im nordrhein-westfälischen Flachland weisen weiter vom Gewässer abgelegene Talkanten auf, die durch eiszeitliche Schmelzwasserabflüsse entstanden sind. Sie stellen heute Ausuferungsgrenzen für höhere Jährlichkeiten dar und sind als Auengrenze anzusehen.

In den südlichen Regionen des nordrhein-westfälischen Flachlandes, in denen Lößböden vorherrschen, gibt es Lehmbäche, die sich durch kastenförmige Profile mit stabilen Wänden und fester Sohle auszeichnen. Charakteristisch für die Sandgebiete im nördlichen Landesteil sind Sandbäche mit kastenförmigem Profil, die eine wellenförmige Sandsohle aufweisen. Bäche, die von organischem Material geprägt werden, insbesondere wenn sie vermoorte Geländerinnen (Niedermoor) durchfließen, weisen überwiegend Kastenprofile mit wechselnden Tiefen auf.

Zwischenformen

Als Bindeglied zwischen Wasserläufen des Berg- und Hügellandes und des Flachlandes sind solche in den Übergangsbereichen anzusehen, deren Sohle aus einem Gemisch von Steinen, Kies und Sand besteht. Das Substrat dieser Kiesbäche - ob kalkarm oder kalkreich - wird vom anstehenden Gestein der benachbarten Hügel und Berge bestimmt.

3.2 Grundzüge der Ökologie von Fließgewässern

Fließgewässer sind komplexe Ökosysteme aus unterschiedlichen Lebensräumen (Biotopen) und Lebensgemeinschaften (Biozönosen). Wasserkörper und Gewässerbett (aquatischer Bereich), Wasserwechselzone (amphibischer Bereich) und vom Gewässer beeinflußtes Umland (terrestrischer Bereich) werden jeweils durch spezifische Faktoren geprägt und weisen dementsprechend charakteristische Biozönosen auf. Lebensräume und Lebensgemeinschaften wandeln sich auch im Längsverlauf von der Quelle bis zur Mündung.

Wasserkörper, Gewässerbett, Uferbereich und Umland bilden ein komplexes Wirkungsgefüge. Hiervon abhängig sind eine vielfältige Flora und Fauna, die in der Regel sehr spezielle Ansprüche an das Vorhandensein bestimmter Kleinbiotope stellen.

Die Ausprägung dieser Kleinbiotope hängt wesentlich von den morphologischen Gegebenheiten und dem Abflußverhalten des Gewässers ab. Jeder natürliche Bach und jeder natürliche Fluß hat eine spezielle, für ihn charakteristische Ausbildung seiner Strukturelemente. Seine Laufentwicklung, sein Längsprofil, die Ausbildung seiner Querprofile und seine Sohlstruktur spiegeln die prägenden Faktoren des jeweiligen Naturraums wider. Das Abflußverhalten und die dem Wasserangriff ausgesetzten Böden und Gesteine spielen hier eine entscheidende Rolle.

Die ständige Veränderung der Fließgewässer und die damit verbundene Gestaltung der angrenzenden Talaue, aber auch die Dynamik des Überflutens und Trockenfallens, bringen äußerst vielfältige Landschaftsräume hervor. Diese Dynamik ist eine wesentliche Voraussetzung, daß sich die Lebensgemeinschaften der Fließgewässer und ihre Auen entfalten können.

Stillgewässer in der Aue gehören zum Fließgewässer, haben aber einen eigenständigen Charakter.

Quellen und Quellbäche sind wesentlich durch das Grundwasser geprägt. Sie unterscheiden sich in ihrem Stoff- und Energiehaushalt von den anschließenden Bachstrecken und besitzen eigene, vom jeweiligen Quelltyp geprägte Biozönosen. Naturnahe Quellen sind besonders schutzbedürftige Biotope.

3.2.1 Morphologie

Fließgewässer lassen sich durch die Art des Gewässerbettes, die Linienführung und die Längsentwicklung beschreiben. Diese Faktoren sind bei natürlichen und naturnahen Fließgewässern nicht durchgehend in der gleichen Ausprägung vorhanden, sondern variieren sowohl zwischen den verschiedenen Gewässern als auch innerhalb verschiedener Abschnitte eines Gewässers. Abhängig von den unterschiedlichen Grundformen, wie beispielsweise Bergbach mit gestreckter oder verzweigter Laufentwicklung oder Flachlandbach mit gewundenem Verlauf, weisen die Fließgewässer von Natur aus unterschiedliche Lebensräume auf.

Bei einem Untergrund aus erodierfähigem Material entsteht die jeweilige Gewässerform durch den Angriff des fließenden Wassers auf die vorhandenen Substrate. Solange das Transportvermögen des fließenden Wassers größer ist als die Lagerungsstabilität der Substrate, wird Material abgetragen und dorthin verlagert, wo die Schleppkraft nachläßt. Diese Vorgänge hängen vom Abflußgeschehen, den anstehenden Boden- und Gesteinsarten, den Gefälleverhältnissen und der Talform ab. Auch Pflanzen und Tiere haben Einfluß auf dieses Geschehen.

So entstehen je nach den örtlichen Bedingungen für die Gewässerbettbildung breite bis sehr breite und damit flache Querprofile. Aus solchen Gewässerbetten finden immer wieder Ausuferungen statt. Größere Abflüsse überfluten die Aue und schaffen die dort typischen Standortbedingungen, die durch den Wechsel von Überflutung und Trockenfallen geprägt sind. Diese Bäche und Flüsse beanspruchen für ihr breites Gewässerbett und dessen Verlagerung einen großen Raum.

Wo die Kraft des angreifenden Wassers so gering ist, daß das anstehende Gestein gar nicht oder nur unwesentlich erodiert und verlagert werden kann, wird die Gewässerform von der Talform bestimmt. Diese Gewässerform findet sich häufig in den Oberläufen der kleineren Bergbäche, wo gestreckte Linienführungen dem Talverlauf entsprechend typisch sind. Ähnliches ist bei den Talmäandern zu beobachten, bei denen die Laufentwicklung der Gewässer an den Talrändern eingeschränkt ist.

Häufiger sind die Fließgewässer, die sich ihre Form in freier Entwicklung schaffen können und in mehr oder weniger starken Bögen verlaufen. Die Form der Bögen kann von schwachen Schwingungen bis zu ausgeprägten Mäandern reichen. Wenn der Lauf sich in mehrere Arme aufteilt, entstehen verzweigte Fließgewässer, die einen eigenen Gewässertyp darstellen.

In jedem Gewässer finden ständig kleinräumige Veränderungen statt, ohne daß der jeweilige Grundcharakter verlorengeht. Diese Veränderungen vollziehen sich bei manchen Bächen in geringfügigen Umlagerungen des Sohlsubstrats. Bei anderen, insbesondere bei verzweigten Fließgewässern, finden starke Umlagerungen der Substrate bei Hochwasserereignissen statt. Dies kann zur Ausbildung neuer Gewässerstrecken führen.

Ferner gibt es bei Flachlandbächen und -flüssen Veränderungen dadurch, daß an Prallufern Material abgetragen und an Gleitufern angelagert wird. Der Abtrag kann solche Ausmaße erreichen, daß sich zwischen zwei Gewässerbögen ein Durchbruch bildet, der zum Hauptlauf wird. Der dadurch abgetrennte Bogen wird zum Altarm. Weitere Strukturelemente wie Inseln, Sand- und Kiesbänke, Kolke und Stromschnellen, auch Felsblöcke und ins Wasser gefallene Bäume oder Baumteile, prägen den Charakter des Fließgewässers. An den Ufern bilden Gehölzwurzeln ein dichtes Geflecht und stellen sich der Erosion entgegen.

Bei allen beschriebenen Prozessen der Gewässerbettbildung kommt es in der Regel, abgesehen von natürlichen Erosionsbereichen (Kerbtälern), nicht zu stärkeren Eintiefungen der Fließgewässer gegenüber der sie umgebenden Landschaft. Durch Breiten- und Krümmungserosion sowie durch den Eintrag von Geschiebe und anderem Feststoffmaterial wird einer Tiefenerosion entgegengewirkt. Menschliche Aktivitäten, wie z.B. naturferner Gewässerausbau oder ein hohes Maß an Versiegelung im Einzugsgebiet, können die Gleichgewichtsprozesse empfindlich stören.

Jedes Fließgewässer schafft eine eigene charakteristische Ausbildung seiner Strukturelemente. Dennoch lassen sich Gewässer, bei denen sich die Gefälleverhältnisse, die Talformen, das Abflußgeschehen und die Boden- und Gesteinsarten ähneln, zu Gruppen ähnlicher Erscheinungsformen zusammenfassen (vgl. 3.1).

3.2.2 Abflußgeschehen

Die Gestalt und Besiedlung eines Fließgewässers werden wesentlich durch das Abflußgeschehen geprägt. In Bergbächen stehen häufig geringe Niedrigwasserabflüsse großen Abflüssen bei Hochwasser gegenüber, während in Flachlandbächen und -flüssen das Verhältnis zwischen Niedrig- und Hochwasserabfluß ausgeglichener ist. Dennoch treten auch hier meist jährlich größere Abflüsse auf, die als Hochwasser die Aue überfluten. Sie sind standortbestimmend für die an den Wechsel von Überflutung und Trockenfallen angepaßte Lebensgemeinschaft der Aue. Trockenfallende Bäche und Flüsse weisen extreme Lebensbedingungen auf, an die sich nur wenige Tier- und Pflanzenarten angepaßt haben.

Für die Ausbildung der Abflüsse sind die Menge und die Verteilung der Niederschläge von entscheidender Bedeutung. Neben dem Niederschlag beeinflussen vor allem die Form des Einzugsgebietes, die Bodenarten, die Gefälleverhältnisse im Einzugsgebiet, die Dichte des Gewässernetzes sowie die Art der Flächennutzung die Abflußbildung.

Übersteigen die Niederschläge die Aufnahmefähigkeit der Böden im Einzugsgebiet, kommt es zu einem Abfluß auf der Landoberfläche. Nachdem Geländemulden gefüllt sind, fließt das Wasser den Fließgewässern zu. Bei entsprechend großen Mengen kann das Wasser nicht mehr in den Gewässerbetten abgeführt werden und ufert aus. Je nach Einzugsgebietsgröße lösen Niederschlagsereignisse mit unterschiedlicher Intensität und Dauer solche Hochwasserereignisse aus. In kleinen Einzugsgebieten führen kurze Starkregen zu Hochwasser, während bei größeren Einzugsgebieten langanhaltende Niederschläge mit vergleichsweise geringerer Intensität zumeist für das Eintreten von bedeutenden Hochwasserabflüssen maßgeblich sind.

Durch Versiegelung wird der Direktabfluß von Flächen erhöht. Eine ungünstige Wirkung kann auch durch eine großflächige landwirtschaftliche Bewirtschaftung eintreten. Die Erhöhung des Abflusses kann in Einzelfällen extreme Ausmaße erreichen. Durch eine solche Veränderung kann das Gleichgewicht zwischen den angreifenden Kräften des fließenden Wassers und den beharrenden Kräften in Profilen von Fließgewässern gestört werden. Die Entwicklung naturnaher Gewässer erfordert eine angepaßte Wasserführung.

Weitere Veränderungen im Abflußgeschehen können durch Ausbaumaßnahmen verursacht sein, wenn durch sie die hydraulische Leistungsfähigkeit stark erhöht wurde. Große Durchflüsse können dann dort nicht mehr ausufern und damit in den Auen zwischengespeichert werden, sondern werden nach unterhalb transportiert.

Ähnliche Wirkungen haben Eindeichungen. Auch hier wird das Rückhaltevermögen der Aue nicht oder nicht in vollem Umfang genutzt.

Die Kenntnis des gewässertypischen Abflußverhaltens sowie der aktuellen, möglicherweise anthropogen beeinflußten Situation stellt eine wesentliche Voraussetzung zur Entwicklung naturnaher Gewässer dar.

3.2.3 Aquatischer Lebensraum Wasserkörper und Gewässerbett

In den meisten Bächen und Flüssen dominiert das Gewässerbett als Lebensraum. Nur in großen Fließgewässern mit einer Wassertiefe über 2 m ist die "Fließende Welle" der wesentliche Lebensraum. Auf der rauhen Gewässersohle und im benetzten Uferbereich befindet sich ein Mosaik von Kleinbiotopen, die sich insbesondere durch ihre unterschiedliche Lage zur Strömung und zum Licht unterscheiden. Sie sind der Siedlungsplatz für die auf eine feste Unterlage (Substrat) angewiesenen Organismen. Ihr Arteninventar und ihre Individuendichte werden insbesondere bestimmt durch:

Die Einzelfaktoren wirken im Gewässer in Kombination miteinander. Daher werden nachstehend wichtige Wirkungskomplexe dargestellt.

Strukturelemente und Substrate

Art, Beschaffenheit, Verteilung und Häufigkeit der Strukturelemente, zu denen unter anderem Prall- und Gleitufer, Stromschnellen, Kolke, Felsblöcke, Kies- und Sandbänke gehören, bestimmen den Charakter der Fließgewässer als Lebensraum für Pflanzen und Tiere.

Die Art der Substrate (besiedelbare Flächen), z.B. anstehender Fels, grobe Blöcke und Gerölle, Kies, Sand und Schlamm, wird unter natürlichen Bedingungen wesentlich von der Beschaffenheit des Einzugsgebietes bestimmt, das ein Fluß oder Bach durchfließt. Auch Wurzeln, totes Holz und Fallaub sowie Unterwasserblütenpflanzen, Moose, Fadenalgen Röhricht- und Schwimmblattpflanzen sind wichtige Substrate.

Künstliche Einbauten wie Betonwände, Steinpflaster und Steinstickungen sowie Holz- und Metallspundwände sind nur sehr beschränkt als Lebensstätte geeignet.

Feinkörnige Substrate (Schlamm und Sand) werden bevorzugt von Kiesel- und Blaualgen, Höheren Pflanzen sowie von bestimmten Würmern, Insektenlarven und anderen Tieren besiedelt. An grobkörnigen Substraten und auf größeren, festen Unterlagen, wie Blöcken, anstehendem Fels, haften Algen, Moose und andere Wasserpflanzen. Auf und zwischen ihnen leben Schnecken, Würmer, Insektenlarven, Kleinkrebse und weitere Organismen.

Die frei beweglichen Tiere halten sich bevorzugt an den licht- bzw. strömungsabgewandten Seiten der Substrate auf. Deshalb sind die Hohlräume zwischen den Steinen und die Steinunterseiten biologisch von besonderer Bedeutung. Entsprechendes gilt auch für Moosrasen und Wasserpflanzenbestände; denn durch sie wird die innere Oberfläche des Gewässers ganz erheblich vergrößert und damit die Grundlage für eine hohe Bioaktivität geschaffen. Strömungsarme Räume bieten vor allem vielen Niederen Tieren günstige Lebensbedingungen und sind gleichzeitig Laichgebiet für bestimmte Fischarten. Niedere Wassertiere bilden die Nahrungsgrundlage für Fische und Wasservögel.

Freigespülte Wurzeln sind ebenfalls ein wichtiges Strukturelement, denn zwischen ihnen halten sich bevorzugt die reviertreuen Edelkrebse und Bachforellen auf.

Auch der Porenraum unterhalb der Gewässersohle (hyporheisches Interstitial) ist ein biologisch bedeutsamer Lebensraum. Insbesondere in Bergbächen ist er Refugium für die jüngsten Stadien von Niederen Tieren und Fischen.

Die gelegentliche Bewegung und Verlagerung der Sedimente und Gerölle durch Erosion und Sedimentation gehört zum normalen Geschehen im Gewässer, an das die Lebensgemeinschaft angepaßt ist. Ständige Umlagerung, wie sie insbesondere im treibenden Sand auftritt, wirkt aber besiedlungsfeindlich.

Durch menschliche Aktivität verstärkte Erosion führt zum Verlust von Lebensmöglichkeiten und zur Minderung der Bioaktivität in den betreffenden Fließgewässerstrecken. Gleichzeitig führt sie zu einer verstärkten Sedimentation und damit Beeinträchtigung des Lebensraumes stromabwärts. Darüber hinaus stellen gewässerfremde Feinsedimente sowie die gewässereigene Verschlammung durch Wasserpflanzen- und Algenwuchs eine Belastung dar. Durch den ständigen Transport erheblicher Mengen feinkörnigen Materials werden die Fangnetze, die manche ortsfeste Niedere Tiere zum Nahrungserwerb bauen, verstopft und damit unwirksam. Der verstärkte Schwebstofftransport führt daher zum Verschwinden dieser Organismen. Durch verstärkte Sedimentation können sich die Hohlräume in und unter der Gewässersohle zusetzen. Dies führt zu einem Verlust von Laichplätzen für kieslaichende Fische und insgesamt zu einer Verarmung der Lebensgemeinschaft. Empfindliche Fischarten wie Bachforelle und Äsche wandern aus dem Gewässerabschnitt ab.

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