Für einen individuellen Ausdruck passen Sie bitte die Einstellungen in der Druckvorschau Ihres Browsers an. Regelwerk, EU 2016, Anlagentechnik/Betriebssicherheit - EU Bund |
Leitfaden 2016/C 272/01 für die Umsetzung der Produktvorschriften der EU 2016 ("Blue Guide")
(Text von Bedeutung für den EWR)
(ABl. C 272 vom 26.07.2016 S. 1;
2022/C 247/01 - ABl. C 247 vom 29.06.2022 S. 1aufgehoben)
aufgehoben/ersetzt gem. 2022/C 247/01
Produktsicherheitsgesetz - harmonisierte Normen
Der Leitfaden für die Umsetzung der nach dem neuen Konzept und dem Gesamtkonzept verfassten Richtlinien ("Blue Guide") wurde im Jahr 2000 veröffentlicht und ist seither zu einem der wichtigsten Referenzdokumente geworden. In ihm wird erläutert, wie die nach dem neuen Konzept verfassten Rechtsvorschriften umzusetzen sind, die mittlerweile unter den neuen Rechtsrahmen fallen.
Vieles aus der Ausgabe 2000 des "Blue Guide" ist nach wie vor gültig. Dennoch bedarf es einer Aktualisierung, damit neue Entwicklungen Berücksichtigung finden und für ein möglichst umfassendes allgemeines Verständnis der Umsetzung des neuen Rechtsrahmens für das Inverkehrbringen von Produkten gesorgt wird. Darüber hinaus ist den Veränderungen Rechnung zu tragen, die der am 1. Dezember 2009 in Kraft getretene Vertrag von Lissabon unter anderem für Verweise auf Rechtsakte und für Begrifflichkeiten in Dokumenten und Verfahren der EU mit sich gebracht hat.
Die vorliegende neue Fassung des Leitfadens baut daher auf der Vorgängerversion auf, umfasst aber auch neue Kapitel, wie zum Beispiel jenes über die Pflichten der Wirtschaftsakteure oder die Akkreditierung, sowie vollständig überarbeitete Kapitel, wie zum Beispiel jene über die Normung und die Marktüberwachung. Außerdem erhielt der Leitfaden einen neuen Titel, damit der Tatsache Rechnung getragen wird, dass der neue Rechtsrahmen wahrscheinlich nicht nur in den nach dem sogenannten neuen Konzept verfassten EU-Richtlinien Anwendung finden wird, sondern zumindest teilweise auch in allen Arten von Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union.
Mit diesem Leitfaden soll ein Beitrag zum besseren Verständnis der Produktvorschriften der EU sowie zu ihrer einheitlicheren und kohärenteren Anwendung in den verschiedenen Bereichen und im gesamten Binnenmarkt geleistet werden. Der Leitfaden richtet sich an die Mitgliedstaaten sowie an all jene, die mit den Vorschriften zur Gewährleistung des freien Warenverkehrs und eines hohen Schutzniveaus innerhalb der Union vertraut sein sollten (z.B. Handels- und Verbraucherverbände, Normungsorganisationen, Hersteller, Einführer, Händler, Konformitätsbewertungsstellen und Gewerkschaften).
Bei dem vorliegenden Dokument handelt es sich lediglich um Leitlinien - Rechtskraft kommt ausschließlich den jeweiligen Harmonisierungsrechtsakten der Union zu. In manchen Fällen können Unstimmigkeiten zwischen den Bestimmungen eines Harmonisierungsrechtsakts der Union und dem Inhalt dieses Leitfadens bestehen, insbesondere dann, wenn in diesem Leitfaden nicht in allen Einzelheiten auf leicht voneinander abweichende Vorschriften in den einzelnen Harmonisierungsrechtsakten der Union eingegangen werden kann. Die rechtsverbindliche Auslegung des Unionsrechts obliegt ausschließlich dem Gerichtshof der Europäischen Union. Die in diesem Leitfaden dargelegten Auffassungen sind nicht als Vorgriff auf Standpunkte zu verstehen, die die Kommission gegebenenfalls vor dem Gerichtshof vertritt. Weder die Europäische Kommission noch Personen, die im Auftrag der Kommission handeln, können für die Verwendung der im Folgenden dargelegten Informationen verantwortlich gemacht werden.
Dieser Leitfaden gilt für die Mitgliedstaaten der EU und darüber hinaus auch für Island, Liechtenstein und Norwegen als Unterzeichnerstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) sowie in bestimmten Fällen für die Türkei. Wird also Bezug auf die Union oder den Binnenmarkt genommen, so ist dies gleichzeitig als Bezugnahme auf den EWR oder seinen Markt zu verstehen.
Da dieser Leitfaden dem aktuellen Stand zum Zeitpunkt seiner Ausarbeitung entspricht, bleiben spätere Änderungen vorbehalten. 1 Insbesondere werden derzeit ganz konkrete Überlegungen hinsichtlich verschiedener auf den Online-Handel anwendbarer Aspekte des Unionsrechts angestellt, und dieser Leitfaden greift künftige spezifische Auslegungen und Leitlinien, die zu diesen Fragen möglicherweise entwickelt werden, nicht vor.
1. Regulierung des freien Warenverkehrs
1.1. Historischer Überblick
Die ersten Harmonisierungsrichtlinien zielten vor allem auf die Beseitigung von Beschränkungen und die Gewährleistung des freien Warenverkehrs im Binnenmarkt ab. Diese Ziele werden mittlerweile durch eine umfassende Politik ergänzt, die darauf ausgerichtet ist, ausschließlich sichere und anderweitig den Vorschriften entsprechende Produkte auf den Markt gelangen zu lassen, sodass redliche Wirtschaftsakteure von einheitlichen Wettbewerbsbedingungen profitieren. Zugleich sollen ein wirksamer Schutz der Verbraucher und beruflichen Nutzer in der EU sowie ein wettbewerbsorientierter EU Binnenmarkt gefördert werden.
Die politischen Maßnahmen und Rechtsetzungsverfahren haben sich im Laufe von 40 Jahren europäischer Integration - insbesondere im Bereich des freien Warenverkehrs - weiterentwickelt, was sehr zum heutigen Erfolg des Binnenmarkts beigetragen hat.
Historisch betrachtet lässt sich die Entwicklung der EU-Rechtsvorschriften im Warenbereich in vier Phasen gliedern:
1.1.1. Das "Alte Konzept"
Im alten Konzept spiegelte sich die traditionelle Vorgehensweise wider, die darin bestand, dass die nationalen Behörden die technischen Rechtsvorschriften ausarbeiteten und dabei stark ins Detail gingen, was üblicherweise auf mangelndes Vertrauen in die Konsequenz der Wirtschaftsakteure in Fragen der öffentlichen Sicherheit und Gesundheit zurückzuführen war. In einigen Bereichen (z.B. im gesetzlichen Messwesen) führte dies sogar dazu, dass die Behörden bestimmte Konformitätsbescheinigungen selbst ausstellten. Die auf diesem Gebiet bis 1986 erforderliche Einstimmigkeit machte die Annahme solcher Rechtsvorschriften äußerst kompliziert, zugleich wird die auch heute noch anzutreffende Anwendung dieser Methode in einer Vielzahl von Bereichen häufig damit begründet, dass dies im öffentlichen Interesse (z.B. im Lebensmittelrecht) oder gemäß internationalen Gepflogenheiten geschehe und/oder durch einseitig nicht abänderbare Übereinkommen (z.B. Rechtsvorschriften im Automobilbereich oder einmal mehr das Lebensmittelrecht) bedingt sei.
Der erste Versuch, Abhilfe zu schaffen, wurde mit der Annahme der Richtlinie 83/189/EWG 3 am 28. März 1983 unternommen, mit der ein Informationsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission eingeführt wurde, um die Errichtung neuer technischer Beschränkungen des freien Warenverkehrs zu verhindern, deren Behebung im Zuge des Harmonisierungsprozesses zeitaufwendig gewesen wäre.
Nach der Richtlinie sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, den anderen Mitgliedstaaten und der Kommission die Entwürfe nationaler technischer Vorschriften mitzuteilen (und die nationalen Normungsgremien wurden verpflichtet, die nationalen Normen 4 der Kommission, den europäischen Normungsorganisationen und den anderen nationalen Normungsgremien zu notifizieren). Während einer Stillhaltefrist dürfen die gemeldeten technischen Vorschriften nicht angenommen werden, um der Kommission und den anderen Mitgliedstaaten die Möglichkeit einzuräumen, darauf zu reagieren. Verstreicht die erste Stillhaltefrist von drei Monaten ohne jegliche Reaktion, können die Entwürfe technischer Vorschriften angenommen werden. Falls hingegen Einwände erhoben werden, so wird eine weitere Stillhaltefrist von drei Monaten verhängt.
Die Stillhaltefrist dauert zwölf Monate, wenn ein Vorschlag für einen Harmonisierungsrechtsakt der Union in dem betreffenden Bereich vorliegt. Nicht zur Anwendung kommt sie jedoch, wenn ein Mitgliedstaat gehalten ist, im Interesse des Schutzes der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit sowie von Pflanzen und Tieren technische Vorschriften kurzfristig einzuführen.
1.1.2. Gegenseitige Anerkennung
Neben Gesetzgebungsinitiativen zur Verhinderung neuer Beschränkungen und zur Förderung des freien Warenverkehrs wurde auch die systematische Anwendung des in den EU-Rechtsvorschriften festgelegten Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung verfolgt. Für nationale technische Vorschriften gelten die Bestimmungen der Artikel 34 bis 36 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), die mengenmäßige Beschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung verbieten. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, insbesondere das Urteil in der Rechtssache 120/78 ("Cassis de Dijon" 5), liefert die zentralen Elemente für die gegenseitige Anerkennung mit folgender Wirkung:
Um die Umsetzung dieser Grundsätze zu unterstützen, nahmen das Europäische Parlament und der Rat im Jahr 2008 mit dem Binnenmarktpaket für Waren die Verordnung (EG) Nr. 764/2008 vom 9. Juli 2008 zur Festlegung von Verfahren im Zusammenhang mit der Anwendung bestimmter nationaler technischer Vorschriften für Produkte, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden sind, und zur Aufhebung der Entscheidung Nr. 3052/95/EG 6 an.
Wenngleich der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung dem freien Warenverkehr im Binnenmarkt äußerst dienlich ist, stellt er nicht die Lösung aller Probleme dar, sodass nach wie vor Raum für eine weitergehende Harmonisierung besteht, wie dies auch im Monti-Bericht 7 angemerkt wurde.
1.1.3. Das "Neue Konzept" und das "Gesamtkonzept"
Die Rechtssache "Cassis de Dijon" ist dafür bekannt, dass sie für den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung eine wichtige Rolle gespielt hat. Darüber hinaus hatte sie aber auch enormen Einfluss auf die Änderung des Konzepts der EU im Bereich der technischen Harmonisierung, was in drei grundlegenden Aspekten zum Ausdruck kommt:
Das Rechtsetzungsverfahren nach dem neuen Konzept, das der Ministerrat am 7. Mai 1985 in seiner Entschließung über eine neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normung 8 genehmigte, war die logische legislative Konsequenz aus der Rechtssache "Cassis de Dijon". Durch das neue Rechtsetzungsverfahren wurden folgende Grundsätze eingeführt:
Für die Umsetzung der Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union nach dem neuen Konzept müssen die harmonisierten Normen ein garantiertes Schutzniveau hinsichtlich der wesentlichen Anforderungen der Rechtsvorschriften bieten. Dies stellt eines der wichtigsten Anliegen dar, das die Kommission mit ihrer Politik für ein leistungsfähiges europäisches Normungsverfahren und eine ebensolche europäische Normungsinfrastruktur umsetzen möchte. Gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 zur europäischen Normung 10 besteht für die Kommission die Möglichkeit, die europäischen Normungsorganisationen nach Konsultation der Mitgliedstaaten aufzufordern, harmonisierte Normen zu erarbeiten; die Verordnung enthält auch Bestimmungen über die Verfahren, nach denen harmonisierte Normen bewertet und Einwände dagegen erhoben werden.
Da gemäß dem neuen Konzept gemeinsame wesentliche Anforderungen durch Rechtsvorschriften verpflichtend vorzuschreiben sind, ist die Eignung dieses Konzepts auf jene Fälle begrenzt, in denen es möglich ist, zwischen wesentlichen Anforderungen und technischen Spezifikationen zu unterscheiden. Da der Anwendungsbereich dieser Rechtsvorschriften von den Risiken abhängt, muss zudem die breite Palette der einbezogenen Produkte ausreichend homogen sein, damit gemeinsame wesentliche Anforderungen gelten können. Auch müssen sich der Produktbereich bzw. Gefahrentyp für eine Normung eignen.
Mit den Grundsätzen des neuen Konzepts wurde das Fundament für die die Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union flankierende europäische Normung gelegt. Die Rolle der harmonisierten Normen und die Zuständigkeiten der europäischen Normungsorganisationen sind in der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 sowie in den einschlägigen Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union geregelt.
Der Grundsatz, technischen Vorschriften Normen zugrunde zu legen, wird auch von der Welthandelsorganisation (WTO) angewandt. Sie spricht sich in ihrem Übereinkommen über technische Handelshemmnisse (TBT) für die Anwendung internationaler Normen aus. 11
Bei den Verhandlungen über die ersten nach dem neuen Konzept zu verfassenden Harmonisierungsrechtsakte der Union zeigte sich sofort, dass die Festlegung wesentlicher Anforderungen und die Entwicklung harmonisierter Normen zur Herstellung des erforderlichen Maßes an Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten nicht ausreichten und eine angemessene horizontale Konformitätsbewertungspolitik und entsprechende Instrumente entwickelt werden mussten. Dies geschah parallel zur Annahme der Richtlinien. 12
Der Rat verabschiedete deshalb 1989 und 1990 eine Entschließung über das Gesamtkonzept und den Beschluss 90/683/EWG (aktualisiert und ersetzt durch Beschluss 93/465/EWG) 13 zur Festlegung der allgemeinen Leitlinien und detaillierten Verfahrensweisen für die Konformitätsbewertung. Mittlerweile wurden diese aufgehoben und durch den Beschluss Nr. 768/2008/EG vom 9. Juli 2008 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für die Vermarktung von Produkten 14 ersetzt.
Diese politischen Dokumente zielten vor allem darauf ab, gemeinsame allgemeine (d. h. sowohl für reglementierte als auch für nicht reglementierte Bereiche geltende) Instrumente für die Konformitätsbewertung zu entwickeln.
Die Politik im Bereich der Produktnormen wurde zunächst entwickelt, damit in den Normen technische Spezifikationen festgelegt werden, für die Konformität nachgewiesen werden kann. Auf Ersuchen der Kommission nahmen jedoch das CEN und das Cenelec die Normenreihe EN 45000 zur Festlegung der Zuständigkeit der an der Konformitätsbewertung beteiligten dritten Stellen an. Die Reihe ist seitdem zur harmonisierten Normenreihe EN ISO/IEC 17000 geworden. Durch die nach dem neuen Konzept verfassten Richtlinien wurde ein Mechanismus geschaffen, mit dem die nationalen Behörden die dritten Stellen notifizieren, die sie mit der Durchführung von Konformitätsbewertungen auf der Grundlage dieser Normen beauftragt haben.
Der Rat entwickelte auf der Grundlage der ISO/IEC-Dokumentation in seinen Beschlüssen konsolidierte Konformitätsbewertungsverfahren sowie Vorschriften für deren Auswahl und Anwendung in den Richtlinien (Module). Die Module bieten eine Auswahl vom einfachsten Modul ("interne Fertigungskontrolle") für einfache Produkte oder Produkte, die nicht unbedingt mit ernsthaften Gefahren verbunden sind, bis hin zum umfassendsten Modul (umfassende Qualitätssicherung mit EU-Entwurfsprüfung) für die Fälle, in denen ernstere Gefahren bestehen oder die Produkte/Technologien komplizierter sind. Damit die Module modernen Herstellungsverfahren entsprechen, schreiben sie Verfahren für die Produktkonformitätsbewertung sowie eine Bewertung des Qualitätsmanagements vor, wobei dem Gesetzgeber die Entscheidung über die für den jeweiligen Wirtschaftszweig geeignetsten Verfahren freigestellt ist, da es beispielsweise nicht sonderlich effektiv ist, für jedes Massenprodukt eine eigene Zertifizierung vorzuschreiben. Im Sinne der Transparenz und Effektivität der Module wurde auf Ersuchen der Kommission die Normenreihe ISO 9001 über Qualitätssicherung auf europäischer Ebene harmonisiert und in die Module integriert. Somit können Wirtschaftsakteure, die diese Instrumente bereits im Rahmen freiwilliger Qualitätsmanagementsysteme anwenden, um ihr Qualitätsimage auf dem Markt zu stärken, auch in den reglementierten Sektoren von der Anwendung dieser Instrumente profitieren.
Alle der genannten Initiativen zielten auf die direkte Ausweitung der Konformitätsbewertung von Produkten vor ihrem Inverkehrbringen ab. Darüber hinaus entwickelte die Kommission in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten und den nationalen Akkreditierungsstellen die europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Akkreditierung, um eine letzte Kontrollebene zu schaffen und die Glaubwürdigkeit der Drittstellen zu stärken, die an der Durchführung von Konformitätsbewertungen von Produkten und der Qualitätssicherung beteiligt sind. Zwar blieb dies eher eine politische denn eine gesetzgeberische Initiative, doch erwies sie sich bei der Errichtung der ersten europäischen Infrastruktur in diesem Bereich als wirksam und bewirkte eine deutliche internationale Vorreiterrolle der europäischen Akteure auf diesem Gebiet.
Die geschilderten Entwicklungen führten zur Annahme von 27 Richtlinien auf der Grundlage von Elementen des neuen Konzepts. Dies sind deutlich weniger als die herkömmlichen Richtlinien auf dem Gebiet der Industrieprodukte (etwa 700), doch haben aufgrund der großen gefahrenbasierten Reichweite ganze Industriezweige von dem durch dieses Rechtsetzungsverfahren geförderten freien Warenverkehr profitiert.
1.2. Der "Neue Rechtsrahmen"
1.2.1. Das Konzept
Gegen Ende der 1990er-Jahre begann die Kommission mit Überlegungen zur wirksamen Umsetzung des neuen Konzepts. Im Jahr 2002 wurde ein umfassender Konsultationsprozess gestartet, und am 7. Mai 2003 brachte die Kommission eine Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament heraus, in der sie eine mögliche Überarbeitung bestimmter Bestandteile des neuen Konzepts vorschlug. Dies führte wiederum zur Entschließung des Rates vom 10. November 2003 zur Mitteilung der Europäischen Kommission "Verbesserte Umsetzung der Richtlinien des neuen Konzepts" 15.
Der Konsens über die Notwendigkeit einer Aktualisierung und Überarbeitung war eindeutig und stark. Klarheit bestand auch hinsichtlich der wichtigsten Bestandteile, die es zu beachten galt: die Kohärenz und Konsistenz in ihrer Gesamtheit, das Notifizierungsverfahren, die Akkreditierung, die Konformitätsbewertungsverfahren (Module), die CE-Kennzeichnung und Marktüberwachung (einschließlich der Überarbeitung der Schutzklauselverfahren).
Am 9. Juli 2008 nahmen das Europäische Parlament und der Rat eine Verordnung und einen Beschluss 16 als Teil des "Ayral-Binnenmarktpakets für Waren" 17 an.
Mit der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 und dem Beschluss Nr. 768/2008/EG enthält der neue Rechtsrahmen alle Elemente, die ein umfassender Rechtsrahmen haben muss, um wirksam für die Sicherheit und Vorschriftsmäßigkeit von Industrieprodukten entsprechend den Anforderungen funktionieren zu können, die zum Schutz der verschiedenen öffentlichen Belange und für das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts festgelegt wurden.
Mit der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 wurde die rechtliche Grundlage für die Akkreditierung und die Marktüberwachung geschaffen, die Bedeutung der CE-Kennzeichnung bestätigt und zugleich eine Lücke geschlossen. Der Beschluss Nr. 768/2008/EG brachte eine Aktualisierung, Harmonisierung und Konsolidierung der verschiedenen technischen Instrumente, die bereits in den bestehenden Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union (nicht nur in nach dem neuen Konzept verfassten Richtlinien) verwendet wurden: Definitionen, Kriterien für die Benennung und Notifizierung von Konformitätsbewertungsstellen, Vorschriften für das Notifizierungsverfahren, die Konformitätsbewertungsverfahren (Module) und die Vorschriften für ihre Anwendung, die Schutzmechanismen, die Zuständigkeiten der Wirtschaftsakteure und die Anforderungen an die Rückverfolgbarkeit.
Im neuen Rechtsrahmen werden die Existenz sämtlicher Marktteilnehmer in der Lieferkette - Hersteller, bevollmächtigte Vertreter, Händler und Einführer - sowie ihre jeweiligen Funktionen im Zusammenhang mit dem Produkt berücksichtigt. Der Einführer hat nunmehr eindeutige Verpflichtungen im Bereich der Vorschriftsmäßigkeit von Produkten, außerdem ist festgelegt, dass ein Händler, der Änderungen an einem Produkt vornimmt oder es unter seinem Namen vermarktet, dem Hersteller gleichgestellt wird und dessen Haftung für das Produkt übernimmt.
Darüber hinaus werden im neuen Rechtsrahmen die unterschiedlichen Aspekte der Zuständigkeiten der nationalen Behörden anerkannt, d. h. der Regulierungsbehörden, der Notifizierungsbehörden, der für die Aufsicht über die nationalen Akkreditierungsstellen zuständigen Einrichtungen, der Marktüberwachungsbehörden, der für die Kontrolle von Produkten aus Drittstaaten zuständigen Behörden usw. Dabei wird stets betont, dass die Zuständigkeiten von den ausgeführten Tätigkeiten abhängig sind.
Der neue Rechtsrahmen hat die Ausrichtung der EU-Rechtsvorschriften im Verhältnis zum Marktzugang verändert. Früher war der Wortlaut der Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union auf den Begriff des "Inverkehrbringens" fokussiert, einen herkömmlichen Begriff aus dem Bereich des freien Warenverkehrs, der die erstmalige Bereitstellung eines Produkts auf dem Markt der EU bezeichnet. Im neuen Rechtsrahmen wird unter Berücksichtigung des Binnenmarkts der Schwerpunkt auf die Bereitstellung eines Produkts gelegt, wodurch das Geschehen nach der erstmaligen Bereitstellung eines Produkts größere Bedeutung erlangt. Dies entspricht auch der Logik, Marktüberwachungsbestimmungen der EU zu erlassen. Die Einführung des Begriffs der Bereitstellung erleichtert die Rückverfolgung nichtkonformer Produkte zum Hersteller. Dabei ist zu beachten, dass die Konformität in Bezug auf die rechtlichen Anforderungen bewertet wird, die zum Zeitpunkt der erstmaligen Bereitstellung galten.
Die wichtigste Veränderung, die der neue Rechtsrahmen dem rechtlichen Umfeld der EU gebracht hat, war die Einführung einer umfassenden Politik der Marktüberwachung. Dies hat die Ausrichtung der EU-Rechtsvorschriften erheblich verändert: Anstelle der Orientierung auf die Vorgabe von Produktanforderungen, die beim Inverkehrbringen von Produkten einzuhalten sind, wird nun stärker auf eine gleichmäßige Betonung von Durchsetzungsaspekten während des gesamten Lebenszyklus von Produkten abgezielt.
1.2.2. Der rechtliche Charakter von Rechtsvorschriften des neuen Rechtsrahmens und ihr Verhältnis zu anderen Rechtsvorschriften der EU
1.2.2.1. Die Verordnung (EG) Nr. 765/2008
Die Verordnung (EG) Nr. 765/2008 sieht eindeutige Pflichten der Mitgliedstaaten vor, die die Verordnung jedoch nicht durch eigene Rechtsakte umzusetzen brauchen (obgleich viele Staaten möglicherweise Maßnahmen zur Anpassung ihres Rechtsrahmens ergreifen müssen). Die Bestimmungen der Verordnung gelten unmittelbar für die Mitgliedstaaten, die betreffenden Wirtschaftsakteure (Hersteller, Händler, Einführer) sowie für die Konformitätsbewertungsstellen und die Akkreditierungsstellen. Die Wirtschaftsakteure haben nun nicht nur Pflichten, sondern auch unmittelbare Rechte, die sie bei Verstößen gegen die Bestimmungen der Verordnung mithilfe der nationalen Gerichte gegenüber nationalen Behörden und anderen Wirtschaftsakteuren durchsetzen können.
Bei Vorhandensein weiterer EU-Rechtsvorschriften hat die Verordnung Vorrang, weil a) sie unmittelbar anwendbar ist, d. h., die nationalen Behörden und die Wirtschaftsakteure müssen die Bestimmungen der Verordnung direkt anwenden (ein Großteil der anderen Rechtsvorschriften ist in Richtlinien enthalten), und b) die Lex-specialis-Regel gilt, der zufolge bei Angelegenheiten, die durch zwei Vorschriften geregelt werden, die spezifischere zuerst angewendet wird.
Bei Fehlen spezifischerer Rechtsvorschriften über Fragen, die durch die Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 geregelt sind, gilt die Verordnung zugleich mit den bestehenden Rechtsvorschriften sowie in Ergänzung dazu. Enthalten bestehende Rechtsvorschriften ähnliche Bestimmungen wie die Verordnung, müssen die entsprechenden Bestimmungen einzeln geprüft werden, um festzustellen, welche die spezifischste ist.
Im Allgemeinen enthalten relativ wenige Rechtsakte der EU Vorschriften über die Akkreditierung, sodass der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 in diesem Bereich allgemeine Anwendbarkeit zukommt. Im Bereich der Marktüberwachung (einschließlich der Überprüfung von Produkten aus Drittstaaten) ist die Situation komplizierter, da einige Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union verschiedene Vorschriften zu Themen enthalten, die von der Verordnung abgedeckt werden (z.B. die Rechtsvorschriften über Arzneimittel und Medizinprodukte, die ein bestimmtes Informationsverfahren vorsehen).
1.2.2.2. Beschluss Nr. 768/2008/EG
Bei dem Beschluss Nr. 768/2008/EG handelt es sich um einen sogenannten Sui-generis-Beschluss, d. h., er ist nicht an bestimmte Adressaten gerichtet und ist somit weder unmittelbar noch mittelbar anwendbar. Er stellt eine politische Verpflichtung seitens der drei EU-Organe Europäisches Parlament, Rat und Kommission dar.
Dies bedeutet, dass seine Bestimmungen, um Gültigkeit in Rechtsvorschriften der Union zu erlangen, in künftigen Rechtsvorschriften entweder ausdrücklich angeführt oder in sie integriert werden müssen.
Die drei Organe haben sich verpflichtet, seine Bestimmungen umzusetzen und bei der Ausarbeitung von Produktvorschriften so systematisch wie möglich auf sie zurückzugreifen. Entsprechende künftige Vorschläge für Rechtsvorschriften müssen daher unter Berücksichtigung des Inhalts des Beschlusses geprüft werden, wobei etwaige Abweichungen hinreichend zu begründen sind.
1.2.3. Ein ineinandergreifendes System
Die Entwicklung der Rechtsetzungsverfahren der EU auf diesem Gebiet verlief schrittweise, wobei die Themen nacheinander, gelegentlich auch parallel zueinander, angegangen wurden. Dies führte letztlich zur Annahme des neuen Rechtsrahmens: wesentliche oder andere rechtliche Anforderungen, Produktnormen, Normen und Regeln für die Kompetenz der Konformitätsbewertungsstellen sowie für die Akkreditierung, Normen für das Qualitätsmanagement, Konformitätsbewertungsverfahren, die CE-Kennzeichnung, die Akkreditierungspolitik sowie die Marktüberwachungspolitik einschließlich der Überprüfung von Produkten aus Drittstaaten.
Der neue Rechtsrahmen stellt mittlerweile ein vollständiges System dar, der die verschiedenen Elemente, die in den Rechtsvorschriften zur Produktsicherheit zu behandeln sind, in einem kohärenten, umfassenden Rechtsinstrument zusammenfasst, das umfassend auf alle Industriezweige und sogar darüber hinaus (auch in der Umwelt- und der Gesundheitspolitik wird auf diese Elemente zurückgegriffen) immer dann anwendbar ist, wenn Rechtsvorschriften der EU erforderlich sind.
In diesem System müssen in den Rechtsvorschriften für die jeweiligen Produkte das zu erreichende Niveau beim Schutz der Allgemeinheit sowie die grundlegenden Sicherheitsmerkmale festgelegt sein. Vorzuschreiben sind auch die Pflichten und Anforderungen für die Wirtschaftsakteure und - soweit dies erforderlich ist - das Kompetenzniveau der Drittstellen, die Konformitätsbewertungen von Produkten oder Qualitätsmanagementsystemen durchführen, sowie die Kontrollmechanismen für diese Stellen (Notifizierung und Akkreditierung). Außerdem sind in die Rechtsvorschriften Bestimmungen über die anzuwendenden Konformitätsbewertungsverfahren (Module, die auch die Konformitätserklärung der Hersteller umfassen) aufzunehmen, und es sind Regelungen für die (internen und externen) Marktüberwachungsmechanismen zu treffen, damit das gesamte Rechtsinstrument wirksam und reibungslos funktioniert.
Dadurch, dass alle diese verschiedenen Elemente miteinander verbunden sind und sie im Verbund und in Ergänzung zueinander funktionieren, ist eine Qualitätskette 18 der EU gegeben. Die Qualität der Produkte ist von der Qualität bei der Herstellung abhängig, auf die die Qualität der Überprüfung durch interne oder externe Stellen einwirkt, die wiederum von einer Vielzahl gegenseitiger Abhängigkeiten beeinflusst wird, so zwischen der Qualität der Konformitätsbewertungsverfahren und der Qualität der prüfenden Stellen, die hinsichtlich der Qualität ihrer Überprüfungen auf die Qualität von Notifizierung oder Akkreditierung angewiesen sind. Das gesamte System hängt zudem von der Qualität der Marktüberwachung und der Überprüfung von Produkten aus Drittstaaten ab.
Diese Elemente sollten auf die eine oder andere Weise in allen EU-Rechtsvorschriften zur Produktsicherheit aufgegriffen werden. Fehlt ein Element oder ist es schwach, so sind die Stärke und Wirksamkeit der gesamten "Qualitätskette" gefährdet.
1.3. Die Richtlinie über die allgemeine Produktsicherheit
Die Richtlinie 2001/95/EG 19 über die allgemeine Produktsicherheit (im Folgenden "RaPS") soll ein hohes Produktsicherheitsniveau in der gesamten EU für Konsumgüter sicherstellen, die nicht von sektorspezifischen Harmonisierungsrechtsvorschriften der EU erfasst sind. Die RaPS ergänzt die Bestimmungen der sektorspezifischen Rechtsvorschriften zudem in einigen Aspekten. Die zentrale Bestimmung der RaPS schreibt vor, dass die Hersteller ausschließlich Produkte in Verkehr bringen dürfen, bei denen die Sicherheit gewährleistet ist. 20 Darüber hinaus enthält die RaPS Vorschriften zur Marktüberwachung, mit denen ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit und Sicherheit der Verbraucher gewährleistet werden soll.
Mit der RaPS wurde das Schnellwarnsystem eingerichtet, das die Mitgliedstaaten und die Kommission nutzen, um sich gegenseitig über gefährliche Non-Food-Produkte zu informieren (RAPEX-Schnellwarnsystem). Das Schnellwarnsystem gewährleistet, dass die zuständigen Behörden schnell über gefährliche Produkte informiert werden. Unter bestimmten Voraussetzungen können Schnellwarnsystem-Meldungen auch mit Drittländern ausgetauscht werden. Bei ernsthaften Gefahren des Produkts für die Gesundheit und Sicherheit der Verbraucher in verschiedenen Mitgliedstaaten sieht die RaPS die Möglichkeit vor, dass die Kommission befristete Beschlüsse über unionsweite Maßnahmen, sogenannte Sofortmaßnahmen, annimmt. Die Kommission kann unter bestimmten Voraussetzungen auch einen förmlichen Beschluss erlassen (dessen Gültigkeitsdauer ein Jahr beträgt, aber auch um die gleiche Laufzeit verlängert werden kann), der die Mitgliedstaaten verpflichtet, das Inverkehrbringen von Produkten, die eine ernsthafte Gefahr für die Gesundheit und Sicherheit von Verbrauchern darstellen, einzuschränken oder zu verhindern. Das Schnellwarnsystem wurde später mit der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 erweitert auf alle harmonisierten Industrieprodukte unabhängig vom Endnutzer (d. h. Produkte für die gewerbliche Verwendung) sowie auf alle Produkte, die Gefahren für andere geschützte öffentliche Interessen als Gesundheit und Sicherheit darstellen, etwa für die Umwelt.
1.4. Die Rechtsvorschriften zur Produkthaftung
Der Begriff des Herstellers in den nach dem neuen Rechtsrahmen verfassten Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union unterscheidet sich von jenem der Richtlinie 85/374/EWG über die Haftung bei Konsumgütern 21. In dieser Richtlinie wird mit dem Begriff "Hersteller" 22 ein größerer und unterschiedlicherer Personenkreis bezeichnet als mit dem Begriff "Hersteller" im neuen Rechtsrahmen.
Gerichtliche oder behördliche Verfahren können gegen alle Personen in der Liefer- oder Vertriebskette eingeleitet werden, die als für ein nichtkonformes Produkt verantwortlich betrachtet werden. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Hersteller seinen Sitz außerhalb der Union hat. Die Richtlinie über die Haftung für fehlerhafte Produkte 23 gilt für alle beweglichen Sachen und für Elektrizität sowie auch für Grundstoffe und Bestandteile von Endprodukten. Dienstleistungen fallen derzeit nicht in ihren Anwendungsbereich. Zweitens betrifft die Richtlinie nur fehlerhafte Produkte, d. h. Erzeugnisse, die nicht die Sicherheit bieten, die zu Recht erwartet werden kann. Dass ein Produkt nicht die erwartete Gebrauchsfähigkeit besitzt, reicht dabei allein nicht aus. Die Richtlinie gilt nur, wenn ein Produkt einen Mangel an Sicherheit aufweist. Auch kann ein Produkt nicht deshalb als fehlerhaft angesehen werden, weil zu einem späteren Zeitpunkt verbesserte Nachfolgemodelle hergestellt werden.
Die Haftung, d. h. die Verpflichtung zur Leistung von Schadenersatz, liegt beim Hersteller. Als Hersteller gilt der Hersteller eines Endprodukts oder eines Teils davon, der Produzent eines Grundstoffs oder jede Person, die als Hersteller auftritt (z.B. durch Anbringen eines Warenzeichens). Einführer, die in der Union Produkte aus Drittländern in Verkehr bringen, werden im Sinne der Richtlinie über die Produkthaftung ausnahmslos als Hersteller betrachtet. Lässt sich der Hersteller nicht ermitteln, wird der Lieferant des Produkts haftbar, es sein denn, dass er dem Geschädigten innerhalb angemessener Zeit den Hersteller oder diejenige Person benennt, die ihm das Produkt geliefert hat. Haften mehrere Personen für denselben Schaden, so haften sie gesamtschuldnerisch.
Der Hersteller ist zur Wiedergutmachung von Personenschäden (Tod, Körperverletzung) und Sachschäden (an Gegenständen des privaten Gebrauchs) verpflichtet, die durch das fehlerhafte Produkt entstanden sind. Sachschäden unter 500 EUR 24 je Einzelfall werden von der Richtlinie jedoch nicht erfasst. Für immaterielle Schäden (z.B. Schmerzen und Leiden) kann auf innerstaatliches Recht zurückgegriffen werden. Da die Richtlinie nicht die Zerstörung des fehlerhaften Produkts betrifft, besteht nach der Richtlinie über die Produkthaftung keine Ersatzpflicht für das Produkt selbst. Dies gilt unbeschadet der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten.
Die Richtlinie über die Produkthaftung räumt den Mitgliedstaaten das Recht ein, eine finanzielle Obergrenze von mindestens 70 Mio. EUR 25 für Serienunfälle festzulegen. Die meisten Mitgliedstaaten haben von dieser Möglichkeit jedoch keinen Gebrauch gemacht.
Der Hersteller haftet jedoch nicht automatisch für Schäden, die durch das Produkt verursacht worden sind. Der Geschädigte muss, unabhängig davon, ob er Käufer oder Benutzer des fehlerhaften Produkts ist, auf Entschädigung klagen. Den Geschädigten wird nur Entschädigung gezahlt, wenn sie nachweisen, dass sie geschädigt worden sind, dass das Produkt fehlerhaft war und dass der Schaden durch dieses Produkt hervorgerufen worden ist. Bei einem Mitverschulden des Geschädigten kann die Haftung des Herstellers vermindert oder sogar ausgeschlossen werden. Der Geschädigte braucht dem Hersteller jedoch keine Fahrlässigkeit nachzuweisen, da die Richtlinie über die Produkthaftung auf dem Grundsatz der verschuldensunabhängigen Haftung beruht. Daher wird der Hersteller selbst dann nicht entlastet, wenn er nachweist, dass er nicht fahrlässig gehandelt hat, wenn eine Handlung oder Unterlassung eines Dritten zu dem entstandenen Schaden beigetragen hat, er Normen angewendet hat oder das Produkt geprüft worden ist. Der Hersteller braucht nicht für den Schaden aufzukommen, wenn er nachweist,
Die Haftung des Herstellers endet nach Ablauf einer Frist von zehn Jahren ab dem Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produkts, sofern gegen ihn kein gerichtliches Verfahren anhängig ist. Außerdem muss der Geschädigte innerhalb von drei Jahren ab dem Tage, an dem der Schaden, der Fehler oder die Identität des Herstellers bekannt geworden sind, Klage erheben. Eine Haftungsbefreiung des Herstellers gegenüber dem Geschädigten ist nicht möglich.
Die Richtlinie über die Produkthaftung verlangt von den Mitgliedstaaten nicht, dass sie andere Rechtsvorschriften über die Haftung außer Kraft setzen. Die Bestimmungen der Richtlinie kommen also zu den bestehenden einzelstaatlichen Haftungsregelungen hinzu. Es ist Sache des Geschädigten zu entscheiden, auf welche Grundlage er seine Klage stützt.
1.5. Geltungsbereich des Leitfadens
Dieser Leitfaden gilt für Non-Food-Produkte und nichtlandwirtschaftliche Erzeugnisse, die unabhängig davon, ob sie für den Verbraucher oder die gewerbliche Verwendung bestimmt sind, als Industrieprodukte bezeichnet werden. Produktvorschriften für diese Produkte werden im Text unterschiedslos als Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union, sektorale Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union oder Harmonisierungsrechtsakte der Union bezeichnet.
Der neue Rechtsrahmen besteht aus einer Reihe von Rechtsakten. Insbesondere der Beschluss Nr. 768/2008/EG enthält Elemente, die teilweise oder vollständig in produktbezogenen Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union umgesetzt werden, die verschiedene öffentliche Interessenbereiche betreffen. Der Leitfaden bietet Hinweise für die Umsetzung der Vorschriften und Konzepte, die im neuen Rechtsrahmen 28 festgeschrieben sind. Bei produktspezifischen Abweichungen oder Vorschriften wird im Leitfaden auf sektorale Leitfäden verwiesen, die für nahezu alle sektoralen Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union vorliegen.
Dieser Leitfaden soll die verschiedenen Elemente des neuen Rechtsrahmens im Einzelnen erläutern und zu einem besseren Gesamtverständnis der Regelung beitragen, damit die Rechtsvorschriften ordnungsgemäß umgesetzt werden. Denn nur so können diese wirksam den Schutz öffentlicher Interessen wie Gesundheit und Sicherheit sowie den Schutz der Verbraucher, der Umwelt und der öffentlichen Sicherheit und das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes für die Wirtschaftsakteure gewährleisten. Darüber hinaus soll der Leitfaden den Zielen der Politik der Kommission für eine bessere Rechtsetzung dienen, indem er zur Entwicklung umfassenderer, kohärenterer und verhältnismäßigerer Rechtsvorschriften beiträgt.
Die einzelnen Kapitel sollten im Zusammenhang mit den vorstehenden Erläuterungen gelesen werden, d. h. vor dem allgemeinen Hintergrund und in Verbindung mit den übrigen Abschnitten, da die einzelnen Kapitel miteinander verknüpft und nicht isoliert voneinander zu betrachten sind.
In diesem Leitfaden werden die Rechtsvorschriften der Union vor allem in folgenden Bereichen behandelt:
|
Teile dieses Leitfadens könnten jedoch auch für andere, über den Bereich der Industrieprodukte hinausgehende Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union von Belang sein. Dies gilt insbesondere für die verschiedenen Definitionen, die der Leitfaden enthält, sowie für die Abschnitte über Normung, Konformitätsbewertung, Akkreditierung und Marktüberwachung. Obgleich es weder richtig noch wünschenswert wäre, Anspruch auf eine vollständige Liste einschlägiger Rechtsvorschriften zu erheben, ist in Anhang I eine längere Auflistung einschlägiger Rechtsvorschriften enthalten.
Folgende Rechtsvorschriften sollen in diesem Leitfaden nicht behandelt werden:
2. Wann gelten die EU-Harmonisierungsrechtsvorschriften für Produkte?
2.1. Geltungsbereich
|
Die Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union gelten für alle Produkte, die in Verkehr gebracht 31 (oder in Betrieb genommen 32) werden sollen. Sie kommen aber auch nach dem Inverkehrbringen (bzw. der Inbetriebnahme) sowie in den nachfolgenden Schritten der Bereitstellung zur Anwendung, bis das Produkt den Endbenutzer erreicht hat. 33 34 35 Für noch in der Vertriebskette befindliche Produkte gelten, solange diese neu sind, die in den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union vorgeschriebenen Pflichten 36. Sobald sie an den Endbenutzer übergehen, gelten sie nicht mehr als neue Produkte, und die Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union finden keine Anwendung mehr. 37 Der Endbenutzer gehört nicht zu den Wirtschaftsakteuren, denen in den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union Verantwortlichkeiten übertragen werden, d. h., der Betrieb oder die Verwendung des Produkts durch den Endbenutzer unterliegen nicht den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union. Sie könnten jedoch anderen Regelungen unterliegen, insbesondere auf nationaler Ebene.
Das Produkt muss den rechtlichen Anforderungen entsprechen, die zum Zeitpunkt seines Inverkehrbringens (oder seiner Inbetriebnahme) galten.
Die Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union gelten für alle Formen des Absatzes einschließlich Fernverkauf und Verkauf auf elektronischem Wege. Ungeachtet der Art des Verkaufs müssen Produkte, die auf dem Unionsmarkt bereitgestellt werden sollen, den geltenden Rechtsvorschriften entsprechen.
Ein Produkt, das in der Union in einem Katalog oder über den elektronischen Geschäftsverkehr in Verkehr gebracht werden soll, muss ihren Harmonisierungsrechtsvorschriften genügen, wenn das Angebot des betreffenden Katalogs bzw. der entsprechenden Website sich an den Unionsmarkt richtet und das Produkt dort bestellt und dorthin versandt werden kann 38. Ist ein Produkt nicht für den Unionsmarkt bestimmt oder entspricht es nicht den geltenden Rechtsvorschriften der Union, muss dies deutlich gemacht werden (z.B. mit einem Warnhinweis).
Die Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union gelten für neu hergestellte Produkte, aber auch für aus einem Drittland importierte gebrauchte Produkte und Produkte aus zweiter Hand sowie Produkte, die aus der Vorbereitung zur Wiederverwendung von Elektro- und Elektronikabfällen hervorgehen, wenn diese erstmalig auf den Unionsmarkt gelangen 39 40. Dies betrifft auch aus einem Drittland importierte gebrauchte Produkte und Produkte aus zweiter Hand, die hergestellt worden waren, bevor der Rechtsakt in Kraft trat 41.
Die Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union gelten für Endprodukte. Allerdings wird der Begriff "Produkt" in den verschiedenen Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union unterschiedlich verwendet. Die unter die Rechtsvorschriften fallenden Gegenstände werden beispielsweise als Produkte, Ausrüstungen, Apparate, Geräte, Einrichtungen, Instrumente, Stoffe, Vorrichtungen, Ausrüstungsteile oder Ausrüstungsteile mit Sicherheitsfunktion, Einheiten, Elemente, Zubehörteile, Systeme oder unvollständige Maschinen bezeichnet. Daher können im Sinne einer spezifischen Harmonisierungsrechtsvorschrift Ausrüstungsteile, Ersatzteile oder Baugruppen als Endprodukte angesehen werden, wobei ihre Endnutzung darin besteht, in ein Enderzeugnis eingebaut oder zu seiner Herstellung verwendet zu werden. Es liegt in der Verantwortung des Herstellers zu überprüfen, ob sein Produkt in den Geltungsbereich einer bestimmten EU-Harmonisierungsrechtsvorschrift fällt 42 43.
Eine Kombination aus Produkten und Teilen, die einzeln jeweils den anzuwendenden Rechtsvorschriften entsprechen, stellt nicht immer ein Endprodukt dar, das als Ganzes einer bestimmten Harmonisierungsrechtsvorschrift der Union entsprechen muss. In einigen Fällen wird jedoch eine Kombination aus verschiedenen Produkten und Teilen, die von ein und derselben Person entworfen oder zusammengebaut worden sind, als Endprodukt angesehen, das der Vorschrift genügen muss. Die Verantwortung des Herstellers dieser Kombination umfasst insbesondere die Auswahl geeigneter Produkte für die Kombination, ihren Zusammenbau in Übereinstimmung mit den Bestimmungen der betreffenden Rechtsvorschriften sowie die Erfüllung der Anforderungen der Rechtsvorschriften hinsichtlich Montage, EU-Konformitätserklärung und CE-Kennzeichnung. Die Tatsache, dass Bestandteile oder Teile CE-gekennzeichnet sind, garantiert nicht automatisch, dass das Endprodukt ebenfalls diesen Vorschriften entspricht. Die Hersteller müssen Bestandteile und Teile so auswählen, dass das Endprodukt selbst die Anforderungen erfüllt. Die Hersteller müssen von Fall zu Fall überprüfen, ob eine Kombination von Produkten und Teilen als ein Endprodukt im Zusammenhang mit dem Anwendungsbereich der entsprechen Rechtsvorschrift anzusehen ist.
Ein Produkt, an dem nach seiner Inbetriebnahme erhebliche Veränderungen oder Überarbeitungen mit dem Ziel der Modifizierung seiner ursprünglichen Leistung, Verwendung oder Bauart vorgenommen worden sind, die sich wesentlich auf die Einhaltung der Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union auswirken, ist als neues Produkt anzusehen. Dies ist von Fall zu Fall und insbesondere vor dem Hintergrund des Ziels der Rechtsvorschriften und der Art der Produkte im Anwendungsbereich der betreffenden Rechtsvorschrift zu entscheiden. Wird ein umgebautes 44 oder modifiziertes Produkt als neues Produkt eingestuft, so muss es bei der Bereitstellung bzw. Inbetriebnahme den Bestimmungen der anzuwendenden Rechtsvorschrift entsprechen. Dies ist anhand des entsprechenden Konformitätsbewertungsverfahrens, das in der betreffenden Rechtsvorschrift festgelegt ist, zu überprüfen. Ergibt die Risikobewertung, dass die Art der Gefahr sich geändert und das Risiko zugenommen hat, so muss das modifizierte Produkt wie ein neues Produkt angesehen werden; folglich muss überprüft werden, ob das modifizierte Produkt die geltenden wesentlichen Anforderungen einhält, und muss derjenige, der die Veränderungen vornimmt, dieselben Anforderungen erfüllen wie der eigentliche Hersteller, beispielsweise technische Unterlagen erarbeiten, die EU-Konformitätserklärung ausstellen und die CE-Kennzeichnung am Produkt anbringen.
Ein modifiziertes Produkt, das unter dem Namen oder Markenzeichen einer anderen natürlichen oder juristischen Person als dem eigentlichen Hersteller verkauft wird, sollte als neues, den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union unterliegendes Produkt eingestuft werden. Die Person, die an dem Produkt bedeutende Veränderungen vornimmt, hat zu überprüfen, ob es im Hinblick auf die einschlägigen Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union als neues Produkt zu betrachten ist. Ist das der Fall, so wird die genannte Person zum Hersteller mit den entsprechenden Verpflichtungen. Darüber hinaus muss das Produkt, sollte es als neu eingestuft werden, vor der Bereitstellung auf dem Markt einer vollständigen Konformitätsbewertung unterzogen werden. Die technischen Unterlagen müssen dabei aktualisiert werden, sofern sich die Modifizierung auf die Anforderungen der geltenden Rechtsvorschriften auswirkt. In Bezug auf Aspekte, die von der Modifizierung nicht betroffen sind, entfällt die Notwendigkeit, Prüfungen zu wiederholen oder neue Unterlagen zu erstellen, wenn der Hersteller im Besitz von Kopien der ursprünglichen Prüfberichte über die unveränderten Aspekte ist (oder Zugang zu diesen hat). Die natürliche oder juristische Person, die Veränderungen an dem Produkt vornimmt oder vornehmen lässt, muss nachweisen, dass nicht alle Aspekte der technischen Unterlagen aktualisiert werden müssen.
Produkte, die (z.B. nach Auftreten eines Fehlers) instand gesetzt oder ausgetauscht worden sind, ohne dass ihre ursprüngliche Leistung, Verwendung oder Bauart verändert worden ist, werden nicht als neue Produkte im Sinne der Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union angesehen. Bei diesen Produkten ist demnach keine erneute Konformitätsbewertung erforderlich, ganz gleich, ob das Originalprodukt vor oder nach dem Inkrafttreten der Rechtsvorschrift in Verkehr gebracht wurde. Dies trifft selbst dann zu, wenn das Produkt zu Reparaturzwecken vorübergehend in ein Drittland ausgeführt wurde. Um solche Reparaturtätigkeiten handelt es sich häufig, wenn ein defektes oder verschlissenes Teil durch ein Ersatzteil ausgetauscht wird, das mit dem Originalteil entweder identisch oder ihm zumindest ähnlich ist (beispielsweise können infolge technischer Fortschritte oder der ausgelaufenen Herstellung des alten Teils Veränderungen eingetreten sein), wenn Karten, Bauteile, Baugruppen ersetzt werden oder das komplette Gerät durch ein identisches ersetzt wird. Wird die ursprüngliche Leistung eines Produkts geändert (im Rahmen des im Entwurfsstadium festgelegten vorgesehenen Verwendungszwecks und Leistungsbereichs sowie der vorgesehenen Instandhaltung), weil die zu seiner Reparatur verwendeten Ersatzteile bedingt durch den technischen Fortschritt eine bessere Leistung erbringen, ist dieses Produkt nicht als neu gemäß den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union zu erachten. Daher sind Instandhaltungsarbeiten im Grunde vom Anwendungsbereich der Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union ausgenommen. Im Entwurfsstadium des Produkts müssen der vorgesehene Verwendungszweck und die Instandhaltung des Produkts jedoch berücksichtigt werden. 45
Softwareaktualisierungen oder -reparaturen könnten Instandhaltungsarbeiten gleichgesetzt werden, sofern sie ein bereits auf dem Markt befindliches Produkt nicht so verändern, dass die Konformität mit den geltenden Anforderungen beeinträchtigt werden kann.
2.2. Bereitstellung auf dem Markt
|
Die Bereitstellung eines Produkts auf dem Markt bedeutet jede entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe eines Produkts zum Vertrieb, zum Verbrauch oder zur Verwendung auf dem Unionsmarkt im Rahmen einer gewerblichen Tätigkeit. 46 Diese Bereitstellung umfasst jegliches Angebot zum Vertrieb, Verbrauch oder zur Verwendung auf dem Unionsmarkt, das zu einer tatsächlichen Bereitstellung führen kann (z.B. eine Aufforderung zum Kauf, Werbekampagnen).
Die Lieferung eines Produkts wird nur als Bereitstellung auf dem Unionsmarkt angesehen, wenn die Endnutzung des Produkts ebenfalls auf diesem Markt erfolgen soll. Die Lieferung von Produkten sowohl zum weiteren Vertrieb, zum Einbau in ein Endprodukt als auch zur weiteren Verarbeitung oder Veredelung, um das Endprodukt nach außerhalb des EU-Markts zu exportieren, wird nicht als Bereitstellung angesehen. Unter Geschäftstätigkeit wird die Bereitstellung von Waren in einem unternehmensbezogenen Kontext verstanden. Bei Organisationen ohne Gewinnerzielungsabsicht kann von Geschäftstätigkeit gesprochen werden, wenn sie in einem entsprechenden Kontext tätig sind. Dies kann nur von Fall zu Fall unter Berücksichtigung der Regelmäßigkeit der Bereitstellung, der Eigenschaften des Produkts, der Absichten des Lieferanten usw. geprüft werden. Generell sollten gelegentliche Lieferungen durch karitative Organisationen oder Personen, die ein Hobby verfolgen, nicht als Lieferungen in einem unternehmensbezogenen Kontext angesehen werden.
Der Begriff "Benutzung" bezeichnet den vom Hersteller definierten Verwendungszweck des Produkts unter vorhersehbaren Nutzungsbedingungen. Üblicherweise entspricht dies der Endnutzung des Produkts.
Die zentrale Rolle, die das Konzept der Bereitstellung in den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union spielt, hängt mit der Tatsache zusammen, dass alle Wirtschaftsbeteiligten in der Lieferkette Auflagen hinsichtlich der Rückverfolgbarkeit erfüllen und sich aktiv an der Gewährleistung beteiligen müssen, dass sich nur konforme Produkte auf dem Unionsmarkt befinden.
Der Begriff der Bereitstellung bezieht sich nicht auf eine Produktart, sondern auf jedes einzelne Produkt, unabhängig davon, ob es als Einzelstück oder in Serie hergestellt wurde.
Die Bereitstellung eines Produkts setzt ein Angebot oder eine (schriftliche oder mündliche) Vereinbarung zwischen zwei oder mehr juristischen oder natürlichen Personen in Bezug auf die Übertragung des Eigentums, des Besitzes oder sonstiger Rechte 47 hinsichtlich des betreffenden Produkts nach dessen Herstellung voraus, was nicht zwingend die physische Übergabe des Produkts erfordert.
Diese Übertragung kann entgeltlich oder unentgeltlich erfolgen, wobei die Rechtsgrundlage keine Rolle spielt. Von der Übertragung eines Produkts ist daher z.B. im Falle des Verkaufs, der Verleihung, der Vermietung 48, des Leasings und der Schenkung auszugehen. Übertragung des Eigentums bedeutet, dass das Produkt einer anderen juristischen oder natürlichen Person zur Verfügung gestellt werden soll.
2.3. Inverkehrbringen
|
Für die Zwecke der Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union wird ein Produkt in Verkehr gebracht, wenn es erstmalig auf dem Unionsmarkt bereitgestellt wird. Dies erfolgt entweder durch einen Hersteller oder einen Einführer, die folglich die einzigen Wirtschaftsbeteiligten sind, die Produkte in Verkehr bringen. 49 Stellt ein Hersteller oder Einführer ein Produkt einem Händler 50 oder Endbenutzer erstmalig bereit, wird dies rechtlich stets als "Inverkehrbringen" bezeichnet. Alle nachfolgenden Tätigkeiten, z.B. Weitergabe von Händler zu Händler oder von einem Händler an einen Endbenutzer, werden als Bereitstellung bezeichnet.
Was die "Bereitstellung" angeht, so bezieht sich das Inverkehrbringen nicht auf eine Produktart, sondern auf jedes einzelne Produkt, unabhängig davon, ob es als Einzelstück oder in Serie hergestellt wurde. Daher muss jedes einzelne Produkt eines Produktmodells oder einer Produktart, das nach dem Inkrafttreten neuer Anforderungen in Verkehr gebracht wird, diese erfüllen, auch wenn die Bereitstellung des Produktmodells oder der Produktart vor dem Inkrafttreten neuer Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union mit neuen obligatorischen Anforderungen erfolgte.
Das Inverkehrbringen eines Produkts setzt ein Angebot oder eine (schriftliche oder mündliche) Vereinbarung zwischen zwei oder mehr juristischen oder natürlichen Personen in Bezug auf die Übertragung des Eigentums, des Besitzes oder sonstiger Rechte hinsichtlich des betreffenden Produkts nach dessen Herstellung voraus. 51 Diese Übertragung kann entgeltlich oder unentgeltlich erfolgen, was nicht zwingend die physische Übergabe des Produkts erfordert.
In folgenden Fällen handelt es sich nicht um ein Inverkehrbringen:
Von in der EU niedergelassenen Online-Anbietern 59 60 zum Kauf angebotene Produkte gelten als auf dem Unionsmarkt in Verkehr gebracht, unabhängig davon, wer sie in Verkehr gebracht hat (der Online-Händler, der Einführer usw.). Produkte, die online von Händlern außerhalb der EU zum Kauf angeboten werden, gelten als auf dem Unionsmarkt in Verkehr gebracht, wenn die Verkäufe besonders auf Verbraucher oder andere Endbenutzer in der EU ausgerichtet sind. Die Beurteilung, ob eine innerhalb oder außerhalb der EU angesiedelte Website auf EU-Verbraucher abzielt, muss von Fall zu Fall erfolgen; dabei sind relevante Faktoren zu berücksichtigen, etwa die geografischen Gebiete, in die versandt werden kann, die Sprachen, die für das Angebot oder Bestellungen benutzt werden, Bezahlungsmöglichkeiten usw. 61 Liefert ein Online-Händler in die EU, akzeptiert Zahlungen von EU-Verbrauchern/-Endbenutzern und benutzt EU-Sprachen, dann kann davon ausgegangen werden, dass sich der Händler ausdrücklich dafür entschieden hat, Produkte an EU-Verbraucher oder andere -Endbenutzer zu liefern. Online-Händler können einen Produkttyp oder ein Einzelprodukt, das bereits hergestellt ist, online zum Kauf anbieten. Bezieht sich das Angebot auf einen Produkttyp, so findet das Inverkehrbringen erst nach Abschluss der Herstellungsphase statt.
Da die von einem Online-Händler zum Kauf angebotenen Produkte wahrscheinlich von Verbrauchern oder Unternehmen in der EU bestellt werden (oder bereits bestellt worden sind), werden sie im Rahmen einer Geschäftstätigkeit im Zuge von Online-Verkäufen geliefert. In der Regel werden Produkte beim Online-Handel gegen eine Zahlung (entgeltlich) zum Verkauf angeboten. Dennoch kann es sich auch bei der unentgeltlichen Lieferung von Produkten um eine Geschäftstätigkeit handeln. 62 Verkäufe von Verbrauchern an Verbraucher ("C2C") gelten generell nicht als Geschäftstätigkeit. Dennoch muss die Bewertung, ob ein C2C-Produkt im Rahmen einer Geschäftstätigkeit geliefert wird, von Fall zu Fall erfolgen, unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Kriterien wie der Regelmäßigkeit der Lieferungen, der Absicht des Händlers usw. 63
Die rechtliche Folge ist, dass Produkte, die von Online-Händlern zum Kauf angeboten werden, allen geltenden EU-Vorschriften entsprechen müssen, wenn sie in Verkehr gebracht werden. 64 Diese Einhaltung kann von den zuständigen Behörden physisch überprüft werden, wenn die Produkte sich in ihrem Hoheitsgebiet befinden, frühestens vom Zoll.
Darüber hinaus werden von Online-Händlern angebotene Produkte in der Regel von in der EU angesiedelten Fulfillment-Anbietern gelagert, um die zügige Auslieferung an EU-Verbraucher zu gewährleisten. Entsprechend gelten Produkte, die von solchen Fulfillment-Anbietern gelagert werden, als Produkte, die für Handel, Verbrauch oder Verwendung auf dem EU-Markt geliefert und somit in der EU in Verkehr gebracht wurden. Wenn ein Online-Händler einen Fulfillment-Anbieter beauftragt, befinden sich die Produkte durch den Versand an den Fulfillment-Anbieter in der EU auf der Vertriebsstufe der Lieferkette. 65
Im Hinblick auf die Anwendung der Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union stellt das Inverkehrbringen den wichtigsten Zeitpunkt dar. 66 Wenn Produkte auf dem Markt bereitgestellt werden, müssen sie den zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens anzuwendenden Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union entsprechen. Somit müssen in der Union hergestellte neue Produkte und alle aus Drittländern importierten neuen oder gebrauchten Produkte den Bestimmungen der anzuwendenden Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union entsprechen, wenn sie in Verkehr gebracht, d. h. erstmalig auf dem Unionsmarkt bereitgestellt werden. Konforme Produkte können daher, sobald sie in Verkehr gebracht wurden, ohne zusätzliche Erwägungen in der Lieferkette bereitgestellt werden, auch wenn die geltenden Rechtsvorschriften oder einschlägigen harmonisierten Normen überarbeitet werden sollten, sofern dies in den Rechtsvorschriften nicht anders angegeben ist.
Die Mitgliedstaaten müssen im Rahmen der Marktüberwachung dafür sorgen, dass sich nur sichere und konforme Produkte auf dem Markt befinden 67. Auf dem Unionsmarkt befindliche gebrauchte Produkte unterliegen bezüglich des freien Verkehrs den in Artikel 34 und 36 AEUV festgelegten Bestimmungen. Es wird darauf hingewiesen, dass den Verbrauchern im Rahmen einer gewerblichen Tätigkeit bereitgestellte gebrauchte Produkte der Richtlinie über die allgemeine Produktsicherheit unterliegen.
2.4. Aus Drittländern importierte Produkte
|
Die Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union gelten, sobald ein Produkt auf dem Unionsmarkt erstmalig bereitgestellt (oder in Betrieb genommen 68) wird. Sie kommen demnach auch für aus einem Drittland importierte gebrauchte Produkte und Produkte aus zweiter Hand zur Anwendung, auch für Produkte, die aus der Vorbereitung zur Wiederverwendung von Elektro- und Elektronikabfällen hervorgehen, wenn diese erstmalig auf den Unionsmarkt gelangen, nicht jedoch für derartige Produkte, die sich bereits auf dem Markt befinden. Dies betrifft auch aus einem Drittland importierte gebrauchte Produkte und Produkte aus zweiter Hand, die hergestellt worden waren, bevor die Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union in Kraft traten.
Das Grundprinzip der EU-Produktvorschriften besagt, dass Produkte ungeachtet ihres Ursprungs den geltenden Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union entsprechen müssen, wenn sie auf dem Unionsmarkt bereitgestellt werden. Dies gilt sowohl für in der EU hergestellte Produkte als auch für Produkte aus Drittländern.
Bevor sie den Endnutzer in der EU erreichen können, werden Produkte aus Ländern außerhalb der EU dem Zoll nach dem Verfahren der Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr vorgestellt. Ziel der Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr ist es, alle Einfuhrformalitäten zu erfüllen, damit die Waren auf dem EU-Markt bereitgestellt werden können, so wie dies auch bei jedem in der EU hergestellten Produkt der Fall ist. Wenn daher Produkte dem Zoll nach dem Verfahren der Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr vorgestellt werden, so kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass die Produkte auf dem Unionsmarkt in Verkehr gebracht werden und daher den geltenden Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union entsprechen müssen. Es kann jedoch auch der Fall sein, dass die Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr und das Inverkehrbringen nicht gleichzeitig stattfinden. Für die Feststellung der Konformität mit den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union ist das Inverkehrbringen der Zeitpunkt, zu dem das Produkt für den Handel, den Verbrauch oder die Verwendung bereitgestellt wird. Das Inverkehrbringen kann vor der Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr stattfinden, etwa im Falle von Online-Verkäufen durch Wirtschaftsakteure außerhalb der EU, auch wenn die physische Überprüfung der Konformität der Produkte frühestens dann stattfinden kann, wenn sie beim Zoll in der EU ankommen. Das Inverkehrbringen kann auch nach der Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr stattfinden.
Die Zollbehörden und die Marktüberwachungsbehörden haben die Pflicht und die Befugnis, auf der Grundlage von Risikoanalysen aus Drittländern kommende Produkte zu überprüfen und vor deren Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr angemessen tätig zu werden, unabhängig davon, wann die Produkte als in der Union in Verkehr gebracht gelten. Damit soll die Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr und somit das Inverkehrbringen von Produkten, die nicht mit den einschlägigen Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union übereinstimmen, im Hoheitsgebiet der EU verhindert werden. 69
Bei aus Drittländern importierten Produkten ist in den Harmonisierungsrechtsvorschriften für den Einführer eine besondere Rolle vorgesehen. Er übernimmt bestimmte Pflichten, die in gewissem Maße den Pflichten der in der EU ansässigen Hersteller entsprechen 70.
Bei aus Drittländern eingeführten Produkten kann ein Bevollmächtigter einige Aufgaben im Namen des Herstellers wahrnehmen 71. Wenn allerdings der Bevollmächtigte eines Herstellers aus einem Drittland ein Produkt an einen Händler oder Verbraucher innerhalb der EU liefert, handelt er nicht mehr als reiner Bevollmächtigter, sondern wird zum Einführer und muss dessen Pflichten übernehmen.
2.5. Inbetriebnahme oder Benutzung (und Einbau)
|
Die Inbetriebnahme erfolgt bei der erstmaligen Benutzung eines Produkts für den beabsichtigten Zweck durch den Endbenutzer im Gebiet der Union. 72 73 Der Begriff der Inbetriebnahme wird etwa in Bezug auf Aufzüge, Maschinen, Funkanlagen, Messgeräte, Medizinprodukte, In-vitro-Diagnostika oder Produkte, die unter die EMV- oder die ATEX-Richtlinie fallen, zusätzlich zum Inverkehrbringen verwendet. Somit gelten die Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union über den Zeitpunkt der Bereitstellung eines Produkts hinaus. 74
Nimmt ein Arbeitgeber ein von seinen Arbeitnehmern zu benutzendes Produkt in Betrieb, so gilt er als Endbenutzer.
Die Mitgliedstaaten dürfen die Inbetriebnahme von Produkten, die den Bestimmungen der anzuwendenden Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union entsprechen, nicht untersagen, einschränken oder behindern 75. Jedoch können die Mitgliedstaaten in Übereinstimmung mit dem Vertrag (insbesondere Artikel 34 und Artikel 36 AEUV) und vorbehaltlich der Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union zusätzliche einzelstaatliche Bestimmungen für die Inbetriebnahme, den Einbau oder die Benutzung beibehalten und erlassen, die auf den Schutz von Arbeitnehmern bzw. anderen Benutzern oder auf den Schutz anderer Produkte abzielen. In diesen einzelstaatlichen Bestimmungen dürfen Veränderungen an einem entsprechend den Bestimmungen der anzuwendenden Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union hergestellten Produkt nicht vorgeschrieben werden.
Die Notwendigkeit des Nachweises, dass Produkte zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme Konformität aufweisen und gegebenenfalls ordnungsgemäß installiert, gewartet und zweckgerecht verwendet werden, sollte jedoch auf Produkte beschränkt bleiben,
2.6. Gleichzeitige Anwendung von Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union
|
Die Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union überschneiden sich und ergänzen einander, da sie eine breite Palette von Produkten, Gefahren und Auswirkungen 76 abdecken. Infolgedessen müssen für ein einziges Produkt möglicherweise mehrere Rechtsakte berücksichtigt werden, weil es nur bereitgestellt und in Betrieb genommen werden darf, wenn es alle anzuwendenden Bestimmungen erfüllt und die Konformitätsbewertung gemäß den anzuwendenden Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union durchgeführt wurde.
Die Gefahren, die durch die Anforderungen der verschiedenen Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union ausgeschaltet werden sollen, betreffen verschiedene Aspekte, die einander in vielen Fällen ergänzen (z.B. geht es in der Richtlinie über die elektromagnetische Verträglichkeit und der Richtlinie über Druckgeräte um andere Gefahren als in der Niederspannungsrichtlinie und der Maschinenrichtlinie), sodass die gleichzeitige Anwendung mehrerer Rechtsvorschriften erforderlich ist. Somit müssen beim Entwurf und der Herstellung des Produkts alle anzuwendenden Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union berücksichtigt werden, und das Produkt ist den Konformitätsbewertungsverfahren sämtlicher anzuwendenden Rechtsvorschriften zu unterziehen, sofern keine anderslautenden Bestimmungen vorliegen.
Vom Anwendungsbereich mancher Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union sind Produkte ausgenommen, die von anderen Rechtsakten 77 erfasst werden oder die die wesentlichen Anforderungen anderer Rechtsakte 78 beinhalten, was eine gleichzeitige Anwendung unnötiger Bestimmungen vermeidet. In anderen Fällen ist dies anders und der allgemeine Grundsatz der gleichzeitigen Anwendung gilt auch dann, wenn sich die Anforderungen der Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union ergänzen.
Für ein und dasselbe Produkt, ein und dieselbe Gefahr oder ein und dieselbe Auswirkung können zwei oder mehr Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union gelten. In einem solchen Fall lässt sich das Problem der Überschneidung lösen, indem der stärker auf das Produkt ausgerichteten Harmonisierungsrechtsvorschrift der Union Vorrang eingeräumt wird 79. Dies erfordert gewöhnlich, dass das Produkt einer Risikoanalyse unterzogen wird, oder mitunter eine Analyse des Verwendungszwecks des Produkts, um zu entscheiden, welche Vorschrift infrage kommt. Bei der Festlegung der produktbezogenen Gefahren kann der Hersteller sich von den einschlägigen harmonisierten Normen für das betreffende Produkt leiten lassen.
2.7. Vorgesehener Verwendungszweck/Fehlanwendung
Die Hersteller müssen ein Schutzniveau einhalten, das dem von ihnen vorgesehenen Verwendungszweck des Produkts unter nach menschlichem Ermessen vorhersehbaren Nutzungsbedingungen entspricht. |
Die Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union gelten, wenn auf dem Markt bereitgestellte oder in Betrieb genommene Produkte 80 ihrem vorgesehenen Verwendungszweck entsprechend genutzt werden. Der "vorgesehene Verwendungszweck" bezeichnet dabei entweder die Nutzung, die für ein Produkt entsprechend den Informationen seitens der inverkehrbringenden Person vorgesehen ist, oder die übliche Nutzung entsprechend dem Entwurf und der Bauweise des Produkts.
Gewöhnlich sind diese Produkte gebrauchsfertig oder müssen nur entsprechend ihrem vorgesehenen Verwendungszweck angepasst werden. Produkte sind "gebrauchsfertig", wenn sie wie vorgesehen verwendet werden können, ohne dass zusätzliche Teile eingebaut werden müssen. Sie gelten auch als einsatzbereit, wenn alle Teile, aus denen sie montiert werden sollen, nur von einer Person in Verkehr gebracht werden, oder wenn sie nur angebracht oder eingesteckt werden müssen oder ohne üblicherweise separat gelieferte und eingebaute Teile zum vorgesehenen Verwendungszweck in Verkehr gebracht werden (z.B. Stromkabel).
Für die Benutzer der Produkte müssen die Hersteller ein Schutzniveau einhalten, das dem von ihnen in den Produktinformationen vorgeschriebenen Verwendungszweck entspricht. Besonders relevant ist dies bei Produkten, bei denen eine Fehlanwendung möglich ist. 81
Hinsichtlich der Marktüberwachung müssen die zuständigen Marktüberwachungsbehörden prüfen, ob die Produkte
Folglich müssen die Hersteller vor Inverkehrbringen des Produkts die nach menschlichem Ermessen vorhersehbaren Nutzungsbedingungen berücksichtigen.
Die Hersteller dürfen nicht nur den von ihnen vorgesehenen Verwendungszweck eines Produkts vor Augen haben, sondern müssen sich in den durchschnittlichen Benutzer eines bestimmten Produkts hineinversetzen und sich vorstellen, wie dieser das Produkt aller Wahrscheinlichkeit nach benutzen wird 82.
Den Marktüberwachungsbehörden muss auch klar sein, dass mit dem Produktdesign nicht allen Risiken vorgebeugt werden kann. Die Aufsicht und Unterstützung der vorgesehenen Benutzer sollte Teil der Nutzungsbedingungen sein, mit denen aller Wahrscheinlichkeit nach gerechnet werden muss. So sind manche professionelle Werkzeugmaschinen auch für die Benutzung durch durchschnittlich qualifizierte und geschulte Arbeitnehmer unter Aufsicht ihres Arbeitgebers gedacht; der Hersteller kann daher nicht zur Rechenschaft gezogen werden, wenn solche Werkzeugmaschinen von einem Händler oder sonstigen Dritten zur Verwendung durch unqualifizierte und nicht geschulte Verbraucher ausgeliehen werden.
Der Hersteller ist in keinem Fall zu der Annahme verpflichtet, dass die Benutzer die legalen Nutzungsbedingungen seines Produkts unberücksichtigt lassen.
2.8. Räumlicher Geltungsbereich (EWR-EFTA-Staaten, überseeische Länder und Gebiete (ÜLG), Türkei)
|
2.8.1. Mitgliedstaaten und überseeische Länder und Gebiete
Ziel der gemäß Artikel 114 und 115 AEUV angenommenen Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union ist die Verwirklichung und das Funktionieren des Binnenmarkts für Waren. Daher können die Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union nicht von den Bestimmungen des Vertrags über den freien Warenverkehr getrennt werden, und der räumliche Geltungsbereich der Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union sollte mit dem der Artikel 30 und 34 bis 36 AEUV übereinstimmen.
Gemäß Artikel 355 AEUV in Verbindung mit Artikel 52 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) gelten der Vertrag und somit auch die Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Laut Artikel 355 Absatz 1 AEUV findet er auch auf Guadeloupe, Französisch-Guayana, Martinique, Réunion, Saint-Martin, die Azoren, Madeira und die Kanarischen Inseln Anwendung. Darüber hinaus gelten der Vertrag und die gemäß Artikel 114 und 115 AEUV angenommenen Harmonisierungsrechtsvorschriften in Bezug auf Waren für bestimmte europäische Gebiete nach Maßgabe der im Beitrittsvertrag der entsprechenden Mitgliedstaaten getroffenen Regelungen. 83
Keine Anwendung finden die Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union jedoch auf die Färöer, Grönland, Akrotiri und Dhekelia und die überseeischen Länder und Hoheitsgebiete, die besondere Beziehungen zum Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland unterhalten, wie Gibraltar. Die Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union gelten nicht für überseeische Länder und Gebiete, insbesondere: für Neukaledonien und Nebengebiete, Französisch-Polynesien, die Französischen Süd- und Antarktisgebiete, Wallis und Futuna, St. Pierre und Miquelon, St. Barthélemy, Aruba, Curaçao, Sint Maarten, die Karibischen Niederlande (Bonaire, Saba und Sint Eustatius), Anguilla, die Kaimaninseln, die Falklandinseln, Südgeorgien und die Südlichen Sandwichinseln, Montserrat, Pitcairn, St. Helena und Nebengebiete, das Britische Antarktis-Territorium, das Britische Territorium im Indischen Ozean, die Turks- und Caicosinseln, die Britischen Jungferninseln und Bermuda.
2.8.2. EWR-EFTA-Staaten
2.8.2.1. Grundlegende Elemente des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum
Das am 1. Januar 1994 in Kraft getretene Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum deckt alle Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union ab, für die dieser Leitfaden gilt. Die Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union, für die dieser Leitfaden gilt, gelten somit auch für die sogenannten EWR-EFTA-Staaten: Island, Liechtenstein und Norwegen.
Ziel des EWR-Abkommens ist es, einen dynamischen und homogenen Europäischen Wirtschaftsraum mit gemeinsamen Regelungen und gleichen Wettbewerbsbedingungen zu schaffen.
Rechte und Pflichten der Mitgliedstaaten bzw. ihrer öffentlichen Einrichtungen, Unternehmen oder Einzelpersonen untereinander gelten nach dem EWR-Abkommen als gleichermaßen auf die EWR-EFTA-Staaten übertragen. Dadurch wird sichergestellt, dass für sie und ihre Wirtschaftsbeteiligten die gleichen Rechte und Pflichten gelten wie für ihre Partner in der Union. Beispielsweise werden die Richtlinien des neuen Konzepts und andere Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union in den EWR-EFTA-Staaten genauso angewendet wie in den Mitgliedstaaten, obwohl die Schutzklausel anders ist. Daher treffen alle nach diesem Leitfaden für die Mitgliedstaaten geltenden Orientierungshilfen auch auf die EWR-EFTA-Staaten zu.
Im Sinne des EWR-Abkommens sind Bezugnahmen auf die Gemeinschaft (nunmehr: Union) oder den Gemeinsamen Markt in den EU/EWR-Rechtsakten als Bezugnahmen auf das Hoheitsgebiet der Vertragsparteien zu verstehen. Demnach wird ein Produkt nicht nur auf dem Unionsmarkt, sondern auch auf dem EWR-Markt (d. h. den nationalen Märkten der Mitgliedstaaten sowie in Island, Liechtenstein und Norwegen) in Verkehr gebracht.
Über Änderungen des EWR-Abkommens, die kontinuierlich im Ergebnis von Veränderungen einschlägiger gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften vorgenommen werden, entscheidet der Gemeinsame EWR-Ausschuss. Um zu einer einheitlichen Auslegung und Anwendung des Abkommens zu gelangen und diese durchzusetzen, wurden ein EFTA-Gerichtshof und eine EFTA-Überwachungsbehörde eingerichtet.
Das EWR-Abkommen stellt eine enge Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Verwaltungen der EWR-EFTA-Staaten sicher. Von Sachverständigen dieser Staaten holt die Kommission ebenso Rat und Informationen ein wie von Sachverständigen aus den Mitgliedstaaten. Vermittels der Ausschüsse, die die Kommission in ihrer Arbeit unterstützen, wurde eine enge Zusammenarbeit realisiert. Der EWR-Rat tagt zweimal jährlich, der Gemeinsame Parlamentarische EWR-Ausschuss und der Beratende EWR-Ausschuss treten regelmäßig zusammen.
2.8.2.2. Schutzklauselverfahren
Die EFTA-Überwachungsbehörde ist für die Prüfung der Notifizierungen von Schutzklauselverfahren aus den EWR-EFTA-Staaten zuständig. Die Behörde konsultiert sämtliche betroffenen Parteien und tauscht mit der Kommission Informationen über Verfahren in dem betreffenden Fall aus. Daraufhin übermittelt sie ihre Entscheidung den EWR-EFTA-Staaten und der Kommission, damit weitere Maßnahmen eingeleitet werden können. Befolgt ein EWR-EFTA-Staat die Entscheidung nicht, kann die Überwachungsbehörde ein Verfahren einleiten.
Nimmt ein Mitgliedstaat die Schutzklausel in Anspruch, so sind Konsultationen zwischen der Kommission und der Überwachungsbehörde vorgesehen. Die Kommission teilt ihre Entscheidung der EFTA-Überwachungsbehörde mit, die sie zwecks Ergreifung weiterer Maßnahmen an die EWR-EFTA-Staaten weiterleitet. Befolgt ein EWR-EFTA-Staat die Entscheidung nicht, kann die Überwachungsbehörde ein Verfahren einleiten.
2.8.3. Monaco, San Marino und Andorra
Der bilaterale Warenhandel zwischen der EU und Monaco, San Marino und Andorra erfolgt auf der Grundlage von Zollunionsabkommen: Monaco hat ein Zollabkommen mit Frankreich geschlossen und ist damit Teil des Zollgebiets der EU, während sowohl San Marino als auch Andorra ein Zollunionsabkommen mit der EU geschlossen haben.
Damit Waren aus diesen Ländern auf dem Unionsmarkt bereitgestellt werden können, müssen sie dem EU-Besitzstand entsprechen. 84
2.8.4. Türkei
1995 haben die Türkei und die EU eine Zollunion gegründet (Beschluss Nr. 1/95 des Assoziationsrates EG/Türkei, 96/142/EG). Der Zollunionsbeschluss umfasst den Handel mit Industrieerzeugnissen und landwirtschaftlichen Verarbeitungserzeugnissen zwischen der Türkei und der EU und die Anpassung an sämtliche EU-Produktvorschriften seitens der Türkei. Ziel des Abkommens ist die Gewährleistung des freien Verkehrs von Industrieerzeugnissen und landwirtschaftlichen Verarbeitungserzeugnissen zwischen der EU und der Türkei durch Abschaffung der Einfuhrkontrollen an der entsprechenden Grenze.
Gemäß den Artikeln 5 bis 7 des Beschlusses werden Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie Zölle zwischen der Europäischen Union und der Türkei abgeschafft, was im Einklang mit den Artikeln 34 bis 36 AEUV steht. Laut Artikel 66 des Beschlusses müssen seine Artikel 5 bis 7 zum Zwecke ihrer Umsetzung und Anwendung auf vom Zollunionsbeschluss abgedeckte Produkte in Übereinstimmung mit der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs - insbesondere in der Rechtssache "Cassis de Dijon" betreffend die gegenseitige Anerkennung - ausgelegt werden.
Daher sollte in den Bereichen, in denen die Türkei ihre Rechtsvorschriften an die der EU angeglichen hat, ein Produkt, das in der Türkei rechtmäßig hergestellt und/oder in Verkehr gebracht wird, ebenso behandelt werden wie ein Produkt, das in der EU rechtmäßig hergestellt und/oder in Verkehr gebracht wird und keiner Einfuhrkontrolle unterliegen. Das Gleiche würde auch für die nicht harmonisierten Bereiche gelten, in denen die Türkei ihre Rechtsvorschriften an die Artikel 34 bis 36 AEUV angeglichen hat.
Dem Beschluss zufolge muss die Türkei auch die EU-Rechtsvorschriften für Produkte und Infrastrukturen hoher Qualität übernehmen, vor allem in Bezug auf die CE-Kennzeichnungspflichten, die notifizierten Stellen, die Marktüberwachung, Akkreditierung, Normung, das Messwesen und die gegenseitige Anerkennung im nicht harmonisierten Bereich.
In einem weiteren, 1997 unterzeichneten Beschluss (Beschluss Nr. 2/97 des Assoziationsrates EG-Türkei) wird die Liste der gemeinschaftlichen Rechtsakte (einschließlich eines Teils des Besitzstands zu Industrieprodukten) über die Beseitigung technischer Handelshemmnisse sowie der Bedingungen und Einzelheiten ihrer Anwendung durch die Türkei festgelegt. In Anhang I dieses Beschlusses wird sichergestellt, dass mit der Annahme der in Anhang II des Beschlusses genannten Rechtsvorschriften durch die Türkei bei Produkten, die in den Geltungsbereich der in Anhang II des Beschlusses genannten Rechtsvorschriften fallen, in der EU und der Türkei dieselben Bestimmungen und Verfahren Anwendung finden. Allerdings wurden im Laufe der Zeit viele der in Anhang II genannten Rechtsakte durch neue Richtlinien und Verordnungen der Union ersetzt.
2006 nahm der Assoziationsrat EU/Türkei einen neuen Beschluss an (1/2006), der die Benennung der notifizierten Stellen der Türkei und die Anerkennung der von diesen ausgestellten Prüfberichte und Bescheinigungen gewährleistet. Die Vertragsparteien haben Erklärungen unterzeichnet, in denen bestätigt wird, dass die türkischen Rechtsvorschriften einigen Richtlinien und Verordnungen des neuen Konzepts der EU entsprechen.
Im nicht harmonisierten Bereich wurden die Rechte und Pflichten der Wirtschaftsbeteiligten, die den EU-Markt mit Produkten aus der Türkei beliefern, in der Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen "Erleichterung des Marktzugangs für Waren in einem anderen Mitgliedstaat: praktische Anwendung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung" 85 festgelegt.
Die türkische Akkreditierungsagentur (TURKAK) ist Mitglied der Europäischen Kooperation für Akkreditierung (European Cooperation for Accreditation) und hat mit dieser zahlreiche Abkommen über die gegenseitige Anerkennung unterzeichnet. Die Bescheinigungen, die von durch die TURKAK akkreditierten türkischen Konformitätsbewertungsstellen ausgestellt werden, gelten somit als gleichwertig mit den Bescheinigungen, die von in der EU ansässigen und durch nationale Akkreditierungsstellen der EU akkreditierte Konformitätsbewertungsstellen ausgestellt werden.
Im Bereich der Normung ist das türkische Normungsinstitut TSE seit dem 1. Januar 2012 Vollmitglied von CEN und Cenelec.
2.9. Übergangszeiten bei neuen oder überarbeiteten EU-Vorschriften
Im Falle neuer oder überarbeiteter Rechtsvorschriften kann den Wirtschaftsbeteiligten zur Anpassung an die neuen Vorschriften zusätzlich Zeit eingeräumt werden - die sogenannte Übergangszeit, d. h. die Zeit zwischen dem Inkrafttreten einer neuen Regelung und dem Zeitpunkt ihrer Anwendung. |
Der Begriff Übergangszeit bedeutet, dass bestehende Produktvorschriften weiterhin gültig bleiben, obwohl bereits neue Vorschriften erlassen wurden. Eine Übergangszeit kann vom Gesetzgeber eingeführt werden, wenn EU-Produktvorschriften überarbeitet werden oder nationale Vorschriften ersetzen.
Die Übergangszeit soll den Herstellern, den nationalen Behörden und den notifizierten Stellen die Möglichkeit geben, sich allmählich auf die in einem neuen oder überarbeiteten Rechtsakt festgelegten Konformitätsbewertungsverfahren und die wesentlichen oder sonstigen Anforderungen einzustellen, und so verhindern, dass es zu einem Produktionsstillstand kommt. Außerdem muss den Herstellern, Einführern und Händlern genügend Zeit eingeräumt werden, damit sie die Rechte ausschöpfen können, die sie aufgrund der bereits bestehenden nationalen oder EU-Regelungen erworben haben. Dies betrifft beispielsweise den Verkauf von Beständen an Produkten, die gemäß früheren nationalen Vorschriften hergestellt wurden. Schließlich wird durch die Übergangszeit zusätzliche Zeit für die Überarbeitung und Verabschiedung harmonisierter Normen gewonnen, auch wenn dies keine Vorbedingung für die Anwendung der Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union ist.
Jede Harmonisierungsrechtsvorschrift der Union, in der eine Übergangszeit vorgesehen ist, legt einen Zeitpunkt fest, an dem geltende innerstaatliche Regelungen "eingefroren" werden. Im Allgemeinen handelt es sich um den Tag, an dem die Rechtsvorschrift in Kraft tritt, zuweilen aber auch um den Tag ihrer Annahme.
Nach Ablauf der Übergangszeit dürfen Produkte, die vor oder während dieses Zeitraums entsprechend der aufzuhebenden Regelung hergestellt wurden, nicht mehr in Verkehr gebracht werden. Ein Produkt, das vor dem Ende der Übergangszeit in Verkehr gebracht wird, sollte nach diesem Datum bereitgestellt oder in Betrieb genommen werden dürfen. 86 Dennoch könnten spezifische Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union die Bereitstellung solcher Produkte verbieten, sollte dies im Interesse der Sicherheit und anderer Ziele der Rechtsvorschriften erforderlich sein.
Produkte, die nicht vor Ablauf der Übergangszeit in Verkehr gebracht wurden, können nur in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden, wenn sie die Bestimmungen der neuen Rechtsvorschrift uneingeschränkt erfüllen 87.
Im Allgemeinen sagt die CE-Kennzeichnung aus, dass Produkte, die mindestens einer der diese Kennzeichnung vorschreibenden Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union unterliegen, die Bestimmungen aller dieser Rechtsvorschriften erfüllen. Gestattet es aber einer oder mehrere dieser Rechtsakte dem Hersteller, während einer Übergangszeit selbst zu wählen, welche Bestimmungen er anwenden will, dann bedeutet die CE-Kennzeichnung nur, dass das Produkt mit den Rechtsvorschriften konform ist, die der Hersteller angewendet hat. Während einer Übergangszeit geht aus der CE-Kennzeichnung folglich nicht unbedingt hervor, dass das Produkt allen anzuwendenden Rechtsvorschriften entspricht, die ihre Anbringung vorsehen. Alle vom Hersteller angewandten Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union müssen in der EU-Konformitätserklärung angegeben sein. 88
2.10. Übergangsbestimmungen für die EU-Konformitätserklärung aufgrund der Angleichung an den Beschluss Nr. 768/2008/EG
Die Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union sehen nicht zwingend eine Übergangslösung für die Angaben vor, die in der EU-Konformitätserklärung vorhanden sein müssen, wenn bestehende Rechtsvorschriften durch neue ersetzt werden. Dies trifft auf die Richtlinien zu, die überarbeitet wurden, um sie an die Musterbestimmungen des Beschlusses Nr. 768/2008/EG 89 anzugleichen. Die wesentlichen Anforderungen der meisten dieser Richtlinien wurden nicht geändert, und es gibt keinen Übergangszeitraum für Bezugnahmen auf die alten oder neuen Richtlinien. Darüber hinaus wird in den überarbeiteten Richtlinien gegebenenfalls darauf hingewiesen, dass Bescheinigungen, die nach der alten Richtlinie erteilt wurden, nach der neuen Richtlinie gültig bleiben. Nach deren Inkrafttreten wird die EU-Konformitätserklärung Bezugnahmen auf diese neuen Richtlinien enthalten müssen, damit die in Verkehr gebrachten Produkte als konform gelten.
Die Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union geben in den meisten Fällen nur den vorgeschriebenen Mindestinhalt der EU-Konformitätserklärung vor, zusätzliche nützliche Informationen werden generell jedoch akzeptiert. Die Hersteller können diese Flexibilität nutzen und mit der Anwendung der neuen Musterstruktur, die in den Anhängen der angeglichenen Richtlinien enthalten ist, beginnen, bevor diese in Kraft treten. Wenn Produkte die Anforderungen sowohl der alten als auch der neuen Richtlinien erfüllen, könnten sich die Wirtschaftsteilnehmer in der EU-Konformitätserklärung auf die beiden Richtlinien (die "alte" und die angeglichene Richtlinie) beziehen und die entsprechenden Anwendungszeiträume der jeweiligen Richtlinie angeben. So könnte etwa für ein Produkt im Geltungsbereich der Richtlinie 2014/30/EU die EU-Konformitätserklärung folgende Erklärung enthalten:
"Der Gegenstand der oben beschriebenen Erklärung erfüllt die anwendbare Harmonisierungsrechtsvorschrift der Union: Richtlinie 2004/108/EG (bis 19. April 2016) und Richtlinie 2014/30/EU (ab dem 20. April 2016)."
3. Die Akteure in der Lieferkette und deren Verpflichtungen
In den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union werden als "Wirtschaftsakteure" Hersteller, Bevollmächtigter, Einführer und Händler definiert. 90
3.1. Hersteller
|
Als Hersteller wird jede natürliche oder juristische Person bezeichnet, die für die Entwicklung oder die Herstellung eines Produktes zuständig ist und dieses Produkt unter ihrem eigenen Namen oder ihrer eigenen Marke vermarktet 91. Diese Definition enthält zwei kumulative Bedingungen: Die Person muss das Produkt herstellen (oder herstellen lassen) und unter ihrem eigenen Namen oder ihrer eigenen Marke vermarkten. Wird das Produkt also unter dem Namen oder der Marke einer anderen Person vermarktet, so wird diese als Hersteller betrachtet.
Die Verantwortlichkeit des Herstellers gilt auch für eine natürliche oder juristische Person, die Fertigerzeugnisse zusammenbaut, verpackt, verarbeitet oder etikettiert, um sie unter ihrem eigenen Namen oder ihrer eigenen Marke in Verkehr zu bringen. Außerdem gehen die Herstellerverpflichtungen auf denjenigen über, der den Verwendungszweck eines Produkts so verändert, dass andere wesentliche oder sonstige rechtliche Anforderungen gelten, oder der ein Produkt erheblich verändert oder umbaut (wodurch ein neues Produkt entsteht), um es in Verkehr zu bringen oder in Betrieb zu nehmen in den Fällen, in denen die für das Produkt geltenden Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union auch die Inbetriebnahme umfassen 92.
Der Hersteller kann das Produkt selbst entwickeln und herstellen. Er kann es aber auch entwickeln, herstellen, zusammenbauen, verpacken, verarbeiten oder etikettieren lassen, um es unter seinem Namen oder seiner Marke in Verkehr zu bringen, wodurch er selbst als Hersteller fungiert 93. Bei der Vergabe von Arbeiten an Subunternehmer muss der Hersteller die Oberaufsicht über das Produkt behalten und sicherstellen, dass er alle notwendigen Informationen erhält, die für die Erfüllung seiner Verpflichtungen entsprechend dem einschlägigen Harmonisierungsrechtsakt der Union notwendig sind. Auf keinen Fall darf der Hersteller, der seine Arbeiten vollständig oder teilweise an einen Subunternehmer vergibt, seine Verantwortung beispielsweise an einen Bevollmächtigten, eine Vertriebsgesellschaft, einen Benutzer oder Subunternehmer weiterreichen.
Der Hersteller hat die letztendliche Verantwortung für die Konformität seines Produkts mit den anzuwendenden Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union, da er entweder das Produkt selbst entworfen und hergestellt hat oder das Produkt unter seinem Namen oder seiner Marke auf den Markt gelangt.
Wird also ein Produkt einem Hersteller für weitere Arbeitsschritte, wie z.B. Montage, Verpackung, Verarbeitung oder Etikettierung, überlassen, muss dieser beim Inverkehrbringen die alleinige und unmittelbare Verantwortung für die Konformität seines Produkts mit den anzuwendenden Rechtsvorschriften tragen und dazu auch in der Lage sein.
Der Hersteller ist für die Entwicklung und die Herstellung des Produkts entsprechend den in den einschlägigen Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union festgelegten wesentlichen oder sonstigen rechtlichen Anforderungen und für die Durchführung der Konformitätsbewertung nach dem oder den in den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union vorgeschriebenen Verfahren verantwortlich 94.
Der Hersteller muss den Entwurf und den Bau des Produkts verstehen, damit er die Verantwortung dafür tragen kann, dass das Produkt alle Bestimmungen der einschlägigen Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union erfüllt. Dies trifft zu, wenn der Hersteller das Produkt entwickelt, herstellt, verpackt und etikettiert, aber auch, wenn einer oder alle dieser Arbeitsschritte von einem Subunternehmer ausgeführt werden. Der Hersteller muss über die sachdienlichen Informationen zum Nachweis der Übereinstimmung des Produkts verfügen.
Diesbezüglich wird der Wirtschaftsakteur, der das Produkt unter seinem Namen oder seiner Handelsmarke in Verkehr bringt, für die Zwecke der Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union automatisch zum Hersteller. Er trägt somit die gesamte Verantwortung für die Konformitätsbewertung (Entwurf und Herstellung) des Produkts, selbst wenn diese tatsächlich von anderer Seite durchgeführt wurden. Darüber hinaus muss er im Besitz aller Unterlagen und Bescheinigungen sein, die erforderlich sind, um die Konformität des Produkts nachzuweisen; diese Nachweise müssen jedoch nicht auf seinen Namen lauten.
In der Richtlinie über Aufzüge ( 95/16/EG) wird der Montagebetrieb definiert als "natürliche oder juristische Person, die die Verantwortung für den Entwurf, die Fertigung, den Einbau und das Inverkehrbringen des Aufzugs übernimmt, die CE-Kennzeichnung anbringt und die EG-Konformitätserklärung ausstellt". Somit ist der Montagebetrieb eine Person, die die Verantwortung übernimmt, die im Kontext anderer Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union üblicherweise dem Hersteller übertragen wird.
Nach den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union muss der Hersteller nicht in der Europäischen Union niedergelassen sein. Bringt ein Hersteller ein Produkt auf dem Unionsmarkt in Verkehr, muss er folglich unabhängig davon, ob er in einem Drittland oder einem EU-Mitgliedstaat niedergelassen ist, dieselben Anforderungen erfüllen.
Im Allgemeinen muss der Hersteller beim Inverkehrbringen des Produkts alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, damit der Herstellungsprozess die Konformität des Produkts 95 gewährleistet, und insbesondere
In bestimmten Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union wird vom Hersteller verlangt, am Ende der Produktionskette oder bei bereits in Verkehr befindlichen Produkten Stichproben durchzuführen, um den Verbrauchern oder sonstigen Endbenutzern 110 111 zusätzlichen Schutz zu bieten.
Hersteller, die der Auffassung sind oder Grund zu der Annahme haben, dass ein von ihnen in Verkehr gebrachtes Produkt nicht den geltenden Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union entspricht, müssen unverzüglich die erforderlichen Korrekturmaßnahmen ergreifen, um die Konformität dieses Produkts herzustellen, es gegebenenfalls vom Markt zu nehmen oder zurückzurufen. Außerdem müssen die Hersteller, die Grund zu der Annahme haben, dass mit dem Produkt Gefahren für die Gesundheit, Sicherheit, Umwelt oder andere öffentliche Interessen, die durch die geltenden Rechtsvorschriften geschützt sind 112, verbunden sind, unverzüglich die zuständigen nationalen Behörden der Mitgliedstaaten, in denen sie das Produkt auf dem Markt bereitgestellt haben, darüber unterrichten und dabei ausführliche Angaben machen, insbesondere über die Nichtkonformität und die ergriffenen Korrekturmaßnahmen. Die Kommission stellt ein IT-Tool, die "GPSD Business Application" bereit, um die praktischen Aspekte dieser Verpflichtung zu erleichtern. 113
Auf begründetes Verlangen 114 einer zuständigen nationalen Behörde legen die Hersteller dieser Behörde alle erforderlichen Informationen und Unterlagen zum Nachweis der Produktkonformität in einer Sprache vor, die von ihr leicht verstanden werden kann. Sie müssen mit der Behörde auf deren Verlangen bei allen Maßnahmen zur Abwendung von Gefahren, die mit Produkten verbunden sind, die sie in Verkehr gebracht haben, kooperieren. Die Hersteller nennen auf Verlangen einer Marktüberwachungsbehörde alle Wirtschaftsakteure, denen sie ein Produkt geliefert haben. Sie müssen in der Lage sein, diese Informationen während eines Zeitraums von zehn Jahren nach Lieferung des Produkts vorzulegen.
Mit dieser Regelung wird bezweckt, dass die nationale Behörde eine Sprache, die in ihrem Hause verstanden wird und bei der es sich nicht um die Landessprache(n) handelt, akzeptieren kann. Die auszuwählende Sprache ist mit der Behörde auszuhandeln und könnte auch eine dritte Sprache sein, wenn die Behörde dazu bereit ist.
Im Falle eines begründeten Verlangens braucht der Einführer nur den Teil der technischen Unterlagen zur Verfügung zu stellen, der sich auf die angebliche Nichteinhaltung der Vorschriften bezieht und belegen kann, dass sich der Hersteller mit diesem Problem befasst hat. Daher sollte die angeforderte Übersetzung der technischen Unterlagen auf die entsprechenden Teile der Unterlagen beschränkt sein. Dabei kann je nach Harmonisierungsrechtsvorschrift der Union, der das Produkt unterliegt, eine Frist für den Eingang der verlangten Unterlagen gesetzt werden. Es kann auch eine kürzere Frist festgelegt werden, wenn die nationale Behörde die Dringlichkeit anhand einer unmittelbaren ersten Gefahr begründet.
Umfasst die Harmonisierungsrechtsvorschrift der Union die Inbetriebnahme, muss die dafür zuständige natürliche oder juristische Person dieselben Verpflichtungen erfüllen wie ein Hersteller, der ein Produkt in Verkehr bringt. Er muss sicherstellen, dass das Produkt den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union entspricht und dass das entsprechende Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt worden ist 115.
Im Übrigen müssen Personen, die gebrauchte Produkte aus einem Drittland oder nicht für den Unionsmarkt entworfene oder hergestellte Produkte auf den Markt bringen, die Rolle des Herstellers übernehmen.
Ändert ein Einführer oder Händler ein Produkt derart, dass die Konformität mit den geltenden Anforderungen beeinträchtigt werden kann, oder liefert es unter seinem eigenen Namen oder seiner eigenen Marke, ist er als Hersteller zu betrachten und muss alle einschlägigen Verpflichtungen erfüllen. 116 Dementsprechend muss er sicherstellen, dass das Produkt den anzuwendenden Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union entspricht und das entsprechende Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt worden ist. 117
3.2. Bevollmächtigter
Der Hersteller kann, unabhängig davon, ob er in der EU niedergelassen ist oder nicht, einen Bevollmächtigten in der Union benennen, der in seinem Namen bestimmte Verpflichtungen erfüllt. |
Unabhängig davon, ob der Hersteller in der EU niedergelassen ist oder nicht, kann er einen Bevollmächtigten in der Union benennen, der in seinem Namen bestimmte sich aus den geltenden Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union ergebende Verpflichtungen erfüllt. 118 Ein außerhalb der Europäischen Union niedergelassener Hersteller braucht keinen Bevollmächtigten zu haben. 119
Um im Namen des Herstellers handeln zu können, muss der Bevollmächtigte demnach entsprechend den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union in der Union niedergelassen sein. Nicht zu verwechseln mit dem Bevollmächtigten im Sinne der Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union sind dabei Handelsvertreter des Herstellers (z.B. bevollmächtigte Händler oder Agenten).
Die Übertragung von Pflichten des Herstellers an den Bevollmächtigten muss im Wege eines ausdrücklichen und schriftlichen Auftrags erfolgen, in dem insbesondere der Inhalt der Pflichten und die Grenzen der Befugnisse des Bevollmächtigten aufgeführt sind. Die Pflichten, die dem Bevollmächtigten gemäß den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union übertragen werden können, sind administrativer Art. Also darf der Hersteller den Bevollmächtigten, sofern keine anderslautenden Bestimmungen vorgesehen sind, weder mit den Maßnahmen beauftragen, die der Sicherstellung dienen, dass der Herstellungsprozess die Konformität der Produkte gewährleistet, noch mit der Erstellung technischer Unterlagen. Außerdem darf ein Bevollmächtigter das Produkt nicht von sich aus verändern, um es mit den anzuwendenden Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union in Einklang zu bringen.
Benennt der Hersteller einen Bevollmächtigten, so muss dessen Mandat es dem Bevollmächtigten mindestens ermöglichen, folgende Aufgaben auszuführen:
Je nach dem Konformitätsbewertungsverfahren und der betreffenden Harmonisierungsrechtsvorschrift der Union kann der Bevollmächtigte beispielsweise auch dafür benannt werden,
Bei dem von einem Hersteller benannten Bevollmächtigten kann es sich um einen Einführer oder Händler im Sinne der Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union handeln, der in diesem Falle ebenfalls den einschlägigen Verpflichtungen nachkommen muss. 120
3.3. Einführer
|
Ein Einführer ist ein in der Union niedergelassener Wirtschaftsakteur, der ein Produkt aus einem Drittland auf dem Unionsmarkt in Verkehr bringt. Entsprechend den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union übernimmt er wichtige und eindeutig festgelegte Aufgaben 121 122, die zu einem großen Teil auf der Art der Aufgaben eines in der EU niedergelassenen Herstellers aufbauen.
Der Einführer muss sicherstellen, dass der Hersteller seinen Verpflichtungen ordnungsgemäß nachgekommen ist. Er ist kein bloßer Wiederverkäufer von Produkten, sondern spielt bei der Gewährleistung der Konformität der eingeführten Erzeugnisse eine sehr wichtige Rolle.
Definiert wird der Einführer als natürliche oder juristische Person, die ein Produkt aus einem Drittland auf dem EU-Markt in Verkehr bringt. Im Allgemeinen muss der Einführer vor dem Inverkehrbringen eines Produkts sicherstellen,
Durch diese Verpflichtungen soll sichergestellt werden, dass die Einführer sich ihrer Verantwortung bewusst sind, nur konforme Produkte in Verkehr zu bringen. 125 Es wird weder vorgeschrieben, dass Einführer systematisch auf zusätzliche Kontrollverfahren oder Prüfungen (durch Dritte) zurückgreifen müssen, noch wird diese Möglichkeit generell ausgeschlossen.
Ferner muss der Einführer
Darüber hinaus wird in bestimmten Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union vom Einführer - wie von einem Hersteller - verlangt, bei bereits in Verkehr befindlichen Produkten Stichproben durchzuführen oder durchführen zu lassen. 131
Ebenso ergreifen Einführer, die Grund zu der Annahme haben, dass ein von ihnen in Verkehr gebrachtes Produkt nicht den geltenden Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union entspricht, unverzüglich die erforderlichen Korrekturmaßnahmen, um die Konformität dieses Produkts herzustellen oder es gegebenenfalls zurückzunehmen oder zurückzurufen. Außerdem unterrichten die Einführer, wenn mit dem Produkt Gefahren verbunden sind, unverzüglich die zuständigen nationalen Behörden der Mitgliedstaaten.
Im Gegensatz zum Bevollmächtigten braucht der Einführer weder einen Auftrag vom Hersteller noch muss er ein Vorzugsverhältnis zu ihm unterhalten. Um jedoch seinen Verpflichtungen nachkommen zu können, muss der Einführer sicherstellen, dass er mit dem Hersteller in Kontakt treten kann (z.B. um der anfordernden Behörde die technischen Unterlagen vorlegen zu können).
Wünscht der Einführer, im Namen des Herstellers administrative Pflichten wahrzunehmen, so muss er vom Hersteller ausdrücklich dazu benannt werden, als Bevollmächtigter aufzutreten.
3.4. Händler
|
Neben den Herstellern und Einführern bilden die Händler die dritte Kategorie der Wirtschaftsbeteiligten, die besonderen Pflichten unterliegen. Als Händler wird jede natürliche oder juristische Person in der Lieferkette bezeichnet, die ein Produkt auf dem Markt bereitstellt, mit Ausnahme des Herstellers oder des Einführers.
Einzelhändler, Großhändler und andere Händler in der Absatzkette brauchen nicht wie der Bevollmächtigte in einem besonderen Verhältnis zum Hersteller zu stehen. Ein Händler erwirbt Produkte für den weiteren Vertrieb entweder bei einem Hersteller, einem Einführer oder einem anderen Händler.
Der Händler muss hinsichtlich der anzuwendenden Bestimmungen 132 angemessene Sorgfalt 133 walten lassen. So sollte er unter anderem wissen, welche Produkte mit der CE-Kennzeichnung zu versehen sind, welche Unterlagen (z.B. EU-Konformitätserklärung) das Produkt begleiten müssen, welche sprachlichen Anforderungen an die Etikettierung, Gebrauchsanweisungen bzw. andere Begleitunterlagen bestehen und welche Umstände eindeutig für die Nichtkonformität des Produkts sprechen. Er hat die Pflicht, der nationalen Überwachungsbehörde gegenüber nachzuweisen, mit der angemessenen Sorgfalt gehandelt und sich vergewissert zu haben, dass der Hersteller oder sein Bevollmächtigter oder die Person, die ihm das Produkt zur Verfügung gestellt hat, die nach den anzuwendenden Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union erforderlichen und in den Pflichten der Händler aufgeführten Maßnahmen ergriffen hat.
Bei Produkten aus Drittländern liegt die Verantwortung für die Konformitätsbewertung sowie die Ausstellung und Bereithaltung der EU-Konformitätserklärung und der technischen Unterlagen beim Hersteller und/oder Einführer. Sollten sich die geltenden rechtlichen Auflagen geändert haben, ist es nicht Aufgabe des Händlers, zu prüfen, ob ein bereits auf dem Markt befindliches Produkt diesen nach wie vor entspricht. Die Pflichten des Händlers beziehen sich auf die Rechtsvorschriften, die zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produkts durch den Hersteller oder Einführer anzuwenden waren, sofern in spezifischen Rechtsvorschriften nichts anderes vorgesehen war.
Der Händler muss in der Lage sein, den Hersteller, seinen Bevollmächtigten, den Einführer bzw. die Person anzugeben, die ihm das Produkt zur Verfügung gestellt hat, um die Aufsichtsbehörde in dem Bemühen zu unterstützen, die EU-Konformitätserklärung und die notwendigen Teile der technischen Unterlagen zu erlangen. Die Marktüberwachungsbehörden haben die Möglichkeit, die technischen Unterlagen direkt beim Händler anzufordern. Von diesem wird jedoch nicht erwartet, dass er im Besitz derselben ist.
Bevor der Händler ein Produkt auf dem Markt bereitstellt, muss er formell prüfen 134,
Der Händler darf keine Produkte liefern, von denen er weiß oder bei denen er anhand der ihm vorliegenden Informationen und als Gewerbetreibender hätte davon ausgehen müssen, dass sie den Anforderungen der Rechtsvorschriften nicht genügen. Außerdem hat er mit den zuständigen Behörden im Rahmen von Maßnahmen zur Verhinderung bzw. Minimierung dieser Gefährdungen mitzuwirken und den Hersteller oder Einführer sowie die zuständigen nationalen Behörden zu unterrichten. 138
Ähnliche Verpflichtungen muss der Händler auch nach der Bereitstellung eines Produkts erfüllen. Hat er berechtigten Grund zu der Annahme, dass ein Produkt nicht den Rechtsvorschriften entspricht, muss er sicherstellen, dass der Hersteller oder der Einführer die Korrekturmaßnahmen zur Herstellung der Konformität des Produkts ergreift, und die zuständigen nationalen Behörden unterrichten. Der Händler muss sich mit dem Einführer oder Hersteller in Verbindung setzen, um etwaige Zweifel an der Konformität des Produkts auszuräumen.
Neben der Prüfung, ob das Produkt den formellen Anforderungen entspricht, muss der Händler
Die Vertriebsbedingungen (z.B. Beförderung oder Lagerung) können sich darauf auswirken, ob die Konformität mit den Bestimmungen der anzuwendenden Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union gewahrt bleibt. Die für die Vertriebsbedingungen zuständige Person muss daher die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um die Konformität des Produkts zu schützen. Damit soll sichergestellt werden, dass das Produkt den wesentlichen oder sonstigen rechtlichen Anforderungen entspricht, die zum Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung in der Union gelten. 143
Fehlen Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union, können die Vertriebsbedingungen in gewissem Umfang auf nationaler Ebene geregelt werden, wobei Artikel 34 und 36 AEUV einzuhalten sind. Nationale Rechtsvorschriften, die Angehörigen einer speziellen Berufsgruppe das ausschließliche Recht auf Vertrieb bestimmter Produkte gewähren, können die Möglichkeiten für die Vermarktung eingeführter Erzeugnisse beeinträchtigen, wenn sie den Absatz auf bestimmte Kanäle beschränken. Dadurch kann eine solche Rechtsvorschrift wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung wirken. Sie kann jedoch zum Schutz der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt sein, wenn die Maßnahme in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck steht und nicht über das notwendige Maß zu dessen Erreichung hinausgeht. 144
Fulfillment-Dienstleister
Fulfillment-Anbieter 145 stellen ein neues Geschäftsmodell dar, das durch den Online-Handel entstanden ist. Von Online-Händlern angebotene Produkte werden in der Regel bei Fulfillment-Anbietern in der EU gelagert, um eine schnelle Auslieferung an Verbraucher in der EU sicherzustellen. Diese Unternehmen erbringen Dienstleistungen für andere Wirtschaftsakteure. Sie lagern Produkte, und nach Eingang einer Bestellung verpacken sie diese und verschicken sie an die Kunden. Manche von ihnen übernehmen auch die Bearbeitung von Rücksendungen. Es gibt eine breite Palette von Geschäftsszenarien für die Erbringung von Fulfillment-Dienstleistungen. Manche Fulfillment-Anbieter bieten alle genannten Dienstleistungen an, andere nur einen Teil davon. Ihre Größe und ihr Umfang können ebenfalls unterschiedlich sein - vom globalen Anbieter bis hin zum Kleinstunternehmen.
Die oben beschriebenen Tätigkeiten der Fulfillment-Dienstleister gehen über die Tätigkeiten von reinen Paketdienstanbietern hinaus, die Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Abfertigung, Sortierung, Beförderung und Zustellung von Paketen erbringen. Die Komplexität der angebotenen Geschäftsmodelle macht Fulfillment-Dienstleister zu einem notwendigen Glied in der Lieferkette und sie können daher als an der Lieferung eines Produkts und somit an seinem Inverkehrbringen beteiligt angesehen werden. Wenn daher Fulfillment-Dienstleister die oben beschriebenen Dienstleistungen anbieten, die über die Dienstleistungen von Paketdiensten hinausgehen, sollten sie als Händler angesehen werden und die entsprechenden rechtlichen Verpflichtungen übernehmen.
Unter Berücksichtigung der Vielfalt der Fulfillment-Anbieter und der von ihnen angebotenen Dienstleistungen kann die Untersuchung des Geschäftsmodells einiger Anbieter auch ergeben, dass es sich bei ihnen um Einführer oder Bevollmächtigte handelt.
3.5. Andere Vermittler: Vermittler im Rahmen der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr
In der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr 146 wird der rechtliche Rahmen für den elektronischen Geschäftsverkehr in der EU festgelegt. Darin werden harmonisierte Regeln zu Fragen wie der Transparenz und den Informationsanforderungen an Online-Dienstleister, zu kommerzielle Kommunikationen oder für elektronisch geschlossene Verträge eingeführt.
Die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr gilt nicht für bestimmte Kategorien von Wirtschaftsakteuren; stattdessen werden unterschiedliche Kategorien von Tätigkeiten beschrieben. Die wichtigste Tätigkeitskategorie, unter dem Aspekt der Produktsicherheit und der Konformität, sind Hosting-Tätigkeiten. 147 Hosting-Tätigkeiten sind Tätigkeiten wie z.B. die Speicherung von durch den Nutzer eines Dienstes, etwa eines Webshops oder Marktplatzes oder einer Plattform, eingegebenen Informationen.
Vermittler, die die oben beschriebenen Tätigkeiten ausüben, unterliegen einer Ausnahmeregelung hinsichtlich der Verantwortlichkeit in Bezug auf Schadenersatzansprüche und strafrechtliche Sanktionen im Zusammenhang mit den von Dritten, die ihre Netzwerke benutzen, bereitgestellten Inhalten. Dieser Haftungsausschluss ist jedoch nicht absolut. Im Falle von Hosting-Tätigkeiten, die für die Produktsicherheit und die Konformität am wichtigsten sind, gilt die Ausnahmeregelung nur dann, wenn der Vermittler 1) sich keiner Tatsachen oder Umstände bewusst ist, aus denen die rechtswidrige Art der gespeicherten Informationen hervorgeht, und 2) er, sobald er diese Kenntnis oder dieses Bewusstsein erlangt (etwa durch hinreichend genaue und substantiierte Anzeige 148), unverzüglich tätig wird, um die Information zu entfernen oder den Zugang zu ihr zu sperren. Erfüllen sie diese Bedingungen nicht, so wird ihnen der Haftungsausschluss verwehrt und sie können somit für den gespeicherten Inhalt verantwortlich gemacht werden.
Nach Artikel 15 der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr können die Mitgliedstaaten diesen Anbietern keine allgemeine Verpflichtung auferlegen, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder aktiv nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen. Das bedeutet, dass die nationalen Behörden den Vermittlern keine allgemeine Verpflichtung auferlegen können, ihren gesamten Internetverkehr aktiv zu überwachen und Elemente zu suchen, die auf rechtswidrige Tätigkeiten wie etwa den Handel mit unsicheren Produkten hinweisen.
Das Verbot einer allgemeinen Überwachungspflicht hindert die öffentlichen Behörden jedoch nicht daran, spezifische Überwachungsanforderungen festzulegen, deren Geltungsbereich allerdings klar definiert sein muss. Als Beispiel für einen anderen Politikbereich mit gewissen Ähnlichkeiten kann ein Gericht Anbieter verpflichten, sicherzustellen, dass gewisse Websites, die ausschließlich urheberrechtswidrige Inhalte oder gefälschte Produkte enthalten, für Nutzer aus dem betreffenden Mitgliedstaat gesperrt werden.
In der Praxis bedeutet dies, dass die nationalen Behörden die Hosting-Anbieter kontaktieren können, die dann, nachdem sie über eine rechtswidrige Tätigkeit in Kenntnis gesetzt wurden, den Inhalt entfernen oder sperren müssen, wenn sie den Haftungsausschluss für sich beanspruchen wollen, was wiederum bedeutet, dass die unsicheren/nicht konformen Produkte für Nutzer in der EU über ihre Dienste nicht mehr zugänglich wären. Dennoch sollten die Marktüberwachungsbehörden ihre Tätigkeiten auf der Grundlage der geltenden Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 und der einschlägigen Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union ausüben und sich damit in erster Linie mit dem zuständigen Wirtschaftsakteur befassen. Die Marktüberwachungsbehörden sollten von Fall zu Fall beurteilen, welche Maßnahme am zweckmäßigsten ist, und dabei den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die Höhe des Risikos, falls der Wirtschaftsakteur bekannt ist, und die Dringlichkeit, falls vorher bereits Maßnahmen gegen ein bestimmtes Produkt ergriffen wurden, usw. beachten.
Der Begriff "Inhalt" bezeichnet das Angebot eines Produkts online (z.B. ein Foto, eine Beschreibung des Produkts). Der Begriff "rechtswidrige Tätigkeit" bezieht sich auf Tätigkeiten, die sowohl unter das Strafrecht als auch unter das Verwaltungsrecht fallen. Der Haftungsausschluss bezieht sich auf die zivile, strafrechtliche und verwaltungsrechtliche Haftung für alle Arten von rechtswidrigen Tätigkeiten, die von Dritten online unternommen werden, etwa Urheberrechtsverstöße und Markenpiraterie, unlautere Geschäftspraktiken usw. Mit der Richtlinie soll ein Ausgleich zwischen allen betroffenen Interessen hergestellt werden. Die Rechtsgrundlage für die Anzeige und die Auflage, dass Hosting-Anbieter rechtswidrige Inhalte entfernen/den Zugang dazu sperren müssen, ist in den nationalen Umsetzungsinstrumenten der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr enthalten. Darüber hinaus haben die meisten Online-Vermittler ihre eigenen Meldemechanismen entwickelt.
3.6. Endbenutzer
|
Die Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union sehen für die Endbenutzer der in ihren Anwendungsbereich fallenden Produkte keine Verpflichtungen vor. 149 Das ist auch der Fall, wenn es keine zuständigen Wirtschaftsakteure innerhalb der EU gibt (z.B. im Zusammenhang mit online verkauften Produkten). Der Begriff wird deshalb in den Rechtsvorschriften nicht definiert. Der Begriff umfasst jedoch definitiv sowohl professionelle Benutzer als auch Verbraucher. Der Begriff "Endbenutzung" durch einen professionellen Benutzer oder Verbraucher ist eng mit dem Begriff "vorgesehener Verwendungszweck" verbunden. 150
Viele von den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union erfasste Produkte werden bei der Arbeit benutzt. Gemäß den auf Artikel 153 AEUV beruhenden Rechtsvorschriften haben die Arbeitgeber Pflichten hinsichtlich der Benutzung von Arbeitsmitteln durch Arbeitnehmer am Arbeitsplatz. Unter Arbeitgeber ist jede natürliche oder juristische Person zu verstehen, die als Vertragspartei des Beschäftigungsverhältnisses mit dem Arbeitnehmer (d. h. einer Person, die von einem Arbeitgeber beschäftigt wird) die Verantwortung für das Unternehmen bzw. den Betrieb trägt.
Nach der Richtlinie über Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Benutzung von Arbeitsmitteln durch Arbeitnehmer bei der Arbeit ( 2009/104/EG) hat der Arbeitgeber die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, damit die den Arbeitnehmern zur Verfügung gestellten Arbeitsmittel (z.B. Maschinen und Apparate) für die jeweiligen Arbeiten geeignet sind, sodass bei der Benutzung Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer gewährleistet sind. Der Arbeitgeber darf nur Arbeitsmittel beschaffen oder benutzen, die den Bestimmungen der anzuwendenden Rechtsvorschriften zum Zeitpunkt der erstmaligen Benutzung entsprechen bzw., wenn keine andere Vorschrift anzuwenden ist oder wenn eine etwaige andere Vorschrift nur teilweise anzuwenden ist, den Mindestvorschriften im Sinne des Anhangs I der Richtlinie 2009/104/EG. Außerdem muss der Arbeitgeber die erforderlichen Vorkehrungen treffen, damit die Arbeitsmittel während der gesamten Zeit der Benutzung auf einem entsprechenden Niveau gehalten werden. Er ist zudem verpflichtet sicherzustellen, dass die Arbeitnehmer angemessene Informationen und eine angemessene Unterweisung in Bezug auf die Benutzung der Arbeitsmittel erhalten.
Gemäß der Richtlinie über Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Benutzung persönlicher Schutzausrüstungen durch Arbeitnehmer bei der Arbeit ( 89/656/EWG) müssen solche Ausrüstungen hinsichtlich ihrer Konzeption und Konstruktion die einschlägigen Vorschriften der Union über Sicherheit und Gesundheitsschutz (d. h. die Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union in Bezug auf persönliche Schutzausrüstungen) erfüllen. Ferner müssen die Ausrüstungen Schutz gegenüber den zu verhütenden Risiken bieten, für die am Arbeitsplatz gegebenen Bedingungen geeignet sein, den ergonomischen Anforderungen und den gesundheitlichen Erfordernissen des Arbeitnehmers Rechnung tragen, dem Träger passen und, wenn der gleichzeitige Einsatz mehrerer Ausrüstungen notwendig ist, aufeinander abgestimmt sein. Vor der Auswahl einer persönlichen Schutzausrüstung muss der Arbeitgeber eine Bewertung der von ihm vorgesehenen persönlichen Schutzausrüstung vornehmen, um festzustellen, ob sie den Anforderungen gerecht wird.
Die Richtlinie über die Mindestvorschriften bezüglich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit an Bildschirmgeräten ( 90/270/EWG) verpflichtet die Arbeitgeber, eine Analyse der Arbeitsplätze durchzuführen, um die Sicherheits- und Gesundheitsbedingungen zu beurteilen; dies gilt insbesondere für die mögliche Gefährdung des Sehvermögens sowie für körperliche Probleme und psychische Belastungen. Außerdem sind in der Richtlinie Mindestanforderungen an den Bildschirm und andere Geräte festgelegt.
Gemäß der Richtlinie über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit ( 89/391/EWG) ist jeder Arbeitnehmer verpflichtet, nach seinen Möglichkeiten für seine Sicherheit und Gesundheit sowie für die Sicherheit und die Gesundheit derjenigen Personen Sorge zu tragen, die von seinen Handlungen bei der Arbeit betroffen sind. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, beispielsweise Maschinen, Geräte und andere Arbeitsmittel und die persönlichen Schutzausrüstungen gemäß der Unterweisung und den Anweisungen des Arbeitgebers ordnungsgemäß zu benutzen.
Die Richtlinien 89/391/EWG, 2009/104/EG, 89/656/EWG und 90/270/EWG enthalten Mindestanforderungen, sodass die Mitgliedstaaten strengere Bestimmungen einführen oder beibehalten können, solange diese mit dem AEUV vereinbar sind. Da die Bestimmungen der Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union vorbehaltlos eingehalten werden müssen, ist es nicht statthaft, dass in nationalen Vorschriften die Veränderung eines Produkts, das in den Geltungsbereich einer Harmonisierungsrechtsvorschrift der Union fällt, vorgeschrieben wird oder die Bedingungen für das Inverkehrbringen solcher Produkte beeinflusst werden.
4. Produktanforderungen
4.1. Wesentliche Produktanforderungen
4.1.1. Definition der wesentlichen Anforderungen
|
Ein Großteil der Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union ist darauf gerichtet, die Harmonisierung der Rechtsvorschriften auf die wesentlichen Anforderungen von öffentlichem Interesse zu beschränken. Diese Anforderungen betreffen den Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Benutzer (in der Regel Verbraucher und Arbeitnehmer), es kann aber auch andere wesentliche Anforderungen geben (zum Beispiel den Schutz des Eigentums, knapper Ressourcen oder der Umwelt).
Mit der Festlegung wesentlicher Anforderungen ist beabsichtigt, ein hohes Schutzniveau zu gewährleisten. Die festgelegten Anforderungen gehen entweder auf bestimmte Risiken im Zusammenhang mit dem Produkt zurück (z.B. physischer und mechanischer Widerstand, Entzündbarkeit, chemische, elektrische oder biologische Eigenschaften, Hygiene, Radioaktivität, Präzision), oder sie beziehen sich auf das Produkt oder seine Leistung (z.B. Bestimmungen in Bezug auf Werkstoffe, Planung, Bau, Herstellungsprozess, die vom Hersteller verfasste Betriebsanleitung), oder sie legen das Hauptziel des Schutzes fest (z.B. mithilfe einer exemplarischen Auflistung). Oftmals ist es eine Kombination aus diesen Elementen. Im Endeffekt können mehrere Harmonisierungsrechtsakte der Union gleichzeitig auf ein Produkt anwendbar sein, weil wesentliche Anforderungen verschiedener Harmonisierungsrechtsakte parallel angewendet werden müssen, um alle relevanten öffentlichen Interessen abzudecken.
Die Anwendung der wesentlichen Anforderungen erfolgt in Abhängigkeit von den von einem gegebenen Produkt ausgehenden Gefahren. Daher müssen die Hersteller eine Risikoanalyse durchführen, um zunächst alle Risiken festzustellen, die das Produkt möglicherweise mit sich bringt, und die für das jeweilige Produkt zutreffenden wesentlichen Anforderungen zu bestimmen. Diese Analyse ist zu dokumentieren und in die technischen Unterlagen aufzunehmen. 151 Darüber hinaus muss der Hersteller die von ihm vorgenommene Beurteilung, wie er die festgestellten Risiken angehen will, um sicherzustellen, dass das Produkt mit den anwendbaren wesentlichen Anforderungen übereinstimmt (z.B. durch Anwendung harmonisierter Normen), dokumentieren. Wird nur ein Teil der harmonisierten Norm angewandt oder deckt diese nicht alle anwendbaren wesentlichen Anforderungen ab, so sollte die Art und Weise, wie mit den nicht abgedeckten wesentlichen Anforderungen umgegangen wird, dokumentiert werden. 152
Wesentliche Anforderungen definieren die zu erzielenden Ergebnisse oder die abzuwendenden Gefahren, ohne jedoch die technischen Lösungen dafür festzulegen. Die konkreten technischen Lösungen können nach Ermessen des Herstellers einer Norm oder anderen technischen Spezifikationen entnommen werden oder nach dem allgemeinen Stand der Technik oder Wissenschaft, der in der Literatur niedergelegt ist, entwickelt werden. Dieser flexible Ansatz erlaubt es den Herstellern, selbst zu bestimmen, wie sie die Anforderungen erfüllen wollen. Außerdem ist es auf diese Weise möglich, Werkstoffwahl und Produktgestaltung dem technischen Fortschritt anzupassen. Auf wesentliche Anforderungen gestützte Harmonisierungsrechtsakte der Union bedürfen also keiner regelmäßigen Anpassung an den technischen Fortschritt, da sich die Bewertung, ob die Anforderungen erfüllt wurden oder nicht, auf den Stand der Technik zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produkts gründet.
Die wesentlichen Anforderungen sind in entsprechenden Abschnitten oder Anhängen der einzelnen Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union dargelegt. Obwohl die wesentlichen Anforderungen keine detaillierten Herstellungsbeschreibungen enthalten, sind die Harmonisierungsrechtsakte der Union unterschiedlich ausführlich ausformuliert. 153 Sie sollen so präzise abgefasst sein, dass bei der Umsetzung in nationales Recht rechtsverbindliche durchsetzbare Verpflichtungen entstehen und die Beauftragung der europäischen Normungsorganisationen durch die Kommission mit der Erarbeitung harmonisierter Normen erleichtert wird. Sie werden zudem so formuliert, dass die Bewertung der Konformität mit diesen Anforderungen selbst dann möglich ist, wenn keine harmonisierten Normen vorliegen oder der Hersteller beschließt, diese nicht anzuwenden.
4.1.2. Konformität mit den wesentlichen Anforderungen: Harmonisierte Normen
|
4.1.2.1. Definition einer harmonisierten Norm
Die Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 154 enthält Definitionen der Begriffe "Norm", "nationale Norm", "europäische Norm", "harmonisierte Norm" und "internationale Norm".
Die Definition einer "harmonisierten Norm" im Kontext der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 ist nicht auf die harmonisierten Normen zur Unterstützung der harmonisierten Produktvorschriften beschränkt, da die allgemeine Anwendung harmonisierter Normen in Harmonisierungsrechtsvorschriften für Dienstleistungen in gleicher Weise angestrebt wird, wie das bei den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union für Produkte der Fall ist.
4.1.2.2 Die Rolle der harmonisierten Normen
Harmonisierte Normen werden wie andere europäische Normen entsprechend der Geschäftsordnung der europäischen Normungsorganisationen erarbeitet und veröffentlicht. Diesen Vorschriften zufolge müssen alle europäischen Normen auf nationaler Ebene von den nationalen Normungsorganisationen umgesetzt werden. Mit Umsetzung ist gemeint, dass die entsprechenden europäischen Normen in identischer Form als nationale Normen bereitgestellt werden müssen und alle dazu in Widerspruch stehenden nationalen Normen innerhalb eines bestimmten Zeitraums außer Kraft zu setzen sind.
Harmonisierte Normen sind europäische Normen, die aufgrund der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 und sektorspezifischer Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union eine besondere Bedeutung erlangen. 156 Auch bei den harmonisierten Normen besteht Freiwilligkeit hinsichtlich ihrer Anwendung. 157 Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die Definition einer harmonisierten Norm keinerlei Hinweise auf die Veröffentlichung ihres Titels im Amtsblatt der EU enthält. Solange der Titel einer harmonisierten Norm nicht im Amtsblatt der EU veröffentlicht wird, gilt für die harmonisierte Norm oder Teile davon keine Konformitätsvermutung mit den wesentlichen oder anderen Anforderungen, die abgedeckt werden sollen. Die Kommission fordert die europäischen Normungsorganisationen formell zur Vorlage harmonisierter Normen auf, indem sie einen Normungsauftrag erteilt. Funktion und Erstellung des Normungsauftrags der Kommission an die europäischen Normungsorganisationen werden im Vademekum zur europäischen Normung genau erläutert. 158 Zuvor konsultiert die Kommission die Mitgliedstaaten. 159 Das Erstellen von Normen, die im Einklang mit der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 160 auf Konsens gegründet sind, impliziert eine umfassende Konsultation der sektoralen Behörden auf nationaler Ebene. Somit liefert der Auftrag ein starkes Indiz für die Erwartungen der staatlichen Stellen.
Die europäischen Normungsorganisationen nehmen im Einklang mit ihrer Geschäftsordnung formell Stellung zu einem Auftrag der Kommission. Die Annahme des Auftrags und die darauf folgende Normungsarbeit sind für die nationalen Normungsorganisationen der Beginn einer Stillhalteperiode, die in ihrer Geschäftsordnung und im Fall der harmonisierten Normen auch in der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 festgelegt ist.
Die Ausarbeitung und Verabschiedung harmonisierter Normen beruht auf der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 161 und auf den allgemeinen Leitlinien für die Zusammenarbeit zwischen den europäischen Normungsorganisationen sowie der Europäischen Kommission und der EFTa vom 28. März 2003 162. Zur Normung gehört eine Reihe von Anforderungen, Grundsätzen und Verpflichtungen, wie die Beteiligung aller interessierten Kreise (zum Beispiel Hersteller, einschließlich KMU, Verbraucherverbände, Umweltschutzvertreter und Gewerkschaften), die Rolle von öffentlichen Behörden, die Qualität der Normen und eine EU-weit einheitliche Umsetzung europäischer Normen durch die nationalen Normungsorganisationen.
Die europäischen Normungsorganisationen tragen in Übereinstimmung mit entsprechenden Aufträgen die Verantwortung für die Festlegung und Ausarbeitung harmonisierter Normen im Sinne der geltenden Rechtsakte über den Binnenmarkt sowie für die Vorlage einer Liste der verabschiedeten Normen an die Kommission. Die technischen Inhalte dieser harmonisierten Normen liegen in der alleinigen Verantwortung der europäischen Normungsorganisationen. Nachdem sich die Behörden auf einen Auftrag verständigt haben, wird die Suche nach technischen Lösungen im Prinzip den interessierten Parteien überlassen. In bestimmten Bereichen, wie z.B. der Umwelt sowie Gesundheit und Sicherheit, ist es wichtig, die Behörden am Normungsprozess auf technischer Ebene zu beteiligen. Allerdings sehen die EU-Harmonisierungsrechtsvorschriften für Produkte kein Verfahren vor, nach dem die Behörden auf EU- oder nationaler Ebene den Inhalt der von den europäischen Normungsorganisationen ausgearbeiteten harmonisierten Normen systematisch überprüfen oder genehmigen würden. 163 Ein Dialog zwischen den Normungsorganisationen und den Behörden und gegebenenfalls ihre Beteiligung am Normungsprozess wäre dennoch hilfreich, da dies dazu beitragen würde, dass die Bedingungen des Normungsauftrags korrekt verstanden werden und den Interessen der Öffentlichkeit angemessene Beachtung geschenkt wird.
Die europäischen Normungsorganisationen entscheiden über das Arbeitsprogramm entsprechend dem jeweiligen Auftrag. Sie können auch bereits bestehende Normen ermitteln, die aus ihrer Sicht nach einer Beurteilung und eventuellen Überarbeitung die Bedingungen des Auftrags erfüllen, oder diese Normen anpassen, damit sie den Bedingungen entsprechen. Nach demselben Muster können sie internationale oder nationale Normen ermitteln und diese als europäische Normen annehmen, um sie dann der Kommission als harmonisierte Normen vorzulegen. Es ist auch möglich, dass nur bestimmte Teile oder Klauseln einer harmonisierten Norm einer wesentlichen Anforderung entsprechen und sich die Vermutung der Konformität nur auf diese Teile oder Klauseln stützt, nachdem die Fundstellen dazu im Amtsblatt der EU veröffentlicht wurden.
Eine harmonisierte Norm muss im Einklang mit dem erteilten Normungsauftrag den betreffenden wesentlichen oder sonstigen rechtlichen Anforderungen entsprechen. Eine harmonisierte Norm kann Spezifikationen enthalten, die sich nicht nur auf die wesentlichen Anforderungen beziehen, sondern auch andere nicht regulierte Themen umfassen. In solchen Fällen müssen diese Spezifikationen klar abgegrenzt werden von solchen, die sich auf die wesentliche Anforderungen beziehen. Eine harmonisierte Norm muss nicht notwendigerweise alle wesentlichen Anforderungen abdecken, doch muss stets eindeutig erkennbar sein, welche Anforderungen sie abdecken soll 164, da Hersteller, die eine im Amtsblatt der EU genannte harmonisierte Norm einhalten, ansonsten nicht wissen, bei welchen Anforderungen die Konformitätsvermutung gilt, und die Behörden nicht wissen, bei welchen wesentlichen Anforderungen sie von der Konformitätsvermutung ausgehen müssen.
Die abzudeckenden wesentlichen oder sonstigen rechtlichen Anforderungen werden üblicherweise in einem gesonderten Informationsanhang 165 einer harmonisierten Norm angegeben. Werden wesentliche Anforderungen nur teilweise abgedeckt, so sollte in der Norm deutlich darauf hingewiesen werden. In manchen Fällen weist auch der Geltungsbereich einer harmonisierten Norm mit ausreichender Klarheit auf die einschlägigen Anforderungen hin (wenn es beispielsweise eindeutige Verweise auf die abgedeckten Sicherheitsrisiken gibt). Diese in einer harmonisierten Norm enthaltenen Informationen zur "beabsichtigten Abdeckung wesentlicher und sonstiger Anforderungen" bestimmt somit den Umfang der "Vermutung der Konformität mit den Rechtsvorschriften".
Es bedarf einer klaren Unterscheidung zwischen der "Konformität mit einer Norm" und der "Konformitätsvermutung (bei der Anwendung einer harmonisierten Norm)". Die "Konformität mit einer Norm" verweist üblicherweise auf eine Situation, in der eine Norm "vollständig angewendet" wird. Dies ist zum Beispiel bei einer freiwilligen Zertifizierung nach einer Norm der Fall. Zum Zweck einer "Konformitätsvermutung" genügt es, nur diejenigen Anforderungen anzuwenden, die sich auf die abzudeckenden wesentlichen oder sonstigen rechtlichen Anforderungen beziehen.
Auf keinen Fall ist es so, dass die harmonisierten Normen an die Stelle rechtsverbindlicher wesentlicher Anforderungen treten können. Eine Spezifikation in einer harmonisierten Norm stellt keine Alternative zu einer einschlägigen wesentlichen oder sonstigen rechtlichen Anforderung dar, sondern nur ein technisches Mittel zu ihrer Einhaltung. Bei risikobezogenen Harmonisierungsrechtsvorschriften bedeutet dies insbesondere, dass der Hersteller auch dann, wenn er harmonisierte Normen anwendet, die alleinige Verantwortung für die Beurteilung aller mit seinem Produkt verbundenen Risiken trägt und daher bestimmen muss, welche der wesentlichen (oder sonstigen) Anforderungen von ihm einzuhalten sind. Nach dieser Beurteilung kann sich der Hersteller für die Anwendung von Spezifikationen aus harmonisierten Normen entscheiden, um "Maßnahmen zur Risikominderung" 166 umzusetzen, die in den harmonisierten Normen festgelegt sind. Ungeachtet der Tatsache, dass bei den risikobezogenen Harmonisierungsrechtsvorschriften in den harmonisierten Normen in den meisten Fällen bestimmte Mittel zur Begrenzung oder Beseitigung von Risiken festgelegt sind, tragen die Hersteller die alleinige Verantwortung für die Risikobeurteilung, was von ihnen verlangt, die jeweiligen Risiken zu erkennen, festzustellen, welche der wesentlichen Anforderungen zu erfüllen sind und dementsprechend die harmonisierten Normen oder andere Spezifikationen auszuwählen, die für den konkreten Fall anwendbar sind.
Die Funktion harmonisierter Normen bei der Einhaltung der vom Hersteller ermittelten, anwendbaren wesentlichen Anforderungen - ein allgemeines Schema jener Fälle, in denen der Hersteller ermitteln muss, welche wesentlichen Anforderungen anwendbar sind:
Wenn in harmonisierten Normen die wesentlichen Anforderungen, die abgedeckt werden sollen, nicht in ausreichender Klarheit aufgeführt sind, büßen sie ihre Nützlichkeit für die Hersteller ein, da bei der Rechtssicherheit hinsichtlich des tatsächlichen "Umfangs der Konformitätsvermutung" mit Abstrichen gerechnet werden muss. Eine unklare oder falsche Darstellung der wesentlichen Anforderungen, die abgedeckt werden sollen, kann in bestimmten Fällen zur Erhebung formeller Einwände gegen harmonisierte Normen führen (siehe Abschnitt 4.1.2.5). Wenn eine harmonisierte Norm nur einen Teil der vom Hersteller als anwendbar festgestellten, wesentlichen Anforderungen oder nur bestimmte Aspekte davon abdeckt, muss er üblicherweise andere einschlägige technische Spezifikationen verwenden oder Lösungen im Einklang mit dem allgemeinen Stand der Technik oder Wissenschaft, der in der Literatur niedergelegt ist, entwickeln, um die wesentlichen Anforderungen der betreffenden Rechtsvorschriften zu erfüllen. Ähnlich ist es, wenn ein Hersteller beschließt, nicht alle Bestimmungen einer harmonisierten Norm anzuwenden, die normalerweise eine Konformitätsvermutung begründen würde. In diesem Fall muss er auf der Grundlage seiner Risikobewertung in seinen technischen Unterlagen angeben, wie Konformität gesichert wird oder dass einschlägige wesentliche Anforderungen auf sein Produkt nicht anwendbar seien.
Gelegentlich können Normen Fehler enthalten oder unterschiedliche Lesarten zulassen. Stellt ein Hersteller einen solchen Fehler oder eine solche Ungenauigkeit fest, sollte er zuerst mit den nationalen Normungsorganisationen in Kontakt treten und Klärung erbitten.
4.1.2.3. Verfahren zur Festlegung von die Konformitätsvermutung begründenden harmonisierten Normen
Das allgemeine Verfahren zur Festlegung von die Konformitätsvermutung begründenden harmonisierten Normen ist in Fließdiagramm 1 beschrieben.
Bevor mit der Vorbereitung eines Auftrags zur Ausarbeitung von harmonisierten Normen begonnen wird, müssen Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union vorliegen oder in Vorbereitung sein 167, in denen harmonisierte Normen als Mittel zur Einhaltung der wesentlichen oder sonstigen Anforderungen vorgesehen sind, d. h., der Gesetzgeber hat seine politische Zustimmung zur Erarbeitung und Veröffentlichung von harmonisierten Normen innerhalb des Rechtsrahmens der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 bereits gegeben.
Ablaufdiagramm 1 Verfahren zur Festlegung von die Konformitätsvermutung begründenden harmonisierten Normen
4.1.2.4. Die Konformitätsvermutung
Harmonisierte Normen begründen eine Vermutung der Konformität mit den wesentlichen Anforderungen, die sie abdecken, wenn ihre Referenzen im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden sind. Die Referenzen der harmonisierten Normen werden als Mitteilungen der Kommission in der Reihe C des Amtsblatts der Europäischen Union veröffentlicht. 173
Europäische Normen einschließlich der harmonisierten Normen beruhen oftmals gänzlich oder teilweise auf internationalen ISO- oder IEC-Normen. Gelegentlich ist eine Konformitätsvermutung allerdings nur mit der europäischen Fassung möglich, weil diese in bestimmten Punkten abgeändert wurde.
Die Veröffentlichung der Referenz im Amtsblatt hat zum Ziel, das Datum festzusetzen, ab dem die Konformitätsvermutung wirksam wird. Die Veröffentlichung der Referenz harmonisierter Normen stellt einen Verwaltungsakt dar, der ohne weitere Konsultation der Mitgliedstaaten oder der einschlägigen sektoralen Ausschüsse durchgeführt wird. Damit ist das Endziel der in Auftrag gegebenen harmonisierten Norm erreicht, zugleich handelt es sich um den Endpunkt des Verfahrens, das mit der Erteilung des entsprechenden Auftrags der Kommission begann. Bevor die Kommission die Referenz veröffentlicht, muss sie allerdings zusammen mit den europäischen Normungsorganisationen gemäß Artikel 10 Absatz 5 der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 beurteilen, ob die Bedingungen des gegebenen Auftrags erfüllt sind und die harmonisierte Norm die wesentlichen oder sonstigen Anforderungen, die sie abdecken soll 174, tatsächlich abdeckt.
Die Veröffentlichung der Referenz ist kein automatischer Vorgang, da die Kommission zuvor bestimmte Prüfungen und Bewertungen vornehmen muss. Die Kommission kann die Veröffentlichung der Referenz ablehnen oder in manchen Fällen bestimmte Einschränkungen festlegen, die zusammen mit der Referenz veröffentlicht werden.
In Fällen, in den das Verfahren des formellen Einwands bereits in die Wege geleitet wurde, bestehen im Sinne von Artikel 11 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 Zweifel, ob eine harmonisierte Norm den Anforderungen, die sie abdecken soll, voll genügt. Aufgrund dieser Zweifel kann die Kommission die Referenz gemäß Artikel 10 Absatz 6 der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 nicht veröffentlichen, sodass ein Durchführungsbeschluss der Kommission nach Maßgabe von Artikel 11 Absatz 1 erforderlich wird.
Aber auch in anderen Fällen kann es vorkommen, dass die Referenz nicht veröffentlicht wird. So kann aus der Prüfung gemäß Artikel 10 Absatz 5 hervorgehen, dass die Aufgabenstellung des erteilten Auftrags nicht ordnungsgemäß erfüllt wurde oder die Norm offensichtliche Fehler enthält. In diesen Fällen sind die Voraussetzungen für die Einleitung des Einwandverfahrens nach Artikel 11 175 der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 in der Regel nicht gegeben.
Hier einige Beispiele für sonstige Gründe für die Nichtveröffentlichung: Die Norm ist von dem entsprechenden Auftrag nicht abgedeckt; die von der Norm abgedeckten Produkte liegen nicht im Anwendungsbereich der entsprechenden Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union; in der Norm fehlen Angaben dazu, welche rechtlichen (wesentlichen) Anforderungen sie abdeckt 176; die Norm deckt nicht die rechtlichen (wesentlichen) Anforderungen ab, die sie abdecken soll; die Norm enthält Spezifikationen, die den wesentlichen Anforderungen nicht entsprechen und die nicht eindeutig von den Spezifikationen getrennt sind, die den wesentlichen Anforderungen entsprechen; die Norm deckt andere rechtliche Anforderungen ab als die im Auftrag genannten Anforderungen; die Norm enthält normative Verweise auf andere Spezifikationen, die wegen ihres Ursprungs oder des Fehlens eines angemessenen Konsensbildungsprozesses während ihrer Annahme nicht akzeptiert werden können, oder die normativen Verweise sind noch nicht zugänglich; andere Gründe wegen der Nichtbefolgung der Geschäftsordnung der europäischen Normungsorganisationen oder Missachtung der Anforderungen der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 im Verlauf der Erarbeitung einer einschlägigen harmonisierten Norm.
In diesen Fällen gewährleistet die Kommission durch die Nichtveröffentlichung eine korrekte Anwendung der einschlägigen Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union und ein kohärentes und einwandfreies Funktionieren des Binnenmarktes. Hier kann die Kommission die zuständigen europäischen Normungsorganisationen lediglich ersuchen, die entsprechenden Normen unter Zugrundelegung der vereinbarten Anforderungen aus dem entsprechenden Auftrag und sonstiger anerkannter und vereinbarter Grundsätze, nach denen sich die Arbeit dieser Organisationen auszurichten hat, zu korrigieren. In einigen Fällen kann die Kommission erwägen, die Veröffentlichung der Referenz mit einer Einschränkung zu versehen, wobei zu bedenken ist, dass es bei diesen Einschränkungen keine Überschneidungen geben darf mit Gründen, die zur Einleitung des Verfahrens des formellen Einwands Anlass geben. Die Begründung der Nichtveröffentlichung ergibt sich aus dem einschlägigen Auftrag, doch kann die Kommission die Veröffentlichung auch ablehnen, um das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes sicherzustellen.
Die Anwendung der im Amtsblatt der Europäischen Union angeführten harmonisierten Normen, die eine Konformitätsvermutung begründen, ist freiwillig 177. Der Hersteller entscheidet, ob er auf harmonisierte Normen Bezug nehmen will. Falls sich der Hersteller jedoch dafür entscheidet, harmonisierte Normen anzuwenden, muss er unter Verwendung weiterer Mittel seiner Wahl (z.B. mithilfe bestehender technischer Spezifikationen einschließlich aller anderen verfügbaren Normen) nachweisen, dass seine Produkte die wesentlichen Anforderungen erfüllen. Wendet der Hersteller nur einen Teil der harmonisierten Norm an oder deckt die entsprechende harmonisierte Norm nicht alle einzuhaltenden wesentlichen Anforderungen voll ab, so besteht die Konformitätsvermutung nur in dem Ausmaß, in dem die harmonisierte Norm den wesentlichen Anforderungen entspricht. Aus diesem Grund müssen harmonisierte Normen stets eindeutige und korrekte Informationen über die rechtlichen (wesentlichen) Anforderungen enthalten, die sie abdecken.
Die Einhaltung harmonisierter Normen stellt nach bestimmten Harmonisierungsrechtsakten der Union eine Option dar, die von Bedeutung für die anwendbaren Konformitätsbewertungsverfahren ist und gelegentlich die Möglichkeit der Konformitätsbewertung ohne Beteiligung Dritter bietet oder eine größere Auswahl an Verfahren eröffnet 178.
4.1.2.5. Rücknahme, Einschränkung oder Verhinderung der Konformitätsvermutung
Die Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 enthält eine Bestimmung, der zufolge die Veröffentlichung von harmonisierten Normen im Amtsblatt der Europäischen Union angefochten werden kann. 179 Dies kann im Vorfeld der Veröffentlichung der Referenz einer harmonisierten Norm im Amtsblatt der Europäischen Union vorkommen oder im Fall einer harmonisierten Norm, deren Referenz bereits im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurde.
Ist in beiden Fällen ein Mitgliedstaat oder das Europäische Parlament 180 der Auffassung, dass eine harmonisierte Norm den Anforderungen nicht voll entspricht, die sie abdecken soll und die in den einschlägigen Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union enthalten sind, so ist die Kommission hiervon in Kenntnis zu setzen. Nach Konsultation der Mitgliedstaaten 181 kann die Kommission einen Durchführungsbeschluss dahin gehend annehmen,
Auf jeden Fall muss die Kommission auf ihrer Website 182 Informationen über die von Durchführungsbeschlüssen betroffenen harmonisierten Normen veröffentlichen.
Als Teil ihrer Zuständigkeiten und Pflichten gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 und der einschlägigen sektoralen Rechtsvorschriften kann die Kommission auch von sich aus Durchführungsbeschlüsse erarbeiten und vorschlagen, um Einwände gegen harmonisierte Normen vorzubringen. Ergreift ein Mitgliedstaat Maßnahmen im Rahmen der Schutzklausel 183 gegen ein Produkt, bei dem Konformität mit einer harmonisierten Norm besteht, und wird diese Schutzmaßnahme als gerechtfertigt angesehen, so ist die Kommission ebenfalls verpflichtet, einen Einwand gegen die entsprechende harmonisierte Norm vorzubringen.
Das Verfahren zur Anfechtung einer harmonisierten Norm und sein Ausgang haben keinen Einfluss auf ihren Fortbestand als harmonisierte Norm oder als europäische Norm, da nur europäische Normungsorganisationen Entscheidungen über die Überarbeitung oder Rücknahme ihrer Schriftstücke treffen können. Dieses Einspruchsverfahren gibt dem Gesetzgeber die Möglichkeit, kontrollierend auf die Konformitätsvermutung einzuwirken, d. h. die rechtliche Wirkung der Veröffentlichung der Referenz einer harmonisierten Norm im Amtsblatt der Europäischen Union zu steuern. Das Verfahren kann nur zur Rücknahme, Einschränkung oder Verhinderung einer solchen Veröffentlichung führen. In den beiden erstgenannten Fällen heißt das, dass die fragliche Norm keine Konformitätsvermutung mit den wesentlichen Anforderungen mehr begründet oder dass die Konformitätsvermutung eingeschränkt ist. Im letztgenannten Fall (Verhinderung) entsteht aus der Norm erst gar keine die Konformitätsvermutung begründende harmonisierte Norm.
Eine harmonisierte Norm kann nach ihrer Annahme durch CEN, Cenelec oder ETSI als europäische Norm jederzeit angefochten werden.
Darüber hinaus kann die Referenz von der Kommission ohne formelles Einwandverfahren in bestimmten Ausnahmefällen, wenn die einschlägige Ausgabe einer harmonisierten Norm von der europäischen Normungsorganisation selbst nicht mehr überarbeitet oder aktualisiert wird und die Normungsorganisation selbst sie nicht mehr als Norm ansieht, aus dem Amtsblatt der EU entfernt werden. Das betrifft z.B. folgende Fälle: Die betreffende harmonisierte Norm wurde von der zuständigen europäischen Normungsorganisation zurückgenommen, ohne dass die Absicht besteht, eine überarbeitete harmonisierte Norm anzunehmen; die nationalen Normen zur Umsetzung der harmonisierten Norm sind nicht mehr als nationale Normen verfügbar oder gültig. Das Konzept der wesentlichen Anforderungen beruht auf der Annahme, dass die harmonisierten Normen den allgemein anerkannten Stand der Technik widerspiegeln und die europäischen Normungsorganisationen Normen regelmäßig überarbeiten. Wenn offensichtlich ist, dass eine harmonisierte Norm von der zuständigen europäischen Normungsorganisation selbst nicht mehr als harmonisierte Norm anerkannt wird oder die Norm nicht mehr überarbeitet wird oder nicht mehr als nationale Norm verfügbar ist, kann ein solches Dokument in der Regel nicht mehr für die Konformitätsvermutung herangezogen werden. Der Zweck von Artikel 11 der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 ist es, ein Verfahren zur Verfügung zu stellen, um geltende harmonisierte Normen, nicht aber zurückgenommene harmonisierte Normen oder Entwürfe für harmonisierte Normen anzufechten, die nicht als angenommene europäische Normen im Zusammenhang mit den Definitionen in Artikel 2 der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 anzusehen sind.
Ein weiterer besonderer Sachverhalt, bei dessen Vorliegen die Kommission möglicherweise ohne formellen Einwand Referenzen aus dem Amtsblatt der EU entfernen muss, betrifft Fälle, in denen die Veröffentlichung im Amtsblatt der EU irrtümlich erfolgt oder wenn die Referenz eines Dokuments, das nicht als harmonisierte Norm anzusehen ist, veröffentlicht wird. Letzteres kann auch Fälle betreffen, in denen die Norm nicht von einem Normungsauftrag abgedeckt ist, oder die Norm keine wesentlichen Anforderungen erfüllt oder die Norm von der zuständigen europäischen Normungsorganisation nicht unter Einhaltung der anerkannten Normungsgrundsätze korrekt angenommen wurde.
Gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 ist die Kommission verpflichtet, die Interessenträger 184 über alle schwebenden formellen Einwände gegen harmonisierte Normen zu informieren, bevor formelle Entscheidungen getroffen werden.
4.1.2.6. Überarbeitung harmonisierter Normen
In harmonisierten Normen werden die wesentlichen Anforderungen in detaillierte technische Spezifikationen, Messverfahren zur Bewertung und/oder Erklärung der Konformität mit wesentlichen Anforderungen und - in einigen Fällen - Zahlenwerte zur Gewährleistung der Konformität mit wesentlichen Anforderungen umgesetzt. Wie alle technischen Dokumente unterliegen sie Änderungen oder, anders gesagt, Überarbeitungen.
Der formale Beschluss über die Überarbeitung einer harmonisierten Norm wird grundsätzlich von den europäischen Normungsorganisationen getroffen. Dies erfolgt aus eigener Veranlassung 185 oder nach einem direkten Normungsauftrag der Kommission bzw. mittelbar aufgrund eines Kommissionsbeschlusses nach einem formellen Einwand. Die Notwendigkeit der Überarbeitung kann aufgrund von Änderungen im Anwendungsbereich des Harmonisierungsrechtsakts der Union entstehen (wie der Ausweitung des Anwendungsbereichs auf andere Produkte oder die Anpassung der wesentlichen Anforderungen), aufgrund der Tatsache, dass die Kommission oder ein Mitgliedstaat Einwände gegen den Inhalt der harmonisierten Norm erhebt und zu verstehen gibt, dass sie nicht mehr die Konformität mit wesentlichen Anforderungen begründen könne, oder als Ergebnis der technischen Entwicklung.
Die Überarbeitung einer harmonisierten Norm muss auf der Grundlage eines Normungsauftrags erfolgen, damit die Möglichkeit der Begründung der Konformitätsvermutung gegeben ist. Sofern nichts anderes vorliegt, gelten die Bedingungen des ursprünglichen Auftrags auch für die Überarbeitung der harmonisierten Norm. Dies schließt die Möglichkeit eines neuen Auftrags nicht aus, insbesondere wenn die Überarbeitung mit Unzulänglichkeiten hinsichtlich der wesentlichen Anforderungen zusammenhängt.
Um die Konformitätsvermutung zu begründen, muss die überarbeitete Norm den allgemeinen Bedingungen gemäß den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union entsprechen: Die Norm beruht auf einem Normungsauftrag, sie wird der Kommission von der zuständigen europäischen Normungsorganisation vorgelegt und ihre Referenz von der Kommission im Amtsblatt veröffentlicht.
Entsprechend ihrer Geschäftsordnung legt die zuständige europäische Normungsorganisation für die nationalen Normungsgremien den letzten Zeitpunkt für die Rücknahme der ersetzten Fassung der nationalen Norm fest - in diesem Fall der nationalen Normen zur Umsetzung der früheren Fassung der harmonisierten Norm. Der Übergangszeitraum, während dessen sowohl die zurückgezogene harmonisierte Norm als auch die überarbeitete harmonisierte Norm eine Konformitätsvermutung begründen dürfen, wird von der Kommission festgesetzt und im Amtsblatt veröffentlicht. In der Regel handelt es sich dabei um den Zeitraum zwischen dem Datum der Veröffentlichung der Referenz der neuen Fassung der Norm im Amtsblatt und dem Datum der Rücknahme der im Widerspruch stehenden nationalen Normen, d. h. der nationalen Normen zur Umsetzung der früheren Fassung der harmonisierten Norm. Die Kommission ist dafür zuständig, sicherzustellen, dass diese Übergangszeiträume ausreichend lang sind und für alle harmonisierten Normen kohärent festgesetzt werden. Nach dem Übergangszeitraum begründet nur noch die überarbeitete Norm die Konformitätsvermutung.
Die Kommission kann aus Sicherheits- oder sonstigen Gründen beschließen, dass die ersetzte Fassung der harmonisierten Norm ihre Eigenschaft zur Begründung der Konformitätsvermutung bereits vor dem von der zuständigen europäischen Normungsorganisation gesetzten Rücknahmedatum oder erst später verliert. In diesen Fällen setzt die Kommission ein früheres oder späteres Datum fest, nach dem die zurückgenommene harmonisierte Norm keine Konformitätsvermutung mehr begründet, und veröffentlicht diese Information im Amtsblatt. Falls die Umstände dies erlauben, kann die Kommission die Mitgliedstaaten konsultieren, bevor sie entscheidet, den Zeitraum, in dem beide Fassungen der Norm eine Konformitätsvermutung begründen, zu verkürzen oder zu verlängern.
Bis zum gegenteiligen Beschluss auf der Grundlage eines Vorschlags der Kommission wirkt sich die Entfernung der Referenz einer harmonisierten Norm aus dem Amtsblatt nicht negativ auf die Gültigkeit bestehender, von den notifizierten Stellen ausgestellter Bescheinigungen aus; betroffen ist nur die Konformität, die auf neue Konformitätsbewertungen übertragen wird, die der neuen harmonisierten Norm folgen. Produkte, die entsprechend der alten Bescheinigung hergestellt wurden, können weiterhin mit den wesentlichen Anforderungen konform sein und so lange in Verkehr gebracht werden, bis die Gültigkeitsdauer der jeweiligen von den notifizierten Stellen ausgestellten Bescheinigungen ausläuft. Die Hersteller müssen jedoch das Ausmaß der Änderungen gegenüber der ersetzten Fassung der Norm beurteilen. Die Art der vom Hersteller zu ergreifenden Maßnahmen ist abhängig von der Art der Änderungen der harmonisierten Normen und insbesondere davon, ob diese Änderungen in Bezug auf die Erfüllung der wesentlichen Anforderungen erheblich sind und ob sie das Produkt betreffen. Darüber hinaus hält sich die notifizierte Stelle über alle Änderungen des allgemein anerkannten Stands der Technik auf dem Laufenden; deuten diese darauf hin, dass das zugelassene Baumuster nicht mehr den anwendbaren Anforderungen entspricht, entscheidet sie, ob derartige Änderungen weitere Untersuchungen nötig machen. Ist dies der Fall, setzt die notifizierte Stelle den Hersteller davon in Kenntnis. Die Referenz der überarbeiteten harmonisierten Norm, die Informationen über die ersetzte Fassung der harmonisierten Norm und das Datum, an dem die Konformitätsvermutung der ersetzten Fassung der Norm erlischt, werden zusammen im Amtsblatt veröffentlicht. Es liegt im Interesse des Herstellers, in jeder Veröffentlichung der Liste harmonisierter Normen zu prüfen, ob die harmonisierten Normen noch gültig sind, anhand deren er die Konformität seines Produkts bewertet hat. Das ist besonders wichtig in Fällen, in denen der Hersteller selbst die Konformität erklärt (bei der internen Produktionskontrolle) und er sichergehen will, dass die Konformitätsvermutung für die in Verkehr gebrachten Produkte von Dauer ist.
Im Rahmen der Leitlinien 186, die zwischen der Kommission und den europäischen Normungsorganisationen vereinbart wurden, wird erwartet, dass alle überarbeiteten harmonisierten Normen spezifische Informationen über wesentliche Änderungen von überarbeiteten oder geänderten harmonisierten Normen enthalten sollten und diese Informationen von den Normungsorganisationen (kostenlos) öffentlich verfügbar gemacht werden sollten.
Eine harmonisierte Norm kann normative Verweise auf andere Normen enthalten. Durch diese Verweise werden die anderen Normen oder deren Teile für die Anwendung einer gegebenen harmonisierten Norm unerlässlich. Beim Erstellen dieser normativen Verweise auf andere Normen kommt die Geschäftsordnung der europäischen Normungsorganisationen zur Anwendung. Aufgrund der Natur der harmonisierten Normen sollten undatierte Verweise auf andere Normen, mit deren Festlegungen wesentliche oder sonstige rechtliche Anforderungen abgedeckt werden sollen, in der Regel nicht verwendet werden. Undatierte Verweise können dazu führen, dass Änderungen von Spezifikationen in einer harmonisierten Norm und die Begründung der Konformitätsvermutung unkontrolliert und intransparent verlaufen, d. h., es fehlt die Möglichkeit der Steuerung der Änderungen an den normativen Verweisen im Sinne von Artikel 10 Absatz 6 der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012, obwohl diese Änderungen de facto eine Überarbeitung einer harmonisierten Norm (eines Teils davon) darstellen.
4.1.3. Konformität mit den wesentlichen Anforderungen: Andere Möglichkeiten
|
Die Anwendung harmonisierter Normen stellt nicht das einzige Mittel dar, um die Konformität eines Produkts nachzuweisen - allerdings bieten nur die harmonisierten Normen 187 nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union automatisch die Vermutung der Konformität mit den von diesen Normen abgedeckten wesentlichen Anforderungen.
Gemäß einigen Harmonisierungsrechtsakten der Union können nationale Normen - als Übergangsmaßnahme - die Konformitätsvermutung begründen, sofern keine harmonisierte Norm denselben Bereich regelt. 188 Die Mitgliedstaaten können der Kommission den Wortlaut dieser nationalen Normen, die ihrer Ansicht nach den wesentlichen Anforderungen entsprechen, vorlegen. Nach Konsultation der Mitgliedstaaten 189 teilt die Kommission den Mitgliedstaaten mit, ob die nationale Norm die Konformitätsvermutung begründen soll. Bei einem positiven Urteil obliegt es den Mitgliedstaaten, die Fundstellen dieser Normen zu veröffentlichen. Die Referenz wird auch im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Dieses Verfahren kam bisher nicht zur Anwendung, um der Entwicklung der europäischen Normen absoluten Vorrang einzuräumen.
Der Hersteller entscheidet, ob er harmonisierte Normen anwenden und auf sie Bezug nehmen will. Falls sich der Hersteller aber dafür entscheidet, keine harmonisierten Normen zu befolgen, ist es seine Pflicht, unter Verwendung anderer Mittel seiner Wahl, die den von den geltenden Rechtsvorschriften verlangten Umfang an Sicherheit oder Schutz anderer Interessen bieten, nachzuweisen, dass seine Produkte die wesentlichen Anforderungen erfüllen. Dabei kann es sich um technische Spezifikationen wie nationale Normen, europäische oder internationale Normen, die nicht harmonisiert, d. h. nicht im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht sind, oder um eigene Spezifikationen des Herstellers handeln. In diesen Fällen genießt der Hersteller nicht den Vorteil der Konformitätsvermutung, sondern muss die Konformität selbst nachweisen. Das bedeutet, dass er in den technischen Unterlagen zu dem betreffenden Produkt detailliert darstellt, wie die von ihm angewandten technischen Spezifikationen die Konformität mit den wesentlichen Anforderungen sicherstellen. 190
An dieser Stelle muss betont werden, dass die Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union für Produkte die Anwendung von harmonisierten Normen nicht generell vorschreiben. Nur die wesentlichen Anforderungen sind rechtsverbindlich, doch haben die Hersteller die Möglichkeit, Normen und technische Spezifikationen ihrer Wahl anzuwenden, auch wenn nur die harmonisierten Normen die Konformitätsvermutung begründen.
Des Weiteren kann auch in Fällen, in denen der Hersteller keine harmonisierten Normen verwendet, eine Änderung der einschlägigen harmonisierten Norm auf eine Änderung beim Stand der Technik hinweisen, was zu der Schlussfolgerung führt, dass das Produkt nicht mehr konform ist.
4.2. Anforderungen an die Rückverfolgbarkeit
|
4.2.1. Warum ist Rückverfolgbarkeit wichtig?
Als Rückverfolgbarkeit wird die Fähigkeit bezeichnet, dem Werdegang eines Produkts nachzugehen.
Aus Sicht des Gesetzgebers ist Rückverfolgbarkeit wichtig, weil sie eine wirksame Durchsetzung mithilfe von Korrekturmaßnahmen seitens der Marktaufsicht - zum Beispiel durch Rücknahme und Rückruf - ermöglicht. Dadurch können unsichere oder nichtkonforme Produkte in der Vertriebskette aufgespürt und die Aufgaben und Verantwortungsbereiche der Wirtschaftsakteure der gesamten Kette ermittelt werden. Mithilfe der Rückverfolgbarkeit können die Marktaufsichtsbehörden in bestimmten Fällen Produkte bis ans Fabriktor und von der Fabrik bis zum Endbenutzer zurückverfolgen.
Aus Sicht des Herstellers ist Rückverfolgbarkeit wichtig, weil sie eine wirksame Überwachung des Produktionsprozesses und der Lieferanten vor der Vermarktung der Produkte sowie die Kontrolle der entsprechenden Vertriebskette nach dem Inverkehrbringen der Produkte ermöglicht. Bei Nichtkonformität von Produkten können die Hersteller in Abhängigkeit von der Ausgereiftheit ihres Rückverfolgungssystems die Auswirkungen von Rückrufen oder Rücknahmen mindern.
4.2.2. Bestimmungen über die Rückverfolgbarkeit
In den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union wird zwar vorgeschrieben, was mit der Rückverfolgbarkeit erreicht werden soll, aber nicht, wie dies zu erfolgen hat. Folglich enthalten die Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union Anforderungen an die Rückverfolgbarkeit der auf dem Markt bereitgestellten Produkte, schreiben aber nicht vor, wie diese Anforderungen erreicht oder umgesetzt werden müssen. Darüber hinaus sind die Vorschriften technologieneutral, legen also nicht fest, welche Technologie (beispielsweise Aufdrucken oder -pressen) anzuwenden ist. Die Hersteller sollten sich für das Rückverfolgungssystem entscheiden, das ihrer Ansicht nach am geeignetsten für ihre Produkte und ihr Herstellungs- und Vertriebssystem ist.
Eine wesentliche Anforderung in Bezug auf die Rückverfolgbarkeit besteht in der Angabe des Namens und der Anschrift des Herstellers bzw. bei importierten Produkten auch des Einführers auf dem Produkt. Dadurch können die Marktaufsichtsbehörden gegebenenfalls schnell mit dem Wirtschaftsakteur in Kontakt treten, der für das Inverkehrbringen eines unsicheren oder nichtkonformen Produkts auf dem Unionsmarkt verantwortlich ist.
Es ist nicht ausdrücklich vorgeschrieben, dass den Anschriften die Formulierungen "Hergestellt von", "Importiert von" oder "Vertreten durch" voranzustellen sind. Diese Informationen dürfen allerdings weder den Endbenutzer noch die Marktaufsichtsbehörden hinsichtlich des Herstellungsortes und der Anschrift der einzelnen Wirtschaftsakteure irreführen. 191 Sind diese Formulierungen nicht vorhanden, so entscheiden die Marktüberwachungsbehörden, welche Rolle die einzelnen Wirtschaftsbeteiligten spielen. Es obliegt dann dem Wirtschaftsbeteiligten, nachzuweisen, dass ihm eine andere Rolle zukommt.
Die Formulierungen "Hergestellt von", "Importiert von" oder "Vertreten durch" brauchen nicht in die eigentlich vorgeschriebenen Sprachen übersetzt zu werden, da sie in allen EU-Amtssprachen leicht verständlich sind. Diese Formulierungen gelten als in allen EU-Amtssprachen leicht verständlich.
In der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 über die Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung im Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten und dem Beschluss Nr. 768/2008/EG über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für die Vermarktung von Produkten sind die derzeit anzuwendenden Verfahren für die Rückverfolgung durch eine spezielle Kennzeichnung festgelegt. Die in den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union wiedergegebenen Musterbestimmungen des Beschlusses Nr. 768/2008/EG schreiben Folgendes vor:
4.2.2.1. Die Verpflichtung der Hersteller zur Angabe von Namen und Anschrift
Die Hersteller müssen Folgendes angeben: 1) ihren Namen, 2) ihren eingetragenen Handelsnamen oder ihre eingetragene Handelsmarke und 3) ihre Kontaktanschrift entweder auf dem Produkt selbst oder, wenn dies nicht möglich ist, auf der Verpackung oder in den dem Produkt beigefügten Unterlagen.
In der Regel sind Name und Anschrift auf dem Produkt anzubringen. Wenn diese generelle Regel nicht befolgt werden kann, dürfen sie jedoch ausnahmsweise an anderer Stelle als auf dem Produkt angebracht werden. Gerechtfertigt ist diese Vorgehensweise beispielsweise, wenn die Anbringung auf dem Produkt unter zumutbaren technischen oder wirtschaftlichen Bedingungen - ausgenommen ästhetische Gründe - nicht möglich ist. Die entsprechende Einstufung ist vom Hersteller vorzunehmen. Die entsprechende Einstufung ist vom Hersteller je nach Größe oder Eigenschaft des Produkts vorzunehmen 197. Einige Produkte, wie beispielsweise Hörgeräte, Sensoren o. Ä., sind zu klein, als dass diese Angaben auf ihnen angebracht werden könnten. In diesen Fällen gilt als Rangfolge, dass die Angaben zunächst möglichst auf der Verpackung angebracht werden sollten, als zweite Möglichkeit auf einem Begleitdokument, außer wenn die einschlägigen Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union vorschreiben, dass sie sowohl auf der Verpackung anzubringen als auch in den Begleitunterlagen anzugeben sind.
Diese Verpflichtung muss der Hersteller ungeachtet des Ortes, an dem er (in der EU oder einem Drittland) ansässig ist, einhalten. Dies bedeutet, dass auf ohne Verpackung oder Begleitunterlagen verkauften Produkten Name und Anschrift des Herstellers auf dem Produkt selbst angebracht sein müssen.
In der Anschrift muss eine zentrale Stelle angegeben sein, unter der der Hersteller kontaktiert werden kann, insbesondere von den Marktüberwachungsbehörden. Der Hersteller ist rechtlich verpflichtet, auf dem Produkt eine solche zentrale Stelle anzugeben. Je Produkt ist nur eine zentrale Stelle zulässig. Dies ist nicht notwendigerweise die Anschrift, an der der Hersteller tatsächlich seinen Sitz hat. Dies kann beispielsweise die Anschrift eines Bevollmächtigten oder des Kundendienstes sein.
Es ist nicht erforderlich, dass in jedem Mitgliedstaat, in dem das Produkt bereitgestellt wird, eine zentrale Stelle eingerichtet ist. Der Hersteller kann weitere Anschriften 198 angeben, sofern klar ist, welche davon die zentrale Stelle ist. Diese ist dann auf dem Produkt/in den Unterlagen als "zentrale Stelle" anzugeben. Die Anschrift oder das Land müssen nicht unbedingt in die Sprache des Mitgliedstaats, in dem das Produkt auf dem Markt bereitgestellt wird, übersetzt werden; allerdings müssen die Schriftzeichen der benutzten Sprache es ermöglichen, die Herkunft und den Namen des Unternehmens festzustellen.
Eine Webseite gilt als zusätzliche Angabe, reicht als Anschrift jedoch nicht aus. Normalerweise besteht eine Anschrift aus Straße und Hausnummer oder Postfach und Nummer sowie der Postleitzahl und dem Ort; dies ist jedoch nicht in allen Ländern der Fall.
4.2.2.2. Die Pflicht der Einführer zur Angabe von Namen und Anschrift
Die Einführer müssen ebenfalls Folgendes angeben: 1) ihren Namen, 2) ihren eingetragenen Handelsnamen oder ihre eingetragene Handelsmarke und 3) ihre Kontaktanschrift entweder auf dem Produkt selbst oder, wenn dies nicht möglich ist, auf der Verpackung oder in den dem Produkt beigefügten Unterlagen. Es handelt sich um eine Anschrift, unter der der Einführer kontaktiert werden kann, insbesondere von den Marktüberwachungsbehörden. Dies ist nicht notwendigerweise die Anschrift, an der der Einführer tatsächlich seinen Sitz hat, es kann sich jedoch beispielsweise um die des Kundendienstes handeln.
In der Regel sind die Angaben und die Anschrift des Einführers auf dem Produkt anzubringen. Nur wenn dies nicht möglich ist, sollen die Bezeichnung und die Anschrift des Einführers auf der Verpackung oder in den dem Spielzeug beigefügten Unterlagen angegeben werden. Dies gilt etwa dann, wenn der Einführer eine Verpackung öffnen müsste, um seinen Namen und seine Anschrift anzubringen. Die zusätzlichen Angaben des Einführers dürfen die vom Hersteller auf dem Produkt angebrachten Angaben nicht verdecken.
Eine Webseite gilt als zusätzliche Angabe, reicht als Kontaktanschrift jedoch nicht aus. Normalerweise besteht eine Anschrift aus Straße und Hausnummer oder Postfach und Nummer sowie der Postleitzahl und dem Ort; dies ist jedoch nicht in allen Ländern der Fall.
Auf einem Produkt müssen stets Name und Anschrift des Herstellers angegeben sein. Auf eingeführten Produkten sind auch der Name und die Anschrift des Einführers anzugeben. Daher sind auf einem Produkt üblicherweise eine oder zwei Anschriften angegeben 199:
4.2.2.3. Identifikationskennzeichen
Das Produkt muss eine typen-, Chargen-, Serien- oder Modellnummer oder ein anderes Kennzeichen zu seiner Identifikation tragen. Die Kennzeichnung ist in der Regel auf dem Produkt anzubringen. Wenn diese generelle Regel nicht befolgt werden kann, dürfen sie jedoch ausnahmsweise an anderer Stelle als auf dem Produkt angebracht werden. Gerechtfertigt ist diese Vorgehensweise, wenn die Größe und/oder die Eigenschaft des Produkts die Angaben unlesbar oder technisch unmöglich machen würden 202. In solchen Fällen ist die Kennzeichnung auf der Verpackung, sofern vorhanden, und/oder den Begleitunterlagen anzubringen. Die Kennzeichnung darf nicht aus rein ästhetischen oder wirtschaftlichen Gründen weggelassen oder vom Produkt auf die Verpackung oder die Begleitunterlagen verlagert werden. Die entsprechende Einstufung ist vom Hersteller vorzunehmen.
Diese Bestimmung impliziert, dass die Kennzeichnung auf dem Produkt selbst angebracht werden muss, wenn dieses nicht verpackt ist oder ihm kein Begleitdokument beigefügt ist.
Durch diese Verpflichtung wird den Herstellern freigestellt, welches Kennzeichen sie zur Identifikation des Produkts wählen, solange die Rückverfolgbarkeit gewährleistet ist. Das benutzte Identifikationskennzeichen muss eine eindeutige Verbindung zu den einschlägigen Unterlagen herstellen, die die Konformität des spezifischen Produkttyps nachweisen, insbesondere die EU-Konformitätserklärung. Dieses Identifikationskennzeichen des Produkts entspricht dem auf der EU-Konformitätserklärung. Das vom Hersteller gewählte Identifikationskennzeichen ist auch im Falle von Rücknahmen oder Rückrufen wichtig, weil alle Produkte, die das gleiche Identifikationskennzeichen tragen, vom Markt zurückgenommen oder zurückgerufen werden müssen.
In manchen Fällen ist die Anbringung des Identifikationskennzeichens nicht möglich, z.B. wenn ein Produkt aus mehreren Teilen besteht oder aus mehreren Teilen zusammengebaut wurde. In solchen Fällen ist die Kennzeichnung auf der Verpackung (oder in den Begleitunterlagen) anzubringen. Neben der Kennzeichnung mit einem Identifikationskennzeichen auf der Verpackung kann die zusätzliche Kennzeichnung einzelner Produkte/Teile/Bauteile anhand der internen Regelungen des Herstellers und seines Bestrebens erfolgen, das Ausmaß eines potenziellen Rückrufs durch ein fortgeschrittenes System zur Rückverfolgbarkeit der einzelnen Artikel (z.B. durch die Angabe des Chargencodes, des Herstellungsdatums) zu minimieren.
Einige Wirtschaftsakteure versehen ihre Produkte zur Identifikation mit einer Artikelnummer (der "Bestandseinheit" oder "SKU" [Stock keeping unit]). Diese kann neben den anderen Kennzeichen, die die Rückverfolgbarkeit ermöglichen, auch als Identifikationskennzeichen auf der EU-Konformitätserklärung verwendet werden.
Das Produkt besteht aus mehreren Teilen/Bauteilen
Jedes Produkt befindet sich in einer Verpackung, doch können einige Teile/Bauteile auch in einer anderen Verpackung als separate Teile/Bauteile oder in anderen Teile-Bauteile-Kombinationen verkauft werden. Dabei kann es vorkommen, dass manche Teile/Bauteile in diesen Packungen gekennzeichnet werden können, während andere zu klein dafür sind oder eine Form besitzen, die eine Kennzeichnung nicht zulässt. Aus diesen Gründen darf dem Set/der Verpackung eine Artikelnummer zugewiesen werden, die auch auf der EU-Konformitätserklärung verwendet werden darf.
Hauptzweck des Identifikationskennzeichens ist es, die Marktaufsichtsbehörden in die Lage zu versetzen, ein einzelnes Produkt zu identifizieren und es mit einer EU-Konformitätserklärung zu verknüpfen. Wenn sich das Produkt zum Zeitpunkt der Marktüberwachung noch in seiner Verpackung befindet, lässt sich das Kennzeichen leicht identifizieren und somit gewährleisten, dass die entsprechende EU-Konformitätserklärung die betreffende Produkteinheit betrifft. Es wäre komplizierter, die Verpackung öffnen, Kennzeichen auf den einzelnen Artikeln finden und mit einer bestimmten EU-Konformitätserklärung verknüpfen zu müssen.
Das Produkt besteht aus einem aus mehreren Teilen zusammengebauten Artikel
Auch wenn ein Produkt aus nur einem "Artikel" besteht, wird es beim Hersteller häufig aus mehreren Teilen zusammengebaut (wobei nicht vorgesehen ist, dass es vom Verbraucher wieder auseinandergebaut wird). Die Teile, aus denen sich der Artikel (das Produkt) zusammensetzt, werden oft in mehr als einer Produktausführung verwendet. Normalerweise sind einige Teile zu klein für die Anbringung eines Identifikationskennzeichens und ist bei wieder anderen Teilen die Kennzeichnung mit einem Identifikationskennzeichen aus technischen Gründen (unebene, kugelförmige Oberfläche usw.) nicht möglich. Auch in diesen Fällen darf eine Artikelnummer auf der Verpackung angebracht werden, die auf der EU-Konformitätserklärung verwendet werden darf.
Das Produkt besteht aus einem Artikel, der nicht aus mehreren Teilen zusammengebaut wurde
In diesem Fall scheint es einfach zu sein, das Produkt selbst mit einem Identifikationskennzeichen zu versehen, das identisch mit dem auf der EU-Konformitätserklärung ist (d. h. mit der Artikelnummer). Es ist jedoch möglich, dass dasselbe Produkt auch in Kombination mit anderen Produkten/Artikeln als Set verkauft wird. Da zum Zeitpunkt der Herstellung nicht bekannt ist, welcher Artikel "allein" und welcher in einer Verpackung zusammen mit anderen Produkten verkauft wird, ist es einfacher, die der Angabe auf der EU-Konformitätserklärung entsprechende Artikelnummer auf der Verpackung anzugeben. Dies erleichtert den Marktüberwachungsbehörden auch die Verknüpfung des Produkts mit der EU-Konformitätserklärung.
4.2.2.4. Identifikation der Wirtschaftsakteure
Die Wirtschaftsakteure sind verpflichtet, sich nach dem entsprechenden Geschäftsvorgang zehn Jahre lang über die Wirtschaftsakteure auf dem Laufenden zu halten, von denen sie ein Produkt bezogen bzw. an die sie ein Produkt abgegeben haben. Diese Verpflichtung gilt jedoch nicht in Bezug auf die Endbenutzer (Verbraucher), da diese nicht als Wirtschaftsakteure gelten.
In den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union wird nicht vorgeschrieben, wie diese Verpflichtung einzuhalten ist, jedoch sei darauf hingewiesen, dass die Marktaufsichtsbehörden einschlägige Unterlagen wie beispielsweise Rechnungen anfordern können, die Rückschlüsse auf den Ursprung des Produkts ermöglichen. Daher könnte es sinnvoll sein, Rechnungen länger als in den Rechnungslegungsvorschriften vorgeschrieben aufzubewahren und so den Anforderungen an die Rückverfolgbarkeit zu genügen.
4.3. Technische Unterlagen
|
Die Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union verpflichten den Hersteller, technische Unterlagen zu erstellen, die die Angaben enthalten, die zum Nachweis der Konformität des Produkts mit den anzuwendenden Anforderungen erforderlich sind. Diese Unterlagen können Teil der Dokumentation zum Qualitätssicherungssystem in den Fällen sein, in denen die Rechtsvorschriften ein Konformitätsbewertungsverfahren auf der Grundlage eines Qualitätssicherungssystems (Module D, E, H und ihre Varianten) vorsehen. Die technischen Unterlagen müssen unabhängig von der geografischen Herkunft oder dem Standort zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produkts zur Verfügung stehen. 203
Sofern in den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union nicht ausdrücklich eine andere Zeitdauer angegeben ist, müssen die technischen Unterlagen ab dem Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produkts zehn Jahre lang aufbewahrt werden. 204 Verantwortlich dafür ist der Hersteller oder sein in der Union niedergelassener Bevollmächtigter. Da sich der Begriff des "Inverkehrbringens" auf jedes einzelne Produkt bezieht, muss die Frist ab dem Zeitpunkt berechnet werden, zu dem das jeweilige in den technischen Unterlagen erfasste Produkt in Verkehr gebracht wird.
Der Inhalt der technischen Unterlagen ist in jedem einzelnen Harmonisierungsrechtsakt der Union entsprechend den jeweiligen Produkten festgelegt. In der Regel müssen die Unterlagen eine Beschreibung des Produkts und seines Verwendungszwecks enthalten und über den Entwurf, die Fertigung und die Funktionsweise des Produkts Auskunft geben. Die in den Unterlagen enthaltenen Details sind abhängig von der Art des Produkts und davon, was aus technischer Sicht notwendig ist, um den Nachweis zu erbringen, dass das Produkt den wesentlichen Anforderungen der einschlägigen Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union entspricht bzw. - bei Anwendung harmonisierter Normen - den Nachweis zu erbringen, dass das Produkt diesen entspricht, indem die von den Normen abgedeckten wesentlichen Anforderungen angegeben werden. Die Anforderungen gemäß Anhang II des Beschlusses Nr. 768/2008/EG beziehen sich auf den Inhalt der technischen Unterlagen, mit dem die Konformität des Produkts mit den anzuwendenden Harmonisierungsrechtsvorschriften nachgewiesen werden kann. Darüber hinaus verpflichtet die Anforderung der "geeigneten Risikoanalyse und -bewertung" den Hersteller zunächst dazu, alle möglichen Risiken des Produkts festzustellen und die geltenden wesentlichen Anforderungen zu bestimmen. Diese Analysen sind zu dokumentieren und in die technischen Unterlagen aufzunehmen. Darüber hinaus muss der Hersteller die von ihm vorgenommene Beurteilung, wie er die festgestellten Risiken angehen will, um sicherzustellen, dass das Produkt mit den anwendbaren wesentlichen Anforderungen übereinstimmt (z.B. durch Anwendung harmonisierter Normen), dokumentieren. Wird nur eine Teil der harmonisierten Norm angewandt oder deckt diese nicht alle geltenden wesentlichen Anforderungen ab, so sollte auch die Art und Weise, wie mit den nicht abgedeckten wesentlichen Anforderungen umgegangen wird, in den technischen Unterlagen dokumentiert werden.
Wurde ein Produkt umgestaltet und seine Konformität erneut geprüft, sind in den technischen Unterlagen alle Versionen des Produkts zu berücksichtigen; es sind die Veränderungen sowie die Art und Weise, wie sich die verschiedenen Versionen des Produkts erkennen lassen, zu beschreiben und Angaben zu den verschiedenen Konformitätsbewertungen zu machen. Damit soll verhindert werden, dass eine Marktaufsichtsbehörde während der gesamten Lebensdauer eines Produkts mit älteren Versionen des Produkts konfrontiert wird, auf die die beiliegende Fassung der technischen Unterlagen nicht zutrifft.
In einigen Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union ist vorgeschrieben, dass die technischen Unterlagen in einer von der notifizierten Stelle akzeptierten Sprache abzufassen sind. 205 Im Interesse der ordnungsgemäßen Durchführung der Konformitätsbewertungsverfahren, die eine Überprüfung durch Dritte voraussetzen, sollten die Unterlagen stets in einer der notifizierten Stelle geläufigen Sprache abgefasst werden, selbst wenn dies in den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union nicht ausdrücklich erwähnt wird.
weiter . |
(Stand: 29.08.2023)
Alle vollständigen Texte in der aktuellen Fassung im Jahresabonnement
Nutzungsgebühr: 90.- € netto (Grundlizenz)
(derzeit ca. 7200 Titel s.Übersicht - keine Unterteilung in Fachbereiche)
Die Zugangskennung wird kurzfristig übermittelt
? Fragen ?
Abonnentenzugang/Volltextversion