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Regelwerk

Einzelhandelserlass - Bauplanungsrechtliche Beurteilung von großflächigen Einzelhandelsvorhaben
- Brandenburg -

Vom 10. April 2007
(ABl. Bbg Nr. 19 vom 16.05.2007 S. 1031)
Gl.-Nr.: 925-27



Zur aktuellen Fassung

1 Allgemeines

1.1 Zweck des Erlasses

Der Einzelhandel nimmt traditionell im Städtebau und in der Stadtentwicklung eine hervorgehobene Stellung ein. Er hat besondere Bedeutung für

Der Strukturwandel im stationären Einzelhandel (Konzentration/Filialisierung, Entstehung von Großstrukturen, Expansion der Fachmärkte, neue Vertriebsformen) hat in Verbindung mit der Verlagerung der Handelsstandorte aus den Zentren an die Peripherie zu neuen Anforderungen an den Städtebau geführt. Erforderlich ist die Integration des Handels in funktionaler, maßstäblicher und räumlicher Hinsicht, und zwar auf Ebene des Wohngebiets, des Ortsteils, der Gemeinde und der Region.

Eine besondere Bedeutung beim Strukturwandel des Handels haben großflächige Einzelhandelsvorhaben. Aus Sicht der Planung stellen sich mit diesen Betriebsformen besondere städtebauliche und regionale Integrationsprobleme, die vor allem auf deren Merkmale "Großmaßstäblichkeit, dezentrale Standorte und innenstadtrelevante Sortimentsstrukturen" zurückzuführen sind. Die Gefahr des Verlustes städtischer Funktionen, insbesondere für die Zentrenlagen, droht durch die Weiterentwicklung von in die städtische Siedlungsstruktur nicht integrierten Handelszentren durch ergänzende Freizeit-, Kultur- und Gastronomieeinrichtungen zu neuartigen "Erlebnis-Welten", sogenannten "Urban-Entertainment-centern" (UEC).

Die Innenstädte und Ortszentren sind traditionell Standorte des Einzelhandels, der Kultur und der lokalen Identität. Sie dienen der örtlichen und überörtlichen Versorgung. Um dieses zu sichern und weiter zu entwickeln, hängt es wesentlich davon ab, dass sich die Standortentscheidungen im Einzelhandel auch zukünftig an der Förderung der Innenstadtentwicklung und der Stärkung historisch gewachsener Zentren orientieren. Die Erhaltung und die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche in den Städten und Gemeinden ist von hoher städtebaulicher Bedeutung, sie dient der Stärkung der Innenentwicklung und der Urbanität der Städte sowie besonders der Sicherstellung einer wohnortnahen Versorgung. Diese bedarf angesichts der demografischen Entwicklung eines besonderen Schutzes, auch wegen der geringeren Mobilität älterer Menschen.

Die folgenden Ausführungen sollen als Planungs- und Entscheidungshilfe bei der Ansiedlung und Erweiterung von großflächigen Einzelhandelsvorhaben sowie von Nutzungsänderungen für entsprechende Zwecke dienen. Sie gehen vom geltenden Recht aus und berücksichtigen die einschlägige Rechtsprechung. Sie sind ausschließlich auf städtebauliche und raumordnerische Ziele, insbesondere auf die Sicherung einer ausreichenden, wohnortnahen Versorgung ausgerichtet ( § 1 Abs. 6 des Baugesetzbuches - BauGB). Sie verfolgen nicht das Ziel, auf den Wettbewerb der unterschiedlichen Unternehmen und Betriebsformen des Handels Einfluss zu nehmen.

Es soll im Rahmen der Landes-, Regional- und Bauleitplanung sowie im Rahmen der Beurteilung von Vorhaben durch die Bauaufsichtsbehörden sichergestellt werden, dass sich der Einzelhandel an städtebaulich integrierten Standorten entfalten kann, und zwar sowohl im Interesse einer verbrauchernahen Versorgung mit einem differenzierten und bedarfsgerechten Warenangebot als auch zur Attraktivitätssteigerung der Innenstädte, Stadtteilzentren und Ortskerne, um diese unter anderem in ihrer Versorgungs-, Dienstleistungs- und Kommunikationsfunktion zu stärken.

1.2 Adressaten

Der vorliegende Erlass soll den Trägern der Landes- und Regionalplanung, den Gemeinden als Trägern der Bauleitplanung und den Bauaufsichtsbehörden als Grundlage für die Beurteilung von Einkaufszentren, großflächigen Einzelhandelsbetrieben und sonstigen großflächigen Handelsbetrieben im Sinne von § 11 Abs. 3 der Baunutzungsverordnung (BauNVO) dienen und für Investoren, Grundstückseigentümer und den Einzelhandel Orientierung bezüglich Planungs- und Investitionssicherheit geben.

1.3 Anwendungsbereich

Dieser Erlass ist auf folgende Vorhaben anzuwenden:

2 Begriffe (Nicht abschließende Erläuterungen)

2.1 Einkaufszentren ( § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauNVO)

Der Begriff des Einkaufszentrums wird durch die Baunutzungsverordnung nicht definiert. Ein Einkaufszentrum im Rechtssinne ist ein von vornherein einheitlich geplanter, finanzierter, gebauter und verwalteter Gebäudekomplex mit mehreren Einzelhandelsbetrieben verschiedener Art und Größe - zumeist verbunden mit verschiedenartigen Dienstleistungsbetrieben (BVerwG, Urteil vom 27.04.1990 - 4 C 16.67 -, NVwZ 1990, 1074). Fehlt es an einer solchen einheitlichen Planung des Vorhabens, kann gleichwohl ein Einkaufszentrum gegeben sein. Voraussetzung hierfür ist außer der engen räumlichen Konzentration mehrerer Einzelhandelsbetriebe ein Mindestmaß an äußerlich in Erscheinung tretender gemeinsamer Organisation und Kooperation, welche die Ansammlung mehrerer Betriebe zu einem planvoll gewachsenen und aufeinander bezogenen Ganzen werden lässt. Ein Beispiel für organisatorische und betriebliche Gemeinsamkeiten in diesem Sinne ist das gemeinsame Konzept [BVerwG, Urteil vom 27.04.1990 - 4 C 16.67 -, NVwZ 1990, 1074 (1075)].

Ein Einkaufszentrum kann sich auch nachträglich entwickeln, wenn mehrere Betriebe zu einem Einkaufszentrum zusammenwachsen. Dies setzt neben der erforderlichen räumlichen Konzentration weitergehend voraus, dass die einzelnen Betriebe aus der Sicht des Kunden als aufeinander bezogen, als durch ein gemeinsames Konzept und durch Kooperation miteinander verbunden in Erscheinung treten [BVerwG, Urteil vom 27.04.1990 - 4 C 16.67 -, NVwZ 1990, 1074 (1075)]. Wird ein Einkaufszentrum nicht in einem Schritt, sondern stufenweise verwirklicht, sind die späteren Bauabschnitte immer dann nicht als isolierte Vorhaben zu behandeln, wenn sie sich nach Fertigstellung als Teil des bestehenden Einkaufszentrums darstellen. Dies ist etwa anzunehmen, wenn ein selbstständiger Bauantrag nicht zu einer isolierten planungsrechtlichen Beurteilung des späteren Abschnitts zwingt (BVerwG, Beschluss vom 15.02.1995 - 4 B 84/94 -, Juris). In der Baunutzungsverordnung ist anders als für großflächige Einzelhandelsbetriebe keine flächenmäßige Größe genannt, die für die Annahme eines Einkaufszentrums vorliegen muss. Der Begriff "Einkaufszentrum" ist in erster Linie dem Zweck der Norm entsprechend zu definieren. § 11 Abs. 3 BauNVO liegt die Wertung zugrunde, dass Einkaufszentren vom Anlagentyp einem Sonderregime unterstehen. Deshalb sind Einkaufszentren in erster Linie von der bloßen Ansammlung von Läden abzugrenzen, wobei die Größe des Vorhabens nur eines von mehreren Indizien ist [BVerwG, Urteil vom 27.04.1990 - 4 C 16.67 -, NVwZ 1990, 1074 (1075)]. Kennzeichnend für ein Einkaufszentrum ist die besondere Anziehungskraft auf Kunden durch den Eindruck eines "Zentrums". Ob diese Wirkung von dem Vorhaben ausgeht, ist anhand der örtlichen Umstände, des Standorts, des Warenangebots und der Versorgungslage in der Gemeinde zu bestimmen. Ab einer Größe von 3.000 m2 Verkaufsfläche sind diese Kriterien jedenfalls erfüllt.

Einkaufszentren können auch nicht über ein allgemein festgelegtes Warenangebot definiert werden. Der Einordnung des Vorhabens als Einkaufszentrum im Rechtssinne steht dabei grundsätzlich nicht die Beschränkung auf wenige Warengruppen und eine geringe Sortimentsvielfalt, etwa durch den Ausschluss von Waren des täglichen Bedarfs sowie von Dienstleistungen, entgegen. Es kommt weniger auf ein umfassendes Warenangebot als auf die räumliche Konzentration von Einkaufsmöglichkeiten an. Maßgebend ist, dass einzelne Betriebe aus der Sicht der Kunden als aufeinander bezogen, als durch ein gemeinsames Konzept und durch Kooperation miteinander verbunden in Erscheinung treten [BVerwG, Urteil vom 01.08.2002 - 4 C 5/01-, NVwZ 2003, 86 (87 f.)].

2.2 Großflächige Einzelhandelsbetriebe ( § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO)

Großflächige Einzelhandelsbetriebe sind in Abgrenzung zum sonstigen Handel planungsrechtlich eine eigenständige Nutzungsart. Einzelhandelsbetriebe sind Betriebe, die ausschließlich oder überwiegend an Endverbraucher verkaufen. Vom Begriff erfasst sind alle Arten von gewerblichen Verkaufsstellen, vom kleinen Ladenlokal bis zum großen Warenhaus. Eingegrenzt wird der Kreis der Einzelhandelsbetriebe durch das Merkmal der Großflächigkeit, das in § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO genannt ist. Großflächigkeit ist eine eigenständige Anwendungsvoraussetzung der Nummer 2, die von vornherein diejenigen Einzelhandelsbetriebe und Läden ausklammern soll, die nach ihrer Größe typischerweise der wohnungsnahen Versorgung in den Baugebieten nach den §§ 2 bis 6 dienen. Nachbarschaftsläden haben einen begrenzten Einzugsbereich und zählen ungeachtet der Tendenz zu einer Vergrößerung der Verkaufsflächen zu den Kleinformen des Einzelhandels, die der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung dienen. Das Merkmal der Großflächigkeit markiert demgegenüber die unterste Schwelle, ab der die Baunutzungsverordnung bei typisierender Betrachtungsweise die Möglichkeit unerwünschter städtebaulicher oder raumordnerischer Auswirkungen der Großformen des Handels sieht. Folglich beginnt die Großflächigkeit dort, wo üblicherweise die Größe solcher, der wohnungsnahen Versorgung dienenden Einzelhandelsbetriebe ihre Obergrenze findet. Diese Grenze beginnt bei 800 m2 Verkaufsfläche (BVerwG, Urteile vom 24.11.2005 - 4 C 10.04, 4 C 14.04, 4 C 3.05 und 4 C 8.05 -, www.bverwg.de). Zum Begriff der Verkaufsfläche siehe Nummer 2.7.

Flächen im selben Gebäude, auf denen unterschiedliche Waren verkauft werden, sind unter bestimmten Bedingungen als Teile eines einheitlichen Einzelhandelsbetriebs anzusehen und sind damit bei der Berechnung der "Großflächigkeit" zu berücksichtigen (sogenannte Funktionseinheit von Einzelhandelsbetrieben). Dies ist etwa für die Zusammenrechnung von bautechnisch und in den Betriebsabläufen jeweils eigenständigen Backshops und eines Zeitschriftengeschäfts in ein Lebensmittelgeschäft anzunehmen, nicht dagegen für die Zusammenrechnung eines Getränkefachhandels mit einem Lebensmitteldiscounter (BVerwG, Urteile vom 24.11.2005 - 4 C 10.04,4C 14.04, 4 C 3.05 und 4 C 8.05 -, www.bverwg.de).

2.3 Sonstige großflächige Handelsbetriebe ( § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauNVO)

"Sonstige großflächige Handelsbetriebe" sind Betriebe, die nicht ausschließlich Einzelhandel betreiben, Einzelhandelsbetrieben jedoch vergleichbar sind. Abzugrenzen sind diese Betriebe in erster Linie vom reinen Großhandel. Die Eigenschaft eines Großhändlers hat derjenige, der überwiegend an Wiederverkäufer veräußert oder überwiegend gewerbliche Verbraucher beliefert (BGH, Urteil vom 11.11.1977 - I ZR 179/75 -, NJW 1978, 267). Großhändler fallen nicht unter den Anwendungsbereich des § 11 Abs. 3 BauNVO.

Handelsbetriebe im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauNVO unterscheiden sich vom reinen Großhandel dadurch, dass ein bestimmter Prozentsatz des Umsatzes (mehr als 10 Prozent) durch den Verkauf an Endverbraucher erzielt wird. Anhaltspunkte für einen umfangreichen Einzelhandel können dem Bauantrag entnommen werden (zum Beispiel Sortimentsbreite, Größe der Verkaufsflächen, der Kassenzonen und Anzahl der Stellplätze; vgl. Hessischer VGH, Urteil vom 17.08.2000 - 4 UE 2634/95 -, BRS 63 Nr. 84).

Ein Handelsunternehmen, welches für sich in Anspruch nimmt, einen reinen Großhandel zu betreiben, hat durch geeignete Maßnahmen für die Einhaltung dieser funktionalen Anforderungen zu sorgen (Anhaltspunkte für Maßnahmen bei Cashand-Carry-Betrieben vgl. BGH, Urteil vom 30.11.1989 - I ZR 55/87 -, NJW 1990, 1294).

2.4 Fachmärkte

Fachmärkte sind in der Regel großflächige Einzelhandelsbetriebe, die ein breites und oft auch tiefes Sortiment aus einem Warenbereich (zum Beispiel Bekleidungsfachmarkt, Schuhfachmarkt), einem Bedarfsbereich (zum Beispiel Sportfachmarkt, Baufachmarkt) oder einem Zielgruppenbereich (zum Beispiel Möbel- oder Haushaltswarenfachmarkt für designorientierte Kunden) in übersichtlicher Warenpräsentation bei tendenziell niedrigem bis mittlerem Preisniveau anbieten. Die Verkaufsverfahren sind Selbstbedienung und Vorwahl, meist mit der Möglichkeit einer fachlichen und sortimentsspezifischen Beratung auf Wunsch des Kunden. Serviceorientierte Fachmärkte bieten neben dem Warensortiment auch sortimentsbezogene oder selbstständig vermarktbare Dienstleistungen (zum Beispiel Reisen, Versicherungen), discountorientierte Fachmärkte verzichten häufig auf Beratung und Dienstleistungen zugunsten niedriger Preise, Spezialfachmärkte bieten einen Teil des breiteren Fachmarktsortiments an (zum Beispiel Fliesen oder Holz). Im Gegensatz dazu bieten Fachgeschäfte regelmäßig auf Verkaufsflächen unter 800 m2 ein branchenspezifisches oder bedarfsgruppenorientiertes Sortiment in großer Auswahl sowie in unterschiedlichen Qualitäten und Preislagen mit Bedienung und ergänzenden Dienstleistungen (zum Beispiel Kundendienst) an. Bei Spezialgeschäften beschränkt sich das Warenangebot auf den Ausschnitt des Sortiments eines Fachgeschäfts, es ist aber tiefer gegliedert und soll typischerweise besonders hohen Auswahlansprüchen genügen.

2.5 Factory-Outlet-center (FOC)

Als Factory-Outlet-center werden einheitlich geplante und errichtete bauliche Anlagen bezeichnet, in denen eine Vielzahl von Marken vom Hersteller beziehungsweise einem Konzessionär in separaten Ladeneinheiten preisreduziert an den Verbraucher veräußert werden. Die Verkaufsfläche der geplanten und vorhandenen Factory-Outlet-center ist grundsätzlich den standortbezogenen Verkaufsflächen hinzuzurechnen und bei Ansiedlungsentscheidungen zu berücksichtigen. Die durchschnittliche Verkaufsfläche der in Deutschland geplanten und vorhandenen Factory-Outlet-center liegt bei circa 15.000 m2 . Auch für Factory-Outlet-center gilt, dass ein beschränktes Branchenspektrum der Annahme eines Einkaufszentrums nicht entgegensteht, weil ein Einkaufszentrum nicht die Angebotsbreite einer Innenstadt ersetzt, sondern eine räumliche Konzentration von Einkaufsmöglichkeiten bietet. Bei einem Factory-Outlet-center handelt es sich regelmäßig um ein Einkaufszentrum im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauNVO [BVerwG, Urteil vom 01.08.2002 - 4 C 5/01-, NVwZ 2003, 86 (87 f)].

2.6 Geschossfläche

§ 20 Abs. 3 und 4 BauNVO bestimmt, wie die Geschossfläche, also die Größe, die durch die Maßbestimmungsfaktoren Geschossflächenzahl ( § 20 Abs. 2 BauNVO) und Geschossfläche geregelt wird, zu ermitteln ist. Grundnorm ist § 20 Abs. 3 Satz 1 BauNVO. Danach ist die Geschossfläche die Summe der jeweils nach den Außenmaßen bestimmten Grundflächen aller Vollgeschosse. Gemäß § 20 Abs. 4 bleiben bei der Ermittlung der Geschossfläche Nebenanlagen im Sinne des § 14 BauNVO, Balkone, Loggien, Terrassen sowie bauliche Anlagen unberücksichtigt, soweit sie nach Landesrecht in den Abstandsflächen (seitlicher Grenzabstand und sonstige Abstandsflächen) zulässig sind oder zugelassen werden können.

2.7 Verkaufsfläche

Der Begriff der Verkaufsfläche ist in der Baunutzungsverordnung nicht geregelt. Als planungsrechtlicher Begriff ist die Verkaufsfläche aus der Sicht des Städtebaurechts zu definieren; Fachdefinitionen der Handels- und Absatzwirtschaft können ergänzend herangezogen werden. In die Verkaufsfläche sind alle Flächen einzubeziehen, die vom Kunden betreten werden können oder die er - wie bei einer Fleischtheke mit Bedienung durch Geschäftspersonal - einsehen, aber aus hygienischen und anderen Gründen nicht betreten darf (BVerwG, Urteile vom 24.11.2005 - 4 C 10.04, 4 C 14.04, 4 C 3.05 und 4 C 8.05 -, www.bverwg.de). Dabei kommt es nicht auf den Standort der Kassen an, so dass auch der Bereich, in den die Kunden nach der Bezahlung der Waren gelangen, einzubeziehen ist. Nicht zur Verkaufsfläche gehören dagegen die reinen Lagerflächen und abgetrennte Bereiche, in denen beispielsweise die Waren zubereitet und portioniert werden. Freiflächen und Verkehrsflächen vor den Läden zählen zur Verkaufsfläche, soweit dort dauerhaft und nicht nur kurzfristig Waren zum Verkauf angeboten werden. Als dauerhaft gilt eine Nutzung, wenn die Flächen über Zeiträume, die zusammengerechnet mehr als 50 Prozent der Öffnungszeiten eines Jahres ausmachen, zum Verkauf oder der Ausstellung von Waren in Anspruch genommen werden.

2.8 Sortimente

Als Sortiment wird die Gesamtheit der von dem jeweiligen Handelsbetrieb angebotenen Warenarten (-sorten) verstanden. Der typische Charakter des Betriebs wird von seinem Kernsortiment (zum Beispiel Möbel; Nahrungsmittel, Getränke usw.; Kleineisenwaren, Werkzeuge, Bauartikel und Ähnliches) bestimmt. Das Randsortiment dient der Ergänzung des Angebots und muss sich dem Kernsortiment deutlich unterordnen. Die Sortimentsbreite ist die Vielfalt der angebotenen Warengruppen, die Sortimentstiefe wird durch die Auswahl innerhalb der Warengruppen charakterisiert.

Zentrenrelevante Sortimente zeichnen sich dadurch aus, dass sie zum Beispiel

Bei zentrenrelevanten Sortimenten sind negative Auswirkungen auf die Zentrenstruktur, insbesondere auf die Innenstadtentwicklung zu erwarten, wenn sie überdimensioniert oder an nicht integrierten Standorten angesiedelt werden.

Nahversorgungsrelevante Sortimente sind vor allem die Waren des täglichen Bedarfs, insbesondere für die Grundversorgung mit Lebensmitteln. Sie sind zugleich eine Teilmenge der zentrenrelevanten Sortimente (siehe auch Anlage 1 - Sortimentsliste).

2.9 Randsortimente

Das Randsortiment steht in einer Wechselbeziehung zum Kernsortiment. Das Randsortiment tritt lediglich zum Kernsortiment hinzu und ergänzt dieses mit solchen Waren, die eine gewisse Beziehung und Verwandtschaft mit den Waren des Kernsortiments haben. Zugleich muss das Angebot des Randsortiments dem Kernsortiment in seinem Umfang und seiner Bedeutung deutlich untergeordnet sein. Randsortimente sind damit nur solche Warengruppen, die einem bestimmten Kernsortiment als Hauptsortiment sachlich zugeordnet und hinsichtlich des Angebotsumfangs deutlich untergeordnete Nebensortimente sind. Nur unter Beachtung dieser Wechselbeziehung greift die Zulässigkeit eines durch bestimmte Branchenbezeichnungen gekennzeichneten Kernsortiments auch auf das der jeweiligen Branche zuzuordnende Randsortiment über.

2.10 Einzugsbereich

Der Einzugsbereich eines Einzelhandelsvorhabens kann nicht abstrakt festgelegt werden, sondern bedarf einer Abgrenzung unter Berücksichtigung des Standortes und des beabsichtigten Vorhabens. Die Festlegung des Einzugsbereichs muss begründet und nachvollziehbar erfolgen, in der Regel wird dies durch ein Gutachten im Sinne der Anlage 2 gestützt sein. Dazu muss insbesondere über Intensitätsgradienten die Zentrenorientierung des Vorhabens ermittelt werden. Die Zentrenorientierung wird maßgeblich vom Standort und vom Angebot determiniert. Hinsichtlich des Standortes sind die Faktoren Erreichbarkeit, die Lage im System konkurrierender Zentren sowie die Nähe zu koppelungsrelevanten Einrichtungen zu berücksichtigen. Hinsichtlich des Angebots muss die Verkaufsfläche, die Sortimentsbreite und -tiefe, der Branchenmix, die Markenvielfalt sowie die Positionierung im Qualitätsspektrum Berücksichtigung finden.

2.11 Zentrale Versorgungsbereiche

Der Begriff "Zentraler Versorgungsbereich" umfasst Versorgungsbereiche unterschiedlicher Stufen, also insbesondere Innenstadtzentren, vor allem in Städten mit größerem Einzugsbereich, Nebenzentren in Stadtteilen sowie Grund- und Nahversorgungszentren in Stadt- und Ortsteilen und nichtstädtischen Gemeinden. Die Erhaltung und Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche soll dabei auch im Interesse der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung und der Innenentwicklung der Gemeinden erfolgen.

3 Die Steuerungswirkung von § 11 Abs. 3 BauNVO

3.1 Allgemeines

§ 11 Abs. 3 BauNVO enthält in Satz 2 eine Legaldefinition des Begriffs "Auswirkungen" im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 BauNVO. In Satz 3 wird eine Regelvermutung für das Vorliegen von Auswirkungen im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 BauNVO bei Vorhaben ab einer bestimmten Größe (1.200 m2 Geschossfläche) aufgestellt. In Satz 4 sind Ausnahmen von der Regelvermutung genannt.

§ 11 Abs. 3 BauNVO unterstellt Einkaufszentren, großflächige Einzelhandelsbetriebe und sonstige großflächige Handelsbetriebe einem bauplanungsrechtlichen Sonderregime: Die vorgenannten Betriebe sind demnach nur in Kerngebieten und in für solche Betriebe ausdrücklich ausgewiesenen Sondergebieten zulässig.

Einkaufszentren unterliegen stets dem Sonderregime des § 11 Abs. 3 BauNVO (BVerwG, Urteil vom 01.08.2002 - 4 C 5/01 -, NVwZ 2003, 86 ff.). Demnach ist bei Einkaufszentren nicht zu prüfen, welche Auswirkungen vom Vorhaben konkret ausgehen. Insbesondere ist es nicht erforderlich, Kaufkraftabzüge konkret zu belegen. Vielmehr geht der Normgeber davon aus, dass sich die in § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO bezeichneten Auswirkungen bei Einkaufszentren generell nicht ausschließen lassen. Eine Einzelfallprüfung erübrigt sich (BVerwG, Urteil vom 01.08.2002 - 4 C 5/01 -, NVwZ 2003, 86 ff.).

Bei großflächigen Einzelhandelsbetrieben und sonstigen großflächigen Handelsbetrieben ist zu prüfen, ob diese dem Regime des § 11 Abs. 3 BauNVO unterliegen. § 11 Abs. 3 BauNVO sieht dies vor, wenn sie sich nach Art, Lage oder Umfang auf die Verwirklichung der Ziele der Raumordnung oder auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung nicht nur unwesentlich auswirken können ( § 11 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO). Geschützt sind zum einen die Ziele der Raumordnung. Diese ergeben sich aus den Plänen der Landesplanung sowie den einzelnen (Teil-)Regionalplänen. Geschützt ist zum anderen die städtebauliche Entwicklung und Ordnung. Diese bezieht sich auf die städtebaulichen Belange, die insbesondere in § 1 Abs. 6 BauGB genannt sind.

In § 11 Abs. 3 Satz 2 bis 4 wird ein Regelungssystem aufgestellt, wann Auswirkungen auf die Ziele der Raumordnung und Landesplanung sowie auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung bei großflächigen Einzelhandelsbetrieben und sonstigen großflächigen Handelsbetrieben anzunehmen sind.

3.2 Auswirkungen nach § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO

Die in § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 BauNVO genannten landesplanerischen oder städtebaulichen Auswirkungen werden in § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO beispielhaft konkretisiert ("insbesondere"). Im Einzelfall können auch nicht ausdrücklich aufgeführte Auswirkungen von Bedeutung sein. Für die Anwendung von § 11 Abs. 3 BauNVO bedarf es nicht des konkreten Nachweises, dass Auswirkungen tatsächlich eintreten; es genügt vielmehr bereits die Möglichkeit des Eintretens solcher Auswirkungen.

§ 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO nennt beispielhaft folgende Auswirkungen:

  1. schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des § 3 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG),
  2. Auswirkungen auf die infrastrukturelle Ausstattung,
  3. auf den Verkehr,
  4. auf die Versorgung der Bevölkerung,
  5. auf die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden,
  6. auf das Orts- und Landschaftsbild und
  7. auf den Naturhaushalt.

Zu a)

Schädliche Umwelteinwirkungen sind in § 3 BImSchG im Einzelnen genannt. Bei den Folgen der Ansiedlung eines großflächigen Einzelhandelsbetriebes geht es primär um Immissionen im Sinne des § 3 Abs. 2 BImSchG. Praktisch bedeutsam sind die Belastungen der Nachbarschaft durch Lärm und Abgase, die vom Autoverkehr und von der Anlage selbst ausgehen. Erfasst werden aber auch Umwelteinwirkungen, die aufgrund des Ansiedlungsvorhabens außerhalb der unmittelbaren Nachbarschaft auftreten (können), zum Beispiel wegen einer stärkeren Frequentierung von (vorhandenen) größeren Erschließungsstraßen und sonstigen Zufahrten.

Für die Beurteilung nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO genügen Auswirkungen, die nicht lediglich unwesentlich sind, so dass schon eine geringfügige Erhöhung des Verkehrslärms beachtlich ist; Auswirkungen im Sinne einer Störung sind auch schon dann anzunehmen, wenn die zu erwartenden Belastungen noch nicht die Schwelle der schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG überschreiten. So kann die Zunahme des Lärms in einer ruhigen Wohnstraße nur um wenige dB (A) bereits eine "Auswirkung" sein. Zur Vermeidung derartiger Auswirkungen müssen verkehrsintensive Bereiche wie Zufahrten, Anlieferung, Kundenstellplätze so angeordnet sein, dass Störungen von Wohnbereichen weitgehend ausgeschlossen sind.

Zu b)

Auswirkungen auf die infrastrukturelle Ausstattung liegen insbesondere vor, wenn die ordnungsgemäße verkehrliche Anbindung des Vorhabens nicht gewährleistet ist beziehungsweise das vorhandene Verkehrsnetz nach seiner Konzeption und Leistungsfähigkeit nicht auf das Vorhaben ausgerichtet ist. Dies gilt vor allem dann, wenn Einrichtungen des ÖPNV fehlen oder unzureichend dimensioniert sind.

Zu c)

Auswirkungen auf den (Straßen-)Verkehr sind anzunehmen, wenn vorhandene Verkehrseinrichtungen durch den vom Vorhaben ausgehenden zusätzlichen 'Verkehr überlastet beziehungsweise ihrer bestimmungsmäßigen Nutzung entzogen werden oder wenn Verkehrsbehinderungen auftreten. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn Wohnstraßen wesentlich zusätzlich belastet und dadurch zu Durchgangsstraßen werden, Straßenquerschnitte nicht mehr ausreichen, Linksabbieger den Geradeausverkehr behindern oder sich an Verkehrsknoten Staus entwickeln können.

Zu d)

Auswirkungen auf die Versorgung der Bevölkerung können sich dadurch ergeben, dass durch die zu erwartende Kaufkraftbindung an einem Standort und dadurch zu erwartende Geschäftsaufgaben im Wohnbereich die ausreichende Nahversorgung, vor allem für nicht motorisierte Bevölkerungsgruppen, nicht mehr gewährleistet ist. Eine geordnete städtebauliche Entwicklung erfordert, dass die Nahversorgung für den kurzfristigen Bedarf insbesondere im Nahrungs- und Genussmittelbereich in der Regel noch in fußläufiger Entfernung möglich sein soll. Anhaltspunkte für eine Gefährdung der Nahversorgung können sich aus einer Gegenüberstellung der - nur einmal umsetzbaren - Kaufkraft der Bevölkerung im Einzugsbereich des Betriebs und der vorhandenen Verkaufsfläche je Einwohner unter Berücksichtigung der Sortimentsverteilung und der Flächenproduktivität ergeben. Zur Ermittlung der Auswirkungen auf die Versorgung der Bevölkerung müssen die Versorgungsstrukturen im Einzugsbereich des Betriebs untersucht sowie die Veränderungen des Käuferverhaltens und die städtebaulichen Folgen prognostiziert werden.

Zu e)

Auswirkungen auf die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden sind insbesondere Auswirkungen auf das Stadtzentrum oder die Neben- und Grundversorgungszentren in den Stadtteilen. Diese können bereits bestehen oder aber verbindlich geplant sein. Die Gemeinde kann durch die Ausweisung entsprechender Zentren eine Stärkung der Einzelhandelsstruktur auch in Subzentren erreichen. Auswirkungen können sich beispielsweise ergeben, wenn durch ein Einzelhandelsgroßprojekt außerhalb dieser Zentren eine in der Innenstadt oder im Ortskern eingeleitete, mit öffentlichen Mitteln geförderte städtebauliche Sanierungsmaßnahme nicht planmäßig fortgeführt werden kann, zum Beispiel weil sich die vorgesehene Ansiedlung von Einzelhandelsbetrieben nicht mehr ermöglichen lässt, oder wenn durch starke Kaufkraftbindung außerhalb der Zentren das Niveau und die Vielfalt der Einzelhandelsgeschäfte in der Innenstadt oder im Ortskern absinken, weil es dort - auch wegen des höheren Mietpreisniveaus - zu Leerständen von Geschäften kommt. Auswirkungen auf die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche in anderen Gemeinden können sich ergeben, wenn der Einzugsbereich eines Einzelhandelsgroßprojektes den zentralörtlichen Versorgungsbereich der Ansiedlungsgemeinde wesentlich überschreitet und die Entwicklung und Versorgungsfunktion von Gemeinden im Einzugsbereich des Vorhabens beeinträchtigt.

Zu f)

Das Orts- und Landschaftsbild kann unter städtebaulichen Aspekten ( § 1 Abs. 6 Satz 2 Nr. 4, § 34 Abs. 1 Satz 2, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5, § 172 BauGB) durch die Lage und die Größe des Betriebs tangiert sein. Mit dem Begriff "Ortsbild" ist das bauliche Erscheinungsbild (die Ansicht) des Orts oder Ortsteils gemeint, auf den sich der Einzelhandelsgroßbetrieb auswirken kann; das Landschaftsbild kennzeichnet die im Wesentlichen unbebaute freie Natur. Nicht selten wirken Einzelhandelsgroßbetriebe aufgrund ungegliederter, wuchtiger Baukörper oder der benötigten Stellplatzbereiche in Ortsteilen mit kleinteiligen Baustrukturen störend. Sie werden als Fremdkörper wahrgenommen. Anders als in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB, der erst bei einer Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbilds eingreift, reicht hier eine nicht nur unwesentliche Beeinträchtigung dieser Schutzgüter aus. Bei größeren Baumassen sind erhöhte Anforderungen an das Bauwerk auch hinsichtlich seines Maßstabs und der nicht zu bebauenden Freiflächen (insbesondere der Stellflächen) zu stellen.

Zu g)

Auswirkungen auf den Naturhaushalt können durch eine Beeinträchtigung des Ökosystems gegeben sein. Zu untersuchen sind die Auswirkungen von Betrieben sowohl auf Leistungsfähigkeit und Wirkungsgefüge des Naturhaushalts als auch auf die einzelnen Bestandteile des Naturhaushalts, insbesondere auf Boden, Wasser, Luft und Klima (vgl. § 1 Abs. 6 Nr. 7 BauGB). Auswirkungen sind zum Beispiel gegeben bei einer Versiegelung von Freiflächen mit Stellflächen und Störungen von Frischluftschneisen durch wuchtige Betriebshallen (zum Erfordernis der Durchführung einer Umweltprüfung siehe Nummer 6.10.3).

3.3 Vermutungsregel nach § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO

Nach § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO sind Auswirkungen im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO in der Regel anzunehmen, wenn die Geschossfläche des Betriebs 1.200 m2 überschreitet. Diese Vermutungsregel geht davon aus, dass die Verkaufsfläche erfahrungsgemäß in der Regel etwa zwei Drittel der Geschossfläche beträgt und eine Verkaufsfläche oberhalb von 800 m2 die in der Vorschrift genannten Auswirkungen haben kann.

3.4 Ausnahme nach § 11 Abs. 3 Satz 4 BauNVO

Nach § 11 Abs. 3 Satz 4 BauNVO gilt die - widerlegliche - Vermutung des Satzes 3 nicht, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Auswirkungen bereits bei weniger als 1.200 m2 Geschossfläche vorliegen oder bei mehr als 1.200 m2 Geschossfläche nicht vorliegen. § 11 Abs. 3 Satz 4 BauNVO benennt die Gesichtspunkte, die bei der Bewertung besonders zu berücksichtigen sind. Dazu gehören Gliederung und Größe der Gemeinde und ihrer Ortsteile, die Sicherung der verbrauchernahen Versorgung und das Warenangebot des Betriebs.

Bei Vorhaben mit mehr als 800 m2 Verkaufsfläche ist im Sinne einer typisierenden Betrachtungsweise ohne besondere Prüfung von Auswirkungen im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO auszugehen, wenn der Antragsteller nicht eine atypische Fallgestaltung geltend macht. Greift die Regelvermutung ein, erübrigt sich eine Beweisaufnahme zu den möglichen Auswirkungen des Betriebes (BVerwG, Beschluss vom 09.07.2002 - 4 B 14/02 -, ZIER 2002, 805 ff.).

Die in Satz 4 genannten Kriterien sind nicht abschließend ("insbesondere"). Auch andere Ausnahmen sind denkbar, etwa bei einer erheblichen Abweichung des Verhältnisses von Geschossfläche zur Verkaufsfläche. Eine derartige erhebliche Abweichung ist anzunehmen, wenn zwar die Geschossfläche 1.200 m2 überschreitet, aber die Verkaufsfläche wesentlich unter 800 m2 liegt.

3.5 Prüfung von Auswirkungen im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO

Greift die Vermutungsregel wegen des Vorliegens einer atypischen Fallgestaltung nicht ein, ist im Hinblick auf die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls aufzuklären, ob der zur Genehmigung gestellte großflächige Einzelhandelsbetrieb mit Auswirkungen der in § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO genannten Art verbunden sein wird oder sein kann (BVerwG, Beschluss vom 09.07.2002 - 4 B 14/02 -, ZfBR 2002, 805 ff.).

Die atypische Fallgestaltung kann nicht losgelöst von der Größenordnung des Vorhabens beurteilt werden. Auch bei Vorhaben mit einem schmalen Warensortiment und nichtzentrenrelevanten Kernsortimenten wie zum Beispiel Möbelhäusern, Bau- und Heimwerkermärkten sowie Gartencentern können aufgrund der Größe des Vorhabens Auswirkungen auf den Verkehr, auf die Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich, auf das Orts- und Landschaftsbild oder auf den Naturhaushalt vorliegen. Außerdem sind bei solchen Vorhaben aufgrund der branchenüblichen zentren- und nahversorgungsrelevanten Randsortimente Auswirkungen auf die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche in der Ansiedlungsgemeinde oder in benachbarten Gemeinden möglich und daher auch zu prüfen. Zur Abgrenzung der nichtzentrenrelevanten Sortimente und der zentren- und nahversorgungsrelevanten Sortimente wird auf die Anlage 1 hingewiesen.

Bei der Zulassung eines Vorhabens aufgrund einer atypischen Fallgestaltung wird es in der Regel erforderlich sein, die Sortimente im Bebauungsplan und gegebenenfalls in der Baugenehmigung festzuschreiben. Die zulässigen Sortimente sollten als Positivliste oder die unzulässigen Sortimente als Negativliste - gegebenenfalls flächenmäßig begrenzt - Bestandteil der Antragsunterlagen sein oder in der Baugenehmigung festgeschrieben werden.

Ferner besteht auch die Möglichkeit, die Sortimente zusätzlich zu den Festsetzungen im Bebauungsplan über vertragliche Vereinbarungen ergänzend und detailliert festzuschreiben. Dieses kann auch über einen städtebaulichen Vertrag nach § 11 BauGB oder einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan nach § 12 BauGB erfolgen. Entsprechende Sicherungsklauseln sollten zudem im jeweiligen Vertragswerk vorgesehen werden. Grundsätzlich ist dabei auf eine widerspruchsfreie Ergänzung zwischen Festsetzungen und Vertragsinhalt abzustellen, da sich eine aus dem Bebauungsplan ergebende Zulässigkeit eines Vorhabens in der Regel nicht durch Vertrag einschränken lässt.

3.5.1 Sonderfall Agglomeration

Auswirkungen im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO können sich auch durch eine Agglomeration von mehreren kleineren Betrieben ergeben, wenn diese selbst zwar jeweils unter 1.200 m2 Geschossfläche liegen, aber in räumlichem und zeitlichem Zusammenhang zueinander errichtet werden beziehungsweise zu vorhandenen Betrieben neue Betriebe unter 1.200 m2 hinzutreten oder vorhandene Betriebe entsprechend erweitert oder umgenutzt werden sollen. Solche als isolierte Einzelfälle gegebenenfalls für sich unbedenkliche Vorhaben müssen in ihrem Zusammenwirken gesehen werden und können durch eine derartige Agglomeration gemeinsam zu Vorhaben im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 BauNVO, wenn nicht sogar zu einem Einkaufszentrum werden (Nummer 2.1). Auf die Zulässigkeitsbeschränkung durch § 15 BauNVO wird hingewiesen (Nummer 7.5).

Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 24.11.2005 (- 4 C 8/05 -, www.bverwg.de) besonders darauf verwiesen, dass Regelungsgegenstand des § 11 Abs. 3 BauNVO allein "der einzelne Betrieb" ist. Bei der Zulässigkeitsbetrachtung muss daher geprüft werden, ob es sich bei den Vorhaben um selbstständige Betriebe handelt. Dies bestimmt sich nach baulichen und betrieblichfunktionalen Gesichtspunkten. Ein selbstständiger Einzelhandelsbetrieb liegt nur dann vor, wenn er unabhängig von anderen Einzelhandelsbetrieben genutzt werden kann und deshalb baurechtlich auch als eigenständiges Bauvorhaben genehmigungsfähig wäre. Kriterien dafür können sein: Die Verkaufsstätte verfügt über einen eigenen Eingang, eine eigene Anlieferung und eigene Personalräume. Zudem muss sie unabhängig von anderen Betrieben geöffnet und geschlossen werden können. Ohne Belang ist es, wer rechtlich oder wirtschaftlich Betreiber ist.

Liegen in diesem Sinne baulich und funktionell eigenständige Betriebe vor, so dürfen die Verkaufsflächen nicht zusammengerechnet werden. Dies gilt grundsätzlich auch dann - so das Bundesverwaltungsgericht -, wenn diesen Betrieben ein gemeinsames Nutzungskonzept zugrunde liegt und die dargebotenen Sortimente einander ergänzen.

Eine Zusammenrechnung ist jedenfalls innerhalb eines Gebäudes dann vorzunehmen, wenn ein Betrieb als "Hauptbetrieb" dominiert und die anderen Betriebe hinter diesen deutlich zurücktreten, so dass deren Warenangebot nur als Randangebot vom Verbraucher wahrgenommen wird. Unter welchen Voraussetzungen ein Haupt- und ein Nebenbetrieb in diesem Sinne anzunehmen sind, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls (BVerwG, Urteil vom 24.11.2005 - 4 C 8/05 -, www.bverwg.de, S. 5). Für eine betriebliche Einheit spricht, dass die für die "Nebenbetriebe" in Anspruch genommenen Flächen deutlich hinter denjenigen des Hauptbetriebes zurückbleiben und nach der Verkehrsanschauung aus der Sicht des Verbrauchers ein Randangebot als zum Hauptbetrieb zugehörig gesehen wird. Baulich gesondert nutzbare Betriebsflächen bilden somit dann eine betriebliche Einheit mit einem Hauptbetrieb, wenn auf ihnen lediglich ein den Hauptbetrieb ergänzendes Angebot erbracht wird. Dies ist insbesondere der Fall, wenn nach der Verkehrsanschauung der kleinere Bereich ebenso in die Verkaufsfläche des größeren Betriebs einbezogen sein könnte.

Ausdrücklich offengelassen hat das Bundesverwaltungsgericht allerdings die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen baulich selbstständig nutzbare Verkaufsstätten einen Einzelhandelsbetrieb im Sinne des § 11 Abs. 3 BauNVO bilden können, wenn sie nicht in einem Gebäude untergebracht sind [BVerwG, Urteil vom 24.11.2005 - 4 C 8/05 -, www.bverwg.de, S. 5; BVerwG, Urteil vom 24.1 1.2005 - 4 C 14/04 -, NVwZ 2006, 455 (456)]. Nach der Rechtsprechung ist es deshalb weiterhin denkbar, zwei nicht in einem Gebäude untergebrachte Einzelhandelsbetriebe unter bestimmten Voraussetzungen zusammenzurechnen, wenngleich das Bundesverwaltungsgericht die Rechtsprechung zur "Funktionseinheit" ausdrücklich aufgegeben hat.

Durch die Aufstellung von Bebauungsplänen und die Beschränkung beziehungsweise den Ausschluss weiterer Einzelhandelsbetriebe kann die Agglomeration von Einzelhandelsbetrieben unterbunden werden.

3.5.2 Sonderfall gemeinsame beziehungsweise ergänzende Ansiedlung mit Vergnügungs- beziehungsweise Freizeiteinrichtungen mit hoher Besucherfrequenz

Aufgrund des großen Einzugsbereichs von Einkaufszentren (insbesondere FOC), großflächigen Einzelhandelsbetrieben und sonstigen großflächigen Handelsbetrieben und der entsprechend hohen Besucherfrequenz besitzen diese Einzelhandelsformen eine hohe Attraktivität zur zusätzlichen Ansiedlung von Vergnügungs- und Freizeiteinrichtungen (zum Beispiel Multiplex-Kinos, Spaßbäder). Dieses kann zum Entstehen sogenannter "Erlebnis-Welten" führen.

Eine gemeinsame beziehungsweise bei bestehenden Einzelhandelsbetrieben ergänzende Ansiedlung von Vergnügungs- und Freizeiteinrichtungen kann dazu führen, dass die bis dahin noch tragbaren Auswirkungen eines bestehenden, zulässigerweise errichteten Einzelhandelsbetriebes so verstärkt werden, dass es zu negativen Auswirkungen im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO kommen kann, insbesondere die verkehrlichen Auswirkungen sind dabei zu beachten. Bei gemeinsamer Planung von Einzelhandel und Freizeiteinrichtungen ist daher schon im Rahmen des Planungsverfahrens zu belegen, dass keine negativen Auswirkungen zu erwarten sind. Grundsätzlich ist auch bei der zusätzlichen Ansiedlung von großen Freizeitanlagen zu prüfen, ob für diese ein Raumordnungsverfahren durchzuführen ist.

3.6 Darlegungslast

Die Darlegungslast für das Vorliegen einer atypischen Fallgestaltung trägt der Antragsteller, wenn es sich um ein Vorhaben handelt, das die Grenze von 1.200 m2 Geschossfläche überschritten hat. Dazu muss der Antragsteller das Vorliegen bestimmter atypischer Abweichungen von der der Regelvermutung zugrunde liegenden typischen betrieblichen oder städtebaulichen Situation unter Beweis stellen (BVerwG, Beschluss vom 09.07.2002 - 4 B 14/02 -, ZfBR 2002, 805 ff.). Der Antrag darf sich nicht auf die Klärung betrieblicher Auswirkungen beziehen, da insoweit die Regelvermutung des § 11 Abs. 3 BauNVO greift. Das bedeutet, dass der Antragsteller konkret vortragen muss, warum eine Ausnahmesituation besteht. Bei Nichterweislichkeit der Tatsache, die die Ausnahme begründen soll, greift die Regelvermutung des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO ein.

Handelt es sich dagegen um ein Vorhaben, das unterhalb der Grenze von 1.200 m2 liegt, fällt es in die Darlegungslast der Behörde, zu begründen, warum eine Ausnahme von der Regelvermutung vorliegt.

3.7 Gutachten

Da die Auswirkungen großflächiger Einzelhandelsprojekte je nach Standort, Verkaufsflächengröße und Sortimenten unterschiedlich sind, sollte im Hinblick auf die Auswirkungen des geplanten Projektes ein unabhängiges Gutachten erstellt werden. Die Anforderungen an die Anfertigung von Gutachten ist den Erfordernissen des Einzelfalls anzupassen. In einfach gelagerten Fällen kann eine gutachtliche Stellungnahme beziehungsweise eine detaillierte Projektbeschreibung als Beurteilungsgrundlage ausreichen. Der Inhalt des Gutachtens sollte sich - je nach Umfang und Zweckbestimmung des Projektes - an der in Anlage 2 dargestellten "Arbeitshilfe/Checkliste für Gutachten betreffend großflächige Einzelhandelsvorhaben" orientieren. Die Festlegung der Gutachteninhalte sollte in enger Abstimmung mit der Gemeinde erfolgen. Bei Durchführung eines Raumordnungsverfahrens werden die inhaltlichen Anforderungen an ein Gutachten im Ergebnis der Antragskonferenz für den jeweiligen Einzelfall von der Gemeinsamen Landesplanungsabteilung formuliert und dem Antragsteller übergeben. Gutachten stellen eine wichtige Basis dar, um zu prüfen, ob das Vorhaben unter Beachtung und Berücksichtigung der raumordnerischen und städtebaulichen Ziele und Grundsätze hinsichtlich seiner Auswirkungen an der vorgesehenen Stelle, im vorgesehenen Umfang und mit den vorgesehenen Sortimenten vertretbar ist.

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