Punkt 74 der 829. Sitzung des Bundesrates am 15. Dezember 2006
A.
Der Rechtsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, zu dem Gesetz zu verlangen, dass der Vermittlungsausschuss gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes aus folgenden Gründen einberufen wird:
1. Zu Artikel 1 (§ 20 G 10), Artikel 2 Nr. 24 Buchstabe c ( § 110 Abs. 9 TKG), Nr. 26 (§ 113 Abs. 2 Satz 2 bis 4 TKG), Nr. 34 Buchstabe d (§ 150 Abs. 12a TKG)
- a) Artikel 1 ist wie folgt zu fassen:
Artikel 1
Änderung des Artikel 10-Gesetzes
§ 20 des Artikel 10-Gesetzes vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254), das zuletzt durch ... geändert worden ist, wird wie folgt gefasst:
§ 20 Entschädigung
- Die nach § 1 Abs. 1 berechtigten Stellen haben für Leistungen nach § 2 Abs. 1 eine Entschädigung zu gewähren, die sich nach § 23 des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes bemisst."
- b) Artikel 2 ist wie folgt zu ändern:
Begründung
:
Mit § 20 G 10- neu und § 150 Abs. 12a TKG- neu sollen Übergangsregelungen geschaffen werden, wonach sich die Entschädigungen für die Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen für die Erbringung von Leistungen nach § 2 Abs. 1 G 10 sowie nach § 110 Abs. 9 TKG bis zum Erlass einer nach dieser Vorschrift zu erlassenden Rechtsverordnung nach § 23 JVEG richten. Bei den genannten Leistungen handelt es sich insbesondere um Auskünfte und Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung, zu denen die Telekommunikationsunternehmen entweder im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen, durch das Zollkriminalamt oder durch den Bundesnachrichtendienst herangezogen werden. Sobald die Verordnung in Kraft getreten ist, soll sich die Entschädigung der Telekommunikationsunternehmen - im Gegensatz zur Entschädigung für die Überwachung der Post und andere Maßnahmen, zu denen Zeugen und Dritte im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungsmaßnahmen verpflichtet werden - nach dieser Verordnung richten.
Mit der vom Deutschen Bundestag beschlossenen Änderung in § 113 Abs. 2 TKG- neu soll die rechtsförmliche Anpassung vorgenommen werden, um den Telekommunikationsunternehmen für Auskünfte nach § 113 Abs. 1 TKG eine von § 23 JVEG abweichende Entschädigung nach der Rechtsverordnung des § 110 Abs. 9 TKG gewähren zu können.
Für die genannte Rechtsverordnung nach § 110 Abs. 9 TKG besteht aber weder ein Bedarf, noch kann ein Anwendungsbereich wirksam eröffnet werden. Da eine verfassungsgemäße Ausgestaltung der Verordnung ebenfalls kaum denkbar ist, ist mit § 110 Abs. 9 TKG auch die Verordnungsermächtigung selbst aufzuheben. Damit entfällt zugleich das Bedürfnis für Übergangs- und Vorrangregelungen.
Die §§ 23, 19 ff. JVEG enthalten ausgewogene Spezialregelungen gerade für die Entschädigung Dritter, die im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen herangezogen werden. Es ist geboten, es bei den für alle Betroffenen ausgewogenen Regelungen zu belassen:
Zum einen entsprechen die von den Telekommunikationsunternehmen für strafrechtliche Ermittlungen zu erbringenden Leistungen den Zeugenpflichten jedes Bürgers. Die Entschädigungsleistungen müssen mit dieser Pflicht korrelieren und können dementsprechend zur Wahrung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege nicht im Umfang marktgerechter Vergütungen gewährt werden. Das Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz enthält in sich stimmige und ausgewogene Regelungen, die die Positionen sowohl der im Interesse des Allgemeinwohls tätigen Strafverfolgungsbehörden als auch der in Anspruch genommenen Zeugen und Dritten angemessen berücksichtigen.
Eine Sonderregelung nur für die den Telekommunikationsunternehmen zu gewährenden Entschädigungen dürfte überdies nicht in verfassungsgemäßer Weise auszugestalten sein, sondern gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Artikels 3 GG verstoßen. Denn es ist kein sachlicher Grund erkennbar, der eine derartige Ungleichbehandlung der Entschädigungsleistungen für Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen auf der einen und für sonstige Inanspruchnahmen von Zeugen oder Dritten auf der anderen Seite rechtfertigt. Zwar werden Telekommunikationsunternehmen unter Umständen häufiger in Anspruch genommen als Zeugen. Aber auch andere Unternehmen wie beispielsweise Postdienstleister, Behörden u. a. werden verstärkt zu Ermittlungsmaßnahmen herangezogen. Insbesondere Kreditinstitute werden sogar ungleich öfter als Telekommunikationsunternehmen zur Auskunftserteilung in Anspruch genommen.
Da § 23 JVEG die Entschädigung speziell für Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung regelt, besteht auch kein praktisches Bedürfnis für eine weiter gehende Rechtsverordnung. Denn es ist bereits eine abschließende Sonderregelung vorhanden, so dass ein Anwendungsbereich für die - dem Gesetz nachrangige - Rechtsverordnung gar nicht verbleibt. Dies ergibt sich insbesondere auch daraus, dass die Entschädigungsleistungen in § 1 Abs. 1 Satz 2 JVEG abschließend geregelt werden, wodurch die Ausgewogenheit der Regelungen gewahrt werden soll.
2. Zu Artikel 2 Nr. 11 ( § 44a TKG)
Artikel 2 Nr. 11 § 44a ist wie folgt zu ändern:
- a) In Satz 1 und 2 sind nach dem Wort "Vorsatz" die Wörter "oder grober Fahrlässigkeit" einzufügen.
- b) In Satz 1 ist der Betrag von 12 500 Euro maßvoll zu erhöhen.
Begründung
:
§ 44a TKG- neu beschränkt als Nachfolgeregelung zu § 7 TKV die Haftung zu Lasten der Endnutzer von Telekommunikationsdiensten. Diese ursprüngliche Regelung stammt aus den Zeiten, in denen Telekommunikationsdienstleistungen verstaatlicht waren. Sie ist mit den Maßstäben des geltenden Zivilrechts nicht vereinbar und hinterlässt erhebliche Schutzlücken zu Ungunsten des Verbrauchers.
Im Zuge der Privatisierung des Telekommunikationswesens sollte auch die Haftung der entsprechenden Unternehmen an das übliche zivilrechtliche Maß herangeführt werden. Der Bundesrat hat dies bereits bei der Beratung des Gesetzentwurfs auf Grund von Empfehlungen seines Rechts- und seines Wirtschaftsausschusses vorgeschlagen (vgl. BR-Drs. 359/06(B) , Ziffer 6 und 7).
Der Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages, der die Haftung vollständig unverändert lassen möchte, ist nicht nur im Telekommunikationsbereich, sondern auch für andere Bereiche, die derzeit oder künftig privatisiert werden, von grundsätzlicher Bedeutung. Die Wirtschaft soll nicht im Übermaß belastet werden, eine vollständige Haftungsgleichstellung mit dem allgemeinen Privatrecht soll erst mittelfristig erfolgen. Dem trägt dieser Vorschlag Rechnung. Dabei muss aber auch berücksichtigt werden, dass bei der vorgeschlagenen Lösung existenzvernichtende Schäden für den Verbraucher hingenommen würden, ohne dass die betroffenen Unternehmen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit haften würden. Dies ist nicht sachgerecht. Von den in anderen Bereichen vorgesehenen Verschuldensvermutungen zu Lasten des Unternehmers nimmt der Bundesrat bewusst Abstand. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Verbraucher keine Möglichkeit hat, Vorsorge gegen den Ausfall von Telekommunikationsdienstleistungen zu treffen. Zu berücksichtigen ist weiter, dass nach allgemeinem Zivilrecht bei jeder Art des Verschuldens unbegrenzt gehaftet wird.
Bei Berücksichtigung all dieser Erwägungen hält es der Bundesrat für zwingend, dass ein Haftungsausschluss bei vorsätzlicher wie auch bei grob fahrlässiger Verursachung nicht in Betracht kommt. Bei leicht fahrlässig verursachten Vermögensschäden sollte die bisher vorgesehene individuelle Begrenzung von 12 500 Euro maßvoll angehoben werden. Damit würde man sich auf derselben Ebene bewegen, die bei anderen Massengeschäften, z.B. dem § 14 Satz 2 der Verordnung über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen für den Straßenbahn- und Obusverkehr sowie den Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen vom 27. Februar 1970 (BGBl. I S. 230), zuletzt geändert durch Artikel 23 des Gesetzes zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3214), zum Tragen kommt.
B.
- 3. Der federführende Wirtschaftsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, dem Gesetz gemäß Artikel 87f Abs. 1 und Artikel 80 Abs. 2 des Grundgesetzes zuzustimmen.
C.
Der federführende Wirtschaftsausschuss empfiehlt dem Bundesrat die Annahme der nachstehenden Entschließung:
- 4. Der Bundesrat erkennt an, dass mit dem Gesetz die Rahmenbedingungen für die Inanspruchnahme von Telekommunikationsdiensten neu geregelt und die europarechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2002/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten (Universaldienstrichtlinie) weiter konkretisiert sowie einzelne Vorgaben anderer Richtlinien des Europäischen Rechtsrahmens für elektronische Kommunikation umgesetzt werden.
- 5. Der Bundesrat begrüßt, dass spezielle verbraucherschützende Regelungen, die in den Vorschriften des Gesetzes zur Bekämpfung des Missbrauchs mit 0190er-/0900er-Mehrwertdiensterufnummern enthalten sind, mit diesem Gesetz fortgeschrieben werden.
- 6. Der Bundesrat hält darüber hinaus die Regelungen zu den so genannten "Neuen Märkten" für nicht EU-rechtskonform. Dies gilt vorrangig für folgende Punkte:
- - gesetzliche Vorgabe des Vorzugs einzelner Regulierungsziele;
- - gesetzliche Vorgabe eines Kriterienkatalogs zur Definition "Neuer Märkte";
- - Eingriffsmöglichkeit erst bei langfristigerer Wettbewerbsbehinderung.
Der Bundesrat weist dazu auf den EU-Rechtsrahmen hin, der bei der Wettbewerbsregulierung einen Ermessensspielraum primär für die unabhängigen nationalen Regulierungsbehörden vorsieht, die anhand der Marktbedingungen die Frage der Regulierungsbedürftigkeit von Märkten und der Regulierungsintensität zu entscheiden haben. Die angestrebte Regelung mit normativen Vorgaben zur Regulierung würde dagegen die ordnungspolitische Zweckbestimmung des EU-Rechtsrahmens konterkarieren, denn damit würde genau in das Ermessen eingegriffen, das der EU-Rechtsrahmen der Bundesnetzagentur in Bezug auf das Marktanalyseverfahren sowie die daraus resultierenden Regulierungsverfügungen bewusst gelassen hat.
- 7. Der Bundesrat hat bereits in seinem Beschluss vom 7. Juli 2006 ausgeführt, dass eine effiziente Ausgestaltung der nachträglichen Entgeltregulierung und der besonderen Missbrauchsaufsicht (§§ 38, 42 TKG) dringend notwendig ist. Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass diese Tatsache zwischenzeitlich auch von der Bundesregierung nicht angezweifelt wurde und bedauert, dass gleichwohl keine Regelung vorgesehen ist, die eine effiziente sektorspezifische Ex-Post-Missbrauchskontrolle sicherstellt.