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Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 4302
Stand 1979
(BArbBl. 7-8/1979)
I. Gefahrenquellen
Chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Arbeitsstoffe kommen an zahlreichen Arbeitsplätzen als Inhalationsnoxen vor. Sie sind teilweise mit den früher üblichen Begriffen "Reizstoffe" oder "Reizgase" identisch. Die BK Nr. 4302 betrifft jedoch nur durch diese Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen. Bei den nachfolgend beispielhaft aufgeführten Arbeitsstoffen liegen hierüber zum Teil empirischkasuistische Erfahrungen, zum Teil auch epidemiologisch gesicherte Erkenntnisse vor.
Die Noxen können in Form von Gasen, Dämpfen, Stäuben oder Rauchen vorkommen und lassen sich folgendermaßen gruppieren:
leicht flüchtige organische Arbeitsstoffe: z.B. Acrolein, Athylenimin, Chlorameisensäureäthylester, Formaldehyd, Phosgen;
schwer flüchtige organische Arbeitsstoffe: z.B. einige Härter für Epoxidharze, bestimmte Isocyanate, Maleinsäureanhydrid, Naphthochinon, Phthalsäureanhydrid, p-Phenylendiamin;
leicht flüchtige anorganische Arbeitsstoffe: z.B. Nitrose Gase, einige Phosphorchloride, Schwefeldioxid;
schwer flüchtige anorganische Arbeitsstoffe: z.B. Persulfat, Zinkchlorid, Beryllium und seine Verbindungen (BK Nr. 1110)**), Cadmiumoxid (BK Nr. 1104)**), Vanadiumpentoxid (BK Nr. 1107)**);
Auf zahlreiche weitere in der Literatur genannte Stoffe wird hingewiesen.
*) Vorbemerkung zu Nr. 4301 und 4302 s. M 4301 S. 1.
**) In diesen Fällen hat die BK-Anzeige nach der in der Klammer angegebenen BK-Nr. zu erfolgen.
Im Einzelfall sind Intensität und Dauer der Einwirkung zu berücksichtigen, immer ist aber auch mit der Möglichkeit einer individuellen Empfindlichkeitssteigerung zu rechnen. Bedeutsam ist der zeitliche Zusammenhang zwischen Exposition und Kranheitsbeginn.
II. Pathophysiologie
Die Aufnahme erfolgt fast ausschließlich über das Atemorgan. In Abhängigkeit von Intensität und Dauer der beruflichen Exposition gegenüber chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden Stoffen kommt es lokal zur Irritation sensorischer Rezeptoren und/oder zur primär-toxischen Schleimhautschädigung vorwiegend im Bereich der mittleren und tieferen Atemwege. Diese Wirkungen können reversibel sein. Der Übergang in einen chronisch-obstruktiven Zustand ist aber möglich.
III . Krankheitsbild und Diagnose
Das Reaktionsmuster des broncho-pulmonalen Systems ist trotz der chemischen Verschiedenartigkeit der als Gefahrenquellen bekannt gewordenen Arbeitsstoffe verhältnismäßig einförmig. Im Vordergrund stehen akut oder schleichend einsetzende Beschwerden in Form von Husten, unterschiedlich starkem Auswurf, Atemnot und vereinzelt Brustschmerzen. Reizwirkungen an den Schleimhäuten im Bereich der Augen und des Nasen-Rachenraums werden beobachtet.
Im Mittelpunkt des Krankheitsbildes steht die Atemwegsobstruktion, häufig in Verbindung mit einer Lungenüberblähung. Meist sind auch Atemnebengeräusche auskultierbar. Bei den morphologischen Veränderungen der Bronchialschleimhaut stehen Entzündungszeichen mit Schleimhautschwellung im Vordergrund. Daneben bestehen Hypersekretion, Dyskrinie und Störungen des Selbstreinigungsmechanismus der Atemwege. - Folgende Verlaufsformen lassen sich unterscheiden:
massive, akute Exposition: akutes Krankheitsbild, Reversibilität;
massive, akute Exposition: akutes Krankheitsbild, Irreversibilität;
chronische Exposition: schleichend beginnendes Krankheitsbild, Reversibilität nach Expositionsende;
Mischformen und Sonderverläufe kommen vor. Die Verlaufsform hängt vom Ausmaß der Exposition und der individuellen Reaktionsbereitschaft ab. Eine Anfälligkeit gegenüber viralen und bakteriellen Bronchialinfekten mit verzögerter Heilungstendenz wird beobachtet. Als Komplikationen sind ferner u. a. Bronchopneumonien und das chronische Cor pulmonale zu nennen. Im chronischen Erkrankungsstadium bestehen Beschwerden und Befunde unabhängig von der beruflichen Exposition gegenüber den genannten Arbeitsstoffen.
IV. Weitere Hinweise
Hinsichtlich der Vorgeschichte, der Untersuchungsverfahren und der Beurteilung der broncho-pulmonalen Funktionsstörung einschließlich ihrer kardio-zirkulatorischen Rückwirkung sowie der allgemeinen körperlichen Leistungsfähigkeit gelten die im Merkblatt zu BK Nr. 4301 wiedergegebenen Hinweise sinngemäß.
Die Indikation zur inhalativen Testung ist streng zu stellen. Besondere Erfahrung und eine entsprechende apparative Ausstattung sind hierfür Voraussetzung. Bei einer Vielzahl von Arbeitsstoffen, insbesondere den primär-toxisch wirkenden, ist von Inhalationstests in der Regel abzuraten.
Neben Intensität und Dauer der Einwirkung chemisch-irritativ oder toxisch wirkender Arbeitsstoffe kann eine epidemiologisch-statistische Häufung von obstruktiven Atemwegserkrankungen unter vergleichbaren Kollektiven auf eine tätigkeitsbedingte Verursachung hinweisen.
Differentialdiagnostisch müssen obstruktive Atemwegserkrankungen infolge von außerberuflichen Ursachen, wie chronischem Nikotinabusus, Allergien, akuten und chronischen Infektionen der Atemorgane usw. bei der Beurteilung des Kausalzusammenhanges berücksichtigt werden.
Schwierig wird die Beurteilung insbesondere, wenn bei einer vorbestehenden unspezifischen bronchialen Hyperreagibilität und/oder chronisch-obstruktiven Bronchitis aus nichtberuflicher Ursache durch berufliche Exposition gegenüber chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden Stoffen eine obstruktive Atemwegserkrankung entsteht oder sich verschlimmert.
(Stand: 16.06.2018)
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