Der Ministerpräsident Düsseldorf, den 7. März 2006
des Landes Nordrhein-Westfalen
An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Peter Harry Carstensen
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierung Nordrhein-Westfalen hat beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage beigefügten Antrag einer
- Entschließung des Bundesrates zu einem Gemeinschaftspatentsystem in Europa
zuzuleiten.
Ich bitte, den Antrag gemäß § 36 Abs. 1 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Rüttgers
Entschließung des Bundesrates zu einem Gemeinschaftspatentsystem in Europa
Der Bundesrat möge beschließen:
- 1. Der Bundesrat stellt fest, dass die Verhandlungen über die Einführung des Gemeinschaftspatents in eine Sackgasse geraten sind. Er begrüßt deshalb den Vorstoß der Kommission vom 9. Januar 2006, mit einer öffentlichen Konsultation die Diskussion über die Frage, wie der Schutz von Patenten in der Europäischen Union verbessert werden kann, wieder in Gang zu bringen. Der Bundesrat erinnert daran dass ein einheitliches europäisches Patentrecht eines der Grundelemente der Lissabon-Agenda ist. Er ist mit der Kommission der Ansicht, dass die EU ein bezahlbares, rechtlich abgesichertes und benutzerfreundliches System für den Schutz geistigen Eigentums braucht, wenn sie ein attraktiver Standort für innovative und forschende Unternehmen sein will. Dies setzt zwingend voraus, dass das Verfahren effizient, schnell und kostengünstig ist.
- 2. Die von der Kommission eingeleitete Konsultation sollte daher dazu genutzt werden, die erheblichen Schwächen der zuletzt vorgesehenen Ausgestaltung des Gemeinschaftspatents zu beheben und zugleich die Möglichkeiten auszuloten, auch neue Wege zu einem europäischen Patentsystem in Betracht zu ziehen.
- 3. In materiellrechtlicher Hinsicht sollte - wie dies in Abschnitt 4 des Fragebogens der Kommission nachgefragt wird - ein europäisches Patentsystem auch durch eine weitere Harmonisierung des Patentrechts vorangetrieben werden. Dabei müssen die Vorschriften Klarheit über den Inhalt und Umfang eines Patents bringen, wobei bei der Bestimmung der Grenzen die Interessen der Rechteinhaber mit den Gemeinwohlinteressen - fairer Wettbewerb, ethisches Verhalten, Umweltschutz, Gesundheitsschutz, Informationsfreiheit, Freiheit von Wissenschaft und Forschung, Innovation - wohl abgewogen werden müssen. Darüber hinaus besteht aber auch Harmonisierungsbedarf im Hinblick auf die in den Mitgliedstaaten divergierende Spruchpraxis, soweit diese in Grundsatzfragen voneinander abweicht, wie etwa bei der Festlegung des Schutzumfangs eines Patents (nur Wortsinn oder auch sog. äquivalente Lösung). Insoweit bedarf es aber zunächst einer umfassenden und sorgfältigen Informationsgewinnung über die bestehenden Divergenzen und ihrer Gründe.
- 4. Für die Patenterteilung ist aufgrund seiner besonderen Kompetenz das Europäische Patentamt berufen. Das Erteilungsverfahren muss jedoch im Interesse der Patentanmelder möglichst effizient durchgeführt werden und kostengünstig sein.
Der Bundesrat setzt sich deshalb nachdrücklich dafür ein, die bisher vorgesehene kostenintensive Übersetzung der Patentansprüche in alle Amtssprachen der Europäischen Union aufzugeben. Das Londoner Abkommen ist deshalb zu begrüßen.
Nach dem Vorbild anderer Sprach-Regime (z.B. Artikel 20 der Richtlinie 2004/109/EG, sog. Transparenzrichtlinie) könnte es sich auch anbieten, dass der Patentanmelder die Patentansprüche lediglich in der Sprache seines Heimatstaats und in einer weiteren Sprache, die vom Europäischen Patentamt akzeptiert wird oder die im Patentwesen gebräuchlich ist, vorzulegen hat.
Für die Wirkung des Patents können im Interesse der internationalen Akzeptanz eines europäischen Patents nur die Sprachen maßgeblich sein, die vom Europäischen Patentamt akzeptiert werden oder die im Patentwesen gebräuchlich sind.
Nur dann kann auch das eigentliche Ziel der Harmonisierung des Patentrechts in der EU erreicht werden. Eine Ausweitung der Rechtswirkungen von etwaigen - und auf ein Mindestmaß zu beschränkenden - Übersetzungen ist abzulehnen; diese dürfen im Grundsatz nur eine rechtlich unverbindliche Information darstellen.
- 5. Zu einem erfolgreichen europäischen Patentsystem gehört auch eine wirksame Patentgerichtsbarkeit. Diese muss effizient, das heißt insbesondere schnell und kostengünstig sein. Eine wirksame und effiziente Patentgerichtsbarkeit sollte nach Auffassung des Bundesrates insbesondere folgende Voraussetzungen erfüllen:
- a) Das Ziel eines effektiven Rechtsschutzes lässt sich im Hinblick auf Ortsnähe, Verfahrensdauer und Kosten am Besten durch die erstinstanzliche Zuständigkeit der nationalen Gerichte erreichen. Im Hinblick auf den örtlichen Gerichtsstand muss der Kläger - wie nach Artikel 5 der Verordnung (EG) Nr. 044/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 (EuGVVO) bzw. nach Artikel 5 des EWG-Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 (EuGVÜ, Brüsseler Übereinkommen) - die Möglichkeit haben, das Gericht des Verletzungsortes (Handlungs- oder Erfolgsort) anzurufen. Zur Vermeidung einer Vielzahl paralleler Verfahren muss das angerufene Gericht eine grenzüberschreitende Zuständigkeit besitzen.
- b) Das Ziel eines effektiven und schnellen Verfahrens ist auch bei der Sprachenregelung zu beachten. Auf Grund der Komplexität und der fachlichen und sprachlichen Feinheiten gerade in Patentverfahren ist die Notwendigkeit der Übersetzung der Prozessunterlagen wie auch eine eventuelle mehrfache Simultandolmetschung in der mündlichen Verhandlung auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Der Kläger muss daher dann, wenn der Beklagte des Patentverletzungsstreits den Verletzungsgegenstand außerhalb des Mitgliedstaates vertreibt in dem er seinen Sitz hat, die Möglichkeit haben, die Amtsprache am Ort des angerufenen Gerichts als Verfahrenssprache zu wählen. Eine unangemessene Benachteiligung des Beklagten ist hierin nicht zu sehen, weil dieser im Falle einer möglichen Patentverletzung in einem anderen Mitgliedstaat auch heute damit rechnen muss, einem Prozess in einem anderen Staat mit dessen Gerichtssprache ausgesetzt zu werden.
- 6. Der Bundesrat hält einen Fortgang und Abschluss der Verhandlungen über das Streitregelungsabkommen für wünschenswert und erforderlich. Er würde es daher begrüßen wenn die EU weiteren Verhandlungen durch die Mitgliedstaaten des EPÜ zumindest parallel zum Gemeinschaftspatent offen gegenüber stehen würde.
Beide Projekte sind nebeneinander möglich, weil sich ihre Zuständigkeitsbereiche nicht überschneiden. Auf Dauer und in die Zukunft gerichtet erachtet der Bundesrat zwar ein Nebeneinander von zwei europäischen Patentgerichtsbarkeiten nicht für sinnvoll. Es besteht jedoch ein ganz erhebliches Bedürfnis für eine einheitliche Rechtsprechung in Europa auch für die vorhandenen über 700.000 Bündelpatente, das durch ein Gemeinschaftspatent nicht befriedigt würde. Im übrigen ist der Bundesrat mit vielen Stimmen aus der Wirtschaft der Ansicht, dass dieses Vorhaben den von der Kommission gesetzten Forderungen nach einem bezahlbaren und benutzerfreundlichen System besser und schneller gerecht würde als das Gemeinschaftspatent in seiner derzeitigen Ausprägung. Er spricht sich daher - und zwar auch unabhängig von der weiteren Entwicklung des Rechtsetzungsverfahrens zum Gemeinschaftspatent - dafür aus, dass die Rahmenbedingungen für das europäische Patent ("Bündelpatent") nach dem Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) verbessert und die Verhandlungen über die Errichtung eines Zentralgerichts mit regionalen Kammern für europäische Patente fortgesetzt werden.
Ein entsprechendes Abkommen liegt mit dem Streitregelungsabkommen (EPLA) zwar praktisch unterschriftsreif vor. Es bestehen aber Zweifel, ob alle Vertragsstaaten dem Abkommen zustimmen werden. Aufgrund dessen sollte zumindest als Alternative auch eine weitere Harmonisierung des Patentsrechts - wie unter Ziff. 3 dargestellt - in Betracht gezogen werden.
- 7. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, sich bei der EU für eine neue Patentinitiative im vorstehenden Sinne und einen Fortgang der Verhandlungen über das Streitregelungsabkommen einzusetzen.
Begründung
Nach dem Scheitern der EU-Richtlinie über die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen und der schwierigen Diskussion über das Gemeinschaftspatent möchte die Europäische Kommission im ersten Halbjahr des Jahres 2006 in einen Dialog mit den beteiligten Kreisen eintreten. Zu diesem Zweck hat sie inzwischen mit Datum vom 9. Januar 2006 einen Fragenkatalog versandt. Die Konsultation soll mit einer öffentlichen Anhörung im Mai 2006 abgeschlossen werden. Die Europäische Kommission möchte ihre künftige Patentstrategie definieren und zu diesem Zweck herausfinden was getan werden sollte, um das europäische Patentschutzsystem zu verbessern.
An diesem Konsultationsprozess sollte sich aufgrund der spezifischen Interessen Deutschlands an einem funktionierenden und effizienten Patentsystem auch der Bundesrat beteiligen, um den Standpunkt und die Interessen der Länder darzulegen.
Dabei sollte der Bundesrat seine schon mehrfach geäußerte Auffassung bekräftigen, dass die EU ein bezahlbares, rechtlich abgesichertes und benutzerfreundliches System für den Schutz geistigen Eigentums braucht, wenn sie ein attraktiver Standort für innovative und forschende Unternehmen sein will. Insoweit wird auf die Stellungnahmen des Bundesrates vom 2. April 2004 zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Übertragung der Zuständigkeit in Gemeinschaftspatentsachen auf den Gerichtshof (BR-Drucksache 064/04(B) ) und zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Errichtung des Gemeinschaftspatentgerichts und betreffend das Rechtsmittel vor dem Gericht erster Instanz (BR-Drucksache 065/04(B) ) sowie vom 8. Juli 2005 zu der Mitteilung der Kommission "Bessere Rechtsetzung für Wachstum und Arbeitsplätze in der Europäischen Union" (BR-Drucksache 286/05(B) ) verwiesen.
In dem Entschließungsantrag werden die wesentlichen Schwachpunkte der bisherigen Verhandlungsergebnisse aufgezeigt, nämlich insbesondere der Verzicht auf das vom Bundesrat stets befürwortete Regionalkammersystem mit der Einbindung der gut funktionierenden nationalen Patentgerichte zu Gunsten einer zentralen Gemeinschaftspatentgerichtsbarkeit, das teure Sprachen-Regime mit dem Erfordernis von derzeit 21 Übersetzungen der Patentansprüche und die damit verbundene Problematik der Rechtswirkungen der (fehlerhaften) Übersetzungen.
Entsprechend dem Fragenkatalog der Kommission werden auch Wege zu einer Verbesserung des europäischen Patentschutzsystems dargestellt. Zum einen ist auf eine weitere Harmonisierung des Patentrechts zu dringen, wobei die Überlegungen auch eine Vereinheitlichung der Rechtspraxis einschließen. Zum zweiten könnte die umstrittene Sprachenfrage mit dem Hinweis auf die Sprachenregelung in der sog. Transparenzrichtlinie befruchtet werden. Schließlich sollte auch darauf hingewiesen werden dass bereits heute mit dem EPÜ-Streitregelungsabkommen ein weit gediehenes Vorhaben zur Verfügung steht, das den von der Kommission gesetzten Forderungen nach einem bezahlbaren und benutzerfreundlichen System besser und schneller gerecht würde als das Gemeinschaftspatent in seiner derzeitigen Ausprägung.
Zumindest auf mittlere Sicht ist hierin im Falle eines Beitritts der EU zum Europäischen Patentübereinkommen eine echte Alternative zu dem nach wie vor wünschenswerten Gemeinschaftspatentsystem zu sehen. Da aber andererseits eine Zustimmung aller Vertragsstaaten zum EPÜ-Streitregelungsabkommen zweifelhaft ist, sollte zumindest als Alternative auch eine weitere Harmonisierung des Patentsrechts in Betracht gezogen werden.