948. Sitzung des Bundesrates am 23. September 2016
A
Der Rechtsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 GG wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zu Artikel 1 (BNDG)
Der Bundesrat empfiehlt, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob insbesondere der im Gesetzentwurf vorgesehene neue Abschnitt 2 des BND-Gesetzes (§§ 6 bis 18) dem Schutzbereich des Artikels 10 Absatz 1 GG unterfällt und gegebenenfalls, welche Konsequenzen sich daraus für die Beachtung des Zitiergebots (Artikel 19 Absatz 2 Satz 1 GG), die grundrechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit der dort enthaltenen Eingriffsbefugnisse sowie für die vorgesehenen Schutz- und Kontrollmechanismen ergeben.
Begründung:
Die nachrichtendienstliche Tätigkeit betrifft regelmäßig sensible Bereiche des Grundrechts- (und Daten-)schutzes (insbesondere Artikel 10 Absatz 1 GG, der als speziellere Garantie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 GG verdrängt, auf den die Vorgaben hieraus im Falle der Verarbeitung personenbezogener Daten aber übertragbar sind, vgl. BVerfGE 100, 313, 358 f.; in juris Rn. 160, 166). Die besondere Sensibilität ergibt sich daraus, dass die nachrichtendienstliche Tätigkeit im Vorfeld polizeilicher Gefahren angesiedelt ist, sich deshalb auf die Beobachtung rechtmäßigen Verhaltens erstreckt und in Anbetracht der technischen Möglichkeiten und der dabei anfallenden Datenmengen auf eine jedenfalls zum Teil anlasslose Vorratsdatenspeicherung hinausläuft.
- a) Der Gesetzentwurf basiert auf der Unterscheidung zwischen "InlandAusland-Fernmeldeaufklärung" und "Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung" (nur für die Erstere gelten die Restriktionen des Artikel 10 Gesetzes) und gestaltet die gesetzlichen Anforderungen und das Kontrollregime allein für die "Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung", die vom Inland aus erfolgt (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs, Seite 27).
Diese Ausgangsprämisse erscheint als noch vom analogen Zeitalter geprägt und in Anbetracht der heute eingesetzten Techniken der Massenüberwachung daher in Bezug auf ihre Praktikabilität fragwürdig. Denn den vom Bundeskanzleramt nach § 6 Absatz 1 Satz 2 BNDG-E durch Anordnung zu bestimmenden Telekommunikationsnetzen, aus denen die Datenerhebungen erfolgen dürfen, ist nicht anzusehen, ob sie nur dem "Inland-Inland-", dem "Inland-Ausland-" oder auch dem "Ausland-AuslandFernmeldeverkehr" dienen. Entsprechend heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs auf Seite 29 f.:
"Für eine Anordnung einer Maßnahme im Rahmen der Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung kommen nur solche Telekommunikationsnetze in Betracht, die auch ausländische Telekommunikation - also Telekommunikation von Ausländern im Ausland - führen, [...] Dass über ein Telekommunikationsnetz auch nationale Verkehre geführt werden, steht einer Anordnung nach § 6 BNDG-E nicht entgegen". Bezeichnend ist insoweit auch die Begründung zu § 6 Absatz 4 BNDG-E (Seite 32), wonach die Erhebung von sonstigen personenbezogenen Daten (also solche, die nicht Artikel 10 GG unterfallen) von deutschen Staatsangehörigen, inländischen juristischen Personen oder sich im Bundesgebiet aufhaltenden Personen mit Mitteln der Ausland-AuslandFernmeldeaufklärung nicht ausgeschlossen sein soll.
Dessen ungeachtet setzt sich der Gesetzentwurf nicht mit der räumlichen Reichweite des Artikels 10 Absatz 1 GG und seiner Bindungswirkung im Rahmen einer "Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung" auseinander. Eine verfassungsrechtliche Prüfung, ob die im Gesetzentwurf getroffene rechtliche Unterscheidung und die daran anknüpfende Unterscheidung der gesetzlichen Anforderungen je nach Ort der Datenerhebung (Inland oder Ausland) und Betroffenheit bestimmter Personengruppen (deutsche Staatsangehörige, Unionsbürger oder EU-Ausländer) mit Artikel 10 Absatz 1 GG vereinbar ist, scheint jedoch geboten.
Artikel 10 Absatz 1 GG ist ein sogenanntes 'Jedermann-Grundrecht' und schützt Inländer wie Ausländer gleichermaßen vor Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis durch die deutsche Staatsgewalt. Dennoch beachtet der Gesetzentwurf das Zitiergebot des Artikel 19 Absatz 1 Satz 2 GG nicht. Es kann nicht unterstellt werden, dass die Bundesregierung dies schlicht vergessen hat, denn auch der Gesetzentwurf nebst Begründung äußert sich zu Artikel 10 Absatz 1 GG nicht. Es dürfte vielmehr so sein, dass Artikel 10 Absatz 1 GG nach Auffassung der Bundesregierung keine Auslandsgeltung zukommt und deshalb für die hier geregelte Materie keine Relevanz entfaltet, unabhängig davon, ob die Datenerhebung vom Inland oder vom Ausland aus erfolgt (vgl. Löffelmann in recht+politik, Ausgabe 8/2016 vom 23. August 2016, Seite 1). Gegen diese Auffassung wiederum sprechen gewichtige verfassungsrechtliche Bedenken.
Eine eindeutige verfassungsgerichtliche Positionierung existiert, soweit ersichtlich, noch nicht. In seinem Urteil vom 14. Juli 1999 zum Artikel 10-Gesetz ließ das BVerfG ausdrücklich offen, ob Artikel 10 Absatz 1 GG auch für ausländische Kommunikationsteilnehmer im Ausland gilt (BVerfGE 100, 313, 364; in juris Rn. 178). Teilweise wird dieser Stand der Rechtsprechung dahin fortentwickelt, dass die Grundrechte bei reinen Auslandssachverhalten grundsätzlich keine Wirkung entfalten (Löffelmann in recht+politik, Ausgabe 6/2015 vom 22. Juni 2015, Seite 4).
Die SPD-Bundestagsfraktion vertrat in ihrem Eckpunktepapier "Rechtsstaat wahren - Sicherheit gewährleisten!" vom 16. Juni 2015 demgegenüber die Auffassung:
"das Fernmeldegeheimnis endet nicht an Deutschlands Grenzen"; vielmehr greife die Fernmeldeaufklärung durch den BND auch dann in das Grundrecht der Telekommunikationsfreiheit ein, wenn nur Ausländer im Ausland betroffen sind. Dies ergebe sich aus einer konsequenten Weiterentwicklung der Verfassungsgerichtsrechtsprechung und aus der unmittelbaren Verpflichtung aller staatlichen Stellen aus Artikel 1 Absatz 3 GG, die Grundrechte zu achten. Allerdings sei zu beachten, dass die Geltung eines Grundrechts nicht auf der ganzen Welt gleich intensiv sei. Die Nationalität der Kommunizierenden, der Ort der Erfassung der Kommunikation und der Ort ihrer Verarbeitung, Speicherung und Nutzung seien im Rahmen einer Abwägung mit den legitimen Sicherheitsinteressen zu beachten.
Artikel 10 GG dürfe deshalb in Abwägung mit den zu schützenden hochrangigen Rechtsgütern nicht eindimensional als auch im Ausland geltendes subjektives Abwehrrecht missverstanden werden. Er entfalte über Artikel 1 Absatz 3 GG nur einen objektivrechtlichen Schutzauftrag (http://www.spdfraktion.de/system/files/documents/2015-06-16-spdeckpunkte_reform_strafmar-endfassung.pdf ).
Dem wird aus wissenschaftlicher Sicht entgegengehalten, dass eine abgeschwächte Grundrechtsgeltung in Fällen mit Auslandsbezug im Grundgesetz keinen Rückhalt finde; Artikel 10 GG sei weder auf deutsche Staatsangehörige noch auf die Tätigkeit auf deutschem Staatsgebiet beschränkt; auch völkerrechtliche Regelungen beschränkten die grundrechtlichen Vorgaben nicht (Payandeh, DVBl. 2016, 1073, 1074 ff. m. w. N.).
Eine weitergehende Schutzwirkung war zuvor bereits von Verfassungsrechtsexperten vor dem NSU-Untersuchungsausschuss am 22. Mai 2014 formuliert worden. Danach binde Artikel 10 Absatz 1 GG den BND zunächst dann, wenn er die Kommunikation von Ausländern im Ausland vom Inland aus überwacht, indem er Daten aus terrestrischen leitungsgebundenen Netzen deutscher Provider ausleitet oder von der Empfangsanlage in Bad Aibling aus von einem Satelliten abfängt und dann weiterverarbeitet (die sogenannte "Weltraumtheorie" des BND dürfte als widerlegt gelten, vgl. nur Durner in Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Artikel 10 Rn. 64 m. w. N., insbes. auf BVerfGE 100, 313, 363 f., in juris Rn. 178 und Leitsatz 2: hinreichender Gebietskontakt bei Erfassung und Aufzeichnung des Telekommunikationsverkehrs mit Hilfe der auf deutschem Boden stationierten Empfangsanlagen und anschließender Auswertung). Eine Bindung bestehe nach Auffassung der Experten und nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung aber auch dann, wenn der BND die Überwachung selbst im Ausland betreibt, weil der räumliche Schutzumfang des Fernmeldegeheimnisses nicht auf das Inland begrenzt sei, solange die im Ausland stattfindende Kommunikation durch Erfassung und Auswertung im Inland hinreichend mit inländischem staatlichen Handeln verknüpft sei. Anknüpfungspunkt für die Bindungswirkung der Grundrechte sei weder der (zufällige) Aufenthaltsort des Grundrechtsträgers oder die (zufällige) Nutzung bestimmter Telekommunikationsnetze noch der Ort des Handelns deutscher Staatsgewalt, sondern entsprechend Artikel 1 Absatz 3 GG das Handeln der deutschen Staatsgewalt als solcher und ihre Auswirkungen auf den Grundrechtsträger. Die Bindung ende erst dann, wenn ein Vorgang in seinem wesentlichen Verlauf von einem fremden Staat nach seinem Willen gestaltet werde (vgl. Stellungnahme von H. -J. Papier für den 1. Untersuchungsausschuss des 18. Bundestages zum Beweisbeschluss SV-2 von Mai 2016; im Ergebnis ebenso die Stellungnahmen von W. Hoffmann-Riem und M. Bäcker, zu finden unter www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse18/ua/1untersuchungsausschuss/-/280848 ).
Jedenfalls in Bezug auf die Erfassung und Auswertung mit Hilfe der auf deutschem Boden stationierten Empfangsanlagen bejaht das BVerfG wegen der Verknüpfung der Kommunikation im Ausland mit staatlichem Handeln im Inland eine Bindung staatlicher Gewalt an Artikel 10 GG selbst dann, wenn man dafür einen hinreichenden territorialen Bezug voraussetzen wollte (BVerfGE 100, 313, 363 f., in juris Rn. 178 und Leitsatz 2). Zur Gewährleistung eines lückenlosen Grundrechtsschutzes jedenfalls in ihrer Abwehrfunktion soll deshalb grundsätzlich jeder der deutschen Staatsgewalt zurechenbare Eingriff in den sachlichen Schutzbereich des Artikels 10 GG an dessen Maßstäben zu messen sein (Durner in Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Artikel 10 Rn. 65 m. w. N.).
Sollte die erforderliche verfassungsrechtliche Prüfung danach eine Grundrechtsbindung des BND im Bereich der "Ausland-AuslandFernmeldeaufklärung" ergeben, könnte die dem Gesetzentwurf zu entnehmende Differenzierung keinen Bestand haben (nach Löffelmann in recht+politik, Ausgabe 8/2016 vom 23. August 2016, Seite 4 stünde vielmehr das gesamte Regelungskonzept in Frage). Es bedürfte einer formellgesetzlichen Ermächtigung, die insbesondere den Geboten der Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit genügt und für alle potenziell betroffenen Personengruppen gleichlautende Anforderungen sowie angemessene und hinreichend wirksame Schutz- und Kontrollmechanismen formuliert.
- b) Unter zusätzlicher Berücksichtigung der aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 GG abzuleitenden Vorgaben ergäben sich materiellrechtlich beispielsweise folgende Bedenken:
- aa) Die dem BND durch § 6 Absatz 1 Satz 1 BNDG-E eingeräumten Befugnisse erschienen zu weit gefasst und zu unbestimmt. Obwohl es sich beim BND um einen Auslandsgeheimdienst handelt (§ 2 Absatz 1 Satz 1 BNDG), wird mit Nummer 1 unter anderem die "innere Sicherheit" zum Schutzgut erhoben, wobei ganz allgemein nach "Gefahren" gesucht werden darf. Offen bleibt, in welchem Rahmen mit Nummer 2 die "Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland" Anlass zur Überwachung sein darf und schließlich sind die "Erkenntnisse von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung" in Nummer 3 nicht auf Erkenntnisse über das Ausland begrenzt. Die Überwachungszwecke und -ziele drohen damit in die Beliebigkeit abzugleiten, ohne dass im Übrigen noch ein Kontrollmechanismus vorgesehen wäre (das Bundeskanzleramt bestimmt vorab lediglich die Telekommunikationsnetze, aus denen die Datenerhebung erfolgen darf). Es ist nicht erkennbar, wie eine so gefasste Befugnisnorm gegenüber der geltenden Rechtslage der Präzisierung und der Schaffung von mehr Rechtssicherheit (so die Begründung des Gesetzentwurfs) dienen sollte. Es bestünden außerdem Anlass zu Zweifeln, dass sie den Vorgaben des BVerfG zur Vorratsdatenspeicherung insbesondere in Bezug auf die Gewährleistung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung entspricht (vgl. BVerfGE 130, 151 ff, in juris Rn. 121).
- bb) Ähnlich unbestimmt und von der Praktikabilität her fragwürdig wäre die Befugnis nach § 6 Absatz 3 Nummer 2 BNDG-E zur Verwendung von Suchbegriffen innerhalb der EU zur Gewinnung von Informationen, die "ausschließlich Daten über Vorgänge in Drittstaaten" betreffen und "die von besonderer Relevanz für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland sind". Es ist kaum vorstellbar, wie aus der Überwachung von EU-Institutionen oder EU-Bürgern ausschließlich Daten über Vorgänge in Drittstaaten gewonnen werden können (vgl. Stellungnahme von Reporter ohne Grenzen, August 2016, unter www.reporterohnegrenzen.de Seite 6 mit Fn. 7).
- cc) Obwohl die Sensibilität und die Schutzbedürftigkeit von Verkehrsdaten nach den Entscheidungen des BVerfG und des EuGH zur Vorratsdatenspeicherung geklärt sein dürften, gibt es für deren Verarbeitung keine weiteren Beschränkungen; sie sollen im Gegensatz zu den Inhaltsdaten ohne Suchbegriffe und damit anlasslos erhoben werden können. Hinzu kommt eine zulässige Speicherdauer von sechs Monaten auf Vorrat, während derer diese Daten unbeschränkt analysiert werden dürfen; auf die von § 19 Absatz 1 BNDG-E (gegenwärtig § 4 Absatz 1 BNDG) vorausgesetzte Erforderlichkeit der Speicherung soll es erst nach Ablauf der sechs Monate ankommen. Eine Löschung der Daten nach Ablauf der Höchstspeicherfrist ist nicht vorgeschrieben, auch nicht in § 10 BNDG-E (Kennzeichnung und Löschung). Insofern bleibt offen, ob die Befristung nur für den BND selbst gilt, nicht aber für eine automatisierte Datenübermittlung an andere Geheimdienste des Auslands und die dortige Nutzung.
- dd) Überprüfungsbedürftig wäre auch die Regelung des § 9 Absatz 1 BNDG-E, wonach der Antrag und die Anordnung für die Benutzung bestimmter Telekommunikationsnetze gemäß § 6 Absatz 1 Satz 2 BNDG-E keine Kapazitätsbeschränkung vorsehen müssen. Laut Begründung des Gesetzentwurfes, Seite 35 f.) sei dies - anders als im Artikel 10-Gesetz - nicht erforderlich, da der BND bereits aus tatsächlichen Gründen nur einen sehr geringen Anteil der weltweiten Telekommunikation erfassen könne. Einer Kapazitätsbeschränkung, die eine flächendeckende Überwachung ausschließe, bedürfe es daher nicht. Dies würde bei Erweiterung der technischen Möglichkeiten allerdings eine Totalüberwachung ermöglichen, die im Übrigen auch nach internationalen Maßstäben unzulässig sein soll (vgl. Löffelmann in recht+politik, Ausgabe 8/2016 vom 23. August 2016, Seite 4 f.).
- ee) Der in § 11 BNDG-E geregelte Kernbereichsschutz dürfte den Vorgaben des BVerfG im Rahmen des sogenannten zweistufigen Schutzkonzepts nicht entsprechen (vgl. nur Beschl. vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09 -, in juris Rn. 217 ff. zu § 20k Absatz 7 BKAG m. w. N.). Es fehlen ausreichende Sicherungen sowohl auf der Erhebungs- als auch auf der Aus- und Verwertungsebene:
- - Auf der Erhebungsebene fehlt eine informationstechnische Sicherung, die verhindert, dass Daten, die den Kernbereich privater Lebensgestaltung betreffen, gar nicht erst erhoben werden.
- - Auf der Aus- und Verwertungsebene fehlt eine ausreichende Sichtung derjenigen Daten des Kernbereichs, die trotz Unzulässigkeit erhoben wurden, aber nicht verwertbar sind. Diese Sichtung hat zeitlich vor Kenntnisnahme und Nutzung der Daten durch den BND und durch eine unabhängige Stelle zu erfolgen. Die in § 15 Absatz 3 Satz 1 und 2 BNDG-E vorgesehene stichprobenartige Überprüfung unter der Aufsicht einer oder eines Bediensteten des BND mit Befähigung zum Richteramt genügt insoweit nicht; das BVerfG erlaubt zwar eine Mitwirkung eigener Bediensteter, doch muss die "tatsächliche Durchführung und Entscheidungsverantwortung [...] maßgeblich in den Händen von [...] unabhängigen Personen liegen". Eine solche unabhängige Sichtung könnte durch das Unabhängige Gremium nach § 16 BNDG-E durchgeführt werden, doch sieht § 15 Absatz 3 Satz 6 BNDG-E insoweit auch nur eine stichprobenartige Kontrolle vor. Es ist nicht erkennbar, wie auf diese Weise sichergestellt werden könnte, dass kernbereichsrelevante Daten so frühzeitig herausgefiltert werden, dass sie dem BND (oder anderen Geheimdiensten) gar nicht erst offenbar werden.
Soweit § 11 Satz 4 BNDG-E verlangt, dass die Erlangung und Löschung unverwertbarer Erkenntnisse aktenkundig zu machen sind, fehlt es schließlich an weitergehenden Vorkehrungen, zum Beispiel an einer Zweckbindung für die weitere Verwendung der aktenkundig gemachten Daten und Löschungsprotokolle sowie deren Aufbewahrungsdauer.
- c) Bestätigt werden die zuvor erhobenen Bedenken einerseits durch die Kritik, die drei UN-Sonderberichterstatter in einem achtseitigen Schreiben vom 29. August 2016 an die Bundesregierung gerichtet haben (siehe https://netzpolitik.org//wpupload/2016/09/160829_Stellungnahme_UNSonderbeauftragte_zur_BND-Reform.pdf ). Insbesondere wird darin gerügt, dass der Gesetzentwurf ausländische Staatsbürger schlechter vor Grundrechtseingriffen schütze als Deutsche. Der Schutz der Meinungsfreiheit gelte gemäß dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte unabhängig von der Nationalität und von Grenzen; auch gesetzliche Beschränkungen dieses Rechts dürften nicht nach Staatsangehörigkeit diskriminieren. Ferner werde die Aufsicht über den BND durch das geplante "Unabhängige Kontrollgremium" internationalen Anforderungen an eine wirksame Kontrolle von Überwachungsmaßnahmen nicht gerecht, weil das Gremium nicht ausreichend ausgestattet sei und seine Mitglieder von der Regierung ernannt würden (vgl. https://www.reporterohnegrenzen.de/presse/pressemitteilungen/meldung/dreiunberichterstatterkritisierenbndreform/).
Bestätigt werden die zuvor erhobenen Bedenken andererseits durch den am 1. September 2016 öffentlich bekannt gewordenen Prüfbericht der Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit vom 15. März 2016 (https://netzpolitik.org/2016/geheimerpruefberichtderbndbrichtdutzendfachgesetzundverfassungalleininbadaibling/). In ihrer darin enthaltenen rechtlichen Bewertung einer im Jahre 2015 durchgeführten Datenschutzkontrolle in Bad Aibling teilt die Bundesbeauftragte für den Datenschutz die Rechtsauffassung, dass sowohl für die vom Inland aus erhobenen als auch für die im Ausland erhobenen und im Inland weiterverarbeiteten personenbezogenen Daten die Vorschriften des BNDG und des BDSG gelten (also auch die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen aus Artikel 2 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 GG) . Die anderslautende Auffassung des BND sei "weder einfachgesetzlich noch verfassungsrechtlich zu legitimieren".
Aus dem Bericht ergibt sich unter anderem, dass der BND mithilfe des NSA-Programms XKEYSCORE sowohl Meta- als auch Inhaltsdaten speichere. Zum Zweck der Nachrichtengewinnung würde der gesamte Internetverkehr (IP-Verkehr) weltweit zu frei definierbaren und verknüpfbaren Selektoren durchsucht und die getroffenen IP-Verkehre einschließlich aller in diesen IP-Verkehren auftauchenden Personen gespeichert. Aufgrund der "systemischen Konzeption" erfasse XKEYSCORE "- unstreitig - [...] auch eine Vielzahl personenbezogener Daten unbescholtener Personen. Deren Anzahl vermag der BND nicht zu konkretisieren [....]". Sie seien "für die Aufgabenerfüllung des Allein diese Ausführungen bestätigen die Sorge, dass der Gesetzentwurf den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht standhält, da er die bestehende Rechtslage "im Interesse der Rechtssicherheit" und "im Sinne der Normenklarheit" lediglich präzisieren soll, die bestehende Rechtslage aber die tatsächliche Praxis nicht zu decken scheint. Die im Gesetzentwurf enthaltenen Befugnisse erscheinen als so weit gefasst, dass sich für die bestehende Praxis kaum Änderungsbedarf ergeben würde. Erforderliche Sicherungsmechanismen erscheinen unzulänglich.
B
- 2. Der federführende Ausschuss für Innere Angelegenheiten, der Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten, der Finanzausschuss, der Verkehrsausschuss und der Wirtschaftsausschuss empfehlen dem Bundesrat, gegen den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 GG keine Einwendungen zu erheben.