Gesetzesantrag des Freistaates Sachsen
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches

A. Problem und Ziel

1. § 113 StGB

§ 113 Abs. 2 StGB enthält strafverschärfende Regelbeispiele wie z.B. das Mitführen einer Waffe. Im Hinblick auf die auf einen sächsischen Fall zurückgehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 1. September 2008 soll durch die Ergänzung um "andere gefährliche Werkzeuge" eine Strafbarkeitslücke geschlossen werden.

2. § 125 StGB

B. Lösung

C. Alternativen

D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte, getrennt für Bund, Länder und Kommunen, aufgeteilt in

1. Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand

2. Vollzugsaufwand

E. Sonstige Kosten (z.B. Kosten für die Wirtschaft, Kosten für soziale Sicherungssysteme,

Gesetzesantrag des Freistaates Sachsen
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches Freistaat Sachsen

Der Ministerpräsident Dresden, den 25. März 2009

An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Peter Müller

Sehr geehrter Herr Präsident,

die Sächsische Staatsregierung hat beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage beigefügten


zuzuleiten.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf die Tagesordnung der 857. Sitzung des Bundesrates am 3. April 2009 zu setzen und anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuleiten.


Mit freundlichen Grüßen
Stanislaw Tillich

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches Vom ...

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Strafgesetzbuches

Das Strafgesetzbuch (StGB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 BGBl. I S.3322, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 31. Oktober 2008 (BGBl. I S. 2149), wird wie folgt geändert:

Artikel 2
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft.

Begründung:

A. Allgemeines

1. § 113 StGB

Vor dem Hintergrund ständiger und mit zunehmender Gewalt versehener tätlicher Angriffe gegen Polizeibeamte gerät der durch § 113 Abs. 1 StGB geregelte Schutz zu kurz. 2007 hat die Zahl der Angriffe beispielsweise auf sächsische Polizisten deutlich zugenommen: Insgesamt wurden 2225 Straftaten registriert, bei denen Polizisten geschädigt wurden, gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet dies eine Steigerung um 6,5%. Im Jahr 2008 haben die Widerstandshandlungen gegen sächsische Polizeibeamte um weitere 23% zugenommen. Die Zunahme in den letzten fünf Jahren beträgt in Sachsen etwa 43%.

Die Novellierung soll dem besseren Schutz der Amtsträger und letztlich dem Fürsorgedanken dienen. Zudem soll auch die dahinterstehende Autorität des Staates mittelbar besser geschützt werden.

Der vorliegende Gesetzentwurf dient der Erweiterung des Schutzbereichs von § 113 Abs. 1 StGB in sachlicher Hinsicht. Zudem wird das Höchstmaß der Freiheitsstrafe angehoben.

Die strafverschärfenden Regelbeispiele in § 113 Abs. 2 StGB werden um das Mitführen von gefährlichen Werkzeugen ergänzt.

Der sachliche Schutzbereich des § 113 Abs. 1 StGB bezieht sich derzeit nur auf die Vornahme einer Vollstreckungshandlung. Künftig sollen auch präventivbeobachtende Tätigkeiten einbezogen werden, damit sämtliche Diensthandlungen umfasst sind. Weiterhin soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass Polizeibeamte auch außerhalb der Dienstzeit aufgrund ihrer Eigenschaft als Polizeibeamte Opfer von Gewalttaten werden können. Der Tatbestand wird zudem auf die Verhinderung oder Erschwerung von Diensthandlungen in sonstiger Weise erweitert. Mit der vorgesehenen Erhöhung des Strafrahmens wird nicht nur auf die zunehmenden Widerstandshandlungen reagiert, sondern auch auf einen Wertungswiderspruch, der darin liegt, dass der Strafrahmen des § 113 Abs. 1 StGB auf zwei Jahre begrenzt ist, die Sachbeschädigung eines Polizeikraftfahrzeuges hingegen nach § 305a Abs. 1 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren geahndet werden kann.

§ 113 Abs. 2 StGB enthält strafverschärfende Regelbeispiele wie z.B. das Mitführen einer Waffe. Im Hinblick auf die auf einen sächsischen Fall zurückgehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 1. September 2008 soll durch die Ergänzung um "andere gefährliche Werkzeuge" eine Strafbarkeitslücke geschlossen werden.

2. § 125 StGB

Gewalttätige Ausschreitungen bei Veranstaltungen und Ansammlungen erschüttern das Vertrauen der Allgemeinheit in die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung und gefährden die öffentliche Sicherheit und den öffentlichen Frieden. In jüngster Zeit ist es wiederholt zu gewalttätigen Ausschreitungen und Krawallen im Zusammenhang mit Fußballspielen gekommen. Bürger haben Angst und bezweifeln die Fähigkeit des Staates, die hier lebenden Menschen vor Übergriffen zu schützen. Hinzu treten beträchtliche Sachschäden und Aufwendungen des Staates für den Einsatz der Polizei. Es ist zu befürchten, dass sich derartige Ausschreitungen und Krawalle weiterhin ereignen, unter Umständen sogar noch zunehmen werden. Der Missbrauch insbesondere von Ligaspielen von Fußballvereinen dient so genannten "erlebnisorientierten" Personen, Bedürfnisse nach Spannung, Abenteuer und Risiko zu befriedigen, während das Fußballspiel selbst nebensächlich ist. Besonders attraktiv ist dabei die Gewalt in der "dritten Halbzeit". Da Spiele der höheren Ligen durch den Einsatz einer Vielzahl von Polizeibeamten abgesichert werden, verlagern sich die Krawalle und Ausschreitungen zunehmend in tiefere Klassen. Es ist personell und finanziell gegenüber dem Steuerzahler nicht länger vertretbar, Spiele der Oberligen (4. Liga) oder der Landesligen (5. Liga) mit massiven Polizeiaufgeboten absichern zu müssen. Allein in den letzten drei Jahren gab es bei den Spielen sächsischer Fußballvereine mindestens 10 Partien, bei denen es trotz starker Polizeipräsenz, von zum Teil über 1000 Beamten, zu gewalttätigen Ausschreitungen kam. Mehrere Täter traten dabei wiederholt in Erscheinung. Es gab über 100 Verletzte, darunter eine Vielzahl von Polizeibeamten. Der materielle Schaden bewegt sich im sechsstelligen Bereich. Das Ausmaß der Schäden an Personen und Sachen ist erheblich. Solche Ausschreitungen haben in weiten Kreisen der Bevölkerung das Gefühl der Sicherheit erheblich beeinträchtigt. Eltern trauen sich mit ihren Kindern nur noch selten in ein Fußballstadion. Weiterhin werden durch den massiven Einsatz von Polizeibeamten bei den so genannten Problemspielen dem Steuerzahler Mehrkosten in Millionenhöhe aufgebürdet.

Die Gewalttäter selbst begehen ihre Ausschreitungen ohne größeres Risiko aus der Menge heraus. Bei polizeilichen Ordnungsmaßnahmen ziehen sich die Gewalttäter zurück und tauchen in der Menschenmenge unter. Auf diese Weise werden regelmäßig gefahrenabwehrende oder strafverfolgende Maßnahmen erheblich erschwert oder gar vereitelt.

Diese Phänomene machen ein Signal des Staates in Richtung einer effektiven Strafverfolgung notwendig. Dies ist zentrale Aufgabe des Rechtsstaates. Darüber hinaus gebietet es die Fürsorgepflicht für die gefährdeten Angehörigen der Polizei- und Ordnungskräfte, den Auswüchsen mit Nachdruck zu begegnen. Der Entwurf schlägt daher vor, den Tatbestand des Landfriedensbruchs auf diejenigen Personen zu erweitern, die sich nach Ausbruch von Gewalttätigkeiten entgegen einer wiederholten (dreimaligen) Aufforderung durch die Polizei nicht entfernen und dadurch den Gewalttätern Deckung gewähren und psychischen Rückhalt geben. Dies erscheint auch unter Berücksichtigung von Erkenntnissen der Massenpsychologie geboten, wonach die Masse auf den Einzelnen eine Sogwirkung - verbunden mit einem Solidarisierungseffekt - ausübt und das Verantwortungsgefühl herabsetzt. Durch die Änderung kann Nachweisschwierigkeiten begegnet und bewirkt werden, dass sich die Gewalttäter nicht mehr hinter dem Schutz der Menschenmenge verstecken und so risikolos agieren können.

Die Anwendung des § 113 OWiG ist bei gewalttätigen Ausschreitungen kaum bzw. nicht praktikabel. Aufgrund der Tumultlagen wären notwendige Identitätsfeststellungen nur unter massivem Einsatz von unmittelbarem Zwang durchführbar. Dieser wäre aber im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot) und die Tatsache, dass es letztlich "nur" um die Ahndung einer Ordnungswidrigkeit ginge, kaum zu rechtfertigen. Bei gewalttätigen Ausschreitungen hat oberste Priorität, Straftäter beweissicher festzuhalten und diese durch Festnahmen dingfest zu machen. Ein zusätzliches Vorhalten noch massiverer Polizeikräfte zur Ahndung von Ordnungswidrigkeiten wäre außer Verhältnis zum Erfolg. Deshalb wird die Vorschrift in der Praxis bei Tumultlagen nur sehr selten angewandt. Sie sollte jedoch für Ansammlungen mit friedlichem Charakter bestehen bleiben.

B. Zu den einzelnen Vorschriften

1. Zu Artikel 1 Änderung des Strafgesetzbuches

a) § 113 StGB

§ 113 StGB schützt nicht nur die Autorität staatlicher Vollstreckungsakte und damit das staatliche Gewaltmonopol, sondern auch die zur Vollstreckung berufenen Personen.

Der Schutzbereich des § 113 Abs. 1 StGB beschränkt sich in sachlicher Hinsicht auf die Vornahme einer Vollstreckungshandlung.

Die mit der inhaltlichen Beschränkung des Tatbestandes nur auf die Vollstreckungssituation vorgenommene Differenzierung hinsichtlich der besonderen Schutzwürdigkeit von Amtsträgern spaltet zusammenhängende Lebenssachverhalte auf: Nach der bisherigen Systematik bleibt Amtsträgern der Schutz des § 113 StGB dann versagt, wenn eine Vollstreckungssituationen noch nicht unmittelbar bevorsteht. Erst wenn sich eine solche z.B. in einer sich aufschaukelnden Situation durch Provokationen entwickelt, ist der Anwendungsbereich von § 113 StGB eröffnet. Da eine trennscharfe Differenzierung einer Diensthandlung in einen allgemeinen und in einen vollstreckungsbezogenen Teil vor dem Hintergrund des Schutzzwecks der Vorschrift nicht sinnvoll und nicht praktikabel ist, soll der umfassende Schutz von Vollstreckungsbeamten bei der Vornahme aller Diensthandlungen zum Gegenstand des § 113 Abs. 1 StGB werden.

Mit der neu eingefügten Tatbestandsalternative "die Diensthandlung in sonstiger Weise verhindern oder erschweren" werden Situationen erfasst, in denen Weisungen der Polizei keine Folge geleistet wird, andere dazu gebracht werden, dass sie sich polizeilichen Weisungen widersetzen, oder in denen durch ein sonstiges Verhalten eine rechtmäßige Diensthandlung nicht vorgenommen werden kann oder wesentlich erschwert wird.

Polizeibeamte können unabhängig von einer konkreten vollstreckungsbezogenen oder allgemeinen Diensthandlung auch außerhalb der Dienstzeit wegen ihrer Eigenschaft als Polizeibeamte Opfer von Gewalttaten werden. Gerade im Zusammenhang mit Delikten durch und gegen Amtsträger trägt das StGB bereits durch die Formulierung "während der Ausübung seines Dienstes oder in Beziehung auf seinen Dienst" (vgl. § 5 Nr. 12, Nr. 14, § 194 Abs. 3, § 230 Abs. 2; § 340 Abs. 1 StGB) dem Gedanken Rechnung, dass nicht nur der Kernbereich der unmittelbaren dienstlichen Tätigkeit des Amtsträgers Regelungsgegenstand ist, sondern auch die Situationen tatbestandlich erfasst sind, die im Sachzusammenhang mit der eigentlichen dienstlichen Tätigkeit stehen.

Der Strafrahmen von Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren (oder Geldstrafe) erscheint angesichts des Schutzzwecks der Norm zu gering. Widerstandleisten oder der tätliche Angriff gegenüber Vollstreckungsbeamten sind nicht ausschließlich personenbezogen, sondern richten sich immer auch gegen den Staat und die staatliche Autorität und führen zu einer Relativierung des staatlichen Gewaltmonopols. Mit der Erhöhung des Strafrahmens soll zum einen einer Bagatellisierung begegnet werden, die mit einem niedrigen Strafrahmen verbunden sein kann. Zum anderen hat der Staat auch diejenigen Vollstreckungsbeamten zu schützen, die beispielsweise zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung täglich damit rechnen müssen, Opfer einer Widerstandshandlung oder eines Angriffs zu werden. Für den Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gilt bislang die gleiche Strafandrohung wie beispielsweise für die Fischwilderei gem. § 293 StGB. Die Beschädigung eines Dienst-Kfz der Polizei gem.

§ 305a Abs. 1 Ziff. 2 StGB kann mit höherer Freiheitsstrafe geahndet werden, als die Widerstandshandlung oder der tätliche Angriff gegen einen Polizeibeamten. Es erscheint als Wertungswiderspruch, wenn eine Sache ungleich höheren Schutz erfährt als ein Mensch. Vor diesem Hintergrund ist die moderate Erhöhung des Höchstmaßes der Freiheitsstrafe gerechtfertigt.

Der Zweck des strafschärfenden Regelbeispiels in § 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB ist darin zu erblicken, eine besonders gefährliche Tatausführung schärfer zu sanktionieren.

Nach dem Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Januar 1995 (BVerfGE 92, 1 [11ff.]) enthält Art. 103 Abs. 2 GG nicht nur ein Rückwirkungsverbot für Strafvorschriften, sondern verpflichtet den Gesetzgeber auch, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass sich Anwendungsbereich und Tragweite der Straftatbestände aus dem Wortlaut ergeben oder jedenfalls durch Auslegung ermitteln lassen.

Nach § 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 liegt eine qualifizierte Form der Widerstandshandlung gegen Vollstreckungsbeamte vor, wenn die Tathandlung mittels einer Waffe ausgeübt wird. Der "strafrechtliche Waffenbegriff" umfasst körperliche Gegenstände, die nach ihrer objektiven Beschaffenheit und ihrem Zustand zur Zeit der Tat bei bestimmungsgemäßer Verwendung geeignet sind, erhebliche Verletzungen zuzufügen (BGHSt 48, 197 [200]). Hingegen werden Gegenstände, die nicht bei bestimmungsgemäßem Gebrauch, wohl aber nach ihrer objektiven Beschaffenheit und der Art ihrer Benutzung im Einzelfall geeignet sind, erhebliche Verletzungen zuzufügen, in Rechtsprechung und Schrifttum dem Begriff des "gefährlichen Werkzeugs" zugeordnet.

Es ist angezeigt, in § 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB nicht nur das Mitführen von Waffen, sondern auch von anderen gefährlichen Werkzeugen als Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte aufzunehmen, um die Strafbarkeitslücke zu schließen und Einzelfälle, die infolge des Bestimmtheitsgebots aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift herausfallen, obwohl sie ähnlich strafwürdig erscheinen wie das pönalisierte Verhalten, zu erfassen (BVerfG, 2 BvR 2238/07 vom 1.9.2008); weil der Schutz der Vollstreckungsbeamten sonst insoweit zu gering wäre.

b) § 125 StGB

Der geltende § 125 Abs. 1 StGB bedroht diejenigen mit Strafe, die sich als Täter oder Teilnehmer an Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen, die aus einer Menschenmenge mit vereinten Kräften begangen werden, beteiligen, oder die auf die Menschenmenge einwirken, um ihre Bereitschaft zu solchen Handlungen zu fördern. Von der Strafvorschrift werden danach die am gewalttätigen oder bedrohenden Landfriedensbruch Beteiligten und die so genannten "Anheizer" erfasst. Ob sich jemand an den Gewalttätigkeiten "als Täter oder Teilnehmer beteiligt", bestimmt sich nach den allgemeinen Teilnahmegrundsätzen der §§ 25 ff. StGB. Danach wird die bloße Anwesenheit oder das Mitmarschieren von der Rechtsprechung weder als psychische Beihilfe noch ein bestimmte Gewalttätigkeiten auf andere Weise unterstützendes Verhalten angesehen (BGH, Beschluss vom 09.09.2008 - 4 StR 368/08, NStZ 2009, 28f [28]).

Der Tatbestand reicht nicht aus, um den Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten, wie die Erfahrungen mit unfriedlich verlaufenden Menschenansammlungen zeigen. Gedeckt, abgeschirmt und nicht selten motiviert durch die Menge können die Gewalttätigen ihre Ausschreitungen ohne größeres Risiko begehen.

Auch wenn sich eine Vielzahl von Tätern an den Ausschreitungen beteiligt, kommt es nur zu wenigen Festnahmen, zu noch weniger Anklagen und nur selten zu Verurteilungen.

Selbst wenn es gelingt, in der Menge untergetauchte Gewalttäter zu ergreifen, ist es in den meisten Fällen nicht möglich, die Identität der "Hauptakteure" und ihren jeweiligen Tatbeitrag beweiskräftig festzuhalten, da eine "Krawallsituation" immer eine sich weiter steigernde Eigendynamik entfaltet, wenn der Gewalt- und Zerstörungsprozess einmal begonnen hat. In einer solchen Situation gelingt es den Strafverfolgungsbehörden nicht mehr, die Identität der Beteiligten und ihren jeweiligen Tatbeitrag festzustellen und beweissicher zu dokumentieren. Durch eine Änderung der Polizeitaktik allein ist das bestehende Problem nicht zu lösen. Die Mitläufer einer unfriedlich verlaufenden Demonstration werden von der Vorschrift nicht erfasst, obwohl gerade sie die massenpsychologisch begründete Gefährlichkeit unfriedlicher Menschenansammlungen kennzeichnen. In der Anonymität der Menge wächst die Gewaltbereitschaft; persönliche Hemmungen und Selbstregulierungsmechanismen werden abgebaut.

Die aufgeheizte Masse, die den Aufschaukelungs- und Eskalationsprozess durch ihre Anwesenheit herbeigeführt hat, ermöglicht nicht nur den eigentlichen Gewalttätern, gegen die sich die Strafandrohung des geltenden § 125 StGB richtet, ihre Ausschreitungen ohne größeres Risiko zu begehen, weil diese hinter einem Schutzschild Passiver weitgehend risikolos agieren können.

Sie ist vielmehr auch dafür verantwortlich, dass sich eine Spirale wachsender Gewalt entwickeln kann, weil die Mitläufer aus falsch verstandener Solidarität in der Situation verharren, in der die Ansammlung von einer friedlichen zur unfriedlichen wird und so gefährliche Krawalle mit kaum zu beherrschenden Rechtsgutverletzungen und Rechtsgutgefährdungen entstehen. Gegenüber diesen Mitläufern erweist sich die geltende Norm als stumpfes Schwert. Einerseits bewirkt die passive Teilnahme, dass sich ein nicht mehr überschaubares Aggressionspotenzial fortentwickelt kann. Andererseits wissen die Mitläufer um ihre eigene Straflosigkeit. Bei dieser Sach-. und Rechtslage liegt es auf der Hand, dass der öffentliche Friede nicht wirksam geschützt werden kann.

Um der Situation Einhalt zu gebieten, müssen deshalb die Anwesenden veranlasst werden, sich von den Gewalttätern zu trennen. Das ist wirksam nur dadurch möglich, dass jeder mit Strafe bedroht wird, der sich nach dreimaliger rechtmäßiger Aufforderung durch die Polizei nicht aus einer Menge entfernt, aus der heraus Gewalttaten begangen werden. Damit wird vom Bürger nichts Unzumutbares verlangt. Wenn aus einer Menschenmenge heraus Gewalt im Sinne des § 125 Abs. 1 StGB verübt wird, ist die öffentliche Sicherheit in einer Weise gestört, dass jeder einsichtige Bürger dafür Verständnis haben muss, wenn die Polizei, um die Störung zu beseitigen und der Störer habhaft zu werden, zum Auseinandergehen auffordert.

Der Entwurf sieht deshalb vor, den Tatbestand des Landfriedensbruchs in einem neuen Absatz 2 unter engen tatbestandlichen Voraussetzungen und Androhung einer erheblich niedrigeren Strafe als in § 125 Abs. 1 StGB auf die Personen auszudehnen, die der dreimaligen rechtmäßigen polizeilichen Aufforderung zum Auseinandergehen zuwiderhandeln.

Der Unrechtsgehalt der genannten Tathandlungen geht weit über den Ordnungswidrigkeitentatbestand des § 113 Abs. 1 OWiG hinaus und rechtfertigt daher die Strafbewehrung.

Der neue Absatz 2 nimmt inhaltlich auf Absatz 1 Bezug und setzt deshalb Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen oder Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit, die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräfte begangen werden, voraus. Das bedeutet, dass Teilnehmer friedlicher Ansammlungen nicht betroffen sind.

Weiteres Tatbestandsmerkmal ist die dreimalige rechtmäßige Aufforderung eines Polizeivollzugsbeamten zum Auseinandergehen, gerichtet entweder an die gesamte Menschenmenge (Nr. 1) oder an einen - durch die Aufforderung - bestimmten räumlich abgrenzbaren Teil der Menschenmenge, aus dem diese Handlungen begangen werden (Nr. 2). Die Vorschrift knüpft damit an einen Verwaltungsakt an, dessen Ermächtigungsgrundlage bei gewalttätigen Ansammlungen, die keine Versammlungen im Sinne des Versammlungsgesetzes sind, die Polizeigesetze der Länder darstellen. Daraus folgt, dass die Strafvorschrift selbst keine Befugnis zur Aufforderung zum Auseinandergehen schafft, sondern diese voraussetzt.

Die Polizei erhält mit der Entscheidung, ob und ggf. zu welchem Zeitpunkt sie eine entsprechende Aufforderung an die Menge richtet, den notwendigen Spielraum zu lageangepasstem Vorgehen, ohne dass die Geltung des Legalitätsprinzips beeinträchtigt wird. Jeder Polizeiführer kann bei Rechtmäßigkeit aufgrund der Kräftelage und der taktischen Augenblickssituation entscheiden, ob und wann er eine Aufforderung zum Entfernen ausspricht. Nach der dreimaligen rechtmäßigen Aufforderung besteht für die eingesetzten Kräfte Strafverfolgungszwang.

Die Aufnahme der Nummer 2 in den Tatbestand hat vor allem den Fall der Gewalt anlässlich und am Rande von Ligaspielen von Fußballvereinen vor Augen und beruht auf der Erwägung, dass es nach Polizeirecht möglich und bei realistischer Einschätzung der Lage unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit immer dann, wenn Gewalttätigkeiten sich nur auf einen Teil der Menschenmenge konzentrieren, geboten sein kann, nicht die gesamte Menschenmenge, sondern nur den bestimmten räumlich abgrenzbaren Teil der Ansammlung, in dem die Gewalttäter ihre friedensstörenden Ausschreitungen begehen, zum Auseinandergehen aufzufordern.

Die Vorschrift verhilft damit dazu, den Täterkreis einzuschränken, weil sich nur diejenigen strafbar machen können, die zum Personenkreis der Aufgeforderten gehören, d.h. erkennbar von der Aufforderung betroffen sind. Schließlich soll die Vorschrift auch dem effizienten Einsatz der Polizeikräfte dienen.

Ferner fordert Absatz 2 das Sichnicht-Entfernen aus der aufgeforderten Menschenmenge oder das Sich-Anschließen an diejenigen, welche die polizeiliche Aufforderung zum Auseinandergehen nicht befolgen. Der Täter entfernt sich nicht, wenn er es unterlässt, den räumlichen Zusammenhang mit der Menge aufzugeben (vgl. BGHSt 5, 245 [251]). Danach werden von der Strafvorschrift solche Personen nicht erfasst, welche der Aufforderung zum Auseinandergehen nachkommen. Diese Einschränkung des Täterkreises soll dem an sich friedlich gesonnenen Veranstaltungsteilnehmer den Rückzug aus der unfriedlichen Menge ermöglichen und den Entschluss hierzu erleichtern.

Da die Aufforderung rechtmäßig sein und dreimal erfolgen muss, hat jeder Veranstaltungsteilnehmer genügend Zeit, sich aus der Menge zu entfernen. So ist ein Teilnehmer erst mit Strafe bedroht, wenn er der polizeilichen Aufforderung zum Entfernen wiederholt, nämlich zum Dritten Mal nicht nachkommt.

Die Verfügung muss von einem Polizeivollzugsbeamten ausgehen. Die Aufforderung muss erkennen lassen, dass jeder Teilnehmer der gewalttätigen Ansammlung den räumlichen Zusammenhang mit der Menge aufzugeben hat. Aus welchen polizeilichen Gründen die Menge aufgefordert wird, sich zu entfernen, ist unerheblich. Die Verfügung muss mit unmissverständlichem Wortlaut an die Menge gerichtet sein. Die Aufforderung an eine Einzelperson genügt daher grundsätzlich nicht, es sei denn, dass diese Person als Bestandteil der Menge angesprochen und zugleich deutlich gemacht wird, dass die Entfernung des Aufgeforderten eine Maßnahme zur Auflösung der Menge darstellen soll. Eine besondere Form, insbesondere Wortlaut, ist nicht vorgeschrieben.

Zwischen den einzelnen Aufforderungen sollte eine gewisse Zeitspanne liegen, um dem Aufgeforderten die Möglichkeit zu geben, der Aufforderung nachzukommen.

Jedoch müssen die drei Aufforderungen in engem zeitlichen Zusammenhang stehen, damit nicht der Eindruck entsteht, es handle sich jeweils um eine neue Situation.

Die Aufforderung muss rechtmäßig sein, d.h. zunächst, dass die sachliche und örtliche Zuständigkeit des Amtsträgers gegeben sein muss. Weiterhin muss sich die Aufforderung auf eine Ermächtigungsgrundlage stützen und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet worden sein. Das Erfordernis der Rechtmäßigkeit wird dementsprechend auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung verlangt (vgl. BGHSt. 4, 161 [163]; BGHSt. 21, 334). Rechtmäßig in diesem Sinne ist eine Anordnung bereits dann, wenn der örtlich und sachlich zuständige Beamte im Bewusstsein seiner Verantwortung und unter bestmöglicher Abwägung der Umstände sein Einschreiten für nötig und für sachlich gerechtfertigt halten durfte.

Als Ermächtigungsgrundlagen kommen einzig die Generalklauseln der Länderpolizeigesetze bzw. des Bundespolizeigesetzes in Frage, da ein Platzverweis als ortsbezogene Verfügung ausscheidet. Hier steht das Sich-Entfernen aus der gewalttätigen Menge im Vordergrund, d.h. die örtliche Komponente ist unerheblich.

Absatz 3 schränkt den Täterkreis des Absatzes 2 weiter ein. Vom Tatbestand werden danach Personen nicht erfasst, die sich in Ausübung dienstlicher oder beruflicher Pflichten in der Menge befinden und diesen Rahmen nicht überschreiten (z.B. Ärzte, Journalisten). Das Verhalten dieser Personen ist unter dem Gesichtspunkt der Sozialadäquanz gerechtfertigt und schließt eine Pflichtenkollision (einerseits Berufspflicht, andererseits Pflicht zum Befolgen der polizeilichen Aufforderung) aus. Dies gilt allerdings nur dann, wenn die Ausübung der Berufspflicht der einzige Grund für das Verbleiben in der Menschenmenge ist. Abs. 4 behält die Regelung des geltenden § 125 Abs. 2 StGB bei. Stellen Tathandlungen nach § 125 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 StGB zugleich Widerstandshandlungen im Sinne von § 113 StGB dar, so entfällt die Bestrafung, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Darüber hinaus gilt die Irrtumsregelung des § 113 Abs. 4 StGB. Eine Erstreckung dieser Regelung auf den Fall einer nicht rechtmäßigen Aufforderung nach dem neuen § 125 Abs. 2 StGB ist weder erforderlich noch sachgerecht. Nach ständiger Rechtsprechung kommt es für die Strafbarkeit der Zuwiderhandlung gegen einen Verwaltungsakt nicht auf seine Rechtmäßigkeit, sondern nur auf seine Wirksamkeit an (BGHSt 23, 86 [91]). Die in einer nunmehr von § 125 Abs. 2 StGB vorausgesetzten Situation bestehende akute Gefahrenlage erfordert, dass einer vollziehbaren Anordnung Folge geleistet wird. Ein etwaiger Irrtum des Täters über die Rechtmäßigkeit der Aufforderung kann im Rahmen der allgemeinen Regeln (§§ 16, 17 StGB) berücksichtigt werden.

2. Zu Artikel 2 Inkrafttreten

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten.