Empfehlungen der Ausschüsse
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften

926. Sitzung des Bundesrates am 10. Oktober 2014

A

Der federführende Ausschuss für Innere Angelegenheiten (In), der Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik (AS), der Ausschuss für Frauen und Jugend (FJ), der Ausschuss für Familie und Senioren (FS) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

1. Zu Artikel 1 Nummer 5 (§ 7 Absatz 2 Satz 1, 2, 2a - neu - und 4 FreizügG/EU)

Artikel 1 Nummer 5 ist wie folgt zu fassen:

'5.

§ 7 Absatz 2 wird wie folgt geändert:

Begründung:

Gemäß Artikel 35 der Richtlinie 2004/38/EG können die Mitgliedstaaten die notwendigen Maßnahmen erlassen, um die durch diese Richtlinie verliehenen Rechte im Falle von Rechtsmissbrauch oder Betrug - wie z.B. durch das Eingehen von Scheinehen - zu verweigern, aufzuheben oder zu widerrufen. Dies schließt insbesondere das Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Mitgliedstaat ein.

Diese Vorschrift wird derzeit im FreizügG/EU durch § 2 Absatz 7 umgesetzt. Gemäß § 2 Absatz 7 FreizügG/EU kann das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts in Fällen der Verwendung von ge- oder verfälschten Dokumenten, Vorspiegelung falscher Tatsachen - etwa über ein tatsächlich nicht bestehendes Arbeitsverhältnis oder einen tatsächlich nicht bestehenden Wohnsitz - sowie dann festgestellt werden, wenn ein Familienangehöriger einen Unionsbürger nicht zur Herstellung oder Wahrung einer familiären Lebensgemeinschaft begleitet oder ihm zu diesem Zweck nachzieht. Dies ist dann der Fall, wenn das Eingehen einer Ehe oder die Begründung eines Verwandtschaftsverhältnisses erkennbar nicht der Führung einer familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet dient, sondern das Ziel hat, ein Aufenthaltsrecht aus Freizügigkeitsrecht zu erlangen.

Mit einer Feststellung des Nichtbestehens des Freizügigkeitsrechts auf der Grundlage von § 2 Absatz 7 FreizügG/EU ist nach bislang geltender Rechtslage allerdings kein Verbot der Wiedereinreise gemäß § 7 Absatz 2 FreizügG/EU verbunden. Die Länder haben deutlich gemacht, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen ohne Wiedereinreiseverbote nicht effektiv sind (vgl. Abschlussbericht der Bund-Länder-AG "Armutswanderung aus Osteuropa" vom 11. Oktober 2013, Seite 32 f.). Andernfalls würde das Freizügigkeitsrecht unmittelbar nach der Ausreise wieder aufleben; der Betroffene könnte sofort wieder in das Bundesgebiet zurückkehren.

Die Schaffung eines befristeten Wiedereinreiseverbots in den Fällen des § 2 Absatz 7 FreizügG/EU ist unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten zulässig, da Artikel 35 der Richtlinie 2004/38/EG in diesen Fällen einen Gestaltungsspielraum für den nationalen Gesetzgeber eröffnet. Solche Maßnahmen müssen verhältnismäßig sein und unterliegen den Verfahrensgarantien nach den Artikeln 30 und 31 der Richtlinie 2004/38/EG.

Durch die Änderung wird - im Gegensatz zum Gesetzentwurf der Bundesregierung - Unionsbürgern, bei denen das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts auf der Grundlage von § 2 Absatz 7 FreizügG/EU festgestellt worden ist, kraft Gesetzes befristet untersagt, erneut in das Bundesgebiet einzureisen oder sich darin aufzuhalten. Es ist sachgerecht, in § 7 Absatz 2 FreizügG/EU beide Fälle des Verlusts des Freizügigkeitsrechts in den Rechtsfolgen gleichzustellen mit der Folge, dass in beiden Fällen das Wiedereinreiseverbot als gesetzliche Folge der Verlustfeststellung eintritt. Die im Gesetzentwurf der Bundesregierung nur für den Fall des § 2 Absatz 7 FreizügG/EU vorgesehene Ermessensentscheidung zum Wiedereinreiseverbot ist praxisfern. Gesichtspunkte der Verhältnismäßigkeit können im Rahmen der Entscheidung über die Verlustfeststellung bereits ausreichend berücksichtigt werden. Durch die vorgeschlagene Änderung wird mit Signalwirkung klargestellt, dass Missbrauch und Betrug zwingend zu einem Wiedereinreiseverbot führen.

2. Zu Artikel 1 Nummer 5 (§ 7 Absatz 2 FreizügG/EU)

Der Bundesrat bittet, im Rahmen des weiteren Gesetzgebungsverfahrens zu prüfen, ob und inwieweit die mit dem Gesetzentwurf angestrebten Änderungen in § 7 Absatz 2 FreizügG/EU mit Artikel 15 Absatz 3 der Richtlinie 2004/38/EG vom 29. April 2004 (Freizügigkeitsrichtlinie) sowie der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zum unionsrechtlichen Begriff der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vereinbar sind.

Begründung:

Es ist nicht auszuschließen, dass die mit Artikel 1 Nummer 5 des Gesetzentwurfs vorgesehenen Wiedereinreisesperren in ihrer Reichweite gegen Artikel 15 Absatz 3 der Freizügigkeitsrichtlinie verstoßen. Der Gesetzentwurf enthält auch in seiner Begründung hierzu keine Aussagen.

Mit Blick auf die nach Artikel 15 Absatz 3 der Freizügigkeitsrichtlinie in Fällen der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit unionsrechtlich zulässigen Wiedereinreisesperren ist zu berücksichtigen, dass dieser Begriff ein eigenständiger Rechtsbegriff des Unionsrechts und somit unionsrechtlich auszulegen ist.

Zu berücksichtigen ist ferner, dass der EuGH im Zusammenhang mit dem Freizügigkeitsrecht in seiner bisherigen Rechtsprechung an die Frage, ob ein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet, stets einen strengen Maßstab angelegt hat.

3. Zu Artikel 1 Nummer 5 (§ 7 Absatz 2 FreizügG/EU),

Artikel 3 (Änderung des Einkommensteuergesetzes) und Artikel 4 (§ 46 Absatz 7a SGB II)

Begründung:

Es bestehen Zweifel, ob die vorgeschlagenen freizügigkeitsrechtlichen Maßnahmen verhältnismäßig und angemessen sind. Mit Blick auf die auch öffentlich diskutierten Feststellungen des Bundesrechnungshofs zu Missbrauchsfällen beim Kindergeldbezug ist die Anpassung der entsprechenden Leistungsvoraussetzungen zu begrüßen. Allerdings erscheint der mit dem Gesetzentwurf hergestellte zuwanderungsrechtliche Zusammenhang inadäquat. Die entsprechenden Regelungen sollten daher in einem anderen, etwa einem laufenden steuerrechtlichen Gesetzgebungsverfahren berücksichtigt werden.

4. Zu Artikel 2 Nummer 1 Buchstabe c (§ 2 Absatz 2 Satz 1 Nummer 11 SchwarzArbG), Buchstabe d (§ 2 Absatz 2 Satz 1 Nummer 12 und 13 - neu - SchwarzArbG)

In Artikel 2 Nummer 1 sind Buchstabe c und d wie folgt zu fassen:

Begründung:

Zu den Wirtschaftsbereichen, von denen gemeinhin angenommen wird, dass dort ein erhöhtes Risiko für Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung besteht, zählt unter anderem auch das Personenbeförderungsgewerbe (vgl. BR-Drucksache 901/03(B) HTML PDF ). Nicht zuletzt deshalb hat der Gesetzgeber zum 1. Januar 2009 unter anderem auch im Personenbeförderungsgewerbe die Ausweismitführungspflicht (§ 2a Absatz 1 Nummer 3 SchwarzArbG) und die sogenannte Sofortmeldepflicht (§ 28a Absatz 4 Nummer 3 SGB IV) eingeführt. Vor diesem Hintergrund ist es weder gesetzessystematisch konsequent noch sachdienlich, dass die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit zwischen den nach Landesrecht für die Genehmigung und Überwachung des Taxen- und Mietwagengewerbes zuständigen Behörden und der Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls bislang unzureichend geregelt sind.

Die Zusammenarbeit zwischen Bundes- und Landesbehörden erstreckt sich im Bereich der Bekämpfung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung auf die in § 2 Absatz 2 SchwarzArbG aufgeführten Stellen. Die nach dem Personenbeförderungsgesetz zuständigen Genehmigungs- und Überwachungsbehörden der Länder sind dort bislang nicht aufgeführt. Dies hat zur Folge, dass gegenseitige Informations- und Unterrichtungspflichten nicht bestehen, sodass eine effektive Zusammenarbeit in diesem Bereich erschwert wird bzw. von vorneherein ausgeschlossen ist. Da Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung jedoch schwerpunktmäßig - insbesondere in großstädtischen Ballungsräumen - auch im Bereich des Taxen- und Mietwagengewerbes anzutreffen sind, ist eine entsprechende Erweiterung des Kreises der Zusammenarbeitsbehörden in § 2 Absatz 2 SchwarzArbG insofern zwingend geboten.

Zu dieser Auffassung gelangte auch die seinerzeitige Bundesregierung im Rahmen ihrer Stellungnahme zu dem vom Bundesrat am 8. Juli 2011 beschlossenen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes und des Telekommunikationsgesetzes (vgl. BT-Drucksache 17/6855, Seite 11 f.).

5. Zu Artikel 2 Nummer 3 - neu - (§ 6 Absatz 1 Satz 1 SchwarzArbG) Artikel 7 Satz 2 - neu - (Inkrafttreten)

Begründung:

Zu Buchstabe a:

Um Abgrenzungsprobleme zu vermeiden und ohne Artikel 2 des Gesetzentwurfs in Frage zu stellen, sollte diese Ergänzung in § 6 Absatz 1 Satz 1 SchwarzArbG eingesetzt werden, da sie zu mehr Rechtsklarheit beiträgt und Folgeprüfaufwand überflüssig macht.

Durch die Ergänzung von § 2 Absatz 2 Satz 1 SchwarzArbG um die neue Nummer 12 wird befürchtet, dass Abgrenzungsprobleme zu der Frage nach der Grundlage und daraus folgend nach dem Umfang der Verpflichtungen entstehen. Die Frage, ob und in welchem Umfang Daten von der Gewerbebehörde an die Zollverwaltung zu leiten sind, wäre nach § 14 Absatz 8 Satz 1 Nummer 7 GewO und der auf Grundlage von § 14 Absatz 14 GewO erlassenen Gewerbeanzeigeverordnung - darin speziell nach § 3 Absatz 3 - zu beantworten.

Der Gesetzentwurf lässt die Diskussion befürchten, ob nicht doch § 6 SchwarzArbG die Ermächtigungsgrundlage sein soll. Das speziellere Recht ist aber die Gewerbeordnung.

Der Antrag zielt auf Rechtssicherheit und Rechtsklarheit und hat auf den mit der Gesetzesänderung beabsichtigten Zweck keinen Einfluss.

Zu Buchstabe b:

Die Inkrafttretensregelung korrespondiert mit dem Inkrafttreten der in Bezug genommenen Gewerbeanzeigeverordnung.

6. Zu Artikel 4 (§ 46 Absatz 7a SGB II)

Der Bundesrat begrüßt die Absicht der Bundesregierung, die Kommunen wegen der besonderen Herausforderungen, die sich aus der Zuwanderung aus anderen Mitgliedstaaten ergeben, im Jahr 2014 um 25 Millionen Euro zu entlasten.

Der Bundesrat weist jedoch darauf hin, dass der im Gesetzentwurf gewählte Weg über eine Erhöhung der Bundesbeteiligung an den Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 46 SGB II - entgegen der Zielrichtung des Gesetzentwurfs - nicht zu einer kurzfristigen, zielgerichteten Entlastung bestimmter, besonders belasteter Kommunen führt, sondern zu einer gleichmäßigen Entlastung aller Landkreise und Städte der vom Bund bestimmten Länder auf Grundlage der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Absatz 1 SGB II.

Begründung:

Die zielgerichtete Entlastung bestimmter, besonders belasteter Kommunen würde eine landesgesetzliche Verteilung der zusätzlichen Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 46 SGB II voraussetzen, die insbesondere den jeweiligen landesverfassungsrechtlichen Vorgaben (Verteilungsgerechtigkeit) entsprechen müsste.

Schon aus zeitlichen Gründen ist es ausgeschlossen, rechtzeitig nach Verkündung der bundesgesetzlichen Grundlagen (Gesetz und Rechtsverordnung) landesrechtliche Regelungen zu schaffen, die eine andere Verteilung dieser Gelder ermöglichen.

Eine sachgerechte Verteilung auf Landesebene wäre - unabhängig vom Zeitfaktor - angesichts der im Gesetzentwurf genannten, unbestimmten und zum Teil widersprüchlichen Kriterien ("Entwicklung der Zuwanderung aus anderen EU-Mitgliedstaaten" einerseits bzw. "Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten aus Bulgarien und Rumänien" andererseits) sowie der in der Ausführungsverordnung geweckten Erwartungen (Referentenentwurf: Entlastung derjenigen Länder, "in denen sich die Jobcenter mit den größten Herausforderungen befinden") höchst schwierig und bei jeder Ausgestaltung äußerst streitanfällig.

Konfliktträchtig wären insbesondere die Fragen, welche Leistungen bei der Verteilung auf Landesebene zu berücksichtigen wären (SGB II, SGB XII, Kindergeld, Wohngeld, Wohnraumversorgung et cetera), welche Personengruppen für die Verteilung ausschlaggebend wären (Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien oder auch solche anderer Mitgliedstaaten) und wo angesichts der Vielzahl der bundeweit betroffenen Städte und Landkreise die Grenze zwischen allgemeinen und besonderen Herausforderungen läge, ab der eine Entlastung sachgerecht ist.

Gerade vor diesem Hintergrund ist auch zu berücksichtigen, dass landesrechtliche Regelungen angesichts der Summe von 25 Millionen Euro bundesweit und der auf ein Jahr begrenzten Erhöhung der Bundesbeteiligung in keinem angemessenen Verhältnis zu dem hiermit verbundenen Aufwand stehen.

Ergänzend wird auf die Stellungnahme des Deutschen Landkreistages vom 12. September 2014 zum Referentenentwurf der Sonderbundesbeteiligungs-Festlegungsverordnung 2014 verwiesen.

7. Zu Artikel 4 (§ 46 Absatz 7a Satz 2 SGB II)

Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu § 46 Absatz 7a SGB II-E) zu prüfen, ob die in der Verordnungsermächtigung vorgegebenen Regelungen für die Rechtsverordnung zu präzisieren sind.

Begründung:

Für die Verteilung der erhöhten Beteiligung des Bundes an den Leistungen für Unterkunft und Heizung im SGB II an die Länder soll die Entwicklung der Zuwanderung aus anderen Mitgliedstaaten zugrunde gelegt werden. Insoweit sieht die Verordnungsermächtigung keine Einschränkung für einzelne Mitgliedstaaten vor. In der Begründung zum Gesetzentwurf wird aber bereits eine Einschränkung für bestimmte Mitgliedsländer angedeutet. Eine derartige Beschränkung der Rechtsverordnung wäre mit dem Wortlaut der Verordnungsermächtigung nicht zu vereinbaren, weil dies eine unzulässige Verengung gegenüber der weiter gefassten Ermächtigungsgrundlage darstellen würde. Die Verordnungsermächtigung wäre damit nicht hinreichend bestimmt und somit rechtswidrig.

B