853. Sitzung des Bundesrates am 19. Dezember 2008
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Finanzausschuss (Fz), der Ausschuss für Innere Angelegenheiten (In) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
Allgemeines
- 1. Der Bundesrat begrüßt im Grundsatz das vor dem Hintergrund der internationalen Finanzmarktkrise zeitlich vorgezogene Vorhaben der Kommission, die EU-Einlagensicherungsrichtlinie von 1994 zu überarbeiten, die neuen Regeln kurzfristig in Kraft zu setzen und deren Umsetzung in den nationalen Gesetzen bis zum 31. Dezember 2008 zu fordern. Die EU-Richtlinie über die Einlagensicherungssysteme wirkt vertrauensbildend und damit stabilisierend für den Finanzsektor.
- 2. Der Bundesrat begrüßt daher grundsätzlich den Richtlinienvorschlag und insbesondere die Anhebung der Mindestdeckungssumme für die Sicherung der Einlagen von natürlichen Personen auf zunächst 50 000 Euro.
- 3. Allerdings sind mit den Vorschlägen der Kommission erhebliche Auswirkungen auf den gesamten Bankensektor in Deutschland verbunden, die in dieser Form nicht akzeptabel erscheinen, da hiermit substanzielle negative Eingriffe in bestehende Strukturen der Kreditwirtschaft verbunden wären.
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung daher, sich bei den Beratungen des Richtlinienvorschlags für folgende Änderungen einzusetzen:
Rückwirkende Geltung der neuen Entschädigungsgrenzen zum 15. Oktober 2008
- 4. Die Forderung der rückwirkenden Geltung der neuen Entschädigungsgrenzen zum 15. Oktober 2008 erfordert einen immensen Verwaltungsaufwand und birgt, auch aufgrund der in den meisten Mitgliedstaaten zugesagten staatlichen Garantien für Kundeneinlagen, aus Sicht des Kunden keinen Mehrwert. Die Einlagensicherungssysteme müssen ihre Beitragssystematik aufgrund der neuen Sicherungsgrenze ab dem 1. Januar 2009 ohnehin grundlegend umstellen. Insofern wird vorgeschlagen, den neuen Schwellenwert mit [dem Inkrafttreten der Neuregelung in den jeweiligen nationalen Gesetzen, d. h.] dem 1. Januar 2009, zu koppeln.
Anhebung des Entschädigungsanspruchs auf 100 000 € zum 31. Dezember 2009
- 5. Der Bundesrat steht der zum 31. Dezember 2009 geplanten Anhebung des Entschädigungsanspruchs von 50 000 € auf 100 000 € kritisch gegenüber. Da zum 1. Januar 2009 eine Anhebung des Schutzniveaus auf 50 000 € vollzogen wird, sollte vor einem weiteren Anhebungsschritt abgewartet werden, wie sich der neue Schwellenwert praktisch auswirkt. Zudem müssen die exante finanzierten Sicherungssysteme das Volumen ihrer jeweiligen Entschädigungseinrichtung zunächst auf den neuen Schwellenwert von 50 000 € anpassen. Insofern würde eine Verdoppelung des Schwellenwerts in einem Zeitraum von zwölf Monaten hier zu erheblichen, in diesem kurzen Zeitraum kaum zu bewältigenden organisatorischen Schwierigkeiten führen. Es besteht mithin im aktuellen Richtlinienvorhaben keinerlei Anlass dazu, den Schwellenwert bereits jetzt, quasi "auf Vorrat" in einer weiteren, erst ab 31. Dezember 2009 gültigen Stufe auf 100 000 € anzuheben.
Der Bundesrat regt deshalb an, von einer weiteren Anhebung des Mindestwertschutzes im aktuellen Regelungsvorhaben Abstand zu nehmen und im Laufe des Jahres 2009 zunächst festzustellen, welche praktischen und verbraucherschutzpolitischen Verbesserungen durch die Anhebung des Schwellenwertes auf 50 000 € erreicht werden konnten. Erst hiernach sollte über den Bedarf einer weiteren Anhebung des Mindestschutzes nachgedacht werden.
- 6. Der Bundesrat lehnt Vorschläge auf eine EU-weit geltende Begrenzung der Deckungssumme für Einlagensicherungssysteme auf maximal 100 000 Euro ab. Durch eine Maximalharmonisierung würden die Mitgliedstaaten bei der Festlegung der Deckungssumme beschränkt. Die in dem Richtlinienvorschlag vorgesehene Mindestdeckungssumme hingegen belässt den Mitgliedstaaten genügend Spielraum, um in Einzelfällen individuelle Maßnahmen treffen zu können, mit denen das Einlegervertrauen kurzfristig durch höhere Deckungssummen auf nationaler Ebene gestärkt werden kann. Auch angesichts der unterschiedlichen Sparquoten in den Mitgliedstaaten muss die Möglichkeit höherer Deckungssummen gewährleistet bleiben. So betrug die Sparquote in Prozent des verfügbaren Einkommens laut OECD im Jahr 2003 in Finnland weniger als 1 Prozent, in Deutschland 11 Prozent und in Italien sogar 15 Prozent. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, sich gegen Bestrebungen auszusprechen, die eine Maximalharmonisierung in der Einlagensicherungsrichtlinie fordern.
Auszahlungsfristen
- 7. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die in Artikel 10 Abs. 1 des Richtlinienvorschlags vorgesehene Verkürzung der Auszahlungsfrist auf drei Tage für die Einlagensicherungssysteme zu kurz ist. Das Ziel einer Verkürzung der derzeitigen Auszahlungsfrist von drei Monaten ist zwar grundsätzlich zu begrüßen, da es den Bedürfnissen der Einleger entgegenkommt.
- 8. Die im Richtlinienänderungsvorschlag vorgesehene Herabsetzung der Auszahlungsfrist von bislang drei Monaten auf drei Tage geht an der Realität der bestehenden Einlagensicherungseinrichtungen vorbei und kann voraussichtlich von keinem der in der EU bestehenden Systeme auch nur annähernd erfüllt werden. Insofern besteht die Gefahr, dass die Neuregelung den Bankkunden eine Leistungsfähigkeit der Einlagensicherungssysteme vorspiegelt, die im praktischen Entschädigungsfall auf keinen Fall eingehalten werden kann.
- 9. Das Ziel der Richtlinie, das Einlegervertrauen zu stärken, kann nur erreicht werden, wenn die Einlagensicherungssysteme die Frist zur Auszahlung auch einhalten können. Beim Eintritt eines Sicherungsfalls werden die Einlagensicherungssysteme mit einer enormen Informationsflut konfrontiert. Sie müssen in einer Vielzahl von Fällen Informationen beim Einleger einholen (z.B. die für die Überweisung notwendigen Kontendaten) bzw. etwaige aufrechenbare Gegenansprüche prüfen.
- 10. Die möglichst schnelle Erfüllung von Entschädigungsansprüchen setzt zunächst eine einwandfreie, stets aktuelle Datenbasis über die entschädigungsberechtigten Bankkunden voraus, auf die die Entschädigungseinrichtung im Leistungsfall problemlos zugreifen kann. Sodann muss jeder Anspruch einzeln geprüft, eine aktuelle Kontoverbindung des Entschädigungsberechtigten nachgefragt und der Betrag zur Auszahlung angewiesen werden. Dieser von den Sicherungssystemen mit äußerster Sorgfalt durchzuführende Prozess ist, auch bei einer kleinen Bank, unmöglich innerhalb von drei Tagen abzuarbeiten. Noch fragwürdiger ist die vorgesehene kurze Frist bei einem eine große Bank mit mehreren hunderttausend Entschädigungsberechtigten betreffenden Entschädigungsfall.
Für die Einhaltung der kurzen Auszahlungsfrist müssten die Entschädigungseinrichtungen hunderte Mitarbeiter vorhalten. Banken müssten zudem ihre EDV-Systeme anpassen, damit Einlegerdaten im Entschädigungsfall schneller verfügbar gemacht werden, was weitere Kosten verursachen dürfte. Dieses kann nicht im Interesse der Kunden liegen, die letztlich einen hieraus erwachsenden, deutlich höheren Verwaltungsaufwand der Banken mitbezahlen müssten.
Für besonders problematisch hält der Bundesrat die von der Kommission vorgesehene Erstreckung der kurzen Auszahlungsfrist von drei Tagen auf die Fälle, in denen Einlagensicherungssysteme über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehend freiwillig auch andere Anleger abdecken. Hier besteht, da die Maßnahme freiwillig erfolgt und auch keine privaten Kunden hiervon betroffen sind, keine besondere Eilbedürftigkeit, so dass die Auszahlungsfrist in diesem Fall deutlich länger bemessen sein muss.
- 11. Der Bundesrat bittet deshalb die Bundesregierung, sich bei den Beratungen des Richtlinienvorschlags dafür einzusetzen, dass die Regelung der Auszahlungsfrist den Bedürfnissen der Einlagensicherungssysteme Rechnung trägt.
- 12. Der Bundesrat schlägt vor, die Auszahlungsfrist an realistischeren Maßstäben und an der tatsächlichen Machbarkeit zu orientieren und auf mindestens vier Wochen, im Falle der freiwilligen Einlagensicherungssysteme zumindest aber auf sechs Wochen, festzulegen.
- (bei Annahme entfällt Ziffer 13)
- 13. Eine Verkürzung der Auszahlungsfrist auf 20 Werktage mit einer Verlängerungsoption von zehn Werktagen könnte dabei eine vertretbare Lösung für Einleger und Einlagensicherungssysteme darstellen.
- 14. Ferner sollte es bei Verzögerungen einen Mechanismus geben, der bei Sichteinlagen eine kurzfristige Abschlagszahlung vorsieht, damit im Sicherungsfall eine Person ihre Verpflichtungen zur Haushaltsführung erfüllen und den üblichen Lebensunterhalt weiter finanzieren kann, zumal die im Einlagensicherungsfall notwendige Einrichtung eines neuen Kontos bei einem anderen Institut und die Änderung der Zahlungswege für die laufenden Einkünfte und Verpflichtungen einige Zeit brauchen dürfte.
Differenzierte Darstellung der in den Mitgliedstaaten bestehenden Einlagen- und Institutssicherungssysteme
- 15. Eine grundlegende Problematik des Vorschlags der Kommission besteht in der augenscheinlich nicht vorgenommenen Differenzierung zwischen den in den Mitgliedstaaten bestehenden unterschiedlichen Einlagensicherungssystemen, d. h. konkret fehlende Berücksichtigung der bei Genossenschaftsbanken und Sparkassen neben der Einlagensicherung bestehenden Institutssicherung. Vielmehr hat die Kommission, um v. a. den Verbraucher- und Anlegerinteressen entgegenzukommen, in ihrem Richtlinienänderungsvorschlag eine "Pauschalisierung" der Thematik Einlagensicherung vorgenommen, die die Gegebenheiten in den Mitgliedstaaten nicht berücksichtigt.
Aus Sicht des Bundesrates ist es daher von zentraler Bedeutung, wenn im Rahmen der Richtlinienänderung eine differenzierte Darstellung der in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehenden Einlagen- und [(v. a.)] Institutssicherungssysteme aufgenommen würde. So wäre es unabdingbar, in die Richtlinienänderung eine entsprechende Darstellung aufzunehmen (z.B. in Form eines eigenen, an vorrangiger Stelle zitierten Erwägungsgrunds), dass entsprechend der Rechtsform der Kreditinstitute in bestimmten Mitgliedstaaten neben Einlagensicherungssystemen komplementär für bestimmte Institutsgruppen sogenannte Institutssicherungssysteme bestehen.
Diese Institutssicherungssysteme gewährleisten mit dem "Bestandsschutz der Institute" über die von der Einlagensicherungsrichtlinie garantierten Beträge i. H. v. 50 000 bzw. später 100 000 Euro ein bei weitem hinausgehendes Sicherungsniveau.
- 16. D. h. diejenigen Kreditinstitute, die einem Institutssicherungssystem angehören, gewährleisten nicht nur ein Maximum an Einlagenschutz, sondern gleichzeitig das höchst mögliche Maß an Verbraucherschutz. Eine entsprechende Würdigung dieser Sicherungssysteme muss, wenn die Kommission schon beabsichtigt, Verbraucherschutzaspekte in den Mittelpunkt ihrer Zielsetzungen zu stellen, im Rahmen des Richtlinienänderungsverfahrens auf jeden Fall berücksichtigt werden bzw. entsprechend deutlich Erwähnung finden.
- 17. Daher ist insbesondere der Vorschlag der Kommission zur Neufassung des Artikels 12 der Richtlinie äußerst kritisch zu sehen, da mit dieser Regelung de facto die Grundlagen für jedwede von der Kommission initiierte substanzielle Änderungen der in Deutschland bestehenden Einlagen- und Institutssicherungssysteme geschaffen würden.
Die hierbei von der Kommission aufgeführten Zielsetzungen:
- - Harmonisierung der Finanzierungsmechanismen für Einlagensicherungssysteme sowie
- - mögliche Einführung eines gemeinschaftlichen Einlagensicherungssystems lassen erkennen, dass die Kommission auf mittlere Sicht die Einführung eines "EU-Einlagensicherungsfonds" anstrebt. Die Kommission hat in der Vergangenheit bereits mehrfach ihre Präferenz für eine Exante-Finanzierung der Einlagensicherungssysteme und damit den Aufbau eines "Fondsmodells" geäußert. Eine derartige Finanzierung würde in einem diametralen Gegensatz zu den von Kreditinstituten in Deutschland praktizierten Finanzierungsformen stehen, d. h. Expost-Finanzierung von nachgewiesenen Schadensfällen. Eine vollkommene Umstellung der Finanzierungsmechanismen würde zwangsläufig zu extremen Kostenbelastungen für alle Kreditinstitute führen und auch mittelbar durch die Notwendigkeit entsprechender Kostenumlagen zu einer erheblichen Verschärfung der Konditionen im Kundengeschäft führen.
Ebenso ist die Zielsetzung "Einführung eines gemeinschaftlichen Einlagensicherungssystems" grundlegend abzulehnen. Es erscheint in keiner Weise gerechtfertigt, im Bereich der Einlagensicherung Befugnisse den nationalen Stellen zu entziehen und möglicherweise sogar auf Kommissionsdienststellen zu übertragen. Die Entscheidungen über die Verwendung von Mitteln der Einlagensicherung sowie die Durchführung der Entschädigungszahlungen dürfen allein schon unter dem Aspekt der Subsidiarität nur den einzelnen Mitgliedstaaten vorbehalten sein.
- 18. Eine Beteiligung oder gar eine Federführung der Kommission in diesem Bereich dürften nicht nur im Widerspruch zu fundamentalen europarechtlichen Grundsätzen stehen, sondern erscheinen auch unter organisatorischen bzw. praktischen Gesichtspunkten in keiner Weise zielführend.