Der Bundesrat hat in seiner 940. Sitzung am 18. Dezember 2015 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat nimmt die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und die Europäische Zentralbank: Schritte zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion zur Kenntnis.
Bei der Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) handelt es sich um eines der zentralen europäischen Projekte der kommenden Jahre, um die Währungsunion insgesamt noch krisenfester zu machen und damit den Wohlstand in Europa dauerhaft zu sichern. Der Bundesrat begrüßt, dass mit dem Bericht der fünf Präsidenten und der vorliegenden Mitteilung der Kommission die notwendige Diskussion über die zukünftige Ausgestaltung der WWU angestoßen wird.
- 2. Die Kommission hat den Prozess des Europäischen Semesters zeitlich gestrafft und die Zahl der länderspezifischen Empfehlungen verringert. Aus Sicht des Bundesrates können diese Vereinfachungen einen Beitrag dazu leisten, dass die Empfehlungen der Kommission durch die Mitgliedstaaten stärker als bislang umgesetzt werden.
- 3. Der Bundesrat unterstützt die Kommission in ihren Bestrebungen, die Konvergenz zwischen den Ländern der Euro-Zone zu erhöhen. Er teilt hierbei die Einschätzung der Kommission, dass ein Benchmarking und die damit verbundene Orientierung an den Ländern, die jeweils am besten abschneiden, eine wichtige Rolle spielen können.
Zu Recht weist die Kommission jedoch selbst auf die methodischen und inhaltlichen Grenzen von Ländervergleichen hin. Der Bundesrat stimmt daher mit der Auffassung der Kommission überein, dass zur Vermeidung von Fehlinterpretationen die jeweiligen Ergebnisse durch zusätzliche wirtschaftliche Analysen ergänzt werden müssen.
- 4. Er nimmt zur Kenntnis, dass die Kommission zusammen mit dieser Mitteilung bereits einen unabhängigen beratenden Europäischen Fiskalausschuss eingerichtet hat (Beschluss (EU) Nr. 2015/1937 der Kommission vom 21. Oktober 2015), und bedauert, dass ihm im Vorfeld keine Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt wurde. Die konsequente Überwachung der Einhaltung der Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes ist aus Sicht des Bundesrates von hoher Bedeutung. Ungeachtet dessen hält der Bundesrat den von der Kommission bereits eingerichteten beratenden unabhängigen Fiskalausschuss für nicht zielführend. Aufgrund der aktuellen Ausgestaltung des Gremiums bestehen Zweifel, ob der damit verbundene Nutzen in angemessenem Verhältnis zu dem zu erwartenden bürokratischen Mehraufwand steht. Auch ist unklar, auf welcher rechtlichen Grundlage seine Einführung basiert und wie das Verhältnis des Europäischen Fiskalausschusses zu den nationalen Fiskalräten ausgestaltet ist.
- 5. Der Bundesrat begrüßt die Absicht der Kommission, die Bereiche "Beschäftigung und Soziales" im Sinne einer Wirtschafts- und Sozialunion stärker in den Blick zu nehmen. In der Krise in Griechenland hat sich gezeigt, dass Strukturreformen und der Weg zu einer Haushaltskonsolidierung sich in höherer Arbeitslosigkeit niederschlagen können. Daher ist es sinnvoll und wichtig, sowohl bei der Folgenabschätzung von Strukturreformen als auch bei Reformprogrammen neben wirtschafts- und finanzpolitischen Aspekten auch verstärkt sozialpolitische Aspekte zu berücksichtigen.
- 6. Er begrüßt, dass die Kommission die Rolle der Sozialpartner für die Akzeptanz der Weiterentwicklung der WWU anerkennt. Konkret spricht sich die Kommission für eine stärkere Einbeziehung der Sozialpartner in die Ausarbeitung der Nationalen Reformprogramme aus. Gerade auch im Hinblick auf die stärkere Fokussierung auf Arbeit und Soziales sowie auf die angestrebte "Säule sozialer Rechte" ist der Dialog mit den Sozialpartnern sinnvoll, auch um eine breite Akzeptanz der Vorhaben in den Mitgliedstaaten der WWU zu erreichen. Perspektivisch können die Sozialpartner auch für mögliche gemeinsame Projekte - wie europäische Mindestlohnkorridore - einen wichtigen Beitrag leisten.
- 7. Er spricht sich gegen die Einrichtung nationaler Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit im Euro-Währungsgebiet aus.
- 8. Der Bundesrat stellt weiterhin fest, dass mit der Aufnahme der Tätigkeit des einheitlichen Aufsichtsmechanismus, der Errichtung des einheitlichen Abwicklungsmechanismus in der Eurozone und der Harmonisierung der Regeln zur Einlagensicherung in allen Mitgliedstaaten der EU - sogenannte drei Säulen der Bankenunion - wichtige Voraussetzungen für einen stabileren Bankensektor in Europa geschaffen worden sind.
Er ist der Auffassung, dass die Vorgaben der neuen europäischen Einlagensicherungsrichtlinie den Einlagenschutz in der EU weiter deutlich verbessert haben. Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass die Bundesrepublik Deutschland laut vorliegender Mitteilung bisher lediglich als einer von 16 Mitgliedstaaten die BRRD-Richtlinie und als einer von 10 Mitgliedstaaten die Einlagensicherungsrichtlinie (DGSD-Richtlinie) vollständig fristgerecht umgesetzt hat. Er sieht es als kritisch an, dass 18 Mitgliedstaaten die neue Einlagensicherungsrichtlinie am 19. Oktober 2015 nicht oder noch nicht vollständig umgesetzt hatten. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass es die vorrangige Aufgabe aller Mitgliedstaaten ist, die BRRD-Richtlinie und die DGSD-Richtlinie - wo dies noch nicht geschehen ist - umgehend umzusetzen und damit für den Aufbau stabiler und leistungsfähiger Einlagensicherungssysteme in Europa Sorge zu tragen. Die neuen Regeln müssen von allen Mitgliedstaaten vollständig umgesetzt werden.
- 9. Darüber hinaus hält der Bundesrat die Überlegungen der Kommission in der Mitteilung über die ersten Schritte hin zu einem gemeinsamen europäischen Einlagensicherungssystem für nicht akzeptabel und zielführend.
Eine weitere Europäisierung der Einlagensicherung über die einheitlichen Anforderungen der neuen Einlagensicherungsrichtlinie hinaus ist derzeit nicht sachgerecht und könnte für den gesamten deutschen Bankensektor schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen. Insbesondere kleinere, regional tätige oder im KMU-Sektor engagierte Kreditinstitute mit konservativen Geschäftsmodellen würden mit ihren Beiträgen zu einem europäischen Einlagensicherungssystem mit einem gemeinsamen Sicherungsfonds die Einlagen bei anderen Banken, die unter Umständen eine risikoreichere Geschäftspolitik betreiben, EU-weit absichern. Stabile und leistungsfähige Systeme müssten für instabile und leistungsschwache Systeme haften.
Dies gilt umso mehr, als der zwischenzeitlich vorgelegte Verordnungsvorschlag die Schritte von einer Rückversicherung über eine Mitversicherung zu einer Vollversicherung bis 2024 vorsieht. Damit kann schon jetzt nicht mehr von "ersten Schritten" gesprochen werden. Der Verordnungsvorschlag soll vollendete Tatsachen schaffen. Der Bundesrat sieht dabei die Gefahr, dass nicht zusätzliches Vertrauen bei den deutschen Sparerinnen und Sparern geschaffen, sondern vorhandenes Vertrauen gefährdet wird.
Der Bundesrat lehnt mithin die Errichtung eines europäischen Einlagensicherungssystems und die in der Mitteilung enthaltenen Vorschläge, ein einheitliches Sicherungssystem mit einem gemeinsamen Rückversicherungsfonds in Ergänzung zu den nationalen Einlagensicherungssystemen als ersten Schritt zu schaffen, ab.
Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, sich dafür einzusetzen, dass eine gemeinsame europäische Einlagensicherung insgesamt - auch in Form eines Rückversicherungsfonds - unterbleibt.
- 10. Der Bundesrat wird die Bestrebungen der Kommission begleiten, Risiken zu verringern, gleiche Wettbewerbsbedingungen im Bankensektor zu gewährleisten und die Verbindung zwischen Banken und Staatsanleihen lösen zu wollen. Grundsätzlich ist dieser Ansatz zwar richtig. Im Einzelnen kann eine falsche Nachsteuerung der Probleme diese verstärken oder neu schaffen:
- - Die Verringerung von Risiken etwa durch den Abbau nationaler Besonderheiten darf das bewährte Drei-Säulen-System des deutschen Bankwesens nicht in Frage stellen. -Die Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen muss dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Rechnung tragen. Gleiche Wettbewerbsbedingungen bestehen nach Auffassung des Bundesrates darin, dass Chancengleichheit zwischen kleinen und mittleren Banken einerseits und international tätigen Großbanken andererseits hergestellt wird. Dazu bedarf es differenzierter Regelungen an Stelle eines "one rule fits it all"-Ansatzes. Schon die vorhandene Regulierung hat eine "too small to survive"-Problematik geschaffen.
- - Eine der Maßnahmen, mit denen die enge Verflechtung zwischen Banken und Staaten gelöst werden soll, ist die Unterlegung von Staatsanleihen mit Eigenkapital, wie sie derzeit im Baseler Ausschuss diskutiert wird. So konsequent diese Maßnahme langfristig zur Abrundung des Systems ist, so viele Gefahren birgt ein übereiltes Vorgehen. Eine zu rasche Bindung von Eigenkapital könnte die Kreditklemme in vielen europäischen Staaten verschärfen. Außerdem könnte der Absatz von Staatsanleihen erschwert und damit die Staatsschuldenkrise verschärft werden. Nur ein sehr behutsames Umsteuern kann diese Nebenwirkungen vermeiden.
- 11. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.