Der Bundesrat hat in seiner 890. Sitzung am 25. November 2011 gemäß § § 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
Zur Registrierung bzw. Erlaubnis für industrielle Tätigkeiten mit natürlich vorkommenden radioaktiven Materialien
- 1. Es ist klarzustellen, ob die in Artikel 27 Absatz 3 Buchstabe f genannte zu erwartende effektive Dosis von 0,3 mSv/a aus geplanten industriellen Tätigkeiten mit natürlich vorkommenden radioaktiven Materialien auf den Grenzwert der effektiven Dosis der Bevölkerung, der gemäß Artikel 13 auf 1 mSv/a festgelegt ist, anzurechnen ist.
Zu den Regelungen zur Exposition durch Baumaterialien in Gebäuden
- 2. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass es keiner verpflichtenden Vorgaben zur Exposition durch Baumaterialien in Gebäuden bedarf. Die im Richtlinienvorschlag enthaltenen Regelungen, nach denen u.a. auf der Basis bestimmter Kriterien für als bedenklich eingestufte Arten von Baumaterialien Aktivitätskonzentrationen genannter Nuklide bestimmt und die Baumaterialien danach klassifiziert werden sollen, in deren Folge Materialien zu registrieren und ggf. in ihrer Verwendung einzuschränken sind, führen zu einem erheblichen Aufwand für den Staat und betroffene Unternehmen. Dies ist hinsichtlich der erreichbaren Verbesserung des Vorsorgeniveaus unangemessen. So ist auch im Ergebnis von Messungen zu radioaktiven Stoffen in Baumaterialien, die das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) als gemeinsame Einrichtung des Bundes und der Länder zur einheitlichen Erfüllung bautechnischer Aufgaben in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Strahlenschutz durchgeführt hat, der Handlungsbedarf gering. Mit der in der Bauprodukteverordnung (Verordnung (EU) Nr. 305/2011) verbindlich vorgegebenen Grundanforderung 3 (Hygiene, Gesundheit und Umweltschutz) zur harmonisierten Bauproduktnormung würde eine nicht verfahrens- und sachgerechte Doppelregelung bei gleichzeitiger Anwendung des vorliegenden Richtlinienvorschlags bestehen.
Der Bundesrat hält es aus diesen Gründen für erforderlich, die in den Artikeln 2, 74, 75, 100 in Verbindung mit Artikel 103 und den Anhängen VII und XI formulierten Regelungen zur Exposition durch Baumaterialien in Gebäuden zu streichen.
- 3. Unabhängig davon wird das Thema an verschiedener Stelle bereits im Baurecht behandelt, z.B. in der europäischen Bauprodukte-Richtlinie, auf die die Kommission in ihrer Begründung selbst hinweist. Auch der Richtlinienvorschlag verweist an den relevanten Stellen auf die einschlägigen und besonderen Bauvorschriften. Dies erscheint angesichts der vorrangig stofflichen Aspekte und des Adressatenkreises (Architekten, Baufirmen, Handwerkskammern) auch zielführend (soweit überhaupt Handlungsbedarf gesehen wird).
Zu den Regelungen zur Exposition durch Radon an Arbeitsplätzen und in Gebäuden
- 4. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass verbindliche Regelungen zur Exposition durch Radon an Arbeitsplätzen und in Gebäuden, insbesondere in Gebieten mit geologisch bedingt erhöhten Radonkonzentrationen, nicht zielführend sind und daher vermieden werden sollten. Freiwillige Maßnahmen auf der Grundlage von Information und Aufklärung sind vorzugswürdig und entsprechen dem Prinzip des eigenverantwortlichen Handelns der Bürgerinnen und Bürger.
Zum Schutz der Umwelt vor ionisierender Strahlung
- 5. Das Kapitel IX "Umweltschutz" mit den Artikeln 76 bis 79 sowie in Artikel 2 Absatz 1 der Bezug auf den Schutz der Umwelt sollten gestrichen werden.
Der vorgelegte Vorschlag der Kommission trifft umfassende Regelungen zum Schutz der Bevölkerung der Mitgliedstaaten vor den Gefahren einer Exposition gegenüber ionisierender Strahlung. Für genehmigte Ableitungsgrenzwerte, für unfallbedingte Freisetzungen und für die Umweltüberwachung werden geeignete Rahmenbedingungen abgeleitet, die einen hinreichenden Schutz der Bevölkerung gewährleisten. Hierdurch ist indirekt auch der vom Richtlinienvorschlag geforderte "Schutz nicht menschlicher Arten in der Umwelt" abgedeckt. Im Sinne einer möglichst einfachen und praktikablen Regelwerkserstellung und zur Vermeidung überflüssiger Regulierungen kann daher das Kapitel IX ersatzlos entfallen, ohne dass dies für den Strahlenschutz relevante Einschränkungen mit sich bringen würde.
Im Übrigen bietet Artikel 30 Euratom-Vertrag keine Rechtsgrundlage für Regelungen zum Schutz der Umwelt über die zum Schutz der Bevölkerung erforderlichen Regelungen hinaus.
Zur rechtlichen Verbindlichkeit und besseren Lesbarkeit der Richtlinie
- 6. Die Bundesregierung wird gebeten, sich dafür einzusetzen, dass alle für die Richtlinie relevanten Definitionen, Beschreibungen und Zahlenwerte in den Richtlinienvorschlag aufgenommen werden und eine Referenzierung auf externe Papiere möglichst vermieden wird. Der Richtlinienvorschlag verweist an maßgeblichen Stellen auf externe Papiere, die zum Teil offenbar noch gar nicht publiziert sind (ICRP; z.B. technische Aspekte zur Definition der effektiven Dosis, Dosiskoeffizienten). Außerdem werden isolierte Textstellen aus externen Papieren übernommen, ohne die für das Verständnis wichtigen Erläuterungen einzubeziehen (z.B. Tabellen mit Freistellungs-/Freigabewerten aus IAEA RS-G-1.7 in Anhang VI Tab. A, kein Hinweis, dass diese Werte nur für sogenannte "bulk amounts of material" gelten, das heißt für Massen ab etwa einer Tonne). Dadurch besteht die Gefahr von Fehlinterpretationen. Es bleibt weiterhin unklar, welche Auswirkungen künftige Änderungen in den externen Papieren haben werden. Die Referenzpapiere sind zum Teil nicht öffentlich zugänglich und/oder kostenpflichtig. Rechtliche Verbindlichkeit und Lesbarkeit der Richtlinie werden dadurch unnötig in Frage gestellt.
Zur Umsetzung der Richtlinie
- 7. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass für die nationale Umsetzung der Richtlinie vier Jahre vorgesehen werden; die vorgesehene Frist wird angesichts der umfangreichen Neuregelungen und inhaltlichen Erweiterungen für nicht angemessen gehalten.
Zu den Mitteilungspflichten
- 8. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, im weiteren Verfahren auf eine Streichung oder Reduzierung der Mitteilungspflichten zur institutionellen Infrastruktur auf bereits bestehende Pflichten (Bund - Kommission) hinzuwirken. Die Erfüllung der vorgesehenen Meldepflichten erfordert einen absehbar unverhältnismäßig hohen bürokratischen Aufwand ohne erkennbaren Mehrwert für die Schutzziele.
Zu Regelungen zu den natürlichen Strahlenexpositionen
- 9. Der Bundesrat sieht die Notwendigkeit, die Inkonsistenzen im Bereich der Regelungen zu den natürlichen Strahlenexpositionen zu beseitigen und die entsprechenden Regelungen auf ein realisierbares und vernünftiges Maß zu reduzieren.
Planbare natürliche Strahlenexpositionen (z.B. NORM-Industrien inklusive Ableitungen, Beseitigung oder Wiederverwertung fester Rückstände; Baumaterial; Radon nach erfolglos ergriffenen Maßnahmen; zusätzlich: Trinkwasserrichtlinie) sollen künftig bei der Prüfung der Einhaltung der allgemeinen Dosisgrenzwerte wie z.B. 1 Millisievert für die allgemeine Bevölkerung berücksichtigt werden. Gleichzeitig werden für die genannten Quellen zahlreiche neue Referenz- und Richtwerte eingeführt. Dies wird in der Planung von Tätigkeiten künftig erhebliche Probleme bereiten.
Ungeachtet bzw. in Unkenntnis der tatsächlichen Exposition von Referenzpersonen durch planbare natürliche Quellen sind in den Zulassungsverfahren vermutlich die genannten Referenz- und Richtwerte als Maßstab für eine mögliche Ausschöpfung der allgemeinen Grenzwerte heranzuziehen. Dadurch gewinnen die Referenz- und Richtwerte einen nach der ICRP-Veröffentlichung 103 nicht gewollten und auch nicht angemessenen Charakter von Pseudo-Grenzwerten. Darüber hinaus verbleibt im Einzelfall möglicherweise kein Spielraum mehr für die Genehmigung beispielsweise einer nuklearmedizinischen Praxis (Direktstrahlung, Ableitung von Patientenausscheidungen). Es bleibt die Frage, ob das gewollt ist, oder ob hier lediglich noch zu klärende Inkonsistenzen und Widersprüchlichkeiten vorliegen.
Zum Verwaltungsaufwand im Landesvollzug
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung weiterhin, die Länder über die Ergebnisse der Verhandlungen zu informieren.
Begründung:
Der Entwurf der Euratom-Richtlinie enthält Regelungen, die von dem aktuellen deutschen Strahlenschutzrecht abweichen und ggf. Auswirkungen auf vorhandene Genehmigungen bzw. zugelassene Verfahren haben. Daneben werden Regelungen für Bereiche getroffen, die bisher im deutschen Strahlenschutzrecht nicht vorhanden sind.
In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, inwieweit die im deutschen Atom- und Strahlenschutzrecht geltenden Standards weiterhin Geltung beanspruchen sollten.
Es ist dabei mit Blick auf den Bestandsschutz bereits erteilter Genehmigungen auch zu prüfen, ob ggf. Übergangsregelungen erforderlich sind.