892. Sitzung des Bundesrates am 10. Februar 2012
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Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (U) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Vorlage eines Energiefahrplans 2050, der anhand von Szenarien Möglichkeiten aufzeigen soll, wie die Ziele für ein CO₂-armes Energiesystem bis 2050 erreicht und dabei die Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssicherheit Europas verbessert werden können. Der Bundesrat bedauert, dass nach den letzten Schätzungen der Kommission die EU im Jahr 2020 das 20-Prozent-[Energieeffizienz-]Ziel voraussichtlich nur zur Hälfte erreichen wird und begrüßt die Identifizierung von Wegen, die diese Entwicklung korrigieren können.
- 2. Der Bundesrat begrüßt den Ansatz des Energiefahrplans, sowohl im Energieverbrauch als auch in der Energieerzeugung Dekarbonisierungspotenziale zu aktivieren und hierbei auf Energieeffizienz zu setzen.
- 3. Die im Fahrplan dargestellten Analysen machen deutlich, dass die Dekarbonisierung des Energiesystems möglich ist.
- 4. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung darauf hinzuwirken, dass der Energiefahrplan 2050 umgehend weiter konkretisiert und dabei ausreichende Freiräume für die Umsetzung in den Mitgliedstaaten eingerichtet werden. Er bittet gleichzeitig, dass in den weiteren Verhandlungen über die Rahmensetzung der EU im Sinne des "Energiefahrplans 2050" die aufgeführten Bedenken berücksichtigt werden und dafür Sorge getragen wird, dass nicht nur die rechtlichen Rahmenbedingungen, sondern auch die Finanzierungsmöglichkeiten geschaffen werden.
- 5. Der Bundesrat teilt die Auffassung der Kommission, dass eine grundlegende Voraussetzung für Investitionen in die Energieinfrastruktur die Berechenbarkeit und langfristige Planbarkeit der Energiepolitik darstellt. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung in diesem Zusammenhang auf, sich auf nationaler und europäischer Ebene für Planungssicherheit in der Energiepolitik einzusetzen.
- 6. Keine bestehende Technik oder technische Neuerung darf bevorzugt werden. Sie sind alle mit ihren Vor- und Nachteilen darzustellen. Sämtliche Risiken für die Umwelt und die menschliche Gesundheit im Regelbetrieb und bei Störfällen sind einzubeziehen. Ebenso ist zu bewerten, ob problematische Abfälle entstehen und ob deren sichere Entsorgung dauerhaft gewährleistet ist.
- 7. Mit Befremden hat der Bundesrat zur Kenntnis genommen, dass die Kernenergie im Energiefahrplan 2050 als wichtiger Faktor beim Umbau des Energiesystems dargestellt wird. Diese Aussage widerspricht diametral dem Beschluss der Bundesregierung zum Ausstieg aus dieser Risikotechnologie und konterkariert gleichzeitig die o.g. Bedingung des Energiefahrplans 2050, keine Abstriche bei der Sicherheit hinnehmen zu wollen.
Der Bundesrat ist der Auffassung, dass der Einstieg in ein kohlendioxidarmes Energiesystem innerhalb der EU unter der Prämisse des europaweiten Atomausstiegs zu gestalten ist.
- 8. Nur diese Doppelstrategie gewährleistet auf der einen Seite die Einhaltung der Dekarbonisierungsziele der EU bei gleichbleibenden Kosten im Gesamtsystem. Auf der anderen Seite erfüllt nur ein europaweiter paralleler Ausstieg aus der Risikotechnik Kernenergie die Einhaltung aller zehn Bedingungen des Energiefahrplans 2050 vor allem hinsichtlich Gefahrenabwehr und Sicherheit.
Der Ausstieg aus der Kernenergie erspart zudem künftigen Generationen zusätzliche, über die vorhandenen nuklearen Altlasten hinausgehende Entsorgungslasten für radioaktive Abfälle.
- 9. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, dieses zentrale Anliegen im weiteren Verfahren zum Energiefahrplan 2050 gegenüber der Kommission mit Nachdruck zu vertreten.
- 10. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, dafür Sorge zu tragen, dass die Szenarien alle Erzeugungskosten berücksichtigen. Hierzu gehören bei der Kernenergienutzung auch der Aufwand für den Transport von radioaktiven Abfällen, den Rückbau stillgelegter Anlagen, die Suche nach einem Endlager und die Endlagerkosten. Außerdem müssen für die Restnutzungsdauer von Kernkraftwerken die einheitlichen hohen Sicherheitsstandards schnellstmöglich weiterentwickelt werden. Gleiches gilt für Zwischenlager oder bereits abgeschaltete Anlagen bis zum endgültigen Rückbau. Bei der Umsetzung der Entsorgungsrichtlinie vom 19. Juli 2011 sind strenge Maßstäbe anzulegen.
- 11. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, sich für höchstmögliche Sicherheitsstandards für die Kernkraftwerke in Europa und für weltweit belastbare Haftungsregelungen sowie gleiche Wettbewerbsbedingungen für nicht nukleare und nukleare Stromerzeugung einzusetzen.
- 12. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission die Energieeffizienz als eine wesentliche Option zur Zielerreichung herausstellt. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, sich auf europäischer Ebene für eine Verstärkung der Energieeffizienzmaßnahmen einzusetzen und auf nationaler Ebene entsprechende Maßnahmen umzusetzen (z.B. strengere Mindestanforderungen an Geräte, Festlegung von Energieeinsparverpflichtungen, etc.). Der Bundesrat teilt die Auffassung der Kommission, dass Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch stärker voneinander entkoppelt werden müssen.
- 13. Der Bundesrat erkennt die Bedeutung von europaweiten Aktivitäten zur CO₂- Einsparung an. Der Energiefahrplan einschließlich Szenarien und Auswertungen müssen die aktuellen technischen und wirtschaftlichen Entwicklungen sowie den Stand der Technik umfassend widerspiegeln. Hierzu gehören z.B. auch die Entwicklung von Kleinst-KWK mit fossilen und erneuerbaren Brennstoffen oder die Wiederverwendung von abgeschiedenem CO₂. Diese Entwicklungen sind in die Szenarien einzubeziehen.
- 14. Der Bundesrat hält die Energieszenarien "diversifizierte Versorgungstechnologien" und "verzögerte CCS-Technologie", die von einer öffentlichen Akzeptanz sowohl der Kernenergie als auch der CCS-Technologie (CO₂-Abscheidung und -Speicherung) ausgehen, für energiepolitisch nicht wünschenswert.
- 15. Der Bundesrat sieht auf Grund der Sicherheitsbedenken keine zentrale Rolle der CCS-Technologie im Kraftwerksbereich.
- 16. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass die Förderung des Neubaus fossiler Kraftwerke nicht von der Vorhaltung von CCS-Technologie abhängig gemacht wird. Auch wenn die Kommission richtig feststellt, dass jetzt die Weichen für den Kraftwerkspark in zehn Jahren gestellt werden, so ist CCS noch nicht so hinreichend entwickelt, dass eine Investition in die derzeit verfügbare Technik sinnvoll ist.
- 17. Der Bundesrat begrüßt die Feststellung der Kommission, dass in Zukunft die erneuerbaren Energieträger das Rückgrat des europäischen Energiemixes bilden werden. Um dies zu gewährleisten, müssen nach Auffassung des Bundesrates, wie von der Kommission vorgeschlagen, die Kosten für erneuerbare Energien durch Forschung und Weiterentwicklung, Nutzung der Lernkurveneffekte sowie konsequente Verbesserung des Wettbewerbs an den Märkten deutlich gesenkt werden.
- 18. Aus Sicht des Bundesrates ist es notwendig, dass die Fördermittel zum Umbau der Energieversorgung in die Forschung, den Ausbau der erneuerbaren Energien und die Steigerung der Energieeffizienz fließen.
- 19. Der Bundesrat unterstützt die Feststellung, dass die Dezentralisierung der Stromerzeugung auf Grund einer vermehrten Erzeugung aus erneuerbaren Energieträgern deutlich zunimmt. Diese Entwicklung erfordert zwingend die parallele Anpassung der Infrastruktur. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, dafür Sorge zu tragen und sich dafür einzusetzen, dass die hierfür notwendigen Maßnahmen zeitnah und konsequent umgesetzt werden.
- 20. Gleichzeitig bittet der Bundesrat die Bundesregierung, sich bei der weiteren Diskussion um die Dekarbonisierungsstrategie dafür einzusetzen, dass die geforderte Netzentwicklung zügig vorangebracht und insbesondere wegen des gesamteuropäischen Gemeinwohlinteresses seitens der EU finanziert wird.
- 21. Dabei bittet der Bundesrat die Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass auf EU-Ebene einheitliche Standards für den Netzausbau und die Unterhaltung der Netze entwickelt werden, die den technischen Entwicklungen Rechnung tragen und Effizienzgewinne durch intelligente Stromnutzung ermöglichen.
- 22. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, darauf hinzuwirken, dass die Vorschläge zur "neuen Marktordnung", die kosteneffiziente Lösungen für die erforderliche hohe Flexibilität bei sinkenden Betriebsstunden von Energieerzeugungsanlagen bieten soll, umgehend vorgestellt werden. Gleiches gilt für die geforderte umfassendere und stärker maßgeschneiderte Finanzierung von Energieinvestitionen durch die Europäische Investitionsbank (EIB) oder die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE).
- 23. Für die weitere Diskussion ist es unerlässlich, dass auch die Anhänge des Energiefahrplans in allen Sprachen zur Verfügung stehen, da sie im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Energiefahrplan stehen. Dies ist unverzüglich einzufordern.
B
- 24. Der Finanzausschuss und der Ausschuss für Städtebau, Wohnungswesen und Raumordnung empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.