847. Sitzung des Bundesrates am 19. September 2008
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Finanzausschuss (Fz), der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (U) und der Verkehrsausschuss (Vk) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
A
Konzeption der Ausschüsse EU, Vk
- (bei Annahme von Buchstabe A entfällt Buchstabe B)
- 1. Der Bundesrat teilt die dem Richtlinienvorschlag zu Grunde liegenden Erwägungen insoweit, dass Analysen anhand des Konzepts der externen Kosten den Blick dafür schärfen können, wo und in welchem Maß der motorisierte Verkehr zu gesellschaftlichen und ökologischen Problemen führt, und somit dazu beitragen, politisch angemessen gegenzusteuern. Ebenso kommt politischen Steuerungsinstrumenten, die nach marktwirtschaftlichen Prinzipien funktionieren, also auch fiskalisch definierten Abgaben (Steuern und Gebühren), eine zentrale Rolle für die Einwirkung auf die verkehrlichen Verhältnisse und auch für die Mittelbeschaffung für die öffentliche Hand zu.
- 2. Vor diesem Hintergrund erkennt der Bundesrat an, dass die Kommission sich mit dem Richtlinienvorschlag, der Teil eines Gesamtpakets für einen umweltfreundlichen Verkehr ist, bemüht, das Konzept der externen Kosten in seriöser und differenzierter Weise auf die Verkehrsträger anzuwenden.
- 3. Um Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Verkehrsträgern zu vermeiden, darf die Internalisierung externer Kosten nicht einseitig zulasten des zu lediglich einem Viertel verantwortlichen Güterkraftverkehrs und nur des Verkehrsträgers Straße erfolgen. Vielmehr müsste eine effektive und gerechte Internalisierung der externen Kosten des Verkehrs alle Verkehrsträger und -arten, differenziert nach ihrem jeweiligen Beitrag, zeitgleich und unionsweit verpflichtend erfassen.
- 4. Zuzustimmen ist der Kommission insbesondere bei den grundlegenden Feststellungen, dass
- - die fiskalischen Elemente nicht so ausgestaltet werden dürfen, dass etwa die ökonomische Weiterentwicklung der Union im Sinne der Lissabon-Strategie gefährdet wird, und
- - die fiskalische Belastung der Verkehrsteilnehmer zwar angemessen die Ressourcenbeanspruchung durch den Verkehr widerspiegeln soll, andererseits aber auch über dieses Maß nicht überkompensierend hinausgehen soll.
- 5. Zuzustimmen ist der Kommission des Weiteren bei der Entscheidung, externe Kosten, die aus Straßenverkehrsunfällen vor allem mit Personenschäden resultieren, nicht angemessen durch eine allgemeine fiskalisch festgesetzte Gebühr für alle Fahrer - ohne Berücksichtigung des individuellen, unterschiedlich risikobehafteten Verhaltens - auszugleichen sind, sondern dass - nach Maßgabe weiterer sorgfältiger Prüfungen - eher eine Einwirkung über haftungs- oder versicherungsrechtliche Vorgaben in Frage kommt.
- 6. Grundsätzlich zuzustimmen ist der Kommission bei der Feststellung, dass die wesentlichen Belastungselemente im Blick auf die gegenwärtige Situation im Straßenverkehr unter den Stichworten Stau bzw. Überlastung der Infrastruktur, Lärm, Luftverschmutzung und Klimaschädigung zusammengefasst werden können, und dass diese Problemfelder vorrangig der politischen Aktion bedürfen.
- 7. Der Bundesrat sieht allerdings kritisch, dass auch Staukosten als externe Kosten definiert werden, die die Verkehrsteilnehmer angeblich der Allgemeinheit auferlegen. Vielmehr ist demgegenüber im Hinblick auf die überlastete Straßenverkehrsinfrastruktur auf die Verantwortung der öffentlichen Hand für einen bedarfsgerechten Ausbau hinzuweisen und festzustellen, dass die durch Staus verursachten Kosten nicht sachgerecht den Verkehrsteilnehmern fiskalisch angelastet werden können, da diese ohnehin bereits unmittelbar unter den mit Staus verbundenen Zeitverlusten leiden und insofern die "Kosten" der Staus, wenn auch nicht unmittelbar in monetärer Weise, bereits selbst zu tragen haben.
- 8. Der nicht unerhebliche Beitrag, den die deutschen Straßennutzer über die Mineralöl- und die Kfz-Steuer bereits heute zur Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Lasten leisten, müsste ebenso wie der vom Straßenverkehr ausgehende allgemeine Nutzen bei einer Internalisierung externer Kosten berücksichtigt werden.
- 9. Im Hinblick auf die gewünschte und notwendige Linderung der Belastungen der Umwelt durch Lärm und Luftverschmutzung gibt der Bundesrat zu bedenken, dass ordnungsrechtliche Vorgaben wie die Luftreinhalterichtlinie und die Umgebungslärmrichtlinie bereits erfolgreich wirken und ebenso auch andere fiskalische Steuerungselemente wie Differenzierungen bei der Kraftfahrzeugsteuer bereits diejenige Wirkung erzielen, zu deren Gunsten jetzt zusätzliche Gebühren vorgeschlagen werden. In diesem Zusammenhang weist der Bundesrat darauf hin, dass auch die Kommission selbst in den von ihr vorgelegten Dokumenten mehrfach Zweifel äußert, ob die Internalisierung externer Kosten tatsächlich die politisch erwünschten Ergebnisse erzielen kann.
- 10. Der Bundesrat hält es zu Gunsten eines bedarfsgerechten Ausbaus der Verkehrs-Infrastruktur für dringend erforderlich, neben dem Ausbau von alternativen Verkehrsträgern auch und mit größerem Engagement als bisher in den Ausbau und die Verbesserung der Straßeninfrastruktur zu investieren. Dies gilt nicht zuletzt angesichts des zu erwartenden starken Zuwachses der Güterverkehrsleistungen auf der Straße in den kommenden Jahrzehnten. Der Bundesrat empfiehlt, hierbei neben den Einnahmen aus Straßenbenutzungsgebühren, die die reinen Wegekosten abdecken, in höherem Maße als bisher auf die Mittel zurückzugreifen, die von den Verkehrsteilnehmern in den Mitgliedstaaten ohnehin spezifisch erhoben und zur Verfügung gestellt werden, z.B. durch die Erhebung der Mineralölsteuer.
- 11. Der Bundesrat empfiehlt angesichts vorgenannter Erwägungen hinsichtlich der Bewältigung der durch die Kommission richtig definierten Problemfelder,
- - zu Gunsten der Verringerung von Luftbelastungen durch Kraftfahrzeuge weiterhin das bewährte Instrument der Schadstoffklassen einzusetzen und fortzuentwickeln, auch in Verbindung mit gestaffelten Kraftfahrzeugsteuern,
- - zu Gunsten des Klimaschutzes ebenfalls auf die bereits weitgehend formulierten, allerdings noch endgültig zu verabredenden Maßnahmen hinsichtlich der technischen Werte neu zugelassener Fahrzeuge zu setzen und im Übrigen auf die Wirkung der Energiesteuern zu vertrauen, die zudem durch die drastisch gestiegenen Rohölpreise deutlich verstärkt werden dürfte,
- - die Einführung belastungsspezifisch zu erhebender Gebühren (zur Stauvermeidung) nur hilfsweise und nur bei nachgewiesener praktikabler Umsetzbarkeit nach subsidiärer Entscheidung der Mitgliedstaaten zuzulassen, um möglicherweise Überlastungsspitzen abbauen zu helfen, solange ein bedarfsgerechter Infrastrukturausbau im Einzelfall noch nicht erfolgt ist, und
- - vorläufig auf die Formulierung verpflichtender Vorgaben für die Generierung zusätzlicher Gebühren für Straßenverkehrsteilnehmer zu verzichten, sondern es der Prüfung innerhalb der Mitgliedstaaten zu überlassen, ob die bereits erzielten Einnahmen aus Steuern und Gebühren tatsächlich geringer sind als solche externe Kosten, die bei sachgerechter Berechnung als Grundlage fiskalischer Abschöpfung in Betracht kommen.
B
Konzeption des U-Ausschusses
- (Buchstabe B entfällt bei Annahme von Buchstabe A)
- 12. - Der Bundesrat unterstützt grundsätzlich den Ansatz der Kommission, ein allgemein gültiges, transparentes und nachvollziehbares Modell zur Bewertung der externen Kosten des Verkehrs zu schaffen. Die Internalisierung externer Kosten ist im Besonderen geeignet, das Verkehrswachstum umweltverträglicher abzuwickeln, das Gesamtverkehrssystem zu optimieren und den besonderen Herausforderungen des Klimaschutzes adäquat Rechnung zu tragen. Der vorliegende Richtlinienvorschlag, auf dessen Grundlage die Mitgliedstaaten Mautgebühren im Straßengüterverkehr je nach verkehrsbedingter Luft- und Lärmbelastung und Verkehrsaufkommen berechnen und variieren können, kann zu dieser Strategie einen Beitrag leisten.
- - Der Bundesrat weist allerdings darauf hin, dass mit dem Vorschlag der insgesamt größte Kostenblock der Externalitäten, die Kosten von CO₂-Emissionen bzw. für Klimaveränderungen sowie Natur- und Landschaftsschäden, nicht internalisiert wird. Dies ist insofern nicht sachgerecht, da mit dem im Auftrag der Kommission von internationalen Experten erarbeiteten "Handbuch zur Abschätzung externer Kosten im Transportbereich" ein wissenschaftlicher Standard für die Erhebung dieser externen Kosten vorliegt.
- - Der Bundesrat hält es darüber hinaus für nicht sachgerecht, dass es den Mitgliedstaaten freigestellt wird, ob sie Externalitäten anrechnen. Der Vorschlag ist insofern mit Blick auf die klimaschutzpolitischen Herausforderungen des Verkehrssektors unzureichend und steht zudem der Schaffung eines europäischen Binnenmarkts entgegen.
- - Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, sich in den Verhandlungen auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass der Vorschlag um die Kosten von CO₂-Emissionen ergänzt und für eine in den Mitgliedstaaten verbindliche Anwendung angelegt wird.
- 13. Die anlastbaren Kosten für die Luftverschmutzung und die Lärmbelastung sowie die anlastbaren Verkehrsstaukosten orientieren sich in ihrer Höhe an der Studie "Handbuch zur Abschätzung externer Kosten im Transportbereich". Danach können die anlastbaren Kosten der Lärmbelastung in der Nacht um bis zu 0,9 Eurocent/Fahrzeugkilometer gegenüber dem Tag erhöht werden, während die anlastbaren Verkehrsstaukosten außerhalb der Hauptverkehrszeiten (also auch in der Nacht) um bis zu 65 Eurocent/Fahrzeugkilometer gegenüber dem Tag sinken können. Damit wird jedoch ein zusätzlicher Anreiz geschaffen, Güterkraftverkehre in die Nachtzeit zu verlagern. Dieser Anreiz wirkt kontraproduktiv auf das mit der Lärmaktionsplanung gemäß EU-Umgebungslärmrichtlinie verbundene Ziel, die Lärmbelastung der Bevölkerung insbesondere in der Nacht, in der die gesundheitlichen Wirkungen besonders groß sind, zu mindern.
- 14. Obwohl laut der o. g. Studie für städtische Straßen besonders hohe Kosten der Lärmbelastung ermittelt wurden, berücksichtigt der Verordnungsvorschlag dies nicht und differenziert die anlastbaren Kosten lediglich zwischen Vorstadtstraßen und anderen Fernstraßen. Für städtische Straßen werden keine adäquaten anlastbaren Kosten zur Internalisierung benannt. Damit wird die Konzipierung von speziellen Gebühren für städtische Straßen im Sinne des Artikels 9 Abs. 1a der Richtlinie 1999/62/EG erschwert und in Ballungsräumen und städtischen Gebieten den Zielen einer in Umsetzung der Richtlinie 2002/49/EG durchgeführten oder durchzuführenden Lärmaktionsplanung entgegengewirkt.
Die Bundesregierung wird daher gebeten, sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass das Gefüge der anlastbaren Kosten so verändert wird, dass für städtische Straßen die Internalisierung von Kosten der Lärmbelastung in adäquater Höhe mit in den vorgesehenen Kostenrahmen der Straßengebühren aufgenommen wird und Anreize zur Verlagerung des Güterkraftverkehrs in die Nachtzeit vermieden werden.
C
- 15. Der Bundesrat begrüßt die mit dem Richtlinienvorschlag zur Änderung der Richtlinie 1999/62/EG beabsichtigte Förderung der Nachhaltigkeit des Verkehrs. Darin wird den Mitgliedstaaten freigestellt, bei der Kalkulation der Mautgebühren neben der zurückgelegten Wegstrecke sowohl infrastrukturbezogene Kosten, die sich an den Bau-, Betriebs-, Instandhaltungs- und Ausbaukosten des betreffenden Verkehrswegenetzes orientieren, als auch externe Kosten des Verkehrs, die infolge von Lärmbelastungen, Luftverschmutzung und Verkehrsstaus entstehen, zu berücksichtigen.
- 16. Der Bundesrat stellt mit Bedauern fest, dass die Kommission zwar konkrete Berechnungsgrundlagen für die Ermittlung von Infrastrukturgebühren vorgibt, jedoch bezüglich der Verwendung der Einnahmen aus diesen Gebühren nur eine Empfehlung zur Nutzung für den Verkehrssektor und zur Optimierung des Gesamtverkehrssystems ausspricht. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, bei den weiteren Verhandlungen auf europäischer Ebene sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten die Einnahmen aus Infrastrukturgebühren vollständig für den Erhalt und Ausbau des Fernstraßenverkehrsnetzes verwenden müssen.
D
- 17. Der Wirtschaftsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.