920. Sitzung des Bundesrates am 14. März 2014
A
Der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz (AV), der Gesundheitsausschuss (G), der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (U), der Verkehrsausschuss (Vk) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
Zur Vorlage allgemein und zu den Minderungszielen
- 1. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich den vorgesehenen Erlass einer neuen Richtlinie, mit der die Anforderungen an die Verringerung nationaler Emissionen bestimmter Luftschadstoffe gegenüber der Richtlinie 2001/81/EG aktualisiert und eine Verbesserung des vorsorgenden Gesundheits- und Umweltschutzes erreicht werden soll.
- 2. Der Bundesrat betont, dass in Deutschland in Umsetzung der NERC-Richtlinie (Richtlinie 2001/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates) seit 2002 bereits große Anstrengungen im Agrarbereich unternommen werden, um die dort festgelegten nationalen Emissionsminderungsziele zu erreichen. Es wird begrüßt, dass die Emissionshöchstgrenzen für das Jahr 2010 gemäß dem vorliegenden Vorschlag bis zum Jahr 2020 weitergelten sollen.
- 3. Der Bundesrat begrüßt die im Richtlinienvorschlag vorgeschlagenen Emissionsreduktionsziele für die gesundheits- und klimarelevanten Partikel und für Stickstoffoxide. Um die Ziele zu erreichen, sind Emissionsminderungen in allen Verursacherbereichen erforderlich.
- 4. Der Bundesrat begrüßt, dass in der Neufassung der "Richtlinie über die Verringerung der nationalen Emissionen bestimmter Luftschadstoffe" (NERCRichtlinie) als Bestandteil des Programmes "Saubere Luft für Europa" auch eine stärkere Minderung von Ammoniak angestrebt wird. Mit der Minderung von Ammoniak als Vorläufersubstanz für Feinstaub ist eine Reduktion der großräumigen Feinstaubbildung und damit des Beitrages zu Grenzwertüberschreitungen auch in Städten und Ballungsräumen sowie zur Reduktion der Eutrophierung verbunden. Der Bundesrat unterstützt deshalb die im Anhang [III Teil 1] der NERC-Richtlinie aufgeführten kosteneffizienten Maßnahmen in der Landwirtschaft zur Reduktion der Ammoniak-, Feinstaub- und Rußemissionen auch als Beitrag, um die landwirtschaftliche Produktion nachhaltig zu sichern.
- 5. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, vor einer abschließenden Bewertung des Richtlinienvorschlags darzulegen, welche Minderungspotenziale sich durch die beabsichtigten Maßnahmen ergeben und wo zusätzliche Maßnahmen angezeigt sind, um die ab 2030 geltenden Minderungsziele für die einzelnen Luftschadstoffe zu erreichen. Dies gilt insbesondere für das in Deutschland erreichbare Minderungsziel für Ammoniak.
- 6. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, zur abschließenden Bewertung des Richtlinienvorschlags das in Deutschland erreichbare Minderungsziel für Ammoniak ab 2030 realistisch abzuschätzen.
- 7. Bei dieser Prüfung sollten die Erfahrungen mit bereits eingeleiteten Minderungsmaßnahmen zur Einhaltung der nationalen Emissionshöchstgrenzen Berücksichtigung finden.
- 8. Der Bundesrat unterstützt die in dem NERC-Richtlinienvorschlag enthaltene Festlegung einer nationalen Verpflichtung für die Reduktion der Emission der kleineren PM2,5-Feinstaubpartikel [(gesundheitlich besonders bedenkliche Feinstaubpartikel)] im Zeitraum bis 2030 und die dabei geforderte Priorisierung von Maßnahmen zur Minderung der besonders gesundheits- und klimaschädlichen Rußpartikel bei der Erstellung und Umsetzung des dafür erforderlichen nationalen Luftreinhalteprogramms. Der Bundesrat unterstreicht in diesem Zusammenhang die Wichtigkeit der im Vorschlag für die NERC-Richtlinie geforderten engen Verknüpfung zwischen den lokalen Luftreinhalteplänen und dem nationalen Luftreinhalteprogramm, um mit dem nationalen Programm die Einhaltung der Luftqualitätsgrenzwerte in städtischen Ballungsräumen nach 2020 zu erleichtern.
- 9. Der Bundesrat sieht die Notwendigkeit einer klaren zeitlichen Kohärenz zwischen der Frist zum Erreichen der nationalen Emissionsreduktionsverpflichtungen und der Einhaltungsfrist der neuen, bei der zukünftigen Revision der Luftqualitätsrichtlinie festzulegenden Luftqualitätsgrenzwerte. Der Bundesrat spricht sich daher bezüglich der Luftschadstoffe NOx und PM2,5 für eine Einhaltungsfrist deutlich vor 2030 aus, um dem kürzeren Zeithorizont der lokalen Luftreinhalteplanung Rechnung zu tragen. Der Bundesrat bittet deshalb die Bundesregierung, sich bei den Beratungen im Rat für eine explizite nummerische Festlegung von Reduktionsverpflichtungen für 2025 auf der Basis eines Ambitionsniveaus einzusetzen, das mit den Reduktionsverpflichtungen für 2030 vergleichbar ist. Der Bundesrat verweist in diesem Zusammenhang auf die Folgenabschätzung der Kommission, in der die Festlegung von Reduktionsverpflichtungen auch für 2025 zu zusätzlichen kosteneffizienten Emissionsminderungen führt, ohne dabei wirtschaftlich ineffiziente und mit der europäischen Energie- und Klimaschutzpolitik inkohärente Maßnahmen auszulösen.
- 10. Der Bundesrat sieht die im Richtlinienvorschlag für Deutschland vorgesehene Minderung für Schwefeldioxid (SO2) um 53 Prozent (274kt) ab 2030 bezogen auf das Ausgangsjahr 2005 als nicht realistisch an. Deutschland verfügte im Basisjahr 2005 über eine zugelassene Emissionsfracht von 517 Kilotonnen (kt). Die letzten verfügbaren Zahlen des Umweltbundesamtes (UBA) weisen für Deutschland 2011 eine Emissionsfracht von 445kt aus. Bezogen auf das Jahr 2011 müsste Deutschland nach dem Richtlinienvorschlag die SO2-Emissionsfracht bis 2030 um weitere 202kt reduzieren. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung sich dafür einzusetzen, dass diese Minderung auf ein realistisches Maß begrenzt wird.
- 11. Die Energiewirtschaft hat mit über 50 Prozent den größten Anteil an den SO2- Emissionen. Da andere Bereiche für eine Reduzierung nur bedingt in Frage kommen, müsste der Bereich der Energiewirtschaft eine überproportionale Minderung erbringen, die durch technische Maßnahmen nicht vorstellbar ist. Auch im Eckpunktepapier der Bundesregierung zum weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien wird nach dem beschlossenen Ausstieg aus der Atomkraft davon ausgegangen, dass die Energieerzeugung aus fossilen heimischen Energieträgern weiterhin unabdingbar ist.
- 12. Darüber hinaus ist es aus Gründen der Luftqualität nicht erforderlich, die SO2- Emissionen in Deutschland im geplanten Umfang zu mindern. Landwirte bringen heute bereits Schwefel auf den Feldern aus, um den fehlenden Immissionseintrag auszugleichen. Deutschland hat seit dem Jahre 1990 seine SO2-Emissionen um über 91 Prozent gemindert.
- 13. Der Bundesrat weist darauf hin, dass bei Tierhaltungsanlagen, die dem Geltungsbereich der europäischen Richtlinie über Industrieemissionen (IERichtlinie) als ordnungsrechtlicher Regelung unterliegen, aus der Sicht der Länder eine Reduktionsverpflichtung über nationale Pläne allein nicht als zielführend angesehen wird. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung daher, dafür Sorge zu tragen, dass für diese Anlagen nach dem Anspruch der IE-Richtlinie ein einheitlicher Stand der Technik in Europa gefordert wird. Dies betrifft insbesondere die Anforderungen an die Abluftreinigung und die Abdeckung der Lager für Wirtschaftsdünger.
- 14. Im Rahmen der Folgenabschätzung zum Entwurf der NERC-Richtlinie stellt die Kommission fest, dass 20 Prozent der Anlagen zur Schweinehaltung und 60 Prozent der Anlagen zur Geflügelhaltung in Europa unter die IE-Richtlinie fallen. Das in der Überarbeitung befindliche BVT-Merkblatt "Intensivhaltung von Geflügel und Schweinen" formuliert diesbezügliche Anforderungen. Das Merkblatt muss Anforderungen vorgeben, die den Zielen der NERC-Richtlinie entsprechen und die für diese Anlagen in allen Mitgliedstaaten unabhängig von deren Minderungsverpflichtung einzuhalten sind. Die Festlegung eines anspruchsvollen Standes der Technik ist in dem vorliegenden zweiten Entwurf des BVT-Merkblatts noch nicht in ausreichendem Maße erfolgt. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, sich für eine entsprechende Weiterentwicklung des Merkblatts einzusetzen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass beispielsweise in Niedersachsen und in Nordrhein-Westfalen bereits per Erlass für große Schweinehaltungsanlagen Abluftreinigungsanlagen gefordert werden, die eine Emissionsreduzierung für Ammoniak um 70 Prozent gewährleisten.
- 15. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, darauf hinzuwirken, dass Regelungen bezüglich der Methanemissionen konsistent zu den Verpflichtungen zur Treibhausgasemissionsminderung entsprechend den EU-Fahrplänen und den Maßnahmen des Emissionshandels (vgl. Mitteilung der Kommission "Ein Rahmen für die Klima- und Energiepolitik im Zeitraum 2020-2030"; COM (2014) 15 final; BR-Drucksache 022/14 (PDF) ) erfolgen.
- 16. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, die Kommission bei den Verhandlungen zu dem Vorschlag auf EU-Ebene aufzufordern, ihre Datengrundlage für die stark divergierenden Reduktionsziele in den einzelnen Mitgliedstaaten aufzudecken und das Berechnungsmodell aufzuschlüsseln. Ferner bittet der Bundesrat die Bundesregierung, dass zur Ermittlung der Emissionsminderungsverpflichtungen die nationale Datenbasis herangezogen wird.
- 17. Weiter bittet der Bundesrat die Bundesregierung, eine detaillierte Folgekostenberechnung der von der EU geplanten Maßnahmen vorzunehmen. Bei dieser sind insbesondere auch etwaige durch die geplanten Maßnahmen verursachte Produktionseinschränkungen, Ertragsminderungen und weitere indirekte Folgen in der Land- und Forstwirtschaft mit einzubeziehen.
- 18. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, auf EU-Ebene zu verdeutlichen, dass das Erreichen des Minderungsziels für Ammoniak mit dem Ziel, Verbesserungen im Bereich Tierwohl zu erwirken, kollidieren kann. Beispielsweise führt die Umstellung von Einzelhaltungsverfahren hin zu Gruppenhaltungsverfahren, die aus Tierwohlgesichtspunkten positiv zu bewerten sind, zu höheren Ammoniakemissionen.
- 19. Der Vorschlag enthält weit gehende Ermächtigungen der Kommission zum Erlass delegierter Rechtsakte. Der Bundesrat hält es für erforderlich, dass wesentliche Regelungen direkt in den Basisrechtsakt aufgenommen werden müssen. Der Bundesrat hält es weiterhin für erforderlich, dass Bestimmungen, die auf der Ebene der Mitgliedstaaten oder darunter besser geregelt werden können, nicht in Form von delegierten Rechtsakten auf die Kommission übertragen werden sollten. Zudem ist er der Auffassung, dass die Ermächtigungen auch unter dem Gesichtspunkt des Subsidiaritätsgrundsatzes geprüft werden sollten.
Der Bundesrat weist zudem darauf hin, dass Artikel 290 Absatz 1 Satz 2 AEUV verlangt, dass Ziele, Inhalt, Geltungsbereich und Dauer der Befugnisübertragung im Gesetzgebungsakt ausdrücklich festgelegt werden. Diesen Vorgaben wird der Vorschlag nach Auffassung des Bundesrates oftmals nicht gerecht.
Zu einzelnen Vorschriften
- 20. Darüber hinaus bittet der Bundesrat die Bundesregierung, sich bei den Verhandlungen auf EU-Ebene für eine verbindliche Definition des Begriffs "anthropogen" in Artikel 4 Absatz 1 einzusetzen.
- 21. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, gegenüber der Kommission auf eine Änderung der in Artikel 4 Absatz 2 und dem Anhang II genannten Emissionsmengenberechnung auf der Basis der Kraftstoffverkäufe hinzuwirken. Schadstoffemissionen entstehen unabhängig von der Menge des verkauften Kraftstoffs auch aus anderen Quellen und müssen entsprechend ermittelt werden.
- 22. Die alle zwei Jahre vorgesehene Evaluierung (Artikel 9 Absatz 1) sollte aus Sicht des Bundesrates aus verwaltungsökonomischen Gründen den vierjähan rigen Evaluierungsrhythmus der Nitratrichtlinie (Richtlinie 91/676/EWG des Rates) angeglichen werden.
- 23. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, bei der weiteren Abstimmung zu Anhang III des Richtlinienvorschlags insbesondere auf folgende Punkte hinzuweisen:
- - Die unter Teil 1 Abschnitt A 3. Buchstabe b genannte Maßnahme eines Ersatzes von Düngemitteln auf Harnstoffbasis ist nicht sachgerecht, da bei der Herstellung nitrathaltiger Düngemittel erheblich höhere Treibhausgasemissionen je Kilogramm Stickstoff entstehen als bei der Herstellung von Düngemitteln auf Harnstoffbasis. Außerdem können Ammoniakemissionen durch die Festlegung und die Einhaltung von Regeln der guten fachlichen Praxis der Harnstoffdüngung erheblich reduziert werden.
- - Die Kommission sollte um eine Folgenabschätzung des Aufwandes und des Nutzens der unter Teil 1 Abschnitt A4. Buchstabe b Doppelbuchstabe ii genannten Maßnahme ("Festmistlager müssen überdacht sein") gebeten werden, da erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit und Angemessenheit der Maßnahme bestehen. Während die Umsetzung der Maßnahme zu einem deutlich erhöhten Aufwand und Arbeitserschwernissen der betroffenen Landwirtschaftsbetriebe führen würde, kann aus fachlicher Sicht durch eine Überdachung kaum eine Emissionsminderung erwartet werden.
- - Die unter Teil 1 Abschnitt B2. Buchstaben a bis c genannten Maßnahmen (Einarbeitung von Ernterückständen und alternative Verwendung von Ernterückständen) laufen einem wirksamen Erosionsschutz durch Mulchbedeckung der Bodenoberfläche bei Anwendung besonders bodenschonender Verfahren wie Direktsaat und konservierender Bodenbearbeitung zuwider. Da die Anwendung dieser Verfahren einen unverzichtbaren Bestandteil wirksamer Erosionsschutzstrategien darstellt und die Bodenerosion durch Wasser und Wind eines der schwerwiegendsten Umweltprobleme in großen Teilen Europas darstellt, sollte die Kommission um eine erneute Bewertung dieser Maßnahmen gebeten werden.
- 24. In Teil 1 Abschnitt B1. sollten bei den Ausnahmen vom Verbot des Verbrennens von land- oder forstwirtschaftlichen Rückständen die Wörter "zur Schädlingsbekämpfung" durch den umfassenderen Begriff "aus Gründen des Pflanzenschutzes" ersetzt werden, um auch präventives Handeln zu ermöglichen.
- 25. In Teil 1 Abschnitt C1. sollten neben landwirtschaftlichen auch forstwirtschaftliche Kleinbetriebe von den Maßnahmen nach Abschnitt B ausgenommen werden können.
Weiteres
- 26. Der Bundesrat stellt fest, dass die Emissionen der Binnenschifffahrt künftig stärker in den Blick genommen werden müssen. Die Binnenschifffahrt ist ein Wachstumssektor mit starken internationalen Verflechtungen. Binnenschiffe sind aus Klimaschutzsicht eine verträgliche Alternative zum Gütertransport mit Lkw. Die Binnenschiffsmotoren setzen allerdings deutlich mehr Partikel und Stickstoffoxide je transportierter Tonne und je zurückgelegtem Kilometer frei als Lkw.
- 27. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung daher, sich bei der Kommission für europaweit einheitliche Mindeststandards für Binnenschiffsmotoren für das Befahren europäischer Wasserstraßen und für ein Förderprogramm zur Nachrüstung einzusetzen.
B
- 28. Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union empfiehlt dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.