Stellungnahme des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung

Der Bundesrat hat in seiner 896. Sitzung am 11. Mai 2012 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

1. Zum Gesetzentwurf allgemein (Begriff der Sicherungsverwahrung)

Im gesamten Gesetzentwurf sowie im bereits geltenden Recht ist der Begriff der Sicherungsverwahrung durch den Begriff der Sicherungsunterbringung zu ersetzen.

Begründung:

Ein Festhalten an dem Begriff der Sicherungsverwahrung würde nicht hinreichend verdeutlichen, dass künftig die Therapie und Behandlung von Gewaltbzw. Sexualstraftätern im Mittelpunkt steht. Mit der Verwendung des Begriffs der Sicherungsunterbringung kommt der im Vordergrund stehende Therapiegedanke besser zum Ausdruck.

2. Zu Artikel 1 Nummer 1 (Inhaltsübersicht des StGB),

Nummer 1a - neu - (§ 61 Nummer 2a - neu - StGB), Nummer 1b - neu - (§ 65 -neu-, § 65a - neu - StGB), Nummer 5 Buchstabe a (§ 67d Absatz 2 Satz 2 StGB), Buchstabe b - neu - (§ 67d Absatz 3 Satz 2 - neu - StGB), Nummer 6 (§ 67e Absatz 2 StGB), Artikel 2a - neu - (§ 74f GVG), Artikel 3 Nummer 1 - neu - (Inhaltsübersicht der StPO), Nummer 2 - neu - (Überschrift Zweites Buch Siebenter Abschnitt der StPO), Nummer 3 - neu - (§ 275b - neu - StPO), Artikel 7 Nummer 2 (Artikel 316f Absatz 1 EGStGB)

Begründung:

Zu Buchstabe a Doppelbuchstabe bb (§ 61 Nummer 2a - neu - StGB)

§ 61 StGB leitet den sechsten Titel (Maßregeln der Besserung und Sicherung) des dritten Abschnitts (Rechtsfolgen der Tat) des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches ein. Er gibt unter der amtlichen Überschrift "Übersicht" einen Überblick über alle im Strafgesetzbuch normierten Arten der Maßregeln der Besserung und Sicherung. Die Norm hat für das Kernstrafrecht abschließenden Charakter.

Die Reihenfolge der in § 61 StGB aufgezählten Maßregeln ist an der Reihenfolge ihrer gesetzlichen Verortung ausgerichtet. Zunächst sind die freiheitsentziehenden Maßregeln (§§ 63 bis 67h StGB) dargestellt, im Anschluss die Maßregeln ohne Freiheitsentzug (§§ 68 bis 70b StGB). Dieser Reihenfolge entsprechend ist die nachträgliche Therapieunterbringung, die ihren Regelungsstandort in dem derzeit unbesetzten § 65 StGB gefunden hat, zwischen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) und der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) in § 61 Nummer 2a StGB-E zu verorten.

Zu Buchstabe a Doppelbuchstabe bb (§ 65 - neu - StGB)

§ 65 StGB-E begründet mit der nachträglichen Therapieunterbringung ein neues Rechtsinstitut, das selbständig neben den bisherigen Maßregeln der Besserung und Sicherung (§§ 61 ff. StGB) steht. Damit soll die Möglichkeit geschaffen werden, psychisch gestörte Täter, deren hochgradige Gefährlichkeit erst nach dem Strafurteil erkennbar wird, zum Schutz der Allgemeinheit unterzubringen.

Durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I, S. 2300) wurde der Anwendungsbereich des früheren § 66b StGB erheblich eingeschränkt. Hierdurch ist eine Schutzlücke für Fälle entstanden, in denen die Gefährlichkeit eines Täters im Zeitpunkt der Verurteilung für das Gericht nicht erkennbar gewesen war, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt - insbesondere während des Strafvollzuges - zu Tage getreten ist. Trotz erkannter, erheblicher Gefährlichkeit müssten diese Täter nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe in die Freiheit entlassen werden. § 65 StGB-E hingegen ermöglicht es, in eng umrissenen und abschließend normierten Fällen eine Unterbringung von Strafgefangenen nachträglich vorzunehmen. Dass nur in einer sehr überschaubaren Anzahl von Fällen die Anwendung des § 65 StGB-E in Betracht kommen wird, spricht angesichts des hohen Ranges der gefährdeten Rechtsgüter nicht gegen seine Einführung. Der Schutz vor verurteilten Personen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nach vollständiger Verbüßung der Freiheitsstrafen schwere Straftaten zum Beispiel gegen das Leben oder gegen die sexuelle Selbstbestimmung begehen werden, steht im überragenden Interesse des Gemeinwohls.

Die nachträgliche Therapieunterbringung ist weder mit der nachträglichen Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung noch mit der Therapieunterbringung nach dem Therapieunterbringungsgesetz identisch. Sie ist jedoch an beide Institute angelehnt. Der Regelungsstandort durch Belegung des derzeit unbesetzten § 65 StGB ist geeignet, das Anliegen der Vorschrift zu verdeutlichen und diese von der (nachträglichen) Sicherungsverwahrung abzuheben. Die nachträgliche Therapieunterbringung fügt sich auf diese Weise nahtlos in die Systematik des sechsten Titels des dritten Abschnitt es des Allgemeinen Teils ("Maßregeln der Besserung und Sicherung") ein.

Durch die amtliche Überschrift "Nachträgliche Therapieunterbringung" wird verdeutlicht, dass bei dieser Maßregel der Therapiegedanke im Sinne des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326) im Vordergrund steht. Strukturell ist die Vorschrift angelehnt an § 66b Absatz 1 und 2 StGB in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung (im Weiteren StGB a. F.). In Absatz 1 werden dementsprechend die Voraussetzungen für die Anordnung der nachträglichen Therapieunterbringung aufgeführt. Diese unterscheiden sich von den Regelungen des § 66b StGB a. F. jedoch zum einen darin, dass bei dem Verurteilten eine psychische Störung vorausgesetzt wird und zum anderen dadurch, dass eine Gesamtwürdigung der Persönlichkeit der verurteilten Person, ihrer Taten, ihres Vorlebens, ihrer Lebensverhältnisse und ergänzend ihrer Entwicklung während des Vollzugs konkrete Umstände ergeben muss, wonach die hochgradige Gefahr besteht, dass die verurteilte Person infolge ihrer psychischen Störung schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten begehen wird. Damit werden die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus dem Urteil vom 4. Mai 2011 für die Zukunft festgeschrieben. Das Bundesverfassungsgericht hatte in dieser Entscheidung klargestellt, dass selbst eine rückwirkend angeordnete oder verlängerte Freiheitsentziehung (durch Sicherungsverwahrung) noch als verhältnismäßig angesehen werden kann, wenn (unter anderem) "eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist" und "die Voraussetzungen einer psychischen Störung im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK" vorliegen (zitiert nach juris, Rnr. 131 ff.).

Die Anordnung der nachträglichen Therapieunterbringung ist auch noch nach dem Ende des Vollzuges der Freiheitsstrafe aus der Anlasstat möglich, sofern sich die verurteilte Person noch wegen einer oder mehrerer unmittelbar im Anschluss daran vollstreckten Freiheits- oder Ersatzfreiheitsstrafen im Vollzug befindet. Damit soll verhindert werden, dass die Anordnung der nachträglichen Therapieunterbringung von der nach Maßgabe des § 43 Absatz 4 der Strafvollstreckungsordnung variablen Vollstreckungsreihenfolge und insoweit vom Zufall abhängt.

§ 65 Absatz 2 StGB-E trifft eine Regelung für die Anordnung der nachträglichen Therapieunterbringung ohne an das Erfordernis früherer Verurteilungen anzuknüpfen. Die Vorschrift ist an § 66b Absatz 2 StGB a. F. orientiert. Dementsprechend ist der Straftatenkatalog gegenüber dem des Absatzes 1 eingeschränkt und die Verurteilung bloß wegen eines Vergehens genügt nicht zur Anordnung der nachträglichen Therapieunterbringung. Vorausgesetzt ist zudem, dass die Anlassverurteilung wegen einer oder mehrerer Katalogtaten zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren geführt hat. Die Anordnung der Therapieunterbringung ist auch noch nach dem Ende des Vollzuges der Freiheitsstrafe aus der Anlasstat möglich, sofern sich die verurteilte Person noch wegen einer oder mehrerer unmittelbar im Anschluss daran vollstreckten Freiheits- oder Ersatzfreiheitsstrafen im Vollzug befindet.

In Absatz 3 wird zur Konkretisierung des Begriffs der psychischen Störung in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 15. September 2011 - 2 BvR 1516/11 -, StV 2012, 25, zitiert nach juris, Rnr. 36) klargestellt, dass eine solche nicht erst dann vorliegt, wenn bei Tatbegehung eine Einschränkung der Schuldfähigkeit nach den §§ 20, 21 StGB bestand.

Zu Buchstabe a Doppelbuchstabe bb (§ 65a - neu - StGB)

§ 65a Absatz 1 und 2 StGB-E betrifft die Ausgestaltung der Einrichtungen für den Vollzug der nachträglichen Therapieunterbringung. Die Ausgestaltung der Einrichtungen ist an § 2 des Therapieunterbringungsgesetzes (ThUG) orientiert und unterstreicht damit den therapeutischen Charakter der Maßnahme. Nach § 65a Absatz 1 Nummer 1 StGB-E muss die Einrichtung, in der die nachträgliche Therapieunterbringung vollstreckt werden soll, wegen ihrer medizinischtherapeutischen Ausrichtung eine angemessene Behandlung der bei der betroffenen Person vorliegenden psychischen Störung auf der Grundlage eines individuell zu erstellenden Behandlungsplans und mit dem Ziel einer möglichst kurzen Unterbringungsdauer gewährleisten können. Für die Auswahl der Einrichtung kommt es somit in erster Linie auf die zu behandelnde psychische Störung an. Nummer 2 ist eine einfachrechtliche Ausprägung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Dieser führt dazu, dass in der Einrichtung keine Beschränkungen aus strukturellen Gründen erfolgen dürfen, sondern lediglich wegen therapeutischer Gesichtspunkte oder mit Rücksicht auf die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit. Eine räumliche und organisatorische Trennung der Einrichtungen von denen des Strafvollzuges sieht § 65a StGB-E im Gegensatz zu § 2 Nummer 3 ThUG nicht vor. Vielmehr ermöglicht § 65a Absatz 2 StGB-E den Vollzug der nachträglichen Therapieunterbringung auch in Einrichtungen im Sinne von § 66c Absatz 1 StGB-E. Voraussetzung für eine solche Einrichtung bleibt in jedem Falle, dass sie die Voraussetzungen des § 65a Absatz 1 StGB-E erfüllt.

Absatz 3 verweist auf § 66c Absatz 2 StGB-E. Jene Vorschrift dient der Umsetzung des vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Ultima-RatioPrinzips, wonach der Gesetzgeber sicherzustellen hat, dass die Sicherungsverwahrung nur als letztes Mittel angeordnet werden darf, wenn andere, weniger einschneidende Maßnahmen nicht ausreichen, um dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit Rechnung zu tragen. Dementsprechend ordnet § 66c Absatz 2 StGB-E an, dass mit den motivatorischen und behandlerischen Maßnahmen nach rechtskräftiger Anordnung bzw. Vorbehalt der Sicherungsverwahrung bereits während des Strafvollzuges zu beginnen ist, um eine Vollstreckung der Unterbringung entbehrlich zu machen. Diesen Rechtsgedanken auch auf die nachträgliche Therapieunterbringung zu übertragen, ist verfassungsrechtlich geboten.

Zu Buchstabe a Doppelbuchstabe cc (§ 67d Absatz 2 Satz 2 StGB)

§ 67d Absatz 2 StGB regelt, in welchen Fällen die Unterbringung zur Bewährung auszusetzen ist. Für die nachträgliche Therapieunterbringung kommt eine Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung in Betracht, wenn das Gericht nach Beginn der Unterbringung feststellt, dass deren weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung angeboten worden ist. Ebenso wie bei der Sicherungsverwahrung muss das Gericht somit bei der nachträglichen Therapieunterbringung binnen der vorgesehenen Frist des § 67e Absatz 2 StGB prüfen, ob dem Untergebrachten eine ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 StGB-E angeboten wird. Durch diese Bestimmung wird dem vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326) betonten Ultima-Ratio-Prinzip Rechnung getragen.

Zu Buchstabe a Doppelbuchstabe cc (§ 67d Absatz 3 Satz 2 - neu - StGB)

Der in § 67d Absatz 3 StGB eingefügte Satz 2 regelt die Beendigung der nachträglichen Therapieunterbringung durch Erledigung. Diese tritt durch gerichtliche Entscheidung ein, wenn die Anordnungsvoraussetzungen der nachträglichen Therapieunterbringung entfallen sind. Mit dem Wegfall einer oder mehrerer Voraussetzungen des § 65 StGB-E entfällt das Bedürfnis für die weitere Unterbringung der verurteilten Person gänzlich oder es rückt so weit in den Hintergrund, dass das verfassungsrechtliche Übermaßverbot die Fortdauer der nachträglichen Therapieunterbringung unverhältnismäßig erscheinen lässt. Einer entsprechend dem § 67d Absatz 3 Satz 1 StGB gestuften Regelung mit einer Verschärfung des Prüfungsmaßstabes nach dem Ablauf von zehn Jahren der Unterbringung bedarf es für die Erledigung der nachträglichen Therapieunterbringung nicht. Denn schon bei der Anordnung der nachträglichen Therapieunterbringung kommt ein besonders strenger Maßstab zur Anwendung.

Zu Buchstabe a Doppelbuchstabe dd ( § 67e Absatz 2 StGB)

§ 67e StGB regelt die Fristen für die gerichtliche Überprüfung der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung. § 67e Absatz 2 StGB konkretisiert die in Absatz 1 Satz 2 normierte Pflicht des Vollstreckungsgerichts, periodisch innerhalb bestimmter Fristen zu überprüfen, ob die weitere Vollstreckung der Unterbringung fortzusetzen oder zu beenden ist. Die Regelung trägt dem Freiheitsanspruch der Untergebrachten aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes Rechnung und kompensiert insofern den Mangel der zeitlichen Bestimmtheit der Unterbringung und Tat(schuld)angemessenheit.

Für die nachträgliche Therapieunterbringung und für die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung beträgt die Prüfungsfrist zunächst ein Jahr, nach zehn Jahren des Vollzuges aber neun Monate. Die Länge dieser Fristen berücksichtigt die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus dem Urteil vom 4. Mai 2011 (a.a. O.). Darin hatte das Bundesverfassungsgericht für das durch den Gesetzgeber auszugestaltende Regelungskonzept gefordert, dass die Fortdauer der Unterbringung in mindestens jährlichen Abständen gerichtlich überprüft wird (zitiert nach juris, Rnr. 118). Dadurch wird sichergestellt, dass maßgebliche Veränderungen und positive Entwicklungen während des Vollzuges tatsächlich zügig und in rechtlich überprüfbarer Form festgestellt und berücksichtigt werden, wodurch eine realistische Entlassungsperspektive in Aussicht gestellt und das Ziel der schnellstmöglichen Entlassung gefördert werden kann. Die Verkürzung der Prüfungsfrist nach dem Vollzug von zehn Jahren der Unterbringung auf neun Monate folgt ebenfalls der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach mit zunehmender Dauer des Vollzuges die gerichtliche Kontrolle weiter zu intensivieren ist; davon ist auch die Zeitdauer der Intervalle betroffen (vgl. BVerfG, a.a. O., Rnr. 118). Eine noch kürzere Prüfungsfrist wäre demgegenüber unter therapeutischen Gesichtspunkten kontraproduktiv. Denn jedes Überprüfungsverfahren ist mit psychischen Belastungen und - wie die Erfahrungen der Rechtspraxis mit den nach § 63 StGB Untergebrachten zeigen - mit Verschlechterungen im psychopathologischen Zustandsbild der Untergebrachten verbunden, was deren Entlassungschancen verringert. Zudem besteht für eine weitere Verkürzung kein Bedarf, da die Gerichte bei Bestehen entsprechender Anhaltspunkte ohnehin verpflichtet sind, zu prüfen, ob die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung auszusetzen oder für erledigt zu erklären ist.

Zu Buchstabe b (§ 74f GVG)

Die Vorschrift des § 74f GVG wurde mit dem Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 eingefügt (BGBl. I S. 1838) und regelte bisher lediglich die gerichtlichen Zuständigkeiten für die Entscheidung über die im Urteil vorbehaltene und die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung. Die in der Vorschrift getroffenen Regelungen für die nachträgliche Sicherungsverwahrung werden nunmehr auf die Anordnung der nachträglichen Therapieunterbringung erstreckt. Denn nachträgliche Therapieunterbringung und nachträgliche Sicherungsverwahrung sind in ihrer materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Ausgestaltung ähnlich, so dass auch im Hinblick auf die gerichtlichen Zuständigkeiten eine parallele Regelung angezeigt ist.

Zu Buchstabe c (§ 275b - neu - StPO)

Der neu geschaffene § 275b StPO trifft eine Regelung über das Verfahren zur Anordnung der nachträglichen Therapieunterbringung. § 275b StPO-E ist an § 275a StPO angelehnt und sieht wie dieser vor, dass die nachträgliche Therapieunterbringung - ungeachtet des Umstandes, dass sie wegen ihrer Nachträglichkeit in dem ersten Teil der Hauptverhandlung gar nicht hätte angeordnet werden können - in einem neuen, zweiten Teil des zugrundeliegenden Erkenntnisverfahrens angeordnet wird.

Das gerichtliche Verfahren zur Anordnung der nachträglichen Therapieunterbringung sieht einen initiierenden Antrag der zuständigen Staatsanwaltschaft vor, Absatz 1 Satz 3. Die zuständige Staatsanwaltschaft ihrerseits erhält die Akten von der Vollstreckungsbehörde, Absatz 1 Satz 1. Die Vollstreckungsbehörde ist nicht zwangsläufig identisch mit der zuständigen Staatsanwaltschaft. Die zuständige Staatsanwaltschaft gewährt dem Verurteilten gemäß Absatz 1 Satz 2 rechtliches Gehör und übergibt den Antrag auf Anordnung der nachträglichen Therapieunterbringung spätestens sechs Monate vor dem Ende der Haftzeit zusammen mit den Akten dem Vorsitzenden des Gerichts, Absatz 1 Satz 3. Für das übrige Verfahren gelten gemäß Absatz 2 § 275a Absatz 2, 3, 4 Satz 2 und 3 und Absatz 6 Satz 1 und 4 StPO entsprechend. Damit besteht insbesondere die Möglichkeit, bei Vorliegen dringender Gründe für die Annahme, dass die nachträgliche Therapieunterbringung angeordnet wird, bis zur Rechtskraft des Urteils einen Unterbringungsbefehl zu erlassen, § 275b Absatz 2 StPO-E in Verbindung mit § 275a Absatz 6 Satz 1 StPO.

Zu Buchstabe d (Artikel 316f Absatz 1 EGStGB)

Artikel 316f EGStGB-E enthält die Übergangsvorschrift für das Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung. Absatz 1 sieht vor, dass auf Neufälle (letzte Anlasstat nach dem 31. Mai 2013) neues Recht, mithin die voraussichtlich ab dem 1. Juni 2013 geltenden Vorschriften über die Sicherungsverwahrung, anzuwenden sind. Die nunmehr getroffenen Ergänzungen in Absatz 1 erstrecken die Übergangsregelung auf die nachträgliche Therapieunterbringung nach den §§ 65f StGB-E. Eine Anwendung der nachträglichen Therapieunterbringung kommt somit bei Anlasstaten in Betracht, die nach dem 31. Mai 2013 begangen werden. Eine rückwirkende Geltung der §§ 65, 65a StGB-E für den Zeitraum vor Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung findet hingegen nicht statt. Damit werden zum einen die verfassungs- und konventionsrechtlichen Schwierigkeiten, die mit einer rückwirkenden Geltung der nachträglichen Therapieunterbringung verbunden wären, umgangen. Zum anderen wird durch die jetzt vorgesehene Vorschrift einer weiteren Verkomplizierung der ohnehin schon komplexen Rechtsmaterie entgegengewirkt und eine klare, eindeutige Regelung geschaffen: Für Taten, die vor dem 1. Januar 2011 begangen wurden, gelten wegen Artikel 316e Absatz 1 Satz 2 EGStGB die Vorschriften des § 66b Absatz 1 und 2 StGB (Nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung) in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung weiter. Für Taten, die nach dem 31. Mai 2013 begangen werden, finden gemäß Artikel 316f Absatz 1 EGStGB-E die Vorschriften zur nachträglichen Therapieunterbringung Anwendung.

3. Zu Artikel 1 Nummer 3 Buchstabe a (§ 67a Absatz 2 Satz 2 StGB)

In Artikel 1 Nummer 3 Buchstabe a sind in § 67a Absatz 2 Satz 2 die Wörter "zur Durchführung einer Heilbehandlung oder Entziehungskur angezeigt ist," durch die Wörter "wegen einer schwerwiegenden psychiatrischen Erkrankung medizinisch notwendig ist," zu ersetzen.

Begründung:

Nach geltendem Recht (§ 67a Absatz 1 und 2 StGB) kann eine noch in der Strafhaft befindliche Person, gegen die Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist, nur dann in den Vollzug einer Maßregel gemäß den §§ 63, 64 StGB überwiesen werden, wenn die Resozialisierung der betroffenen Person dadurch besser gefördert werden kann und bei ihr der Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder der eingeschränkten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) gegeben ist. Die Voraussetzung, wonach beim Betroffenen ein "Zustand nach § 20 oder § 21" StGB vorliegen muss, wird überwiegend als wenig praktikabel angesehen, so dass diese Vorschrift in der Praxis kaum zur Anwendung kommt.

Allerdings ist die im Gesetzentwurf vorgesehene Neuformulierung des § 67a Absatz 2 Satz 2 StGB als zu weitgehend abzulehnen, da sie nicht nur zu unangemessenen Belastungen in den psychiatrischen Krankenhäusern und in den Entziehungsanstalten, sondern dort auch zu Sicherheitsrisiken führen würde.

Nach dem Gesetzentwurf soll zukünftig eine Überweisung aus der Strafhaft in den Maßregelvollzug gemäß den §§ 63, 64 StGB bereits dann möglich sein, wenn sie "zur Durchführung einer Heilbehandlung oder Entziehungskur angezeigt ist". Die Begriffe "Heilbehandlung und Entziehungskur" sind zwar im StGB etabliert. Sie stellen jedoch im Gegensatz zur aktuellen Anforderung, dass bei dem Betroffenen ein Zustand nach § 20 oder § 21 StGB und damit eine psychische Erkrankung von besonderer Erheblichkeit vorliegen muss, eine deutlich geringere Schwelle dar. Denn es dürfte bei allen Straftätern, bei denen bereits im Urteil die Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten wurde, zumindest eine dissoziale Persönlichkeitsstörung oder/und eine Suchtproblematik (Alkohol, Drogen) vorliegen, die grundsätzlich behandlungsbedürftig ist/sind. Dies ist auch vor dem Hintergrund, dass Studien zufolge die Prävalenz psychischer Störungen unter Strafgefangenen bei etwa 80 Prozent liegt, zu sehen.

Die Überweisung von Straftätern, die nicht an einer psychischen Störung mit Krankheitswert leiden, in den psychiatrischen Maßregelvollzug würde den therapeutischen Charakter dieser Einrichtungen beschädigen, im Widerspruch zu dem ihnen vom Gesetzgeber zugewiesenen Auftrag stehen und den Charakter zum Nachteil der bislang dort zu behandelnden Patienten verändern. Gerade die Unterbringung von Strafgefangenen mit "lediglich" dissozialen Persönlichkeitsstörungen würde in diesen Einrichtungen zu erheblichen Belastungen und zu hohen Sicherheitsrisiken führen.

Deshalb bedarf es einer einschränkenden Formulierung hinsichtlich der Voraussetzung für die Überweisung von Strafgefangenen, bei denen die Sicherungsverwahrung im Urteil angeordnet oder vorbehalten wurde, in den Maßregelvollzug gemäß den §§ 63, 64 StGB. Eine Überweisung soll nur möglich sein, wenn sie wegen einer schwerwiegenden psychiatrischen Erkrankung des Betroffenen medizinisch notwendig ist. Medizinisch notwendig ist eine Überweisung in der Regel dann, wenn bei dem Betroffenen zum Zeitpunkt der Überweisung eine krankhafte seelische Störung, eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung oder Schwachsinn oder eine schwere andere seelische Abartigkeit festgestellt wird, wodurch der Betroffene unfähig oder seine Fähigkeit erheblich vermindert wäre, das Unrecht einer künftigen Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Damit wird gewährleistet, dass nur Strafgefangene mit einer nicht unerheblichen psychiatrischen Erkrankung und daraus resultierender medizinischer Behandlungsbedürftigkeit bereits während des Strafvollzugs in ein psychiatrisches Krankenhaus oder in eine Entziehungsanstalt, deren Behandlungs- und Therapiekonzepte vor allem auf solche Personen ausgerichtet sind, überwiesen werden können.