864. Sitzung des Bundesrates am 27. November 2009
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Ausschuss für Innere Angelegenheiten (In) und der Rechtsausschuss (R) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Die Verhältnismäßigkeit des Zugriffs auf den Datenbestand von EURODAC im Rahmen der Verfolgung schwerwiegender Straftaten bedarf einer grundsätzlichen kritischen Überprüfung. (bei Annahme entfallen Ziffern 2, 3 und 4)
Begründung (nur gegenüber dem Plenum):
Gegen den Beschlussvorschlag bestehen nach wie vor grundsätzliche Bedenken im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit des Zugriffs auf den EURODAC-Datenbestand zu Zwecken der Bekämpfung schwerwiegender Straftaten: Dem Beschlussvorschlag liegt die Annahme zugrunde, dass der Zugriff auf die EURODAC-Daten für die Aufklärung der Straftaten, die in Artikel 2 Absatz 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. L 190 vom 18. Juli 2002, S. 1) benannt werden, erforderlich ist, weil keine zentrale Stelle existiert bei der die Ermittlungsbehörden abfragen können, welcher Mitgliedstaat Informationen über eine verdächtige Person besitzt.
Es fehlt jedoch ein Nachweis darüber, dass tatsächlich eine nennenswerte Anzahl von Fällen zu erwarten ist, in denen Fingerabdruckdaten, die sich nicht in den nationalen daktyloskopischen Identifizierungssystemen (AFIS) befinden und die nicht im Wege des Hit-/Nohit-Systems bei den Mitgliedstaaten abgefragt werden können, bei einer automatisierten Gesamtabfrage über EURODAC einer verdächtigen Person zugeordnet werden könnten. Vielmehr ist die Frage nach der zahlenmäßigen Dimension bislang unbeantwortet geblieben.
Ein solcher Nachweis wäre allerdings zur Rechtfertigung des beabsichtigten Datenabgleichs, der die von EURODAC erfassten Personen unter den Generalverdacht stellt, potenzielle Urheber schwerwiegender Straftaten zu sein, erforderlich, um die Verhältnismäßigkeit der geplanten Maßnahme beurteilen zu können. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Daten in EURODAC ursprünglich für gänzlich andere Zwecke, nämlich der Verhinderung mehrfach in der EU gestellter Asylanträge, erfasst worden sind.
- 2. Der Bundesrat begrüßt ausdrücklich, dass die Kommission auf der Grundlage der ursprünglichen Initiative der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 nach eingehender Prüfung und umfangreicher Folgenabschätzung nunmehr den Vorschlag für einen Beschluss vorgelegt hat, der den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten sowie Europol einen Zugang zu den im System EURODAC gespeicherten Daten ermöglichen soll. (entfällt bei Annahme von Ziffer 1)
- 3. Gegenstand des Beschlussvorschlags ist ausweislich seiner Bezeichnung die Beantragung eines Abgleichs mit EURODAC-Daten zu Strafverfolgungszwecken. Aufgrund der Formulierungen in Artikel 1, Artikel 3 Absatz 1, Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a und c sowie Artikel 10 Absatz 3 ("zum Zwecke der Verhütung von Straftaten") geht der Bundesrat jedoch davon aus, dass die EURODAC-Zentraldatenbank auch zum Zwecke der Gefahrenabwehr einschließlich der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten abgefragt werden darf. (entfällt bei Annahme von Ziffer 1)
- 4. Ein vergleichbares Instrument wurde bereits im Juni 2008 durch den so genannten Zugriffsbeschluss des Rates zum Visa-Informationssystem verabschiedet (Beschluss 2008/633/JI des Rates vom 23. Juni 2008 über den Zugang der benannten Behörden der Mitgliedstaaten und von Europol zum Visa-Informationssystem - VIS - für Datenabfragen zum Zwecke der Verhütung, Auf-(entfällt bei Annahme von Ziffer 1) deckung und Ermittlung terroristischer und sonstiger schwerwiegender Straftaten) und durch das VIS-Zugangsgesetz vom 6. Mai 2009 (BGBl. I., S. 1038, 1039) in nationales Recht umgesetzt. In nahezu allen Mitgliedstaaten der EU haben die Strafverfolgungsbehörden zum Zwecke der Verbrechensbekämpfung daneben bereits Zugang zu den jeweiligen nationalen Datenbanken, die Fingerabdrücke von Asylsuchenden enthalten. Bislang besteht jedoch keine Möglichkeit, derartige Abfragen in automatisierter Form europaweit durchzuführen. In Anbetracht der mit den neuen Kriminalitätsphänomenen und Gefahrenlagen verbundenen Herausforderungen handelt es sich bei dem in Rede stehenden Vorhaben aus Sicht des Bundesrates daher um einen folgerichtigen, notwendigen und begrüßenswerten Schritt zur Fortentwicklung der EU zu einem gemeinsamen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.
- 5. Wenngleich dem Schutz von personenbezogenen Daten von in EURODAC gespeicherten Personen Rechnung zu tragen ist, müssen die Zugangs- und Nutzungsbedingungen für die Strafverfolgungsbehörden nach Auffassung des Bundesrates so ausgestaltet sein, dass sie einerseits den Zielen der Initiative gerecht werden, aber andererseits dabei praktikabel bleiben.
Für den Abgleich mit den Daten in der EURODAC-Zentraldatenbank müssen außerdem berechtigte Gründe zu der Annahme vorliegen, dass er wesentlich zur Verhütung, Aufdeckung oder Ermittlung der fraglichen Straftaten beitragen wird. Datenabgleiche können ausschließlich auf der Grundlage von Fingerabdruckdaten durchgeführt werden. Anders als beim Zugriff auf das VIS ist die einzige Information, die ein solcher Abgleich daher erbringen kann, die eindeutige Feststellung der Identität einer Person. Sofern die übrigen Bedingungen des Artikels 7 erfüllt sind, liegen nach Auffassung des Bundesrates daher stets berechtigte Gründe zu der Annahme vor, dass die Abfrage der EURODAC-Zentraldatenbank einen wesentlichen Beitrag zur Verhütung, Aufdeckung oder Ermittlung einer Straftat leisten wird. Die Bundesregierung wird deshalb gebeten, in den weiteren Verhandlungen auf eine diesbezügliche Klarstellung hinzuwirken.
- 6. Während spezielle Zugriffsbedingungen aufgrund des besonderen Schutzstatus grundsätzlich nachvollziehbar sind, ist die geforderte Subsidiarität aus fachlichen Erwägungen heraus nicht praktikabel und führt - nicht zuletzt aufgrund des damit einhergehenden Zeitverzuges - faktisch dazu, dass der Zugriff nur in wenigen Fällen erfolgen wird. Das Ansinnen, Fingerabdrücke in EURODAC nicht routinemäßig abzufragen, wird durch die sonst in Artikel 7 genannten Voraussetzungen, einhergehend mit dem vorgeschalteten Prüfverfahren, bereits hinreichend erfüllt. (bei Annahme entfällt Ziffer 15)
- 7. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, im weiteren Verfahren insbesondere folgende Punkte zu berücksichtigen und den Beschlussvorschlag im Rahmen weiterer Verhandlungen zu ändern:
- 8. Aus der Benennung einer nationalen Prüfstelle ist zu folgern, dass diese vor dem EURODAC-Abgleich das Vorliegen der Voraussetzungen prüft. Unabhängig davon, wo diese zentrale nationale Prüfstelle angesiedelt ist, hat dies im Ergebnis zur Folge, dass dieser Stelle die Befugnis zur Kontrolle länderpolizeilichen Handelns eingeräumt würde. Dies ist abzulehnen.
- 9. Ein Zugriff von Europol auf EURODAC-Daten zu Analysezwecken gemäß Artikel 8 des Beschlussvorschlags ist auszuschließen.
Begründung (nur gegenüber dem Plenum):
Artikel 8 räumt Europol die Möglichkeit ein, "für spezifische Analysezwecke sowie für allgemeine und strategische Analysen" auf den EURODAC-Datenbestand zuzugreifen. Dabei sind die Begriffe der spezifischen oder der allgemeinen Analyse nicht genauer definiert und eröffnen somit ein unüberschaubar weites Zugriffsspektrum. Ein Zugriff auf die in EURODAC gespeicherten Daten zum Zweck allgemeiner Analysen, also ohne einzelfallbezogenes, konkretes Strafverfolgungsinteresse, ist bei Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Betroffenen unverhältnismäßig. Ob dieser Aspekt bislang überhaupt ernsthaft geprüft worden ist, erscheint angesichts der Ausführungen in der Begründung des Beschlussvorschlags (BR-Drucksache 730/09 (PDF) , S. 7) - Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - fraglich. Die Zugriffsbefugnis für Europol ist daher zu streichen.
- 10. Artikel 10 Absatz 4 des Beschlussvorschlags, der die regelhafte Löschung der über EURODAC erlangten personenbezogenen Daten nach einem Monat vorsieht, ist dahingehend zu präzisieren, dass diese Löschung nur unterbleiben darf, wenn die Daten zur Verfolgung terroristischer oder sonstiger schwerwiegender Straftaten im Sinne des Artikels 1 des Beschlussvorschlags benötigt werden.
Begründung (nur gegenüber dem Plenum):
Nach Artikel 10 Absatz 4 sind personenbezogene Daten, die im Rahmen des EURODAC-Datenabgleichs erlangt worden sind, binnen eines Monats aus den Datenbanken des Empfängers zu löschen. Eine Ausnahme von dieser regelhaften Löschung ist vorgesehen für Fälle, in denen die Daten für "spezifische laufende strafrechtliche Ermittlungen" benötigt werden. Um auch an dieser Stelle keinen Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass die im Rahmen des Abgleichs mit EURODAC gewonnenen Daten ausschließlich für die Verfolgung "terroristischer oder sonstiger schwerwiegender Straftaten" verwendet werden dürfen (Artikel 1), sollte der Begriff der spezifischen laufenden strafrechtlichen Ermittlungen dahingehend präzisiert werden.
- 11. Die in Artikel 13 Absatz 1 beschriebene Aufzeichnungspflicht lässt nicht hinreichend erkennen, auf welche Verfahrensschritte sie Anwendung finden soll und welche am jeweiligen Verfahrensschritt beteiligte Stelle die Aufzeichnung durchzuführen hat. Für eine wirksame Überwachung der Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung, zur Gewährleistung der Datenintegrität und -sicherheit und zur Eigenkontrolle erscheint es andererseits ausreichend, dass die Abfragen der nationalen Zugangsstellen in der EURODAC-Zentraldatenbank protokolliert werden.
- 12. Die Protokolle über die Datenverarbeitungsvorgänge, die im Zusammenhang mit dem Abgleich mit EURODAC-Daten stehen (Artikel 13 des Beschlussvorschlags), sind nach einem Jahr zu löschen.
Begründung (nur gegenüber dem Plenum):
In Artikel 13 fehlt die Angabe einer Frist, nach der die Protokolle über die Datenverarbeitungsvorgänge, die bei einem EURODAC-Datenabgleich angefallen sind, gelöscht werden müssen. Da aber auch diese Protokolle personenbezogene Daten enthalten können (vgl. Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe f), ist sicherzustellen, dass die Daten nach einer bestimmten Frist vernichtet werden. Berücksichtigt man das Interesse an der Überprüfung der rechtlichen Zulässigkeit eines Datenabgleichs einerseits und die Interessen der Betroffenen andererseits, erscheint eine Frist von einem Jahr als angemessen.
- 13. Vor diesem Hintergrund bittet der Bundesrat die Bundesregierung, sich nachdrücklich für die Position des Bundesrates einzusetzen und im Rahmen der Verhandlungen auf die notwendigen Änderungen hinzuwirken:
- Der Zugriff der Strafverfolgungsbehörden auf EURODAC ist in rechtlicher und technischer Hinsicht praktikabel und nutzbar analog der Regelungen für den Zugriff auf das VIS bzw. der innerstaatlichen Regelung auszugestalten.
- 14. - Der in den Bedingungen dargelegte Zugriff der benannten Behörden ist ohne einschränkende Subsidiaritätsklausel zuzulassen. (bei Annahme entfällt Ziffer 15)
- 15. - Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, auf eine Fassung der Subsidiaritätsklausel in Artikel 7 Absatz 1 hinzuwirken, die einerseits dem in Erwägungsgrund 11 hervorgehobenen berechtigten Anliegen, einen routinemäßigen Massenabgleich auszuschließen, Rechnung trägt, andererseits aber nicht zu weit gerät und dadurch einen zeitnahen und praktikablen Abgleich erschwert. (entfällt bei Annahme von Ziffer 6 oder Ziffer 14)
- 16. - Das Verhältnis zwischen den an dem Verfahren auf nationaler Ebene beteiligten Behörden, namentlich den benannten Behörden gemäß Artikel 3 und den Prüfstellen gemäß Artikel 4 des Beschlussvorschlags, ist dahingehend klarzustellen, dass zwischen diesen Stellen keine Behördenidentität bestehen darf. (bei Annahme entfällt Ziffer 18)
Begründung (nur gegenüber dem Plenum):
Der Beschlussvorschlag sieht vor, dass die Mitgliedstaaten Behörden benennen sollen, die zum Zugriff auf die EURODAC-Daten berechtigt sind (Artikel 3 Absatz 1). Zugleich sollen die Mitgliedstaaten Behörden benennen, die als sogenannte Prüfstellen fungieren (Artikel 4). Diese Prüfstellen sollen die Anträge der erstgenannten Behörden daraufhin überprüfen, ob die rechtlichen Voraussetzungen für einen Datenabgleich mit EURODAC vorliegen (Artikel 4 Absatz 2, Artikel 6 Absatz 2). Die Prüfstellen sind damit eine Kontrollinstanz für die Behörden, die einen Datenabgleich vorzunehmen beabsichtigen.
Die betreffenden Vorschriften lassen jedoch offen, in welchem Verhältnis die Stellen zueinander stehen. Sie schließen insbesondere nicht aus, dass beide Stellen als unterschiedliche Abteilungen derselben Behörde, etwa des Bundeskriminalamts, eingerichtet werden. Dies könnte allerdings dazu führen, dass die Kontrolle darüber, ob die Voraussetzungen für einen grundrechtssensiblen Datenabgleich mit EURODAC vorliegen, innerhalb derselben Behörde durchgeführt wird, die diesen Datenabgleich vorzunehmen beabsichtigt. Die entsprechende Behörde würde sich in diesen Fällen selbst kontrollieren, wodurch die erforderliche Kontrollintensität beeinträchtigt werden könnte. Es ist daher ausdrücklich aufzunehmen, dass antragsberechtigte Behörden im Sinne des Artikels 3 und Prüfstellen im Sinne des Artikels 4 nicht behördenidentisch sein dürfen.
- 17. - Analog des VIS ist die Möglichkeit zu eröffnen, aufgrund der föderalen Struktur mehrere nationale Prüfstellen vorzusehen.
- 18. Diese Prüfstellen können mit einzelnen, gesondert berechtigten "benannten Behörden" übereinstimmen. (entfällt bei Annahme von Ziffer 16)
- 19. - Die Bundesregierung wird gebeten, bei den weiteren Verhandlungen auf eine ausschließliche Aufzeichnung der Abfragen in der EURODAC-Zentraldatenbank hinzuwirken.
- 20. Der Bundesrat geht ferner davon aus, dass die Umsetzung des Beschlussvorschlags in nationales Recht in Anlehnung an die Verfahrensweise beim VIS-Zugangsgesetz vom 6. Mai 2009 (BGBl. I S. 1034) durch Bundesgesetz erfolgen wird.