Punkt 7a) der 933. Sitzung des Bundesrates am 8. Mai 2015
Der Bundesrat möge folgende Entschließung fassen:
- 1. Der Bundesrat bekräftigt die in seiner Stellungnahme vom 6. Februar 2015 (BR-Drucksache 648/14(B) ) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung dargelegte Auffassung, wonach einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur eine herausragende Bedeutung für die Mobilität und Lebensqualität der Menschen wie auch für die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland zukommt.
- 2. Die erhebliche, seit Jahren andauernde Unterfinanzierung des Erhalts sowie des bedarfsgerechten Neu- und Ausbaus der Verkehrsinfrastruktur hat zu einem fortschreitenden Substanzverzehr sowie einer vielfach erheblichen Qualitätsverschlechterung und damit zu negativen Auswirkungen auf Mobilität und Standortqualität geführt.
- 3. Nachhaltige und bedarfsgerechte Investitionen in den Erhalt sowie den Aus- und Neubau von Verkehrsinfrastrukturvorhaben gehören zu den zentralen Zukunftsinvestitionen dieses Landes, die nicht gegenüber anderen Investitionsbedarfen zurückgestellt werden dürfen. Weitere Nutzerfinanzierungen über die bestehende Lkw-Maut hinaus können einen Beitrag zur Aufwendung der hierfür notwendigen Mittel leisten.
- 4. Die mit der Einführung einer Pkw-Maut für ausländische Kfz-Halterinnen und Halter zu erwartenden Einnahmen lassen jedoch keine nennenswerten Einnahmezuwächse für die künftige Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur erkennen. Das vorliegende Konzept ist ungeeignet, einen auch nur annähernd angemessenen Beitrag zu den dringend notwendigen Investitionen in die Zukunft der Verkehrsinfrastruktur zu leisten.
- 5. Der Bundesrat stellt fest, dass der Deutsche Bundestag mit einem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen lediglich Vorgaben zu den Verfahrensabläufen präzisiert, eine weitere Staffelung der Kurzzeitvignetten (Abgabensätze) eingeführt und den Zeitraum für die Aufbewahrung der Daten verkürzt hat.
- 6. Der Bundesrat bedauert, dass die in seiner Stellungnahme vom 6. Februar 2015 geäußerten grundsätzlichen Bedenken an der Erhebung einer Infrastrukturabgabe für ausländische Kfz-Halterinnen und Halter im parlamentarischen Beratungsverlauf nicht aufgegriffen wurden. Im Rahmen der Beratungen und Anhörungen in den Ausschüssen für Verkehr und digitale Infrastruktur, Haushalt und Finanzen im Deutschen Bundestag haben zahlreiche Sachverständige die Kritik des Bundesrates in großen Teilen bestätigt und die Bedenken gegenüber dem Gesetzentwurf verstärkt.
- 7. Der Bundesrat bekräftigt daher erneut die in seiner Stellungnahme vom 6. Februar 2015 geäußerten grundlegenden Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der gleichzeitigen Einführung einer Infrastrukturabgabe in Deutschland und eines Freibetrags bei der Kfz-Steuer für inländische Fahrzeughalterinnen und -halter mit europäischem Recht, die in der parlamentarischen Beratung nicht ausgeräumt werden konnten. Mit Zweifeln an der Europarechtskonformität ist zugleich auch die Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem Grundgesetz fragwürdig. Der Bundesrat sieht vor diesem Hintergrund nach wie vor die Gefahr, dass in einem EU-Vertragsverletzungsverfahren oder in einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof die mit dem Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetz beabsichtigte Kompensation inländischer Kfz-Halterinnen und Halter für rechtswidrig erklärt wird und so eine Mehrbelastung entsteht. Dies gilt umso mehr, da mit den vorliegenden Gesetzen keine rechtssichere Regelung gefunden wurde, die sicherstellt, dass beim Außerkrafttreten eines der beiden Gesetze das jeweils andere Gesetz ebenfalls außer Kraft tritt.
- 8. Der Bundesrat hat ferner Bedenken, ob die von der Bundesregierung veranschlagte Zeitspanne ausreichend sein wird, um die zur Einführung der Infrastrukturabgabe und Entlastung der deutschen Kfz-Halterinnen und Halter notwendige technische Einsatzbereitschaft des Infrastrukturabgabesystems sicherzustellen. Der Bundesrat verweist überdies auch auf die zu erwartenden Unklarheiten im Verwaltungsvollzug und den Zeitaufwand bei der Veränderung der notwendigen Verwaltungs- und Vollzugszuständigkeiten, die er bereits in seiner Stellungnahme vom 6. Februar 2015 dargelegt hatte.
- 9. Der Bundesrat wiederholt seine Bedenken hinsichtlich wirtschaftlich sehr nachteiliger Auswirkungen auf grenznahe Regionen und die dort ansässigen Unternehmen. Zwar sieht das Gesetz vor, dass im Ausland zugelassene Fahrzeuge nur auf den Bundesautobahnen mautpflichtig sind. Damit wird aber nicht der Tatsache Rechnung getragen, dass viele grenznahe deutsche Kommunen aus dem Ausland nur im Autobahnnetz günstig erreichbar sind. Die Abgabepflicht auf diesen Autobahnen wird einen Teil der ausländischen Bürgerinnen und Bürger davon abhalten, grenznahe Regionen sowie Unternehmen beispielsweise des Einzelhandels und des Gastgewerbes aufzusuchen. Auch besteht die Gefahr, dass durch Ausweichverkehre in den grenznahen Regionen eine erhebliche Mehrbelastung der nachgeordneten Bundes-, Landes- und Kreisstraßennetze entsteht. Darüber hinaus konterkariert die Infrastrukturabgabe die bisherigen Erfolge in der grenznachbarschaftlichen Zusammenarbeit und baut dort, wo die Schranken einst gefallen sind, neue Hürden. Der Bundesrat sieht darin die Gefahr, bestehende, kulturell zusammengewachsene und -gehörende Regionen wieder stärker zu zerschneiden. Der Bundesrat hält daher eine Regelung, mit der in den Grenzregionen bestimmte Autobahnabschnitte von der Abgabenpflicht freigestellt werden können, für zwingend erforderlich.
- 10. Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass die Bundesregierung plant, die Berechnung, Erhebung und Verwaltung der Pkw-Maut an einen privaten Betreiber zu übertragen. Aufgrund der bereits angekündigten kurzfristigen Ausschreibung im ersten Halbjahr 2015 befürchtet der Bundesrat, dass es in Deutschland künftig verschiedene Mautsysteme für Pkw und Lkw geben wird. Die Konsequenz daraus wären unterschiedliche Infrastrukturen wie etwa doppelt vorhandene Buchungsterminals an Tankstellen. Der Bundesrat lehnt dies schon allein aus Effizienz- und Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten entschieden ab. Er fordert deshalb die Bundesregierung auf, zu gewährleisten, dass Doppelstrukturen in jedem Falle vermieden werden und es auch in Zukunft nur einen (privaten) Betreiber für alle Mautkategorien gibt.
- 11. Grundsätzlich hat der Bundesrat große Sorge vor der politischen Signalwirkung, die im Ausland mit der Erhebung einer Infrastrukturabgabe ausschließlich für ausländische Kfz-Halterinnen und Halter verbunden sein wird. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass dieses Signal nicht mit den Grundgedanken und Zielen der europäischen Einigung vereinbar ist.