871. Sitzung des Bundesrates am 4. Juni 2010
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Ausschuss für Innere Angelegenheiten (In) und der Rechtsausschuss (R) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission ihre konkreten Planungen zur Umsetzung des Stockholmer Programms für den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts vorgestellt hat.
- 2. Der Bundesrat unterstützt das Bemühen, die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der EU auch in den nächsten fünf Jahren fortzusetzen. Die Wahrung des Subsidiaritätsprinzips bzw. des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit muss dabei jedoch sichergestellt bleiben.
- 3. Er stimmt dem Ziel des Rates und der Kommission zu, in den kommenden Jahren die Interessen und Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt der europäischen Justiz- und Innenpolitik zu stellen. Er nimmt zur Kenntnis, dass die Kommission in der vorliegenden Mitteilung in sehr detaillierter Form ankündigt, welche Initiativen sie zu welchen Zeitpunkten zu ergreifen beabsichtigt.
- 4. Er nimmt auch zur Kenntnis, dass der von der Kommission vorgelegte Aktionsplan vom Rat nicht angenommen wurde, sondern dass der Rat eigene Schlussfolgerungen treffen wird. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass für den Erfolg des für die Jahre 2010 bis 2014 angestrebten gemeinsamen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts für die Bürgerinnen und Bürger Europas eine frühzeitige Verständigung unter den Mitgliedstaaten über die weiteren Schritte unabdingbare Voraussetzung ist.
- 5. Der Bundesrat geht davon aus, dass sich der Aktionsplan in dem durch das Stockholmer Programm vorgegebenen Rahmen halten wird. Soweit Vorhaben darin nicht enthalten sind, hält es der Bundesrat nicht für angemessen, die in den Beratungen über das Stockholmer Programm geführten Diskussionen nunmehr im Zusammenhang mit dem Aktionsplan zu wiederholen.
- 6. Die Vorschläge der Kommission zum Aktionsplan sind jedoch nicht in allen Fällen deckungsgleich mit dem Stockholmer Programm, teilweise überschreiten sie den Rahmen, teilweise bleiben sie dahinter zurück. Die Kommission setzt sich damit in Widerspruch zum Stockholmer Programm, dessen Beschlussfassung eine Kompromisslinie des Europäischen Rates darstellt. Der Aktionsplan kündigt beispielsweise verschiedentlich statt Evaluierungen bereits Vorschläge für Rechtsakte an, ohne die nach dem Stockholmer Programm zunächst erforderlichen Evaluierungen vorzusehen. Daher ist in allen diesen Punkten eine besonders kritische Prüfung unabdingbar. Dies gilt insbesondere für den für 2012 angekündigten Vorschlag zur Änderung der Richtlinie betreffend das Recht zur Familienzusammenführung (2003/86/EG), dem der Bundesrat angesichts der Zielvorstellung der Kommission, nationale Spielräume einzuschränken, kritisch gegenübersteht.
- 7. Ein wesentlicher Teil der in dem Vorschlag für einen Aktionsplan genannten Vorhaben und Projekte war bereits Gegenstand der Mitteilung der Kommission "Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Dienste der Bürger" vom 10. Juni 2009, die in das Stockholmer Programm eingeflossen ist. Zu dieser Mitteilung hat der Bundesrat am 18. September 2009 im Detail Stellung genommen (BR-Drucksache 616/09(B) ). Der Bundesrat nimmt auf diese Stellungnahme Bezug und bittet, seine damaligen Positionen auch in den Diskussionen über den Aktionsplan sowie bei der weiteren Umsetzung des Stockholmer Programms zu berücksichtigen.
- 8. Bei vielen Vorhaben ergibt sich aus der vorliegenden Mitteilung nicht, was im Einzelnen Gegenstand der Initiativen der Kommission sein soll und welchen Inhalt diese haben werden. Der Bundesrat wird sich zu gegebener Zeit eingehend mit den Vorschlägen der Kommission befassen und dazu Stellung beziehen. Dabei erwartet der Bundesrat, dass bei den konkreten Vorschlägen das Subsidiaritätsprinzip sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden.
- 9. Der Bundesrat begrüßt die Überlegungen der Kommission, die Vermittlung der unterschiedlichen Rechtstraditionen und Verfahrensweisen der Mitgliedstaaten durch Förderung von Fortbildungs- und Austauschmaßnahmen für Angehörige der Rechtsberufe nach dem Vorbild des ERASMUS-Programms zu unterstützen. Schulungen und Austauschprogramme müssen jedoch respektieren, dass die Aus- und Fortbildung der Justizbediensteten in die Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten fällt; sie dürfen nicht dazu führen, dass Rechtsberufe auf europäischer Ebene geregelt werden. Im Rahmen der nationalen Fortbildungsmaßnahmen werden zudem schon seit einigen Jahren verstärkt europäische Themen und Bezüge zum Europarecht behandelt. Daneben werden spezielle europarechtliche Seminare und teilweise Sprachkurse angeboten, die gleichzeitig in das jeweilige Rechtssystem einführen.
- 10. Nach Auffassung des Bundesrates besteht kein Zweifel, dass der Bedarf nach europaweiter Rechtsfortbildung weiter zunehmen wird. Dieser Bedarf kann allerdings bereits durch die nationalen Ausbildungsstätten, das Europäische Justizielle Fortbildungsnetz (EJTN) und die Europäische Rechtsakademie (ERA) in Trier abgedeckt werden, die sich seit ihrer Gründung zu einer qualitätsvollen und für die europarechtliche Fortbildung unverzichtbaren Institution entwickelt hat und die auch bedeutsame Arbeit im Rahmen des EJTN leistet. Die Gründung eines Europäischen Rechtsinstituts erscheint daneben überflüssig und ist im Stockholmer Programm nicht vorgesehen.
Für den Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit weist der Bundesrat auf folgende Punkte hin:
- 11. Dem langfristigen Ziel der Kommission, Asylentscheidungen gegenseitig anzuerkennen, steht der Bundesrat kritisch gegenüber. Die darauf gerichtete Aussage der Kommission (Seite 8, letzter Absatz) geht über den bei den Beratungen zum Stockholmer Programm mühsam erreichten Kompromiss hinaus. Die in Annex II (Seite 60) für 2014 vorgesehene Mitteilung der Kommission muss deshalb mit Blick auf den Prüfauftrag des Stockholmer Programms ergebnisoffener formuliert werden.
- 12. Die für 2011 vorgesehene "Schaffung eines Mechanismus zur Überprüfung der nationalen Asylsysteme der Mitgliedstaaten" darf nicht zu einer Verletzung des Grundsatzes führen, wonach Asylverfahren auch in Zukunft in nationaler Verantwortung durchzuführen sind. Im Übrigen erneuert der Bundesrat seine Kritik an der Vorlage neuer Asylrechtsakte (BR-Drucksache 616/09(B) , Ziffer 67), bevor die kohärente Implementierung, Konsolidierung und Evaluierung des EU-Acquis in allen Mitgliedstaaten sichergestellt wurde.
- 13. Der Aktionsplan enthält entgegen der Aussage des Stockholmer Programms, wonach das Freizügigkeitsrecht nicht dazu dient, Einwanderungsvorschriften zu umgehen, keine konkreten Initiativen zur Verhinderung bzw. zur Bekämpfung von Missbrauch und Betrug bei der Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit durch Unionsbürgerinnen und -bürger und ihre (drittstaatsangehörigen) Familienangehörigen. Der Bundesrat sieht hierin weiterhin Regelungsbedarf. Daher muss der Aktionsplan um die Unterbreitung von Vorschlägen in diesem Bereich ergänzt werden.
- 14. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die Schaffung eines europäischen Einwanderungskodexes als Instrument zur Konsolidierung der gesamten Rechtsvorschriften im Bereich der legalen Einwanderung. Die Zusammenführung der Regelungen darf jedoch nicht dazu genutzt werden, den europäischen Rahmen im Migrationsbereich zu Lasten der nationalen Steuerungsmöglichkeiten zu erweitern, indem etwa bisher nicht erfasste Personen und Bereiche (Arbeitsmigration, vgl. Seite 56 der Mitteilung: "Gruppen von Arbeitern") einbezogen werden. Die Kodifizierung der Vorschriften sollte ausschließlich dem Ziel dienen, die bestehenden (Detail-)Regelungen nach dem Beispiel des Visakodexes in einem zusammenhängenden Regelwerk zusammenzufassen.
- 15. Grundsätzliche Bedenken hat der Bundesrat gegenüber dem in Nummer 6 des Aktionsplans genannten Ziel, Drittstaatsangehörigen so schnell wie möglich vergleichbare Rechte und Pflichten wie Unionsbürgerinnen und -bürgern zuzuerkennen. Die nationalen Steuerungsmöglichkeiten, insbesondere die bedarfsgesteuerte, auf (hochqualifizierte) Fachkräfte fokussierte Zuwanderung in vorhandene Arbeitsmärkte, würden durch diese Angleichung letztlich leerlaufen.
- 16. Mit Blick auf den für das Jahr 2014 angekündigten "Vorschlag zur Verbesserung des EU-Neuansiedlungsprogramms" bekräftigt der Bundesrat erneut (BR-Drucksache 724/09(B) , Ziffern 1 und 2) seine Forderung, dass die Teilnahme der Mitgliedstaaten an dem gemeinsamen Neuansiedlungsprogramm auch in Zukunft ausschließlich auf freiwilliger Basis erfolgt.
- 17. Aus der von der Kommission geplanten Ausweitung und der zusätzlichen Aufschlüsselung von Statistiken über die Bereiche Migration und Asyl dürften sich zusätzliche Belastungen für die zuständigen Behörden, insbesondere die Kommunen, ergeben. Daher bittet der Bundesrat die Bundesregierung schon jetzt, sich für eine Beschränkung der Erhebungs- und Übermittlungspflichten auf das jeweils unbedingt notwendige Maß einzusetzen.
- 18. Der Aktionsplan sieht den Abschluss des Visadialogs mit Albanien sowie Bosnien und Herzegowina, die Einleitung des Visadialogs mit dem Kosovo (beides noch 2010) sowie den Abschluss von weiteren Visaerleichterungsabkommen mit Drittländern vor. Diese Vorhaben sind grundsätzlich kritisch zu bewerten. Die Aufhebung der Visumpflicht mit Albanien sowie Bosnien und Herzegowina setzt voraus, dass die hierfür im Detail aufgestellten Voraussetzungen ("roadmaps") vorliegen. In diese Diskussion sollte zudem einfließen, dass es nach der im Dezember 2009 eingeführten Visafreiheit für Serbien, Mazedonien und Montenegro nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zu einem starken Anstieg der Asylanträge von Personen aus diesen Ländern gekommen ist. Diese Entwicklung wird als Ausdruck einer bewussten Umgehung der Visavorschriften gesehen. Im Übrigen sollte zunächst die Erörterung des Evaluierungsberichts zu bereits geltenden Visaerleichterungsabkommen abgewartet werden.
- 19. Die geplante Einführung eines Ein- und Ausreiseregisters ist grundsätzlich zu begrüßen. Dadurch können Erkenntnisse gewonnen werden, die einen Sicherheitsgewinn und einen Beitrag zur wirksamen Bekämpfung der illegalen Einwanderung versprechen.
- 20. Bei den Maßnahmen zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung bleiben die Vorschläge im Aktionsplan nach Auffassung des Bundesrates hinter dem Ansatz im Stockholmer Programm zurück. Beispielsweise ist hinsichtlich der wirksamen Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Rückführungsentscheidungen kein Vorschlag zur Umsetzung dieses Zieles enthalten. Insgesamt wäre ein größeres Engagement der Kommission bei Maßnahmen zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung angezeigt.
- 21. Der Bundesrat begrüßt die bei den aktuellen europäischen Beratungen des Aktionsplans bekundete Absicht der Kommission, die bestehenden Instrumente im Bereich der Rückführung von Ausreisepflichtigen zu evaluieren und darüber eine Mitteilung vorzulegen.
- 22. Im Übrigen verweist der Bundesrat insbesondere zu den Themen Weiterentwicklung von Mobilitätspartnerschaften, gemeinsame Bearbeitung von Asylanträgen sowie Einrichtung eines Einreise-/Ausreisesystems auf seine Stellungnahme zur Mitteilung über das Stockholmer Programm vom 18. September 2009 (BR-Drucksache 616/09(B) ).
Für den justiziellen Bereich weist der Bundesrat auf folgende Punkte hin:
- 23. Soweit die Kommission Legislativvorschläge betreffend die Beweiserhebung in Strafsachen ankündigt, bestehen gegen die angestrebte Harmonisierung des Strafverfahrensrechts durchgreifende Bedenken. Der Bundesrat nimmt insoweit auf seine Stellungnahme vom 12. Februar 2010 zum Grünbuch der Kommission zur Erlangung verwertbarer Beweise in Strafsachen aus einem anderen Mitgliedstaat Bezug (BR-Drucksache 906/09(B) ).
- 24. Deutschland hat sich in der Vergangenheit stets dafür eingesetzt, dass in den kommenden Jahren mehr Gewicht auf die Umsetzung und Evaluierung des europäischen Rechts gelegt wird. Dabei soll es entscheidend darauf ankommen, dass das Erreichte auch in der Praxis ankommt und dass neue Rechtsakte gut vorbereitet werden. Der Bundesrat sieht daher für die geforderte Übertragung weiterer Befugnisse auf Eurojust derzeit keinen Bedarf. Eurojust ist von seiner Konzeption und personellen Ausstattung her eine Koordinierungs- und keine Ermittlungsbehörde. Die nationalen Mitglieder von Eurojust haben durch den neuen Rahmenbeschluss soeben erweiterte Kompetenzen erhalten. Nach der Umsetzung in das nationale Recht der Mitgliedstaaten sollte zunächst die praktische Handhabung abgewartet und evaluiert werden, um auf dieser Grundlage neue Möglichkeiten zu prüfen. Dies schließt auch die Einsetzung einer Europäischen Staatsanwaltschaft ein.
- 25. Hinsichtlich weiterer europarechtlicher Vorgaben bei der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen einschließlich Geldbußen für Straßenverkehrsdelikte sollten zunächst die mittelfristigen Erfahrungen der Mitgliedstaaten mit der Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2005/214/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen (ABl. L 76 vom 22. März 2005, Seite 16) abgewartet werden.
- 26. Der Bundesrat begrüßt das Vorhaben der Kommission, Kompendien der EU-Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der zivilrechtlichen Zusammenarbeit und des Verbraucherrechts zu entwickeln. Dies könnte dazu beitragen, dass der Acquis in diesen Bereichen sowohl für die Bürgerinnen und Bürger als auch für die Rechtsanwender sichtbarer und transparenter wird. Überdies dürften Inkohärenzen der bestehenden Rechtsakte besser zu Tage treten, so dass derartige qualitative Mängel vom zuständigen EU-Gesetzgeber besser beseitigt werden könnten.
- 27.
Der Bundesrat hat gegen die Entwicklung von Mindestnormen für Zivilverfahren keine Einwände, sofern einerseits die Möglichkeit eröffnet wird, über diese Mindestnormen hinausgehende Standards beizubehalten bzw. einzuführen, und andererseits keine neuen Standards festgeschrieben werden.
- 28. Der Bundesrat begrüßt den Vorschlag der Kommission, im Sinne der effizienteren Vollstreckung von Urteilen in der EU tätig zu werden. Zwar ist das von der Kommission verfolgte Ziel im Bereich der Transparenz von Schuldnervermögen in Deutschland durch die Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung bereits Gesetz geworden. Darüber hinausgehende Verbesserungsvorschläge sind jedoch unterstützenswert, sofern im Rahmen dieses Vorgehens auch der Schuldnerschutz garantiert wird und den Mitgliedstaaten ein ausreichender Umsetzungsspielraum verbleibt.
Zu zivilrechtlichen Fragen weist der Bundesrat auf Folgendes hin:
- 29. Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass die Kommission eine Mitteilung über das europäische Vertragsrecht sowie einen Legislativvorschlag für den Gemeinsamen Referenzrahmen ankündigt. Angesichts dessen betont er, dass es vorrangige Aufgabe des geplanten Gemeinsamen Referenzrahmens sein sollte, die Qualität europäischer Rechtsetzung in begrifflicher, konzeptioneller und systematischer Hinsicht zu verbessern. Dieses dringende Anliegen betrifft das geltende Unionsrecht (Überprüfung ex post), aber in gleichem Maße künftige Rechtsakte. Die Entwicklung praxisnaher, kohärenter Regelungsinstrumente erscheint im Interesse der europäischen Rechtsanwender vorrangig vor derzeit kaum aussichtsreichen Bemühungen um die Schaffung eines Europäischen Zivilrechtskodexes.
- 30. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission im Bereich der Sammelklage zunächst eine öffentliche Anhörung durchführen möchte, bevor die Einführung kollektiver Rechtsbehelfe zur Durchsetzung von Verbraucherrechten sowie Schadensersatzansprüchen wegen Verstößen gegen Wettbewerbs- bzw. Kartellrecht vorgeschlagen wird. Er ist der Ansicht, dass eine Einführung kollektiver Rechtsbehelfe nur anhand eines einheitlichen europäischen Rahmens stattfinden sollte und dass die bisherigen und künftigen Erfahrungen der Mitgliedstaaten mit kollektiven Rechtsschutzformen bestmöglich für eine europäische Vorgehensweise ausgewertet werden sollten. Insbesondere sind bewährte Prozessrechtsgrundsätze der Mitgliedstaaten einzubeziehen. Vor diesem Hintergrund lehnt der Bundesrat so genannte "Optout-Verfahren" ab, da die damit zusammenhängende Einbeziehung von Parteien in einen Prozess ohne deren Wissen einschließlich der Bindung an das Prozessergebnis dem in Deutschland und in den meisten übrigen Mitgliedstaaten vorherrschenden System der individuellen Klageerhebung sowie zwingenden Vorschriften der Mitgliedstaaten und der Europäischen Menschenrechtskonvention - EMRK - (insbesondere dem Recht auf rechtliches Gehör) widerspricht. Für den Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit weist der Bundesrat auf folgende Punkte hin:
- 31. Die Strukturierung, Optimierung und praxisgerechte Ausgestaltung des Informationsmanagements in der EU hat für den Bundesrat hohe Priorität. Die Bestrebungen der Kommission für ein europäisches Informationsaustauschmodell sowie die vorgesehenen Evaluierungen zur Umsetzung der Ratsbeschlüsse 2006/960/JI (sogenannte Schwedische Initiative) und 2008/615/JI (Prümer Beschluss) werden daher ausdrücklich begrüßt. In diesem Kontext werden auch die geplanten Maßnahmen im Hinblick auf die Realisierbarkeit eines europäischen Kriminalaktennachweises (EPRIS) und zur Förderung des Informationsaustauschs in Bezug auf reisende Gewalttäter unterstützt.
- 32. Der Bundesrat begrüßt die Absicht zur Entwicklung eines Polizeikodexes einschließlich der Kodifizierung der wesentlichen Rechtsinstrumente zur Regelung des Informationszugangs. Die gegenwärtigen Regelungen führen in der Praxis zu erheblichen Anwendungs- und Auslegungsproblemen. Vor diesem Hintergrund muss aus Sicht des Bundesrates sichergestellt sein, dass ein übersichtliches und praxisgerechtes System erarbeitet wird.
- 33. Der Bundesrat begrüßt die Absicht, das Europäische Netz für Kriminalprävention (EUCPN) sowie die Vorlage eines Legislativvorschlages zum Aufbau einer Beobachtungsstelle für Kriminalprävention zu bewerten. Der Bundesrat erachtet es für wesentlich, dass die neue Stelle einen praxisorientierten Mehrwert auf europäischer Ebene schafft.
- 34. Die Bekämpfung der Korruption ist eine wichtige Aufgabe in der EU. Die geplante Mitteilung über eine umfassende Politik zur Bekämpfung der Korruption in den Mitgliedstaaten einschließlich eines Bewertungsverfahrens und von Modalitäten für die Zusammenarbeit mit der Staatengruppe gegen Korruption des Europarates (GRECO) wird daher seitens des Bundesrates in vollem Umfang unterstützt. Allerdings sieht das Stockholmer Programm vor, dass gemeinsam mit GRECO eine umfassende Antikorruptionsstrategie entwickelt werden soll. Eine entsprechende Maßnahme fehlt hingegen im Aktionsplan bislang.
Aus Sicht des Bundesrates bleibt der Aktionsplan an einigen Stellen hinter dem Auftrag aus dem Stockholmer Programm zurück. Dies betrifft insbesondere den wichtigen Bereich des Zugriffs der Strafverfolgungsbehörden auf EURODAC, die Verfahren für die Durchführung der Finanzierungsprogramme und die Schaffung eines Fonds für die Innere Sicherheit.
Direktzuleitung der Stellungnahme
- 35. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.