953. Sitzung des Bundesrates am 10. Februar 2017
A
Der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz (AV), der Finanzausschuss (Fz) und der Ausschuss für Innere Angelegenheiten (In) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat befürwortet das mit dem Verordnungsvorschlag verfolgte Ziel, die Flexibilität der agrarstatistischen Systeme zu erhöhen und die Belastung der Auskunftspflichtigen sowie der Statistischen Ämter zu verringern.
- 2. Der Bundesrat begrüßt den Verordnungsvorschlag über integrierte Statistiken zu landwirtschaftlichen Betrieben grundsätzlich.
- 3. Der Bundesrat begrüßt ferner, dass die Kommission mit ihm einen ersten Schritt unternimmt, um die Vergleichbarkeit und Konsistenz der Agrarstatistik langfristig sicherzustellen.
- 4. Die Schaffung einer rechtlichen Grundlage für einen Agrarzensus 2020 und die Agrarstrukturerhebungen für die Jahre 2023 und 2026 werden unterstützt.
- 5. Er hegt jedoch Zweifel, dass der oben genannten Zielsetzung in allen Bereichen des Verordnungsvorschlags Rechnung getragen wird.
- 6. Der Bundesrat betrachtet mit Sorge, dass der Verordnungsvorschlag neu aufkommenden Datenbedarf im Bereich des Systems der Agrarstatistiken anspricht, aber nicht in gleicher Deutlichkeit die Überprüfung des Katalogs bestehender Erhebungen fordert.
- 7. Der Bundesrat beobachtet ebenfalls mit Sorge, dass - insoweit über den Verordnungsvorschlag hinausgehend - in fast allen Politikbereichen die Forderungen nach zusätzlichen statistischen Informationen, sei es durch neue Statistiken oder durch Ausweitungen bestehender Statistiken (mehr Erhebungsmerkmale und/oder kürzere Erhebungszeiträume), erhoben und damit sowohl die Auskunftgebenden als auch die Statistischen Ämter der Länder (und des Bundes) als Statistikproduzierenden immer stärker belastet werden.
- 8. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass es dringend erforderlich ist, dieser Entwicklung zu begegnen. Er hält es deshalb für erforderlich, dass ein Mechanismus eingerichtet wird, der zusätzliche Belastungen von Auskunftgebenden und Statistikproduzierenden ausgleicht.
- 9. Der Bundesrat begrüßt daher die verstärkte Nutzung von Verwaltungsregistern, wie sie auch der Verordnungsvorschlag vorsieht, um Auskunftgebende zu entlasten. Er fordert die Bundesregierung auf, die bestehenden Verwaltungsregister so auszugestalten, dass sie der Entlastungsfunktion auch nachkommen können.
- 10. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung ferner auf, den ständig anwachsenden finanziellen und personellen Belastungen der Statistischen Ämter der Länder (und des Bundes) insbesondere dadurch zu begegnen, dass neuen Statistiken oder der Ausweitung bestehender Statistiken nur zugestimmt wird, wenn ein durch den Gesetzesvorschlag entstehender zusätzlicher finanzieller und/oder personeller Aufwand durch Reduzierung des Aufwandes in gleicher Höhe an anderer Stelle ausgeglichen wird.
- 11. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, dies auch bei der Beratung des vorliegenden Verordnungsvorschlages zu berücksichtigen. Denn dieser Verordnungsvorschlag enthält nach Auffassung des Bundesrates viele Unsicherheiten, die voraussichtlich zu steigenden Auskunftspflichten und zu deutlich erhöhtem Personalaufwand in den Statistischen Ämtern der Länder führen werden.
- 12. Der Bundesrat weist insbesondere darauf hin, dass den Ländern durch die Umsetzung des Verordnungsvorschlags absehbar ein erhöhter finanzieller und personeller Aufwand entsteht, der durch die vorgesehenen Finanzbeiträge der EU nicht gedeckt ist.
- 13. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass der Aufwand für die Durchführung verringert werden sollte. Es ist anzustreben, dass in Deutschland die bisherigen Erfassungsgrenzen beibehalten werden können; dies stellt auch die zeitliche Vergleichbarkeit der gewonnenen Daten sicher.
- 14. Auch sollten die im Verordnungsvorschlag vorgesehenen Einzelthemen und -merkmale unter Abwägung von Nutzerinteresse, Erhebungsaufwand und Qualität der zu erwartenden Ergebnisse kritisch überprüft werden. Darüber hinaus ist auf eine realistische Fristsetzung zu achten.
- 15. Die über delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte möglichen Gestaltungsmöglichkeiten der Kommission sollten verringert werden.
- 16. Insbesondere auf Grund der Vielzahl der delegierten Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte sieht der Bundesrat die Planbarkeit sowie die finanzielle und personelle Belastung der Länder kritisch.
- 17. Nach Auffassung des Bundesrates sollten die statistischen Kernmerkmale (Artikel 5 Absatz 6 des Verordnungsvorschlags), auf denen die Zeitreihen der Agrarstatistik beruhen, nicht wie vorgesehen durch delegierte Rechtsakte anzupassen sein, da als Folge einer möglichen Anpassung der Kernmerkmale Datenverluste befürchtet werden. Es handelt sich um wesentliche Bestandteile der Rats- und Parlamentsverordnung. Diese sollten daher auch nur in einem Gesetzgebungsverfahren angepasst werden können.
- 18. Außerdem wird der Zeitraum zwischen der möglichen Anordnung neuer Merkmale und dem Beginn des Erhebungsreferenzjahres (Artikel 9 des Verordnungsvorschlags "Adhoc-Daten") mit 12 Monaten als zu kurz angesehen. Hier sollte ein Zeitraum von 18 Monaten in der Verordnung festgelegt werden.
- 19. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Änderung von Kernmerkmalen wesentlicher Bestandteil von Verordnungen sein muss und nicht über delegierte Rechtsakte der Kommission erfolgen kann.
Begründung zu Ziffern 3, 6 bis 11 und 19 (nur gegenüber dem Plenum):
Mit der vorgeschlagenen Verordnung sollen weitere Strukturerhebungen ermöglicht und den erheblich ausgeweiteten Datenanforderungen verschiedener Generaldirektionen entsprochen werden. Die Verordnung (EG) Nr. 1166/2008 soll durch die "Rahmenverordnung für integrierte landwirtschaftliche Betriebsstatistik (Integrated Farm Statistics - IFS)" ersetzt werden. Diese sieht vor, beginnend mit der nächsten Landwirtschaftszählung 2019/2020, einzelbetriebliche Daten nicht nur zur Betriebsstruktur, sondern hiermit verknüpft auch zum Anbau von Obst und Wein (Dauerkulturen) sowie zu bestimmten Agrar-Umwelt-Sachverhalten zu erfragen und diese Eurostat bereitzustellen. Eine zweite geplante Rahmenverordnung, die laut Kommission ab dem Jahr 2022 gelten wird, soll alle Input- und Output-Statistiken und hierfür die Lieferung aggregierter Tabellendaten regeln.
Die Umsetzung der geplanten Verordnung wird mit großer Sicherheit Auswirkungen auf die Statistischen Ämter der Länder haben, da von einer höheren personellen und finanziellen Belastung auszugehen ist. Aus heutiger Sicht muss damit gerechnet werden, dass eine Vergrößerung des Berichtskreises landwirtschaftlicher Betriebe erfolgt, da wahrscheinlich nicht die Forderung von Eurostat erfüllt wird, 98 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Gesamtfläche und 98 Prozent der Großvieheinheiten des Mitgliedstaates abzubilden. Wenn Eurostat nicht plausibel dargelegt werden kann, dass mit den derzeit bestehenden Erfassungsgrenzen (Abschneidegrenzen) dem Geltungsbereich entsprochen wird, sind zukünftig auch kleinere, für die Nahrungsmittelproduktion in der Bundesrepublik Deutschland eher irrelevante Einheiten zu befragen. Das heißt mit einer Rückkehr zu den Erfassungsgrenzen von vor 2010 müssten beispielsweise allein in Mecklenburg-Vorpommern rund 800 Betriebe zusätzlich zu befragen sein, was einen erheblichen Mehraufwand im Kreis der Auskunftspflichtigen und im Statistischen Amt nach sich ziehen würde.
Um die Auskunftgeber nicht weiter zu belasten, sondern möglichst auch entlasten zu können, wird der Weg, Daten aus Verwaltungsregistern zu verwenden, für richtig gehalten. Allerdings müssen die Verwaltungsregister künftig so ertüchtigt werden, dass sie diese Funktion auch erfüllen können.
Eine höhere Aufgabenfülle oder eine Verkürzung von Übermittlungsfristen an Eurostat - auch qualitativ anspruchsvolle Daten -, führen nicht nur zu einer stärkeren Belastung der Auskunftgebenden. Sie ziehen zwangsläufig auch Aufwüchse in finanzieller und/oder personeller Hinsicht bei den Statistischen Ämtern der Länder nach sich.
Die Länder sind im Statistikbereich an ihrer Belastungsgrenze. Es können nicht immer mehr Aufgaben durch das vorhandene Personal übernommen werden. Für die durch EU-Verordnungen erweiterten Berichtskreise und verkürzten Übermittlungsfristen muss es eine Kompensation für den damit verbundenen Aufwand oder entsprechende Entlastungen in anderen Statistikbereichen geben. Hierzu äußert sich weder dieser Verordnungsvorschlag, noch haben dies andere Verordnungsvorschläge getan. Deshalb ist es erforderlich, diese Problematik grundsätzlich anzugehen. Beispielgebend könnten Ansätze sein, wie sie bei der Deregulierung gegangen wurden.
Dieser Mechanismus sollte bereits bei der weiteren Beratung dieses Verordnungsvorschlags angewendet werden. Sowohl die Bundesregierung als auch der Bundesrat sollten statistikausweitenden Vorschlägen nicht zustimmen, wenn nicht eine ausreichende Kompensation erfolgt.
Die Option der delegierten Rechtsakte (vergleiche Artikel 5 des Verordnungsvorschlages) lässt der Kommission aus finanztechnischer Sicht kritischen Spielraum. Das betrifft auch die Moduldaten und die "Adhoc-Daten". Hier behält sich die Kommission vor, bis zu 40 zusätzliche Merkmale durch delegierte Rechtsakte zu erheben. Damit könnte die Kommission direkt im Aufgabenfeld des Statistischen Amts Handlungsnotwendigkeiten auslösen, die zu zusätzlichem Personalbedarf und zu höheren Kosten führen können.
- 20. Bereits vorhandene Verwaltungsdaten sollten möglichst weitgehend genutzt werden.
- 21. Der Bundesrat begrüßt die Absicht der Kommission, bereits vorhandene Verwaltungsdaten stärker für statistische Zwecke zu nutzen.
- 22. Die Möglichkeiten zur Nutzung entsprechender Verwaltungsdaten sind allerdings bereits weitgehend ausgeschöpft; insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Verwaltungsdaten "mindestens von gleicher Qualität wie die aus statistischen Erhebungen gewonnen Informationen" sein müssen und die Statistik keinerlei Möglichkeiten hat, Einfluss auf die Qualität entsprechender Daten zu nehmen. Zudem liegen viele Verwaltungsdaten nicht vor. Das betrifft beispielsweise das neue Merkmal "Interneteinrichtungen" im Modul "Maschinen und Einrichtungen". Eine Entlastung ist aus Sicht des Bundesrates auf diesem Wege nicht zu erwarten.
- 23. Der Bundesrat spricht sich mit Nachdruck dafür aus, die bisherigen Schwellenwerte zur Erfassung der landwirtschaftlichen Flächen (LF) von 5 ha LF und die nach Tierarten differenzierten Schwellenwerte zur Erfassung der Tierbestände beizubehalten. Durch die vorgesehene Änderung der Schwellenwerte (Anhang II der Verordnung) ist mit einer deutlichen Mehrbelastung der Auskunftspflichtigen (Auskunftspflicht von Kleinstbetrieben) und der Statistischen Ämter zu rechnen, die den oben genannten Zielen des Verordnungsvorschlags entgegensteht. Die bisherigen Erfassungsgrenzen sollten auch beibehalten werden, um die zeitliche Vergleichbarkeit der Agrarstatistiken zu gewährleisten.
- 24. Der Bundesrat sieht die Gefahr, dass durch die vorgeschlagene Verordnung in die derzeitige Veröffentlichungspraxis der Statistischen Landesämter eingegriffen wird. Er bittet die Bundesregierung, sich dafür einzusetzen, dass die bisherige Veröffentlichungspraxis beibehalten werden kann und insbesondere Regionalstatistiken weiter veröffentlicht werden dürfen bzw. können.
- 25. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung darauf hinzuwirken, im Modul "Unterbringung der Tiere und Düngewirtschaft" weiterhin die Merkmale zur Weidehaltung (vergleiche Anhang V der Verordnung (EG) Nr. 1166/2008 ) zu erheben, um eine Vergleichbarkeit mit den im Rahmen der Landwirtschaftszählung 2010 (LZ 2010) erhobenen Daten zu gewährleisten. Aus demselben Grund sollten die Merkmale zur Unterbringung der Tiere analog zur LZ 2010 weiterhin differenziert werden (wie im Anhang V der Verordnung (EG) Nr. 1166/2008 ).
- 26. Der Bundesrat sieht das Modul "Obstanlagen" (Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe g des Verordnungsvorschlags), das die bisherige Baumobstanbauerhebung ersetzen und erstmals 2023 durchgeführt werden soll, kritisch, weil das Modul lediglich als Stichprobe und mit reduziertem Merkmalskatalog konzipiert ist. Es werden daher zukünftig keine verwertbaren Regionaldaten mehr zum Baumobst vorliegen. Es wird vor diesem Hintergrund vorgeschlagen, die ursprünglich vorgesehene Baumobstanbauerhebung 2022 nochmals durchzuführen und die erhobenen Daten in die Agrarstrukturerhebung 2023 einfließen zu lassen.
- 27. Der Bundesrat unterstützt die Kommission in ihrem Anliegen, die EU-Agrarstatistik durch eine zweistufige Integration (Option 4) weiterzuentwickeln. So sieht der vorliegende Rechtsrahmen als erste Stufe die Integration der Statistiken zu landwirtschaftlichen Betrieben und zum Anbau von Obst und Wein (Dauerkulturen) sowie zu bestimmten Agrar-Umwelt-Sachverhalten vor. Mit dem Vorschlag soll auch die finanzielle Beteiligung der EU an den Erhebungskosten beibehalten und die Möglichkeit zur Nutzung von Verwaltungsdaten verbessert werden.
- 28. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, im weiteren Verfahren dafür einzutreten, dass in den vorgenannten Punkten eine Verbesserung des Verordnungsvorschlags erfolgt.
B
- 29. Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union und der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.