892. Sitzung des Bundesrates am 10. Februar 2012
A
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (U), der Verkehrsausschuss (Vk) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Bemühungen der Kommission, die Belästigungen und Beeinträchtigungen durch Fahrzeuglärm zu verringern. Es ist sinnvoll, aber auch geboten, die entsprechenden Maßnahmen auf EU-Ebene zu ergreifen, um zu vermeiden, dass Anforderungen verabschiedet werden, die sich zwischen den Mitgliedstaaten unterscheiden und damit das Funktionieren des Binnenmarkts beeinträchtigen.
- 2. Der Bundesrat begrüßt deshalb den Vorschlag einer Verordnung des Europäischen Parlamentes und des Rates über den Geräuschpegel bei Fahrzeugen. Die derzeit gültigen Grenzwerte stammen aus dem Jahr 1995, daher sind die bestehenden Potentiale zur Minderung der Fahrzeugemissionen und damit zur Eindämmung von Verkehrslärm lange ungenutzt geblieben.
- 3. Der Bundesrat ist jedoch der Auffassung, dass die vorgeschlagene Verordnung die Belange der Fahrzeugindustrie nicht ausreichend berücksichtigt.
- 4. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, in den weiteren Verhandlungen auf EU-Ebene auf folgende Änderungen hinzuwirken:
Die in der vorgeschlagenen Verordnung für die künftigen Grenzwerte festgelegten Lärmmessungen entsprechen nicht dem Stand der Technik und bedürfen daher der Überarbeitung.
Der Zeitrahmen zwischen den Phasen 1 und 2 berücksichtigt nicht die Entwicklungs- und Produktionszyklen der Fahrzeugindustrie, die in der Regel zwischen fünf und sechs Jahren liegen.
Die Grenzwerte der Phase 1 verlangen den Herstellern bereits jetzt enorme Anstrengungen ab, um die aktuellen Anforderungen einhalten zu können, und bedürfen daher der Anpassung an die technischen Möglichkeiten der Automobilindustrie.
- 5. Das vorgeschlagene Grenzwertkonzept schöpft die vorhandenen technischen Möglichkeiten der Minderung des Kraftfahrzeuglärms nicht aus. Der Bundesrat sieht die Grenzwertvorschläge und die zeitliche Staffelung aus dem Anhang III des Kommissionsvorschlags als ungenügend an. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, sich bei den weiteren Verhandlungen dafür einzusetzen, dass die Geräuschgrenzwerte und die Prüfverfahren mit der geplanten Richtliniennovellierung an den Stand der Technik angepasst werden und so eine Nutzung der heutigen und zukünftigen technischen Potentiale zur Reduzierung der Fahrzeugemissionen ermöglicht wird.
Die Prüfverfahren müssen außerdem geeignet sein, die Geräuschemissionen nicht nur auf den Prüfstand, sondern vor allem bei der alltäglichen Nutzung zu verringern.
- 6. Für eine wirksame Minderung der Lärmbelastungen aus dem Verkehr müssen auch zukünftig alle technischen Potentiale genutzt werden. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, auf die konsequente Umsetzung der sich aus Artikel 7 ergebenden Verpflichtung zu dringen.
- 7. Der Bundesrat hält es darüber hinaus für erforderlich, die vorliegenden Grenzwertvorschläge um eine weitere, in die Zukunft gerichtete Absenkungsstufe zu ergänzen. Derzeit enthält der Verordnungsvorschlag mit der Revisionsklausel des Artikels 7 die Möglichkeit, eine weitere zukünftige Absenkungsstufe zu einem späteren Zeitpunkt vorzunehmen. Eine frühestmögliche Festlegung würde jedoch mehr Lärmminderungspotenziale haben und für die Hersteller Planungssicherheit erreichen helfen.
Begründung zu den Ziffern 2, 5, 6 und 7 (nur gegenüber dem Plenum):
Der Straßenverkehr ist die maßgebliche Quelle für Umgebungslärm. Zur Minderung dieser Belastung ist neben planerischen Maßnahmen, die in der Verantwortung der Kommunen liegen und Gegenstand der Lärmaktionsplanung nach § 47d BImSchG sind, die Nutzung der technischen Potentiale an der Quelle zwingend erforderlich, also die Minderung des Fahrzeuggeräusches. Die Richtlinienkompetenz hierfür liegt bei der EU. Die derzeit gültigen Grenzwerte stammen aus 1995 und entsprechen nicht mehr dem Stand der Technik. Der Evaluationsbericht zur Umgebungslärmrichtlinie sieht Potentiale von 2 bis 5 dB(A) bei der Reduzierung der Fahrzeuggeräuschemissionen. Ohne diesen Beitrag wird es auch mittel- bis langfristig kaum möglich sein, die deutlich zu hohe Lärmbelastung aus dem Verkehr auf ein gesundheitsverträgliches Niveau zu senken. Falls es mit der anstehenden Richtliniennovelle nicht gelingt, die Nutzung der technischen Potentiale zu sichern, ist die Chance hierfür auf Jahre hinaus vertan. Auch wird es nicht gelingen, die im Verkehrslärmschutzpaket II der Bundesregierung festgelegten Ziele zur Reduktion des Straßenverkehrslärmes zu erreichen.
Eine möglichst rasche Verschärfung der Geräuschvorschriften ist auch deshalb geboten, da der größte Teil des Fahrzeugbestandes bereits unter den künftigen EU-Grenzwerten liegt und somit Verbesserungen mit Folgestufen erreichbar sind.
Für Länder und Kommunen sind die Vorgaben für Fahrzeuggeräusche bedeutsam, denn der Druck auf die Kommunen, den Lärm durch Maßnahmen der Lärmaktionsplanung zu mindern, wird steigen.
Eine Kompensation der mit der Grenzwertsetzung nicht erreichten Lärmminderung allein durch planerische Maßnahmen ist aber kaum möglich, überdies sind die Maßnahmen dann von den Kommunen zu finanzieren. An belasteten Standorten, an denen keine oder nur ungenügende Maßnahmen erfolgen, ist zu erwarten, dass Bürger und Bürgerinnen wirksame lärmmindernde Maßnahmen in Verwaltungsgerichtsverfahren erstreiten. In der Folge könnte dies zukünftig zu einer deutlichen Zunahme von verkehrlichen Anordnungen (z.B. Geschwindigkeitsreduzierung, Lkw-Fahrverbote) führen.
Die Überarbeitung der hier einschlägigen Richtlinie 70/157/EWG wird seit 2007 von der Kommission betrieben. Hierzu wurde eine Arbeitsgruppe der ECE (UN-Wirtschaftskommission für Europa) mit der Auswertung der fachlichen Erkenntnisse und Erarbeitung von Optionen für eine Richtliniennovellierung beauftragt. Der Ergebnisbericht (VENOLIVA der TNO, März 2011) verbunden mit einem Grenzwertvorschlag wurde bei der letzten ECEArbeitsgruppensitzung vom 19. bis 21. September 2011 vorgestellt. Der Grenzwertvorschlag findet sich mit einer zeitlichen Anpassung in dem nun vorliegenden Kommissionsvorschlag wieder, der aus Lärmschutzsicht bereits den Versuch eines Interessensausgleichs darstellt. Zur Minderung der Lärmbelastung der Bevölkerung wäre eine weitere Abschwächung der Grenzwertvorschläge nicht akzeptabel. Die Verminderung der Fahrzeugemissionen ist zwar nur in begrenztem Umfang möglich, stellt aber die effektivste Methode dar, Verkehrslärm zu mindern.
Der Evaluationsbericht zur Umgebungsrichtlinie (Quelle: Impact Assessment and Proposal of Action Plan, Final Report on Task 3, Milieu Ltd., Risk and Policy Analysis Ltd. (RPA) and TNO, May 2010) sieht Potentiale von 2 bis 5 dB(A) bei der Reduzierung der Fahrzeuggeräuschemissionen. Hierzu ist eine Anpassung des EU-weit gültigen Typprüfverfahrens bei der Zulassung von Kraftfahrzeugen in Verbindung mit der Festsetzung von Grenzwerten für Fahrzeuggeräuschemissionen erforderlich. Die Umgebungslärmrichtlinie selbst sieht bereits die Anpassung von relevanten EU-Regelungen vor, wenn sich dies zum Zweck der Lärmminderung als geboten herausstellen sollte.
[Der Bundesrat stellt fest, dass die Länder sowohl bei der 76. Umweltministerkonferenz im Mai 2011 als auch bei der Verkehrsministerkonferenz am 5. Oktober im selben Jahr einstimmig Beschlüsse fassten, die eine Nutzung der technischen Potentiale zur Lärmminderung einfordern.]
B
- 8. Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union und der Gesundheitsausschuss empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.