Punkt 12 der 878. Sitzung des Bundesrates am 17. Dezember 2010
Der Bundesrat möge beschließen, zu dem Gesetz zu verlangen, dass der Vermittlungsausschuss gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes aus folgendem Grund einberufen wird:
Artikel 5 ist zu streichen.
Begründung:
Das geplante Therapieunterbringungsgesetz (ThUG) begegnet zunächst kompetenzrechtlichen Bedenken, da seine Ausgestaltung derjenigen der Landesunterbringungsgesetze ähnelt und sich in der Gestaltung der Unterbringungsvoraussetzungen als Gefahrenabwehrmaßnahme darstellt. Ferner ist von dem Gesetz nur der kleine Kreis der wegen des zu berücksichtigenden Rückwirkungsverbots nicht länger in Sicherungsverwahrung unterzubringenden psychisch Kranken betroffen, was Bedenken im Hinblick auf Artikel 19 Absatz 1 Satz 1 GG aufwirft. Schließlich wird mit dem ThUG die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Ergebnis umgangen, indem psychisch nicht kranke Menschen als psychisch gestörte Menschen bezeichnet werden, um sie weiter in Freiheitsentzug halten zu können. Ein solches Vorgehen erscheint konventionsrechtlich zumindest zweifelhaft.
Letztlich können diese verfassungs- und konventionsrechtlichen Bedenken indes dahinstehen, da das ThUG bereits aus tatsächlichen Gründen abzulehnen ist. Denn das mit dem Gesetz verfolgte Ziel einer Therapierung der Untergebrachten - gerade durch Formulierung dieses Ziels soll die Freiheitsentziehung gerechtfertigt werden - würde aus medizinischer Sicht kaum zu erreichen sein. Der Direktor des Instituts für Forensische Psychiatrie der Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr. Leygraf, äußerte in seiner Stellungnahme zur Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages am 10. November 2010 in diesem Zusammenhang aus Sicht der forensischen Psychiatrie durchgreifende Bedenken. Er betonte, dass es sich bei dem für eine Unterbringung nach dem ThUG in Frage kommenden Personenkreis um Menschen handele, die durchweg als "nicht hinreichend therapeutisch beeinflussbar" beurteilt worden seien, nachdem in aller Regel Therapieversuche gescheitert oder Möglichkeiten aktiv verweigert worden seien. Diese Menschen jetzt zum Zwecke einer "Therapierung" in einen weiteren Freiheitsentzug zu bringen und zu suggerieren, ihre Gefährlichkeit sei nunmehr doch in einem eher kurzen, zeitlich befristeten Rahmen durch Behandlung zu senken, sei ein "Etikettenschwindel". Der überzeugenden Argumentation von Prof. Dr. Leygraf sollte Rechnung getragen werden. Ein Freiheitsentzug auf dieser Basis - anknüpfend an letztlich voraussehbar vergebliche Therapieanstrengungen - wäre nicht nur aus forensischpsychiatrischer Sicht abzulehnen, sondern auch verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen, denn er bedeutete einen klaren Verstoß gegen den vom Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit der insoweit vergleichbaren Behandlungsunterbringung gemäß § 64 StGB aufgestellten Grundsatz, dass therapeutische Eingriffe, die auf eine Besserung hinwirken, ohne hinreichend konkrete Aussicht auf einen Behandlungserfolg nicht (weiter) vollzogen werden dürfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. März 1994 - 2 BvL 003/90 , 2 BvL 004/91 , 2 BvR 1537/88, 2 BvR 400/90, 2 BvR 349/91 -, NStZ 1994, 578).
Insgesamt muss das Vorhaben eines Therapieunterbringungsgesetzes somit aus tatsächlichen wie rechtlichen Gründen aufgegeben werden.