877. Sitzung des Bundesrates am 26. November 2010
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1. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt dem Bundesrat, zu dem Gesetz gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes die Einberufung des Vermittlungsausschusses mit dem Ziel der Beseitigung oder der Kompensation der sich aus dem Gesetz ergebenden Umverteilungswirkungen bei den Steuereinnahmen der Gebietskörperschaften und der Vermeidung einer finanziellen Belastung der Gebietskörperschaften zu verlangen.
Begründung:
Die Regelungen im Elften Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes in Verbindung mit dem Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens "Energie- und Klimafonds" (EKFG) und dem Kernbrennstoffsteuergesetz (KernbrStG) führen zu unterschiedlichen Belastungen bei den Ländern und Kommunen. Dazu zählen z.B. Katastrophenschutzaufgaben, die über das Jahr 2019 um weitere 14 Jahre fortzuführen sind, finanzielle Einbußen der kommunalen Stadtwerke auf Grund entstehender Wettbewerbsnachteile durch eine Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken oder Mindereinnahmen bei der Gewerbesteuer auf Grund der Kernbrennstoffsteuer. Die finanziellen Belange der Länder wurden bei den Beratungen der drei genannten Gesetze in keinem ausreichenden Maße berücksichtigt und stellen somit in Teilen eine nicht hinnehmbare Belastung für die Länder und Kommunen dar.
Das vorliegende Gesetz steht in einem engen Zusammenhang mit der Aufkündigung der im Jahr 2000 getroffenen Vereinbarung zum Atomausstieg zwischen der damaligen Bundesregierung und den Atomkraftwerksbetreibern. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass ungeachtet der Grundeinstellung zur Kernenergie eine Brennelementesteuer keine Gegenleistung für Laufzeitverlängerungen ist, sondern in erster Linie Wettbewerbsvorteile der Atomkraft gegenüber anderen Energieträgern ausgleichen sollte. Darüber hinaus ist ab dem Jahr 2013 auch eine stärkere finanzielle Beteiligung der Atomkraftwerksbetreiber an den Kosten der Endlagerung von Atommüll in Milliardenhöhe, wie sie z.B. bei der Sanierung des maroden Atommülllagers Asse anfallen, notwendig.
Durch die Brennelementesteuer wird der Bund finanziell bevorteilt. Mittelbare Ertragssteuerausfälle von Ländern und Gemeinden sind daher vom Bund finanziell auszugleichen. Das Kernbrennstoffsteuergesetz sieht eine Verbrauchsteuer auf den in den Brennelementen bzw. in den Brennstäben vorhandenen Kernbrennstoff vor. Erwartet werden ab dem Jahr 2011 Steuereinnahmen in Höhe von jährlich 2,3 Milliarden Euro. Dieses Aufkommen würde nach geltendem Artikel 106 Absatz 1 Nummer 2 GG alleine dem Bund zustehen. Allerdings sind auch die Länder und Gemeinden aufkommensmäßig betroffen, soweit sich das ihnen anteilig zustehende Ertragsteueraufkommen infolge des Betriebsausgabenabzugs der Kernbrennstoffsteuer durch die Energiekonzerne mindert. Der Umfang dieser negativen Aufkommenswirkung hängt u.a. davon ab, inwieweit eine Überwälzung der Steuer auf die Verbraucher stattfinden kann. Die Bundesregierung geht nicht davon aus, dass eine Überwälzung der den Stromerzeugern entstehenden zusätzlichen Kosten in mehr als geringem Umfang möglich sein wird. Ausgehend von dem von der Bundesregierung erwarteten Aufkommen von 2,3 Milliarden Euro p.a. würden bei Annahme einer Überwälzungsquote von 0 Prozent etwa 30 Prozent von 2,3 Milliarden Euro, also jährlich etwa 690 Millionen Euro p.a. bundesweit weniger Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer anfallen. Über die KSt- und GewSt- Zerlegung wären die Länder und Kommunen an diesem Minderaufkommen beteiligt. Daraus ergibt sich eine Aufkommensverschiebung zu Lasten der Länder und Kommunen, die es angesichts der bestehenden Haushaltskonsolidierungszwänge zu beseitigen oder zumindest zu kompensieren gilt. Dies könnte beispielsweise im Wege einer Ausgestaltung der Kernbrennelementesteuer als Gemeinschaftsteuer oder durch Beschränkung der Abziehbarkeit dieser Steuer im Bereich der Ertragsteuern geschehen.
2. Der federführende Finanzausschuss empfiehlt dem Bundesrat, zu dem Gesetz gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes die Einberufung des Vermittlungsausschusses aus folgenden Gründen zu verlangen:
Der Bundesrat fordert - eine angemessene Beteiligung der Länder an den Einnahmen des Bundes aus der Kernbrennstoffsteuer;3.*) - die Steuermindereinnahmen der Länder und Gemeinden zu kompensieren, die aus der Abziehbarkeit der Kernbrennstoffsteuer als Betriebsausgabe im Rahmen der Ertragsteuern resultieren.
Begründung
Der Bund wird sich im Rahmen des Energiekonzeptes durch die Kernbrennstoffsteuer eine neue Einnahmequelle schaffen. Allerdings gelten die vom Bund für seinen Haushalt verfolgten Konsolidierungsziele ebenso für die Länder.
[Die Einführung der Kernbrennstoffsteuer erhöht nach derzeitigem Stand unmittelbar nur das Steueraufkommen des Bundes. Daher ist es erforderlich, dass der Bund die Länder an den zu erwartenden Einnahmen aus der Kernbrennstoffsteuer angemessen beteiligt.]
<Mittelbare Auswirkungen auf die Haushalte von Ländern und Kommunen ergeben sich, weil diese neue Steuer als Betriebsausgabe abgezogen werden kann und so das Ertragsteueraufkommen, an dem auch die Länder und Gemeinden beteiligt sind, mindert. Behauptungen, diese negativen Auswirkungen würden durch eine Laufzeitverlängerung egalisiert, sind so nicht haltbar: Zwar wird damit gerechnet, dass sich mit längeren Laufzeiten auf längere Sicht auch weitere Ertragsteuereinnahmen ergeben, an denen die Gebietskörperschaften entsprechend den allgemeinen Verteilungsschlüsseln beteiligt sind; eine verlässliche Schätzung der zu erwartenden Steuermehreinnahmen ist zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht möglich. Zudem wären diese Mehreinnahmen zeitlich inkongruent zu den Belastungswirkungen bei den Ländern und den Gemeinden.
Die nach derzeitigem Stand in einer Höhe von 2,3 Mrd. Euro p.a. erwartete Kernbrennstoffsteuer soll von den Betreibern von Atomkraftwerken entrichtet werden. Die Unternehmen würden die Steuer als Betriebsausgaben behandeln, die das Körperschaftsteuer- und Gewerbesteueraufkommen mindern. Unter der Voraussetzung, dass die Unternehmen die Belastung aus der Brennelementesteuer nicht auf ihre Kunden abwälzen können, ist bei den Ländern und Gemeinden mit Mindereinnahmen in einer Größenordnung von rd. 500 Mio. Euro (220 bzw. 280 Mio. Euro) zu rechnen.
Das Gesetz geht davon aus, dass eine Überwälzung auf den Strompreis nur in geringem Umfang möglich sein wird. Bei einer teilweisen Überwälzung würden die Steuermindereinnahmen zwar geringer ausfallen. Da auf der anderen Seite Länder und Kommunen selbst Stromkunden sind, würde eine Weitergabe der Kernbrennstoffsteuer durch die Energiekonzerne bei ihnen eine Erhöhung der eigenen Ausgaben zur Folge haben. Ferner muss berücksichtigt werden, dass die höheren Stromkosten bei einem Teil der Verbraucher Betriebsausgaben darstellen und das Ertragsteueraufkommen mindern würden.
Wenn also Entlastungen für den Bund zu negativen Rückwirkungen auf die Finanzen der Länder und Kommunen führen, ist der Bund zum Ausgleich verpflichtet. Eine Konsolidierung des Bundes, die zu Lasten der Länder geht, kann weder im Interesse der Bundesregierung liegen, noch entspricht sie dem Solidargedanken eines föderalen Staates.
>
B
4. Der Wirtschaftsausschuss empfiehlt dem Bundesrat,
zu dem Gesetz einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen.
- Ziffer 3 entfällt bei Annahme von Ziffer 1.
- * Bei Annahme nur der Ziffer 3 gilt die Einleitung der Ziffer 2 als mit beschlossen.
- [ ] setzt die Annahme von Ziffer 2 voraus
- < > setzt die Annahme von Ziffer 3 voraus
- Bei Annahme von Ziffer 1 entfällt Ziffer 3.