A. Problem und Ziel
- Die Zwangsheirat ist ein gesellschaftliches Phänomen, das mit der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht zu vereinbaren ist und auch gegen das Menschenrechtsabkommen der Vereinten Nationen verstößt. Die aktuelle öffentliche Diskussion hat gezeigt, dass die bestehenden Regelungen offensichtlich nicht ausreichen, die Zwangsheirat in all ihren Erscheinungsformen wirksam zu bekämpfen. So werden die wenigsten den Tatbestand der Nötigung und oft auch der Vergewaltigung erfüllenden Fälle strafrechtlich verfolgt, weil Zwangsheirat als strafwürdiges Unrecht im öffentlichen Bewusstsein und insbesondere im Bewusstsein der Betroffenen offensichtlich nicht ausreichend verankert ist. Die mit dem 37. Strafrechtsänderungsgesetz eingeführte ausdrückliche Aufnahme der Zwangsheirat in den Katalog der besonders schweren Fälle der Nötigung (§ 240 Absatz 4 Satz 2 Nummer 1 StGB) reicht nicht aus, um die erforderliche Signalwirkung zu entfalten und erfasst Auslandstaten, die für das Delikt gerade typisch sind, in der Regel nicht. Auch muss den Opfern die Möglichkeit gegeben werden, sich im Strafprozess wegen Zwangsheirat der öffentlichen Klage als Nebenklägerinnen oder Nebenkläger anzuschließen.
- Im geltenden Eherecht können Zwangsehen zwar bereits aufgehoben werden. Allerdings werden die besonderen Probleme der Opfer von Zwangsverheiratungen durch die zu kurz bemessene Frist für die Beantragung der Eheaufhebung nicht ausreichend berücksichtigt. Darüber hinaus weist die Regelung der erbrechtlichen Folgen der Bestimmung zur Eingehung einer Ehe durch Drohung, Lücken auf.
- Auch im Aufenthaltsrecht sind die Rechte zur Zwangsverheiratung ins Ausland verbrachter Betroffener bislang nicht ausreichend berücksichtigt.
- Ziel des Gesetzentwurfs ist es, die Zwangsheirat wirksamer zu bekämpfen und im straf-, zivil- und aufenthaltsrechtlichen Bereich die Rechtsstellung der Opfer von Zwangsehen zu stärken.
B. Lösung
- Der Entwurf sieht vor, im Strafgesetzbuch einen neuen Tatbestand zu schaffen, der sich an die Tatbestände der Nötigung, des Menschenhandels und der Verschleppung anlehnt und durch die bereichsspezifische Regelung sowie die erhöhte Strafandrohung den Unwertgehalt dieser Verhaltensweisen eindeutig kennzeichnet.
- Im Zivilrecht soll die Aufhebung einer durch widerrechtliche Drohung zu Stande gekommene Ehe durch die Verlängerung der Antragsfrist von einem auf drei Jahre erleichtert werden. § 1318 Abs. 5 BGB soll für den Fall des Zustandekommens der Ehe durch widerrechtliche Drohung dahingehend ergänzt werden, dass beim Tod des genötigten Ehegatten das gesetzliche Erbrecht des anderen Ehegatten bereits dann ausgeschlossen wird, wenn noch kein Antrag auf Aufhebung der Ehe rechtshängig ist. Schließlich sieht der Entwurf eine Ergänzung von § 2339 BGB dahingehend vor, dass auch diejenigen erbunwürdig sind, die den verstorbenen Ehegatten durch Drohung zur Eingehung einer Ehe bestimmt haben.
- Im Aufenthaltsrecht soll Opfern von Zwangsverheiratung, die als Minderjährige ihren Aufenthalt im Bundesgebiet hatten, die Wiederkehr in das Bundesgebiet erleichtert werden ( § 37 Aufenthaltsgesetz). Daneben soll durch eine Änderung von § 51 Aufenthaltsgesetz sichergestellt werden, dass der Aufenthaltstitel von Opfern von Zwangsheirat, die das Bundesgebiet gegen ihren Willen verlassen haben oder an ihrer Rückkehr gehindert wurden, erst nach einer angemessenen Frist verfällt, die erst mit dem Wegfall der Zwangslage beginnt.
C. Alternativen
- Beibehaltung des unbefriedigenden geltenden Rechts.
D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte
- Weite Bereiche der neuen Strafvorschrift werden nach geltendem Recht durch den Tatbestand der Nötigung abgedeckt. Soweit darüber hinaus eine Strafbarkeit neu begründet wird, ist durch die Verfolgung und Ahndung der Taten ein zusätzlicher Aufwand in nicht abschätzbarem Umfang zu erwarten, der aber im Interesse des verbesserten Rechtsgüterschutzes hinzunehmen ist.
- Gleiches gilt für den durch die Verlängerung der Antragsfrist in § 1317 BGB und die Möglichkeit der Anfechtung des Erbschaftsanfalls gemäß §§ 2340, 2342 BGB entstehenden Aufwand bei den Gerichten. Ebenso wenig kann der durch die Änderung des Aufenthaltsrechts entstehende Mehraufwand durch die erleichterte Rückkehr von Ausländern, die das Bundesgebiet infolge Zwangsverheiratung verlassen haben, beziffert werden.
E. Sonstige Kosten
Gesetzesantrag des Landes Berlin
Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat (Zwangsheirat-Bekämpfungsgesetz)
Der Regierende Bürgermeister von Berlin Berlin, den 31. Mai 2005
An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Matthias Platzeck
Sehr geehrter Herr Präsident, der Senat von Berlin hat am 31. Mai 2005 beschlossen, dem Bundesrat den
- Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat (Zwangsheirat-Bekämpfungsgesetz) nebst Begründung mit dem Antrag zuzuleiten, seine Einbringung beim Deutschen Bundestag gemäß Artikel 76 Abs. 1 GG zu beschließen.
Ich bitte, die Vorlage gemäß § 23 Abs. 3 in Verbindung mit § 15 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf die Tagesordnung der Sitzung des Bundesrates am 17. Juni 2005 aufzunehmen. Nach Vorstellung im Plenum soll der Gesetzentwurf den Ausschüssen zur weiteren Beratung überwiesen werden.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Klaus Wowereit
Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat (Zwangsheirat-Bekämpfungsgesetz)
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 24. März 2005 (BGBl. I S. 969), wird wie folgt geändert:
1. In der Inhaltsübersicht wird nach der Angabe zu § 234a folgende Angabe eingefügt:
2. In § 6 Nr. 4 werden nach der Angabe "(§§ 232 bis 233 a)" folgende Wörter angefügt: "und Zwangsheirat in den Fällen des § 234b Abs. 2 und 3 (§ 234b)".
3. Nach § 234a wird folgender § 234b eingefügt: " § 234b Zwangsheirat
(1) Wer eine andere Person mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe nötigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer eine andere Person unter Ausnutzung einer Zwangslage oder der Hilflosigkeit, die mit ihrem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, zur Eingehung der Ehe bringt.
(3) Ebenso wird bestraft, wer eine andere Person durch List, Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel in ein Gebiet außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes verbringt oder veranlasst, sich dorthin zu begeben, oder davon abhält, von dort zurückzukehren, um sie entgegen ihrem Willen zur Eingehung der Ehe zu bringen.
(4) Der Versuch ist strafbar."
4. In § 240 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 werden die Wörter "oder zur Eingehung der Ehe" gestrichen. "
Artikel 2
Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs
Das Bürgerliche Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909, 2003 I S. 738), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 21. April 2005 (BGBl. I S. 1073), wird wie folgt geändert:
1. § 1317 Abs. 1 Satz 1 wird wie folgt gefasst:
"Der Antrag kann in den Fällen des § 1314 Abs. 2 Nr. 2 und 3 nur binnen eines Jahres, im Falle des § 1314 Abs. 2 Nr. 4 nur binnen drei Jahren gestellt werden."
2. § 1318 Abs. 5 wird wie folgt gefasst:
(5) § 1931 findet zu Gunsten eines Ehegatten, der bei Verstoß gegen die §§ 1304,1306, 1307 oder 1311 oder in den Fällen des § 1314 Abs. 2 Nr. 1 oder 4 die Aufhebbarkeit der Ehe bei der Eheschließung gekannt hat, keine Anwendung, es sei denn, zur Zeit des Erbfalls hätte die Aufhebbarkeit der Ehe nicht mehr geltend gemacht werden können."
3. § 2339 wird wie folgt geändert:
- a) In Absatz 1 wird am Ende der Nummer 4 der Punkt durch ein Komma ersetzt und folgende Nummer 5 angefügt:
"5. wer den Erblasser widerrechtlich durch Drohung zur Eingehung einer Ehe bestimmt hat."
- b) In Absatz 2 wird folgender Satz angefügt:
"Die Erbunwürdigkeit tritt in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 5 nicht ein, wenn zur Zeit des Erbfalles die Aufhebbarkeit der Ehe nicht mehr hätte geltend gemacht werden können."
Artikel 3
Änderung des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch
Dem Artikel 229 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. September 1994 (BGBl. I S. 2494, 1997 I S. 1061), zuletzt geändert durch Artikel 7 des Gesetzes vom 21. April 2005 (BGBl. I S. 1073), wird folgender § 14 angefügt:
§ 14 Überleitungsvorschrift zum Zwangsheirat-Bekämpfungsgesetz
(1) Die Aufhebung einer vor dem einsetzen: Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes geschlossenen Ehe ist ausgeschlossen, wenn die Ehe nach dem bis dahin geltenden Recht zu diesem Zeitpunkt nicht mehr hätte aufgehoben werden können.
(2) Im Übrigen finden auf die vor dem einsetzen: Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes geschlossenen Ehen die Vorschriften in ihrer ab dem einsetzen: Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes geltenden Fassung Anwendung."
Das Aufenthaltsgesetz vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950), geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 14. März 2005 (BGBl. I S. 721), wird wie folgt geändert:
1. In § 37 Abs. 1 wird nach Satz 1 folgender Satz eingefügt:
- "Einem Ausländer, der als Minderjähriger rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte, ist eine Aufenthaltserlaubnis auch zu erteilen, wenn er durch List, Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe in ein Gebiet außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes verbracht oder an der Rückkehr in den Geltungsbereich gehindert wurde."
2. Dem § 51 Abs. 3 wird folgender Satz angefügt:
- "Der Aufenthaltstitel erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 1, 6 und 7, wenn der Ausländer durch List, Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe in ein Gebiet außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes verbracht oder an der Rückkehr in den Geltungsbereich gehindert wurde und der Ausländer innerhalb von drei Monaten nach Fortfall seiner Zwangslage wieder einreist."
Artikel 5
Inkrafttreten
Das Gesetz tritt am ersten Tag des auf seine Verkündung folgenden Kalendermonats in Kraft.
Begründung
A. Allgemeiner Teil
I.Ausgangslage
1. Zwangsverheiratung in Deutschland
Seit einigen Jahren ist auch in Deutschland die Zwangsheirat in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Mehr und mehr wagen es die Betroffenen, sich mit ihren Erfahrungen öffentlich zu äußern. Zahlreiche Medien haben ausführlich über Zwangsheirat berichtet. Betroffene Mädchen und junge Frauen suchen häufig in Kriseneinrichtungen und Frauenhäusern Schutz. Dabei sehen sich viele gezwungen, ihre Heimatstadt auf der Flucht vor der Familie zu verlassen.
Zwangsheirat liegt dann vor, wenn mindestens einer der Eheschließenden durch eine Drucksituation zur Ehe gezwungen wird und mit seiner Weigerung kein Gehör findet oder es nicht wagt, sich zu widersetzen, weil Eltern, Familie, Verlobte und Schwiegereltern mit den unterschiedlichsten Mitteln Druck auf ihn ausüben. Zu den Druckmitteln gehören physische und sexuelle Gewalt, Nötigung durch Drohungen, Einsperren, Entführen, psychischen und sozialen Druck sowie emotionale Erpressung. Weiter wird Druck ausgeübt durch Einschränkungen in Bezug auf Lebensstil und Bewegungsspielraum und andere erniedrigende und kontrollierende Handlungen - in drastischen Fällen bis hin zu so genannten "Ehrenmorden". Zwangsheirat im engeren Sinne bezieht sich auf den erzwungenen Prozess der Eheschließung. Durch Sanktionen von Familien und Verwandten kommt es außerdem dazu, dass geschlossene Ehen gegen den Willen zumindest eines Ehepartners aufrechterhalten werden müssen und dass diesem eine Trennung verwehrt wird.
In der überwiegenden Zahl der Fälle sind Mädchen und junge Frauen von Zwangsheirat betroffen. Auch männliche Jugendliche können von Zwangsheirat betroffen sein. Die Folgen einer solchen Heirat sind für sie in der Regel weniger gravierend. Frauen werden in jüngerem Alter als Männer verheiratet und haben dementsprechend weniger Chancen, ihre Ausbildung abzuschließen oder sich in einem Beruf zu etablieren. Außerdem haben sie weniger Verfügungsgewalt über ihr eigenes Leben, z.B. in Bezug auf die Möglichkeit, Freundschaften zu pflegen, auszugehen oder ihren Kleidungsstil selbst zu bestimmen. Unter den Betroffenen überwiegen zahlenmäßig die Türkinnen und Kurdinnen, weil sie die größte Migrantinnengruppe in Deutschland bilden. Betroffen sind auch Libanesinnen, Marokkanerinnen, Tunesierinnen, Albanerinnen, Iranerinnen und Inderinnen. Zwangsverheiratungen kommen jedoch nicht nur in muslimischen Familien vor und sind nicht allein Resultat islamischer Tradition. Vielmehr sind sie Ausdruck eines patriarchalen traditionellen, oft sogar noch stammesgebundenen Familienverständnisses, welches Töchtern und zum Teil auch Söhnen kein Recht auf Selbstbestimmung zugesteht.
Nach den in einer Anhörung vor dem Ausschuss für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen des Abgeordnetenhauses von Berlin am 24. November 2004 mitgeteilten Erfahrungen der Berliner Kriseneinrichtung Papatya waren dort in den Jahren 2002 bis 2004 40, 38 bzw. 52% der dort Schutz suchenden Mädchen und jungen Frauen von Zwangsheirat betroffen. Von diesen waren in den genannten Jahren 60, 50 bzw. 44 % minderjährig. Im Jahr 2002 sollten 56 % der Hilfe suchenden Frauen einen Cousin heiraten; im Jahr 2003 waren es 50 %. Die Schutz suchenden Frauen kommen aus der Türkei, aus arabischen Ländern (Libanon, Syrien, Palästina, Jordanien, Irak, Marokko, Tunesien, Ägypten, Iran, Somalia, Aserbeidschan, Pakistan, Sri Lanka), verschiedenen afrikanischen Ländern, aber auch aus Albanien und Serbien. Außerdem sind Roma nach den Erfahrungen von Papatya von Zwangsheirat betroffen.
2. Formen und Gründe der Zwangsheirat
Bei Zwangsheiraten lassen sich drei unterschiedliche Erscheinungsformen unterscheiden:
- a) Für in Deutschland lebende Migranten werden Mädchen und junge Frauen aus dem Heimatland geholt, um sie hier zu heiraten (so genannte "Importbräute"). Diese Ehen sind regelmäßig das Ergebnis von Vereinbarungen zwischen der in Deutschland lebenden (Teil-)Familie des Mädchens und der Familie des Mannes im Ausland. Meistens kennen sich die Familien schon lange, weil sie entweder zum selben Verwandtschaftskreis gehören oder aber aus demselben Dorf stammen. Die aus den Herkunftsfamilien nach Deutschland verheirateten Frauen sind in einer besonders schwachen Position, wenn sie aus ihrer Ehe ausbrechen wollen. Sie haben einen auf die Wohnung und Familienbesuche beschränkten Bewegungsspielraum und haben auf Grund ihrer kaum vorhandenen Sprachkenntnisse fast keine Möglichkeit Hilfe zu holen. Daneben sehen sich viele durch ihren unsicheren vom Bestand der Ehe abhängigen Aufenthaltsstatus gezwungen, in der für sie unzumutbaren Ehe auszuharren.
- b) Die Zweite Erscheinungsform der Zwangsheirat ist die der Heiratsverschleppung. Junge Mädchen werden im Heimatland ihrer Familien, wo sie üblicherweise die Ferien verbringen, verlobt und dann verheiratet, ohne vorher darüber informiert worden zu sein. Die Mädchen bleiben dann gegen ihren Willen im Ausland und dienen oft als kostenlose Arbeitskraft im bäuerlichen Milieu im Herkunftsland.
- c) Bei der dritten Form der Zwangsheirat wird eine Frau ihres gesicherten Aufenthaltsstatus in Deutschland wegen - häufig während des Urlaubs im Heimatland ihrer Familien - von ihrer eigenen Familie einem noch im Ausland lebenden Landsmann versprochen, um diesem im Rahmen des Ehegattennachzugs die legale Einwanderung nach Deutschland zu ermöglichen. Auch hier wird die Vereinbarung zwischen den Familien der zukünftigen Ehegatten getroffen, ohne dass die Frau hiervon in Kenntnis gesetzt oder gar nach ihrem Einverständnis gefragt worden wäre. Motivation für Zwangsverheiratungen ist neben dem Wunsch der Eltern, ihre Töchter "gut versorgt" zu sehen, oft auch das Bedürfnis, die Töchter zu disziplinieren, die mit wachsendem Alter dem Einfluss ihrer Eltern zu entgleiten drohen. Durch die Zwangsverheiratungen im Rahmen von Großfamilien - häufig werden Frauen mit ihren Cousins verheiratet - werden die traditionellen Machtverhältnisse gestärkt und der Einfluss der Familie auf die Entwicklung ihrer Kinder gesichert. In manchen Fällen kommt auch ein finanzieller Aspekte in Form eines Brautpreises hinzu.
3. Ausmaß der Zwangsheirat
Deutschlandweit gibt es keine gesicherten Daten zur Anzahl von Fällen der Zwangsheirat. Eine im Jahr 2003 durchgeführte Erhebung des Berliner Senats bei über fünfzig Einrichtungen und Projekten aus dem Jugend-, Migrations- und Anti-Gewalt-Bereich ergab, dass diese Einrichtungen und Projekte im Jahr 2002 in ca. 220 Fällen von Zwangsverheiratungen aufgesucht worden sind. Die Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung (agisra) e.V. in Köln, wurde im Jahr 2002 von 17 Frauen, im Jahr 2003 von 21 Frauen und 2004 von 49 Frauen aus Köln und Umgebung in Fällen von Zwangsheirat um Unterstützung gebeten. Das Wohnprojekt Rosa in Stuttgart berichtet, dass monatlich durchschnittlich zehn Mädchen bzw. Frauen wegen Zwangsverheiratung um Schutz nachsuchen. Aufgrund der Schwierigkeiten der Betroffenen aus ihren Familienzusammenhängen herauszutreten und Hilfe zu suchen, dürfte die Dunkelziffer jedoch beträchtlich sein.
4. Zwangsheirat als Menschenrechtsverletzung
Durch die Zwangsverheiratung werden das Recht der Betroffenen auf selbstbestimmte Heirat, persönliche Freiheit, körperliche Unversehrtheit und ihre Menschenwürde verletzt. Die Zwangsheirat verstößt gegen Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes, der nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Eheschließungsfreiheit, also das Recht jedes Menschen, die Ehe mit einem selbst gewählten Partner einzugehen, schützt (BVerfGE 31, 58, 67; 76, 1, 42; 105, 313, 342). Daneben wird das Recht auf freie Eheschließung und selbstbestimmte Partnerwahl durch Artikel 16 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen und Artikel 12 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten anerkannt und garantiert.
Die Zwangsheirat wurde auf der Folgekonferenz zur 4. UN-Weltfrauenkonferenz im Jahr 2000 in New York erstmals international als eine Form der Gewalt gegen Frauen verurteilt und als Menschenrechtsverletzung anerkannt. Die Empfehlung Nummer 21 des UN-Komitees zur Abschaffung aller Formen der Diskriminierung von Frauen (Convention on the elimination of all forms of discrimination against women - CEDAW) besagt: "Das Recht, einen Partner zu wählen und eine Heirat freiwillig einzugehen, ist von zentraler Bedeutung für das Leben einer Frau, für ihre Würde und Gleichberechtigung als menschliches Wesen."
5. Rechtliche Defizite
Dem Phänomen der Zwangsheirat werden die geltenden straf-, zivil- und aufenthaltsrechtlichen Regelungen nicht ausreichend gerecht.
Das geltende Strafrecht erfasst die Erscheinungsformen der Zwangsverheiratung nur unzureichend. Taten mit Auslandsbezug, die deliktstypisch sind, werden oft nicht erfasst. Typische Tathandlungen, wie das Verbringen ins Ausland durch List zum Zwecke der Verheiratung müssen in einem eigenen Straftatbestand geregelt werden, der der Bedeutung und den verschiedenen Erscheinungsformen der Zwangsheirat Rechnung trägt. Für Opfer von Zwangsheirat ist die Nebenklagebefugnis im Strafprozess mit ihren erweiterten Rechten einzuführen.
Bereits im geltenden Eherecht unterliegt eine Ehe der Aufhebung, wenn ein Ehegatte zur Eingehung der Ehe widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist (§ 1314 Abs. 2 Nr. 4 BGB). Antragsberechtigt ist der bedrohte Ehegatte. Gemäß § 1310 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz BGB muss der Standesbeamte seine Mitwirkung an der Eheschließung verweigern, wenn offenkundig ist, dass die Ehe aufhebbar ist, weil ein
Ehegatte zur Eingehung der Ehe widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist. Wie der Standesbeamte einem entsprechenden Verdacht nachgehen kann, ist in § 5 Abs. 4 des Personenstandsgesetzes geregelt. Damit sind die Fälle der Zwangsheirat vom geltenden Eheaufhebungsrecht zwar grundsätzlich erfasst. Allerdings wird die Frist zur Beantragung der Eheaufhebung den Besonderheiten in Fällen der Zwangsheirat nicht ausreichend gerecht. Darüber hinaus sind die Folgen der Aufhebung der unter Zwang geschlossenen Ehe für das Erbrecht - auch und gerade der die Drohung ausübenden Familienangehörigen - unzureichend geregelt.
Nach § 51 Aufenthaltsgesetz erlischt ein Aufenthaltstitel, wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist. Einem Ausländer, der als Minderjähriger rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte, ist unter bestimmten in § 37 Aufenthaltsgesetz genannten Bedingungen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Zur Vermeidung besonderer Härten kann von diesen Voraussetzungen abgewichen werden. Damit ist für Personen, die das Bundesgebiet aufgrund von Zwangsheirat verlassen haben, die Möglichkeit, wieder nach Deutschland zurückzukehren, mit großer Unsicherheit behaftet. Auch die aufenthaltsrechtlichen Regelungen werden den Besonderheiten der Zwangsheirat daher nicht gerecht.
II. Lösungen
1. Strafrecht
Zwangsheiraten ist durch eine eindeutige Regelung der Strafbarkeit in einem eigenen Straftatbestand zu begegnen. Dadurch kennzeichnet der Gesetzgeber entsprechende Verhaltensweisen unmissverständlich als strafwürdiges Unrecht und tritt der Fehlvorstellung entgegen, es handele sich um eine zumindest tolerable Tradition aus früheren Zeiten oder anderen Kulturen. Durch die Bestimmung eines erhöhten Strafrahmens bringt er das Gewicht des Unrechts zum Ausdruck.
Mit einer speziellen Strafnorm, die die typischen Erscheinungsformen der Zwangsheirat erfasst, ist das eindeutige Signal verbunden, dass der Staat diese Form der Menschenrechtsverletzung mit dem schärfsten ihm zur Verfügung stehenden Mittel unterbinden wil1.
2. Zivilrecht
Die derzeit geltende Frist zur Beantragung der Aufhebung einer durch Drohung erzwungenen Ehe von einem Jahr ist zu kurz bemessen. Um dem zur Ehe gezwungenen Ehegatten die Möglichkeit zu geben, die zuvor erlebte Bedrohung zu verarbeiten und sich über die Frage der Aufhebung der Ehe klar zu werden, ist die Antragsfrist auf drei Jahre zu verlängern.
Die Auflösung der durch Drohung erzwungenen Ehe muss auch vor Stellung des Aufhebungsantrags bereits erbrechtliche Folgen haben. In § 1318 Abs. 5 BGB ist daher das gesetzliche Erbrecht des bösgläubigen Ehegatten im Falle der widerrechtlichen Drohung auszuschließen. Darüber hinaus muss auch die Möglichkeit geschaffen werden, den Erbschaftserwerb anderer Personen, die an der Drohung mitgewirkt haben, auszuschließen. Dies soll durch die Aufnahme eines weiteren Erbunwürdigkeitsgrundes in § 2339 BGB erreicht werden.
3. Öffentliches Recht
Für den umfassenden Schutz der Opfer von Zwangsheirat ist eine Änderung des Aufenthaltsgesetzes notwendig. In § 37 des Aufenthaltsgesetzes soll daher das Recht auf Wiederkehr von Ausländern, die als Minderjährige ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatten, für Opfer der Zwangsheirat erweitert werden. Durch eine Änderung von § 51 Aufenthaltsgesetz soll sichergestellt werden, dass der Aufenthaltstitel von Opfern von Zwangsheirat, die das Bundesgebiet gegen ihren Willen verlassen haben oder die an ihrer Rückkehr gehindert wurden, erst nach einer angemessenen Frist verfällt, die erst mit dem Wegfall der Zwangslage beginnt.
III. Kosten und Preise
1. Kosten für die öffentlichen Haushalte
Weite Bereiche der neuen Strafvorschrift werden nach geltendem Recht durch den Tatbestand der Nötigung abgedeckt. Soweit darüber hinaus eine Strafbarkeit neu begründet wird, ist durch die Verfolgung und Ahndung der Taten ein zusätzlicher Aufwand zu erwarten, der aber im Interesse des verbesserten Rechtsgüterschutzes hinzunehmen ist.
Soweit die Verlängerung der Antragsfrist in § 1317 BGB und die Möglichkeit der Anfechtung des Erbschaftsanfalls gemäß §§ 2340, 2342 BGB zusätzliche Verfahren bei den Gerichten zur Folge hat, entsteht ein nicht abschätzbarer zusätzlicher Aufwand, der im Interesse der Rechtsstellung der genötigten Ehegatten und der Sanktionierung der drohenden Erben hingenommen werden muss.
2. Sonstige Kosten
Für die Wirtschaft, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, entstehen keine Kosten. Auswirkungen dieses Änderungsgesetzes auf Einzelpreise, auf das Preisniveau und insbesondere das Verbraucherpreisniveau sind nicht zu erwarten.
B. Besonderer Teil
I.Zu Artikel 1 (Änderung des Strafgesetzbuchs)
1. Zu Artikel 1 Nr. 1 (Inhaltsübersicht)
Es handelt sich um eine Folgeänderung zur Einführung der Strafvorschrift gegen Zwangsheirat (Artikel 1 Nr. 3).
2. Zu Artikel 1 Nr. 2 (§ 6 Nr. 4)
In den Fällen der Zwangsheirat nach § 234b Abs. 2 und 3 StGB-E handelt es sich um Verhaltensweisen, die dem Menschenhandel ähnlich sind. Deshalb ist es geboten, diese durch die Einstellung in § 6 StGB dem Weltrechtsprinzip zu unterstellen. Ein Verstoß gegen das Nichteinmischungsprinzip oder eine tatsächliche Überforderung der Strafverfolgungsbehörden ist damit nicht verbunden, da es auch bei diesen Auslandstaten eines legitimierenden inländischen Anknüpfungspunktes für die Strafverfolgung bedarf.
3. Zu Artikel 1 Nr. 3 (§ 234b neu)
Die vorgeschlagene Regelung gliedert sich in drei Absätze, die unterschiedliche Erscheinungsformen der Zwangsheirat sanktionieren, sowie die Bestimmung der Versuchsstrafbarkeit in Absatz 4. Als Straftat gegen die persönliche Freiheit und wegen der bestehenden Nähe zum Menschenhandel (§§ 232 ff. StGB) und zur Verschleppung (§ 234a StGB) wird sie in den 18. Abschnitt des Strafgesetzbuches eingestellt.
Die Einstellung der Strafvorschrift gegen Zwangsheirat in § 234b StGB führt dazu, dass sich die durch eine derartige rechtswidrige Tat verletzte Person der öffentlichen Klage als Nebenkläger anschließen kann (§ 395 Abs. 1 Nr. 1d) StPO). Das ist sachgerecht. Strafprozessualer Folgeregelungen bedarf es nicht.
In Absatz 1 wird der Einsatz von Nötigungsmitteln zur Eingehung einer Ehe als eigener Straftatbestand ausgestaltet. Der Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe entspricht dem der Nötigung im besonders schweren Fall ( § 240 Abs. 4 StGB) und damit der aktuell geltenden Strafandrohung für Zwangsheirat. Durch den erhöhten Strafrahmen wird das erhöhte Unrecht zum Ausdruck gebracht, das mit dem Zwang zu einer ungewollten, dauerhaften rechtlichen und persönlichen Verbindung verbunden ist.
Auf die Übernahme der Verwerflichkeitsklausel des § 240 Abs. 2 StGB wird verzichtet. Fälle, in denen das Herbeiführen einer Ehe mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel nicht als verwerflich einzustufen ist, sind nicht vorstellbar.
Absatz 2 regelt mit derselben Strafandrohung eine besondere Form der Zwangsheirat. In Anlehnung an die Grundtatbestände des Menschenhandels (§§ 232 Abs.1 Satz 1, 233 Abs.1 Satz 1 StGB) werden die Fälle unter Strafe gestellt, in denen der Täter eine andere Person unter Ausnutzung einer Zwangslage oder der Hilflosigkeit, die mit ihrem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, zur Eingehung der Ehe bringt.
Absatz 3 stellt mit derselben Strafandrohung in Anlehnung an den Tatbestand der Verschleppung ( § 234a StGB) Fallkonstellationen unter Strafe, in denen das Opfer dem tatsächlichen und rechtlichen Schutz, der mit seinem Aufenthalt im Inland verbunden ist, durch besondere Einwirkung entzogen wird, um es entgegen seinem Willen zur Eingehung der Ehe zu bringen. Anders als in den Absätzen 1 und 2 der neuen Strafnorm wird hier für die Strafbarkeit die Eheschließung nicht als tatbestandlicher Erfolg vorausgesetzt. Es reicht ein darauf gerichtetes Handeln, wenn dieses einen tatsächlichen, im Regelfall schutzmindernden Aufenthalt im Ausland bewirkt hat; insoweit handelt es sich auch hier um ein Erfolgsdelikt.
Im Interesse eines umfassenden Rechtsgüterschutzes ist in Absatz 4 für alle Tatalternativen Versuchsstrafbarkeit bestimmt.
4. Zu Artikel 1 Nr. 4 (Streichung in § 240 Absatz 4 Satz 2 Nr. 1 StGB)
Es handelt sich um eine Folgeänderung. Wegen der Einführung der speziellen Strafvorschrift (Artikel 1 Nr. 3) ist die Zwangsheirat aus dem Katalog der Regelbeispiele für besonders schwere Fälle der Nötigung zu streichen.
II. Zu Artikel 2 (Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs)
1. Zu Artikel 2 Nr. 1 (§ 1317):
Nach § 1317 Abs. 1 Satz 1 kann der Antrag auf Aufhebung der Ehe in den Fällen des § 1314 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 und damit auch in dem Fall, dass ein Ehegatte zur Eheschließung widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, nur binnen eines Jahres gestellt werden, wobei die Frist nach Absatz 1 Satz 2 1. Halbsatz grundsätzlich mit dem Aufhören der Zwangslage beginnt. Es handelt sich dabei um eine von Amts wegen zu prüfende materiellrechtliche, nicht abdingbare Ausschlussfrist, bei deren Versäumung die Aufhebung der Ehe nicht mehr begehrt werden kann.
Zwar beginnt die Ausschlussfrist nach Absatz 1 Satz 1 1. Halbsatz erst mit dem Ende der Zwangslage und bei einer weiteren Drohung während der Zwangslage dann, wenn die durch die weitere Drohung begründete Zwangslage aufhört (Staudinger-Kippel, 13. Bearbeitung 2000, § 1317 Rn. 10), so dass in der Regel ein Aufhebungsantrag nicht an der Versäumung der Antragsfrist scheitern wird.
Der Antragsgegner ist zudem für die Fristversäumung beweispflichtig und trägt damit auch die Beweislast für die Behauptung, die Zwangslage habe schon früher aufgehört als vom Antragsteller angegeben (Staudinger-Kippel, a.a.O., Rn. 20; Münchener Kommentar zum BGB-Müller-Gindullis, 4. Auflage, § 1317 Rn. 9).
Die Ausschlussfrist von einem Jahr ist bei durch Zwangsheirat zustande gekommenen Ehen jedoch zu kurz bemessen. Denn die zur Ehe Gezwungenen werden - insbesondere nach lange unter Zwang aufrechterhaltener Ehe - oft auch geraume Zeit nach Beendigung der Zwangslage emotional noch nicht in der Lage sein, die Eheaufhebung zu betreiben. Eine Verlängerung der Antragsfrist auf drei Jahre trägt diesem Umstand Rechnung. Nach Ablauf dieser verlängerten Antragsfrist, die der selbstbestimmten Entscheidung, ob die Aufhebung der Ehe beantragt werden soll, dient, ist ein Aufhebungsantrag im Interesse der Rechtssicherheit ausgeschlossen. Mit zunehmendem Zeitablauf spricht mehr und mehr dafür, dass der bedrohte Ehegatte sich zwischenzeitlich mit seiner zunächst unter Zwang eingegangenen Ehe "abgefunden" hat. Unabhängig von einer etwaigen Bestätigung der Ehe gemäß § 1315 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BGB soll eine Aufhebung der Ehe unter diesen Umständen nicht mehr betrieben werden können. Es ist der bedrohten Person dann zuzumuten, die Auflösung der Ehe durch Scheidung zu betreiben.
2. Zu Artikel 2 Nr. 2 (§ 1318):
Nach geltendem Recht ist das Ehegattenerbrecht ausgeschlossen, wenn der verstorbene Ehegatte berechtigt war, die Aufhebung der Ehe zu beantragen, und den Antrag gestellt hatte (§ 1933 Satz 2 i.V.m. Satz 2). Für den Fall, dass der Ehegatte die Aufhebbarkeit der Ehe bei der Eheschließung gekannt hat, der Aufhebungsantrag jedoch noch nicht gestellt war, sieht das geltende Recht den Ausschluss des Ehegattenerbrechts jedoch nur dann vor, wenn der überlebende Ehegatte die Aufhebbarkeit der Ehe wegen Geschäftsunfähigkeit, Bigamie, Verwandtschaft, Formverstoß oder Geistesstörung bereits bei Eheschließung kannte (§ 1318 Abs. 5). Die Kenntnis von der Aufhebbarkeit der Ehe wegen widerrechtlicher Drohung führt dagegen nicht zum vorzeitigen Ausschluss des Ehegattenerbrechts.
Angesichts des Unrechtsgehalts einer Zwangsheirat ist es geboten, das Ehegattenerbrecht auch dann bereits vor Antragstellung auszuschließen, wenn der überlebende Ehegatte von diesem Aufhebungsgrund bei Eheschließung Kenntnis hatte. Durch die Änderung wird daher der Anwendungsbereich des Absatzes 5 auf den Fall des § 1314 Abs. 2 Nr. 4 erweitert. Damit werden sowohl der Fall, dass die Drohung vom Ehegatten verübt wurde als auch der Fall, dass er von dieser lediglich wusste, erfasst und führt zum Ausschluss des Ehegattenerbrechts.
Durch den neu anzufügenden 2. Halbsatz wird gleichzeitig erreicht, dass in allen Anwendungsfällen des Absatzes 5 der Verlust des Ehegattenerbrechts dann nicht eintritt, wenn zum Zeitpunkt des Erbfalls eine Aufhebung der Ehe nicht mehr erfolgen könnte. An der gegenwärtigen Fassung der Vorschrift wird zu Recht kritisiert, dass sie die weitere Entwicklung der Ehe und dabei insbesondere eine nach § 1315 BGB eingetretene Heilung des Aufhebungsgrundes ausblendet (Staudinger-Strätz, 13. Bearbeitung, 2000, § 1318 Rn. 38 und 40). Darin liegt ein Wertungswiderspruch zur gesamten Systematik des Eheaufhebungsrechts, der durch die Ergänzung behoben werden sol1.
3. Zu Artikel 2 Nr. 3 (§ 2339):
- a) Die Änderung in § 1318 Abs. 5 ist auf den Ausschluss des Ehegattenerbrechts beschränkt. Dies kann jedoch dazu führen, dass die Erbschaft nunmehr bei Personen anfällt, die selbst an der Drohung beteiligt waren. So geht häufig die Drohung gegen einen Ehegatten von dessen Eltern und/oder Geschwistern aus. In den Fällen, in denen die Drohung von den Eltern des Bedrohten ausging, der Ehegatte von der Drohung wusste und aus der Zwangsehe keine Kinder hervorgegangen sind, führt der Ausschluss des Ehegattenerbrechts zum Anfall der Erbschaft bei den Eltern des von diesen zwangsverheirateten Ehegatten (§§ 1930, 1924, 1925). Dieses Ergebnis erscheint nicht gerechtfertigt, da durch den Ausschluss des Erbrechts die Drohung gegen den vorverstorbenen Ehegatten sanktioniert werden sol1. In diesen Fällen muss es möglich sein, den Erbschaftserwerb zumindest anzufechten, wie es die Vorschriften über die Erbunwürdigkeit vorsehen (§§ 2339 bis 2345). Eine Regelung im Bereich der Vorschriften über die Erbunwürdigkeit ist sachgerecht, da sich der Ausschluss nicht mehr auf das Erbrecht eines bestimmten Angehörigen (§ 1931) bezieht, sondern als allgemeiner Ausschlussgrund ausgestaltet ist. Der Erbunwürdigkeitsgrund ist im Übrigen inhaltlich mit den anderen Erbunwürdigkeitsgründen vergleichbar. Schließlich führt insoweit auch § 2343 zu sachgerechten Ergebnissen, wonach die Anfechtung des Erbschaftserwerbs dann ausgeschlossen ist, wenn der verstorbene Ehegatte dem Erbunwürdigen verziehen hat.
- b) Die Ergänzung in § 2339 Abs. 2 übernimmt die Wertung aus der Änderung des § 1318 Abs. 5, wonach die weitere Entwicklung der Ehe bei der Frage der Erbunwürdigkeit Beachtung finden und nach Ablauf der Anfechtungsfrist oder Bestätigung der Ehe die Erbunwürdigkeit ausgeschlossen sein sol1.
III. Zu Artikel 3 (Änderung des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch)
Die Vorschrift regelt die Überleitung des neuen Rechts auf die vor seinem Inkrafttreten geschlossenen Ehen. Zur Erleichterung ihrer Auffindbarkeit und aus systematischen Gründen wird die Überleitungsvorschrift als neuer § 14 in Artikel 229 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch eingestellt.
Nach § 14 Abs. 1 gilt das neue Recht grundsätzlich auch für bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes geschlossene Ehen. Allerdings kann aus Gründen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit eine nach bisherigem Recht nicht mehr aufhebbare Ehe nicht nachträglich aufhebbar gemacht werden. Absatz 1 schreibt deshalb vor, dass eine "Altehe" nur dann aufgehoben werden kann, wenn sie schon nach dem bisherigen Recht aufhebbar war. Damit wird ausgeschlossen, dass eine Ehe nunmehr aufgehoben werden kann, obwohl die nach bisherigem Recht vorgesehene Aufhebungsfrist von einem Jahr bei Inkrafttreten dieses Gesetzes bereits abgelaufen war.
Im Unterschied zu der Übergangsregelung zum Eheschließungsrechtsgesetz in Artikel 226 (dort Absatz 2) wird nicht bestimmt, dass bereits laufende Eheaufhebungsverfahren nach bisherigem Recht weitergeführt und entschieden werden. Dies würde dazu führen, dass genötigte Ehegatten, die bereits einen Aufhebungsantrag gestellt haben, unter Umständen Nachteile erleiden würden, weil für ihre Ehe die bisherige Aufhebungsfrist von einem Jahr gelten würde und womöglich abgelaufen wäre.
1. Zu Artikel 4 Nr. 1 ( § 37 AufenthG)
Es wird ein Recht auf Wiederkehr für Opfer von Zwangsheirat, die als Minderjährige ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatten, eingeführt.
2. Zu Artikel 4 Nr. 2 ( § 51 AufenthG)
Opfer von Zwangsheirat behalten ihren Aufenthaltstitel, wenn sie nach Fortfall der Zwangslage innerhalb von drei Monaten wieder in das Bundesgebiet einreisen.
V.Zu Artikel 5 (Inkrafttreten)
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten.
Im Hinblick auf die Übergangsregelung in Artikel 229 § 14 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch soll die Vorschrift erst am ersten Tag des auf seine Verkündung folgenden Monats in Kraft treten.