912. Sitzung des Bundesrates am 5. Juli 2013
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz (AV) und der Gesundheitsausschuss (G) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
Die grundsätzliche Zielrichtung einer europaweit einheitlichen Durchführung amtlicher Kontrollen wird befürwortet.] Zum Anwendungsbereich
- 2. Der Bundesrat hat jedoch Bedenken gegen die Einbeziehung weiterer Kontrollbereiche außerhalb der Lebensmittelkette (wie z.B. Pflanzenschutzmittel, Pflanzengesundheit, Pflanzenvermehrungsmaterial einschließlich forstliches Material), da die Zielsetzung der erforderlichen Kontrollen (einschließlich Prüfkriterien) sowie die Kontrollstrukturen nicht mit denen der Lebensmittelkette vergleichbar sind.
- 3. Die Bundesregierung wird gebeten, bei den weiteren Verhandlungen auf EU-Ebene darauf hinzuwirken, dass insbesondere die Vorgaben zu den Kontrollen im Bereich der Pflanzenschutzmittel, der Pflanzengesundheit und der Pflanzenvermehrung weiterhin im jeweiligen EU-Fachrecht verankert bleiben. Bei Anpassungsbedarf sollten notwendige Änderungen im jeweiligen Fachrechtsakt vorgenommen werden.
- 4. Der Vorschlag für eine Verordnung über amtliche Kontrollen bezieht über den bisherigen Anwendungsbereich hinaus auch die "Vorschriften über die absichtliche Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) und die Anwendung von GVO in geschlossenen Systemen" in den Anwendungsbereich der Kontrollverordnung mit ein (vergleiche Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe b). Der Bundesrat geht davon aus, dass zur Gewährleistung der Ziele der vorgeschlagenen Verordnung die Aufnahme der Vorschriften zu Freisetzung und Anwendung von GVO in geschlossenen Systemen nicht erforderlich ist. Für die genannten Tätigkeiten sind mit der Richtlinie 2009/41/EG über die Anwendung gentechnisch veränderter Mikroorganismen in geschlossen Systemen (Systemrichtlinie (2009/41/EG)) und der Richtlinie 2001/18/EG über die absichtliche Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen in die Umwelt (Freisetzungsrichtlinie (2001/18/EG)) bereits ausreichende Regelungen geschaffen. Der Bundesrat hält es daher für erforderlich, die Aufnahme dieser Vorschriften zu streichen und den Anwendungsbereich des Verordnungsvorschlags insoweit wieder zu beschränken.
[Begründung (nur gegenüber dem Plenum):
Mit der Anwendung von GVO in geschlossenen Systemen sind gentechnische Arbeiten gemeint, die in Laboratorien, Produktionsanlagen, Tierställen und Gewächshäusern stattfinden, aus denen heraus keine GVO frei werden. Zum ganz überwiegenden Teil handelt es sich bei gentechnischen Arbeiten um Forschungsvorhaben, an deren Ende die GVO inaktiviert (zerstört) werden und keinesfalls auf den Markt gelangen. Von diesen Forschungsvorhaben befassen sich viele mit naturwissenschaftlicher oder medizinischer Grundlagenforschung oder medizinischen Anwendungsgebieten.
Für die genannten Tätigkeiten sind mit der Systemrichtlinie (2009/41/EG) und der Freisetzungsrichtlinie (2001/18/EG), in Deutschland im Wesentlichen umgesetzt durch das Gentechnikgesetz (GenTG), bereits ausreichende Regelungen geschaffen. Die Überwachung dieser Vorschriften erfolgt durch die Länder und diese abschließende Zuständigkeit sollte nach dem Subsidiaritätsprinzip auch bei den Ländern verbleiben. Eine Auditierung der Überwachung von GVO in Lebens- und Futtermitteln und Freisetzungen in Deutschland durch die Kommissionsdienststelle FVO (Food and Veterinary Office) im Jahre 2011 hat ergeben, dass die Überwachungsverfahren in der Bundesrepublik gut funktionieren und daher nach Ansicht des BMELV und der Länder kein Änderungsbedarf besteht.
Bei Annahme der Kontrollverordnung in Form des vorliegenden Vorschlags entstünde durch neue Berichtspflichten und erhöhten Abstimmungsbedarf immenser zusätzlicher Aufwand für die Länder, der für die Bereiche außerhalb der Lebensmittelkette nicht gerechtfertigt wäre. Dies beträfe insbesondere:
- - Analysevorschriften in Artikel 33 bis 36; - Kostenregelungen in Artikel 78;
- - Aufstellung mehrjähriger nationaler Kontrollpläne in Artikel 108 bis 112; - Informationsmanagementsystem IMSOC in Artikel 130;
- - Durchsetzungsmaßnahmen in Artikel 134 bis 136.]
- 5. Der Verordnungsvorschlag sieht weiterhin vor, Vorschriften über die Produktion von Pflanzenvermehrungsmaterial zum Inverkehrbringen und über das Inverkehrbringen dieses Materials (einschließlich forstliches Vermehrungsgut) aufzunehmen. Der Bundesrat geht davon aus, dass die Aufnahme dieser Vorschriften nicht zum Erreichen der Ziele der Verordnung beitragen, da die genannten Vorschriften zu Saat- und Pflanzgut keine Produkte betreffen, die Teil der Lebensmittelkette sind. Der Bundesrat hält es daher für erforderlich, die Aufnahme dieser Vorschriften zu streichen und den Anwendungsbereich des Verordnungsvorschlags insoweit wieder zu beschränken.
[Begründung (nur gegenüber dem Plenum):
Das Vorgesagte gilt im Grundsatz auch für das Pflanzenvermehrungsmaterial: Auch dieses wird nicht Teil der Lebensmittelkette und kann daher ebenfalls nicht zu gesundheitlichen Gefährdungen des Endverbrauchers führen. Die bestehenden Regelungen zu Vollzug und Durchsetzung der einschlägigen Rechtsvorschriften sind ausreichend, weshalb eine Einbeziehung in das bestehende Kontrollsystem für Lebensmittel und Futtermittel nicht notwendig ist.]
- 6. Mit dem Vorschlag werden Vorschriften für "andere amtliche Tätigkeiten, die von den zuständigen Behörden nach dieser Verordnung und den Vorschriften gemäß Artikel 1 Absatz 2 durchgeführt werden" in den Anwendungsbereich der Kontrollverordnung (vgl. Artikel 1 Absatz 5) einbezogen. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gehen die Maßnahmen der Union inhaltlich wie formal nicht über das zur Erreichung der Ziele der Verträge erforderliche Maß hinaus. Zum Zwecke eines einheitlichen EU-Regelwerkes für amtliche Kontrollen ist es jedoch nicht erforderlich, auch für andere amtliche Tätigkeiten der zuständigen Behörden außerhalb einer amtlichen Kontrolle (vergleiche Artikel 1 Absatz 5 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 2) EU-weit verbindlich geltende Regelungen einzuführen. Der Bundesrat geht daher davon aus, dass zur Gewährleistung der Ziele der Verordnung die Einbeziehung von Vorschriften für andere amtliche Tätigkeiten nicht erforderlich ist. Der Bundesrat hält es daher für erforderlich, die Aufnahme dieser Vorschriften zu streichen und den Anwendungsbereich des Verordnungsvorschlags insoweit wieder zu beschränken.
[Begründung (nur gegenüber dem Plenum):
Für Regelungen des allgemeinen Verwaltungsverfahrens der Mitgliedstaaten fehlt der EU die Gesetzgebungskompetenz, da weder die Verlässlichkeit amtlicher Kontrollen in der EU oder die Einhaltung notwendiger EU-Standards im Binnenmarkt davon betroffen sind.]
- 7. Nach Auffassung des Bundesrates ist ein noch über die in Artikel 1 Absatz 2 des Verordnungsvorschlags genannten Rechtsbereiche hinausgehender Anwendungsbereich in jedem Fall abzulehnen. Die Bundesregierung wird daher gebeten, gegenüber der Kommission deutlich zu machen, dass aus Sicht des Bundesrates, auch unter dem Aspekt der Abwendung von Gefahren für Mensch oder Tier, insbesondere keine delegierten Rechtsakte tolerierbar sind, die den vorgesehenen Anwendungsbereich überschreiten. So ist der Bereich der Tierarzneimittel offiziell nicht vom Anwendungsbereich des Verordnungsvorschlags umfasst. Erwägungsgrund 31 stellt jedoch fest, dass nach Ansicht der Kommission die zuständigen Behörden befugt sein sollten, amtliche Kontrollen auf allen Stufen der Produktion und des Vertriebs von Waren, Stoffen, Materialien oder Gegenständen durchzuführen, die nicht von Vorschriften zur Lebensmittelkette erfasst sind (beispielsweise Tierarzneimittel).
[Begründung (nur gegenüber dem Plenum):
Regelungen zu Produktion oder Vertrieb von Tierarzneimitteln sind vom Anwendungsbereich der Kontrollverordnung nicht erfasst und sind auch nicht über den Umweg delegierter Rechtsakte zu akzeptieren. Im hier bestehenden und im Arzneimittelgesetz (AMG) umgesetzten System für Überwachung und Vollzug sind keine Defizite erkennbar, die ein Eingreifen der Kommission notwendig erscheinen lassen. Zudem strebt die Kommission (laut Kapitel 1.4 der dem Verordnungsvorschlag vorangestellten Begründung) an, dass die Verordnung auf sinnvolle Art und Weise die für Tierarzneimittel geltenden Bestimmungen, die derzeit ebenfalls überarbeitet werden, ergänzt. Sofern die Kommission harmonisierte Regelungen zu Überwachung und Vollzug derzeit für erforderlich erachtet, sollten diese in die Tierarzneimittelrichtlinie aufgenommen werden.]
- 8. Der Bundesrat bittet ferner die Bundesregierung, dafür Sorge zu tragen, dass sich der Anwendungsbereich der Verordnung nicht auf Haus- und Heimtiere erstreckt. Die Kontrollkriterien für diese Tiere richten sich nach anderen Risikoparametern und haben andere Schutzziele als die der vorliegenden Verordnung. Eine Ausdehnung auf Tiere, die nicht landwirtschaftliche Nutztiere sind, sollte daher vermieden werden.
Begründung (nur gegenüber dem Plenum):
Die Verordnung leitet sich prioritär aus dem europäischen Lebensmittel- und Futtermittelbereich ab und soll EU-einheitlich den gesundheitlichen Verbraucherschutz auf hohem Niveau gewährleisten. Deshalb ist beabsichtigt, in die Novelle der EG-Kontrollverordnung auch bisher nicht erfasste Fachbereiche einzubeziehen, um so die Schutzvorschriften entsprechend zu arrondieren.
Die Überwachung von Heim- und Haustieren passt jedoch nicht in diesen Kontext. Da diese Tiere auch nicht der menschlichen Ernährung dienen, sollten sie aus dem Anwendungsbereich herausgenommen werden.
Zur Verschwiegenheitspflicht, Transparenz der amtlichen Kontrollen
- 9. Vor dem Hintergrund der EuGH-Entscheidung zu § 40 LFGB vom 11. April 2013 (C-636/11) und der Sperrwirkung europäischen Rechts fordert der Bundesrat, den neuen Artikel 7 i.V.m. Artikel 10 derart auszugestalten, dass er einer Beibehaltung beziehungsweise Einführung der in Deutschland bestehenden oder in der Diskussion befindlichen Transparenzinstrumente wie § 40 LFGB, § 40 Absatz 1a LFGB, VIG und dem Kontrollbarometer nicht entgegensteht.
Begründung (nur gegenüber dem Plenum):
Die bisher in Artikel 7 (Transparenz und Vertraulichkeit) der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 enthaltenen Regelungen sind in dem vorliegenden Vorschlag der EU-Verordnung über amtliche Kontrollen in Artikel 7 (Verschwiegenheitspflicht des Personals der zuständigen Behörden) sowie in Artikel 10 (Transparenz der amtlichen Kontrollen) aufgegangen.
Auf Grund der Änderung der Überschrift im Vergleich zum bisherigen Artikel 7 erfährt die neue Norm von Artikel 7 eine Änderung im Duktus ("Verschwiegenheit"), obwohl in Absatz 3 auch weiterhin Regelungen zu Informationen über das Ergebnis amtlicher Kontrollen, die einzelne Unternehmer betreffen, enthalten sind.
Artikel 7 Absatz 3 kann jedoch unterschiedlich ausgelegt werden - u.a. dergestalt, dass geschäftlichen Interessen der Vorrang einzuräumen ist oder dass es sich hierbei um eine reine Verfahrensnorm und keine Befugnisnorm handelt. Insofern würde Artikel 7 Absatz 3 nur im Rahmen der Anwendung von Artikeln 10, 83 sowie 135 und 136 Beachtung finden.
Transparenz findet nur noch in den Artikeln 10 und 83 (Transparenz [bei Gebühren]) statt. Bei Artikel 10 wird wiederum lediglich sehr allgemein in Absatz 1 aufgeführt, welche "Fälle" zu veröffentlichen sind, ohne Festlegung, ob es sich dabei nur um summarische Darstellungen oder konkrete Einzelfälle mit Namensnennung handeln soll. Auch hier erhält die Kommission wieder in Absatz 2 die Ermächtigung, Durchführungsrechtsakte gemäß Artikel 141 Absatz 2 zu erlassen.
Insgesamt wird übersehen, dass die Transparenz im Sinne einer Warnung der Öffentlichkeit (Informationen gemäß Artikel 10 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002) eine Maßnahme i.S. des Artikels 135 darstellt.
Auf Artikel 10 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 wird jedoch nur in Erwägungsgrund 26 verwiesen. In Artikel 135 ist dagegen lediglich die Anordnung eines Rückrufs [durch den Unternehmer] (vgl. § 39 Absatz 2 Nummer 8 LFGB), nicht jedoch eine Information der Öffentlichkeit durch die Behörde selbst oder ein Hinweis auf den Rückruf durch den Unternehmer oder eine andere Behörde (vgl. § 39 Absatz 2 Nummer 9 i.V.m. § 40 Absatz 2 LFGB) als mögliche Maßnahme aufgeführt.
11. Der Bundesrat lehnt insbesondere die in den. Artikeln 15 bis 24 des Legislativvorschlags vorgesehenen Ermächtigungsgrundlagen für delegierte Rechtsakte mit besonderen Bestimmungen über die Durchführung amtlicher Kontrollen ab. Die vorgesehenen Regelungsbereiche umfassen unter anderem die Zuständigkeit und Aufgaben der Behörden, die einheitlichen Anforderungen an die Durchführung von Kontrollen, die zu ergreifenden Maßnahmen und insbesondere auch die Mindesthäufigkeiten amtlicher Kontrollen. Der Bundesrat hält es für zwingend erforderlich, dass alle Bestimmungen, die erhebliche Auswirkungen auf die Überwachungstätigkeit in den Ländern haben, direkt in die Verordnung aufgenommen werden müssen. Der Bundesrat weist in diesem Zusammenhang auf seine Stellungnahmen zur "Mitteilung der Europäischen Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäische Union" (BR n -Drucksache 875/09(B)
und BR-Drucksache 097/11(B)
) hin.