A. Problem und Ziel
- Ziel des Gesetzentwurfs ist die Verbesserung des Schutzes der Opfer von Straftaten, die regelmäßig in besonders schwerwiegender und nachhaltiger Weise die Lebensführung und den höchstpersönlichen Lebensbereich der Geschädigten beeinträchtigen.
- Die zwangsweise Verheiratung stellt eine gravierende Menschenrechtsverletzung dar deren Folgen die Opfer oftmals ihr Leben lang zu tragen haben. Die hiermit regelmäßig einhergehenden erheblichen Auswirkungen auf die freie Willensbildung und Lebensgestaltung der Opfer sowie die - oftmals soziokulturellen Hintergründen entspringenden - Zwangs- und Abhängigkeitsgefüge begründen eine besondere Schutzwürdigkeit der Opfer auch im Strafverfahren. Hierbei ist es im Hinblick auf Fragen, die den familiären und höchstpersönlichen Bereich der Lebensführung betreffen von herausragender Bedeutung, dass diese Opfer in die Lage versetzt werden ihre Rechte effektiv wahrzunehmen.
- Ein vergleichbarer Schutz gebührt auch den ebenfalls regelmäßig in ihrer Privat- bzw. Intimsphäre beeinträchtigten und besonders traumatisierten Opfern schwerer "Stalking"-Taten. Bei diesen tritt zu der vom Straftatbestand der Nachstellung in § 238 Abs. 1 StGB vorausgesetzten schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung durch das beharrliche Nachstellen hinzu, dass sie selbst oder ihnen nahe stehende Personen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsgefährdung gebracht worden sind (§ 238 Abs. 2 StGB) oder sogar der Tod einer ihnen nahe stehenden Person verursacht worden ist (§ 238 Abs. 3 StGB).
- Die besondere Schutzwürdigkeit der genannten Opfer resultiert auch daraus, dass ihren Zeugenaussagen regelmäßig besondere Bedeutung zukommt und sie sich daher oftmals einer besonders kritischen Prüfung ihrer Glaubwürdigkeit ausgesetzt sehen.
B. Lösung
- Zur Verbesserung des Schutzes der Opfer von Zwangsheirat und schwerem "Stalking" sieht der Gesetzentwurf vor, deren Belangen im Rahmen des Strafverfahrens durch die Gewährleistung eines niedrigschwelligen Zugangs zu anwaltlichem Beistand und wichtigen Rechten im Wege einer Änderung der §§ 395 und 397a StPO Rechnung zu tragen. Vorhandene Schutzlücken sollen durch eine Ausweitung der Regelungen über den sogenannten Opferanwalt (§ 397a StPO) in Fällen von Zwangsheirat und schwerem "Stalking" sowie die Erstreckung der Nebenklagebefugnis ( § 395 StPO) auf die Opfer von Zwangsheirat geschlossen werden.
C. Alternativen
D. Kosten (Kosten der öffentlichen Haushalte/Sonstige Kosten)
- Hinsichtlich der durch die Neuregelung entstehenden Kosten können noch keine belastbaren Angaben gemacht werden.
- Der Straftatbestand des § 238 StGB ist erst mit Wirkung vom 31. März 2007 in Kraft getreten. Zwangsheirat ist zwar schon immer als Nötigung und seit der Neufassung des § 240 Abs. 4 Nr. 1 StGB durch das 37. Strafrechtsänderungsgesetz vom 11. Februar 2005 (BGBl. I S. 239) mit erhöhtem Strafrahmen bewehrt. Namentlich in diesem Bereich ist aber von einem großen Dunkelfeld auszugehen. Wie viele einschlägige Verfahren es geben wird, ist schwer abschätzbar.
- Allerdings sieht der Gesetzentwurf vor, die beabsichtigte zusätzliche Gewährung eines Opferanwalts gemäß § 397a Abs. 1 Satz 1 StPO auf die Fälle der Verbrechen nach § 238 Abs. 3 StGB zu beschränken. Für die übrigen Fälle des schweren "Stalkings" und der Zwangsverheiratung sollen die Einschränkungen des § 397a Abs. 1 Satz 2 StPO gelten.
- Auch wenn sich danach noch nicht übersehen lässt, in welchem Ausmaß die öffentlichen Haushalte Mehrbelastungen auf Grund der vorgeschlagenen Neuregelungen zu tragen hätten, dürften diese jedenfalls nicht in einem Ausmaß anfallen, das den Gewinn an Opferschutz überwiegen wird.
E. Auswirkungen
- Die vorgesehenen Gesetzesänderungen unterscheiden nicht zwischen Frauen und Männern. Auch wenn die durch die Gesetzesänderungen privilegierten Opfer häufiger Frauen sein dürften, trifft der Gesetzentwurf in rechtlicher Hinsicht keine Differenzierungen zwischen Frauen und Männern. Es ist auch in der praktischen Umsetzung zu erwarten, dass die Privilegierungen den schutzwürdigen Frauen und Männern im Einzelfall gleichermaßen zuteil werden.
Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes der Opfer von Zwangsheirat und schwerem "Stalking"
Der Bundesrat hat in seiner 843. Sitzung am 25. April 2008 beschlossen, den beigefügten Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 1 des Grundgesetzes beim Deutschen Bundestag einzubringen.
Anlage
Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes der Opfer von Zwangsheirat und schwerem "Stalking"
Vom ...
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Die Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), zuletzt geändert durch ..., wird wie folgt geändert:
Artikel 2
Inkrafttreten
- Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft.
Begründung
A. Allgemeines
Ziel des Gesetzentwurfs ist die Verbesserung des Schutzes der Opfer von Straftaten, die regelmäßig in besonders schwerwiegender und nachhaltiger Weise die Lebensführung und den höchstpersönlichen Lebensbereich der Geschädigten beeinträchtigen.
Die zwangsweise Verheiratung stellt eine gravierende Menschenrechtsverletzung dar deren Folgen die Opfer oftmals ihr Leben lang zu tragen haben.
Die Bundesregierung hat in ihrem am 26. September 2007 beschlossenen Aktionsplan II zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen das Bedürfnis, Zwangsverheiratungen zu verhindern, betont (BT-Drs. 016/6584, S. 12).
Zwar werden sich Zwangsverheiratungen nicht allein mit den Mitteln des Straf- bzw. Strafverfahrensrechts zurückdrängen lassen. Dies zwingt jedoch umso mehr dazu das insoweit zur Verfügung stehende Instrumentarium jedenfalls so effektiv wie möglich einzusetzen und dadurch die Opfer möglichst weitgehend zu schützen.
Mit der Einordnung der Zwangsheirat als Regelbeispiel einer besonders schweren Nötigung in § 240 Abs. 4 Nr. 1 Alternative 2 StGB durch das 29. Strafrechtsänderungsgesetz vom 31. Mai 1994 (BGBl. I S. 1168) ist ein erster Schritt getan. Die mit der erhöhten Strafandrohung einhergehende stärkere abschreckende Wirkung ist ein Element des Schutzes davor, überhaupt Opfer einer solchen Tat zu werden.
Allerdings bedarf der Opferschutz der konsequenten Ergänzung des Strafrechts durch Regelungen im Strafverfahren, die gewährleisten, dass Personen - es dürfte sich meist um Frauen mit Migrationshintergrund handeln -, die gleichwohl Opfer dieser Straftat geworden sind, ihre Rechte effektiv wahrnehmen können.
Entsprechendes gilt für die Opfer schwerer "Stalking"-Taten, durch die entweder sie selbst oder eine ihnen nahe stehende Person in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsgefährdung gebracht geworden sind oder eine ihnen nahe stehende Person getötet worden ist. Opfer von Zwangsheirat und schweren "Stalking"-Taten sind regelmäßig besonders schwerwiegend und nachhaltig in ihrer Lebensführung beeinträchtigt und in ihrem höchstpersönlichen Lebensbereich betroffen. Beiden Opfergruppen ist zudem gemein, dass ihren Zeugenaussagen im Strafverfahren herausragende Bedeutung zukommt, sie sich regelmäßig Fragen mit Bezug auf ihren persönlichen Lebensbereich stellen müssen und sich oftmals einer besonders kritischen Prüfung ihrer Glaubwürdigkeit ausgesetzt sehen.
Deshalb ist ihre Stellung im Strafverfahren durch die Schaffung der Nebenklagebefugnis für die Opfer von Zwangsheirat und die Zubilligung eines angemessenen Anspruchs auf Beiordnung professioneller Hilfe durch einen Opferanwalt, der konsequent ihre Interessen vertritt, für die Opfer von Zwangsheirat und schwerem "Stalking" zu stärken.
B. Zu den einzelnen Vorschriften
Zu Nummer 1 (§ 395 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe f - neu - StPO)
Die Nebenklagebefugnis für Opfer von Zwangsverheiratungen folgt dem Zweck des § 395 StPO, bestimmten, durch schwere Straftaten in fundamentalen Rechtsgütern verletzten Opfern prozessuale Rechte zur Wahrung ihrer Belange einzuräumen. Die Lage der Opfer von Zwangsheirat ist der der bisher zum Anschluss als Nebenkläger Berechtigten vergleichbar. Ihre Nebenklagebefugnis wird deshalb durch § 395 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe f StPO-E eingeführt.
Zu Nummer 2 ( § 397a Abs. 1 StPO)
Nach § 397a Abs. 1 StPO ist den Opfern bestimmter schwerer Nebenklagedelikte auf Antrag ein anwaltlicher Beistand beizuordnen, ohne dass es auf die Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe ankommt. Hierdurch wird das Risiko des nicht prozesskostenhilfeberechtigten Nebenklägers, später einen Kostenerstattungsanspruch gegen einen mittellosen Verurteilten nicht durchsetzen zu können, oder im Falle des Freispruchs des Angeklagten nicht einmal zu erlangen, aus Opferschutzgründen vom Staat übernommen.
§ 397a StPO schützt Verletzte, die Opfer von erheblichen Angriffen auf fundamentale Persönlichkeitsrechte, namentlich ihren höchstpersönlichen Lebensbereich oder ihr Leben geworden sind, so dass sie regelmäßig besonders traumatisiert und daher in besonderem Maße schutzbedürftig sind. Darüber hinaus kommt der Zeugenaussage solcher Opfer in Anbetracht der gerade bei Sexual- und Beziehungstaten häufig anzutreffenden "Aussagegegen-Aussage"-Situationen regelmäßig besondere Bedeutung zu. Vor diesem Hintergrund sehen sie sich auch oftmals einer besonders kritischen Prüfung ihrer Glaubwürdigkeit ausgesetzt.
Da diese Voraussetzungen gerade auch bei den insofern bislang nicht privilegierten Opfern von Zwangsheirat und schwerem "Stalking" gegeben sind, werden die geltenden Regelungen zu deren Gunsten ergänzt:
Opfern von Zwangsheirat wird der Anspruch auf Beiordnung eines Opferanwalts eingeräumt wenn sie selbst nicht in der Lage sind, ihre Interessen hinreichend wahrzunehmen.
Die Einbeziehung der Zwangsheiratsfälle ist auf Grund der nachhaltigen Auswirkungen für die Freiheit und die Lebensgestaltung der Opfer sowie der - angesichts oftmals vorliegender soziokultureller Hintergründe bzw. familiärer Zwangs- und Abhängigkeitsgefüge - regelmäßig gegebenen besonderen Schutzwürdigkeit der Betroffenen geboten. Im Aktionsplan II der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen (BT-Drs. 016/6584, S. 9) wird darauf hingewiesen, dass von Zwangsheirat in erster Linie Mädchen und Frauen im Alter von 16 bis 21 Jahren aus Familien mit Migrationshintergrund betroffen sind. In diesen Fällen liegt es regelmäßig auf der Hand, dass die Opfer ihre Interessen nicht selbst ausreichend wahrnehmen können so dass ihnen dieselbe Privilegierung zugebilligt wird, die § 397a Abs. 1 Satz 2 StPO auch den Opfern der anderen dort genannten Vergehen gewährt.
Einer weitergehenden Privilegierung bedarf es daher nicht.
Dem Straftatbestand des § 238 StGB ist die nachhaltige Betroffenheit der Opfer bereits immanent; er fordert ein beharrliches Nachstellen, durch das die Lebensführung schwerwiegend beeinträchtigt wird. Diese deliktsspezifische Situation hat auch in der Ausweitung des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr auf die nach § 238 Abs. 2 und Abs. 3 StGB qualifizierten "Stalking"-Fälle in § 112a Abs. 1 Nr. 1 StPO ihren Niederschlag gefunden.
Durch die vorgesehene Gleichstellung der Opfer bestimmter Fälle des beharrlichen Nachstellens mit den in § 397a Abs. 1 StPO Genannten wird zudem ein Wertungswiderspruch beseitigt: Denn während bestimmte Angehörige Getöteter das Recht aus § 397a StPO in Anspruch nehmen können, ist dies "Stalking"-Opfern selbst dann verwehrt, wenn durch die Tat eine ihnen nahe stehende, aber nicht verwandte oder mit ihnen verheiratete Person getötet wird, obgleich die "Stalking"-Opfer - als Tatopfer und Hinterbliebene - sogar in zweifacher Hinsicht betroffen sind. § 238 StGB stellt die Gefährdung oder Tötung von nahe stehenden Person mit der von Angehörigen gleich. Dieser Schutz ist Ausdruck der Orientierung an der Opferbetroffenheit.
Durch die Erweiterung des ebenfalls auf die Opferbetroffenheit gründenden § 397a StPO wird er konsequent fortentwickelt.
Bei Bestimmung des Umfangs, in dem eine Einbeziehung von "Stalking"-Opfern in § 397a StPO angezeigt ist, wird nach dem Grad der Betroffenheit des Opfers differenziert.
Den Opfern von Verbrechen nach § 238 Abs. 3 StGB wird diese Berechtigung ohne weitere Voraussetzungen zugebilligt, den Opfern der Vergehen nach § 238 Abs. 2 StGB dann, wenn sie zur Interessenswahrnehmung ersichtlich unfähig sind während es bei den Opfern der nicht qualifizierten Taten nach § 238 Abs. 1 StGB bei der Möglichkeit der Prozesskostenhilfe verbleibt. Diese Differenzierung nach dem Grad der Betroffenheit gewährleistet einen den Belangen des Opfers im Einzelfall angemessen und flexibel Rechnung tragenden Schutz.
Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)
Dieser Artikel regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.