KOM (2004) 835 endg.; Ratsdok. 5093/05
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union und der Ausschuss für Innere Angelegenheiten
empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
Allgemeines:
1. Der Bundesrat begrüßt die Bestrebungen der Kommission, ein Visa-Informationssystem (VIS) einzuführen. Er bittet die Bundesregierung, alle Anstrengungen zu unternehmen, damit das System, insbesondere auch die Verarbeitung der biometrischen Daten, möglichst schnell in Betrieb genommen werden kann.
2. Der Bundesrat bekräftigt seinen Beschluss vom 2. April 2004 (BR-Drucksache 168/04(Beschluss) ). Der Vorschlag der Kommission erreicht die dort genannten Ziele nur zum Teil. Damit das System seine Ziele wirksam erfüllen kann, sind weitergehende Verarbeitungsmöglichkeiten für die Daten in dem VIS notwendig als sie bisher in dem Vorschlag der Kommission vorgesehen sind. Das VIS muss vor allem ein wirkungsvolles Instrument zum Schutz der inneren Sicherheit werden.
3. Der Bundesrat stellt fest, dass der Vorschlag der Kommission die Vorgaben des Rates nicht effektiv umsetzt, wonach Zweck des VIS (auch) ein Beitrag zur inneren Sicherheit ist (Schlussfolgerungen des Rates über die Entwicklung des VIS vom 19. Februar 2004, Ratsdok. 6535/04). Obwohl der Vorschlag der Kommission im dritten Erwägungsgrund davon ausgeht, dass "die vom Rat am 19. Februar 2004 angenommenen Orientierungen für die Entwicklungen des VIS zu berücksichtigen" sind, bleibt er bei der Regelung der Verwendung von Daten durch andere Behörden unter Kapitel III hinter den Anforderungen der Schlussfolgerungen des Rates zurück.
4. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf darauf hinzuwirken, dass der Rahmen des gemeinsamen Besitzstands effektiv ausgeschöpft wird, um diese Zwecke umfassend und wirkungsvoll zu erreichen. Soweit kein gemeinsamer Besitzstand besteht, wie etwa nach Auffassung der Kommission für Visa für einen längerfristigen Aufenthalt, die nicht zugleich als Visa für einen kurzfristigen Aufenthalt gültig sind, und daher der Datenaustausch im Rahmen des VIS eines weiteren Rechtsakts und entsprechender politischer Leitlinien bedarf, bittet der Bundesrat die Bundesregierung, sich dafür einzusetzen, dass diese politischen Leitlinien möglichst kurzfristig aufgestellt werden, damit sie rechtzeitig in eine Gesamtbeurteilung einbezogen werden können.
5. Der Bundesrat bittet vorbehaltlich weiterer Ergänzungen und Präzisierungen die Bundesregierung weiter dafür Sorge zu tragen, dass bei den Beratungen des Rates die folgenden Standpunkte Berücksichtigung finden:
Nutzung der Systemarchitektur
6. Der Bundesrat begrüßt, dass das VIS und das System SIS II auf einer gemeinsamen technischen Plattform betrieben werden. Dabei sollten jedoch weitestmöglich auch inhaltliche Synergien zwischen den zentralen Systemen verwirklicht werden, wie die Ermöglichung des beidseitigen Datenzugriffs im Hinblick auf die Überprüfung von Einreiseverweigerungen der Schengenstaaten (Artikel 96 Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ)). Der Bundesrat fordert die Bundesregierung ferner auf, weitere inhaltliche Synergien zu prüfen, z.B. ob ein Zugriff auf Daten im SIS II über gestohlene und gefälschte Dokumente realisiert werden kann.
Nutzung des VIS zum Schutz der inneren Sicherheit und zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus und der Organisierten Kriminalität
7. In Kapitel III des Vorschlags werden als spezifische Verwendungszwecke der Daten außerhalb des Visumverfahrens lediglich die Visakontrollen, die Bestimmung der Zuständigkeit für Asylanträge und die Prüfung von Asylanträgen genannt. Für andere Zwecke sollen die Daten nicht verwendet werden dürfen. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf darauf hinzuwirken, dass die Zwecke des VIS in vollem Umfang verwirklicht werden können, nämlich auch zur inneren Sicherheit beizutragen, und deshalb auch den Sicherheitsbehörden und den Ausländerbehörden die umfassende Nutzung der Daten zu ermöglichen. Ein fehlender direkter Zugriff der Sicherheitsbehörden auch der Länder auf die Daten, um Gefahren für die öffentliche Sicherheit abwehren sowie vorbeugend und repressiv Straftaten bekämpfen zu können, wäre ein schwerwiegender struktureller Mangel mit spürbar negativen Auswirkungen nicht zuletzt bei der Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kriminalität.
8. Daten nach Artikel 7 des Vorschlags sollten nicht nur gespeichert werden, wenn eine Konsultation zwischen den zentralen Behörden gemäß Artikel 17 Abs. 2 SDÜ erforderlich ist. Die für die innere Sicherheit und den Vollzug des Ausländerrechts zuständigen Behörden benötigen insbesondere die in Artikel 7 (1) bis (3) und (5) genannten Daten auch dann, wenn kein Konsultationsverfahren stattgefunden hat.
9. Bei Angabe eines Ablehnungsgrunds gemäß Artikel 10 Abs. 2 Buchstabe d sollten zugleich die Daten gespeichert werden und von den Ausländer- und Sicherheitsbehörden abrufbar sein, die die Gefahr des Antragstellers für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die internationalen Beziehungen eines Mitgliedstaats begründet haben.
10. Nach Auffassung des Bundesrats könnte das VIS eine erhebliche Qualitätssteigerung erfahren, wenn Erkenntnisse der Ausländerbehörden in das VIS einfließen würden, die für das Visumsverfahren relevant sein könnten. Die Bundesregierung wird daher gebeten zu prüfen, ob auch Ausländerbehörden die Eingabe von Daten und Sachverhalten in das System ermöglicht werden kann.
Nutzung des VIS zur Klärung der Identität und zu Zwecken der Rückführung
11. Die Daten im VIS müssen den Ausländerbehörden und Sicherheitsbehörden in den Fällen zur Verfügung stehen, in denen die Identität oder Nationalität des Ausländers ungeklärt ist.
12. Zweck des VIS ist es u. a., die Rückführung von sich illegal aufhaltenden Drittstaatsangehörigen zu verbessern. Hierfür benötigen die zuständigen Landesbehörden einen schnellen Zugriff auf Dokumente, die der Antragsteller mit dem Visumsantrag bei der Visumsbehörde einreicht. Der Bundesrat ist daher der Auffassung, dass die Antragsdokumente automatisiert abgerufen und recherchiert werden können sollten. Sollte eine Speicherung der Dokumente in dem System zu aufwändig und teuer sein, so muss zumindest sichergestellt sein, dass die anfragende Behörde einen Datenübermittlungsanspruch gegenüber der Visumsbehörde hat und die Unterlagen auf elektronischem Wege übermittelt werden.
Nutzung der Daten zur Bekämpfung der Visumserschleichung
13. Der Bundesrat begrüßt es, dass die Speicherung von Daten über Einlader und Personen, die sich verpflichtet haben, die Kosten für den Lebensunterhalt eines Ausländers zu tragen, im VIS vorgesehen ist. Zur effektiveren Bekämpfung von Einschleusungen und Visumerschleichungen ist es jedoch erforderlich, zusätzlich zu dem Namen und der Adresse dieser Personen oder Unternehmen Erkenntnisse speichern zu können, die einen Missbrauch der Einladung oder der Verpflichtungserklärung belegen können. Die Daten zu Einladern und Personen, die sich verpflichtet haben, die Kosten für den Lebensunterhalt zu tragen, müssen für die Ausländerbehörden und die Sicherheitsbehörden eigenständig recherchierbar sein.
14. Die Daten über Personen, die sich verpflichtet haben, die Kosten für den Lebensunterhalt eines Ausländers zu tragen, sind für die Geltendmachung von Erstattungsansprüchen wichtig. Die konsequente Durchsetzung dieser Erstattungsansprüche hat nicht zuletzt präventive Wirkung gegen missbräuchliche Einladungen und Verpflichtungserklärungen sowie Auswirkungen auf die Haushalte der Länder. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung daher zu prüfen, inwieweit den für die Geltendmachung der Erstattungsansprüche zuständigen Behörden ein Zugriff auf diese Daten ermöglicht werden kann.
Dauer der Speicherung
15. Die Speicherung der Daten für eine Zeitdauer von fünf Jahren reicht nicht aus, um die Zwecke des VIS effektiv zu verwirklichen. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, sich für eine Speicherungsdauer von mindestens zehn Jahren einzusetzen.
Aufnahme des Betriebs
16. Das VIS kann seinen vollen Nutzen auch für die Landesbehörden erst dann entfalten, wenn alle Mitgliedstaaten Daten eingeben. Daher fordert der Bundesrat die Bundesregierung dazu auf, dafür Sorge zu tragen, dass in den Schlussbestimmungen eine Regelung aufgenommen wird, die einen möglichst zeitnahen Endzeitpunkt bestimmt, zu dem alle Mitgliedstaaten die rechtlichen und technischen Vorkehrungen zur Übermittlung von Daten an das VIS getroffen haben müssen.