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60. Steroidhormone

(BArbBl. 9/1999 S. 72)
Ausgabe: September 1999
(Stand: Mai 1999)


Unter dem Begriff Steroidhormone werden Gruppen von Substanzen zusammengefaßt, die anhand ihrer physiologischen (Haupt-) Wirkung bei Wirbeltieren und insbesondere beim Menschen als Estrogene, Gestagene, Androgene und deren jeweilige Antagonisten sowie als Anabolika und Glucocorticoide bezeichnet werden. Diese biologischen Wirkungen werden in den Zielgeweben eines Organismus (hauptsächlich) über die Bindung an intrazelluläre Proteine, die sog. Steroidhormonrezeptoren, vermittelt. Das gemeinsame strukturelle Bauprinzip all dieser Substanzen ist das Vorhandensein eines steroidalen Grundskeletts, welches als Gonan bzw. Steran bezeichnet wird und aus vier kondensierten Ringen besteht. Durch eine Vielzahl chemischer Varianten dieses steroidalen Grundgerüsts, etwa durch Anfügen von Substituenten und Einfügen von Doppelbindungen, leiten sich die natürlichen und synthetischen Vertreter der o.g. Wirkstoffklassen her.

Bei der Bewertung des reproduktionstoxischen, mutagenen und tumorigenen Potentials eines Steroidhormons ist zu unterscheiden zwischen den möglichen Auswirkungen der physiologischen Effekte auf den Organismus einerseits (klassentypisches Potential) und einem etwaigen spezifischen, nicht mit dem hormonellen Mechanismus zusammenhängenden Potential, reproduktionstoxische, mutagene und/oder tumorigene Wirkungen auszuüben (individuelles Potential). Die jeweiligen Gemeinsamkeiten hinsichtlich physiologischer Wirkungen legen eine nach Wirkstoffgruppen zusammenfassende Betrachtung der Steroidhormone nahe. Diese Gruppeneinteilung bedarf einer erklärenden Vorbemerkung; zu therapeutischen Zwecken eingesetzte Hormone mit Steroidstrukturen haben selten nur eine Wirkungsqualität (z.B. androgen, estrogen, gestagen etc.). Sie verfügen in der Regel über eine besonders ausgeprägte, den Stoff charakterisierende Hauptwirkung und zeigen daneben schwächer ausgeprägte, inhärente weitere Wirkungen. Bei Vor-, und Zwischenstufen sind die endokrinen Wirkungen oft nur schwach ausgeprägt. Diese unterschiedlichen Ausprägungen der spezifischen endokrinen Wirkungen sind sowohl bei der folgenden Gruppeneinteilung als, auch bei der Zuordnung der einzelnen Stoffe berücksichtigt worden. Für die quantitative Risikoabschätzung im Rahmen der Arbeitsplatzsicherheit ist jedoch eine individuelle Bewertung der Einzelsubstanzen unumgänglich.

Eine zusammenfassende Tabelle mit den vorgeschlagenen Einstufungen für die einzelnen Substanzklassen sowie eine Liste der eingestuften Stoffe, geordnet nach Wirkstoffgruppen, finden sich als Anlagen 1 und 2.

Androgene Steroide und Anabolika (Gruppen 1 und 2)

Die androgenen Steroide und Anabolika werden aufgrund von Übereinstimmungen in ihrem Wirkungsprofil (s.u.) der gleichen Einstufung zugeführt und deshalb auch gemeinsam abgehandelt.

Hohe Dosen von androgenen Substanzen führen im Tierexperiment und beim Menschen über eine verminderte Ausschüttung von Gonadotropin zu einer Einschränkung der Hodenfunktion. Bei wiederholter und starker Belastung über längere Zeiträume ist mit einer reversiblen Verminderung oder Unterbrechung der Spermatogenese und in der Folge einer Abnahme der Hodengröße zu rechnen [1].

In Embryotoxizitätsstudien sind nach Behandlung während der sensiblen Phase der Differenzierung fetaler Geschlechtsorgane mit Androgenen Maskulinisierungserscheinungen bei weiblichen Feten aufgetreten. Falls Frauen während der entsprechenden Phase der Schwangerschaft mit solchen Wirkstoffen belastet werden, muß mit dem Risiko einer Vermännlichung weiblicher Nachkommen gerechnet werden. Außerdem zeigen Androgene im Tierversuch eine embryoletale, schwangerschaftsunterbrechende Wirkung [2]. Gleichartige Wirkungen sind vom Menschen allerdings nicht bekannt.

Die anabolen Hormone zeigen eine gewisse, beim Menschen nachgewiesene androgene Aktivität, weshalb grundsätzlich gleichartige Wirkungen wie bei den Androgenen zu erwarten sind. Nach mißbräuchlicher Anwendung durch Sportler wurde über eine Abnahme der Spermienzahl und Hodengröße bzw. über Menstruationsstörungen berichtet [3]. Daher werden Anabolika in Bezug auf reproduktionstoxische Eigenschaften wie Androgene eingestuft, obwohl Unterschiede hinsichtlich der Wirkungsstärke zu erwarten sind.

Zur Frage der Mutagenität von Androgenen bzw. Anabolika liegen nach derzeitiger Kenntnis nur wenig experimentelle Daten vor. Das natürliche Hormon Testosteron wirkte an Bakterien (Salmonella typhimurium) nicht mutagen [4] und induzierte bei der Maus in vivo weder Mikrokerne [5] noch Abnormalitäten der Spermienmorphologie [6].

Für Testosteronproprionat wurden im Tiermodell nach subkutaner Implantation tumorigene Effekte auf den Uterus der Maus sowie die Prostata der Ratte beschrieben [7]. Beim Menschen ist davon auszugehen, daß Androgene das Wachstum vorhandener Prostatatumore fördern können. Außerdem wird aufgrund von Einzelfallbeschreibungen vermutet, daß die längerfristige Einnahme hochdosierter Androgene und Anabolika an der Entstehung von Lebertumoren beteiligt sein kann. Diese Fälle betrafen vor allem (hier nicht zur Einstufung anstehende) 17α-alkylierte Derivate, die auch durch eine erhöhte Inzidenz an Lebertoxizität beim Menschen auffielen [8]. Dagegen ergab der langjährige klinische Einsatz von Injektionspräparaten mit Testosteronpropionat und -enanthat (Testoviron®) bisher keine Anhaltspunkte für eine tumorigene Wirkung beim Menschen [9].

Eine tumorfördernde Wirkung der hier eingestuften Androgene und Anabolika beim Menschen ist demnach allenfalls bei chronischer Stimulation sensitiver endokriner Zielorgane durch kontinuierliche hohe Substanzaufnahme anzunehmen.

Einstufung: C: 3, M: -, RF: 1, RE: 2

Schwach androgene Steroide (Gruppe 3)

Da die betreffenden Substanzen (Prasteronenantat und Androstadiendion) im Tierexperiment nur schwach androgen wirksam sind oder eine androgene Wirkung nur vermutet wird, wird sowohl hinsichtlich der Beeinträchtigung der Fortpflanzungsfähigkeit als auch der fruchtschädigenden Wirkung die Kategorie 3 für angemessen gehalten.

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