zurück

83. Erläuterung zu α-Chlortoluole (Gemisch)

(BArbBl. 5/98 S. 67)



Die Einzelverbindungen sind in der TRGS 905 [1] wie folgt eingeordnet:

Dagegen ist das Gemisch aus α,α,α-Trichlortoluol, α,α-Dichlortoluol und α-Chlortoluol im Verzeichnis krebserzeugender "K", erbgutverändernder "M" oder fortpflanzungsgefährdender "RE, RF" Stoffe (TRGS 905 [1]) als krebserzeugend in die Kategorie 1 - nach Anhang 1 der GefStoffV - eingeordnet.

Für die drei Stoffe liegen bereits technisch abgeleitete Luftgrenzwerte vor. Für das Gemisch wird kein eigenständiger Luftgrenzwert festgelegt, da im technischen Regelwerk eine Vorgehensweise zur Beurteilung von Gemischen beschrieben ist (siehe Hinweise zur Beurteilung von Arbeitsplätzen).

Arbeitsmedizinische Erfahrungen

Technisch vorkommende Gemische enthalten α-Chlortoluol, α,α-Dichlortoluol und α,α,α-Trichlortoluol. Daneben kann auch Benzoylchlorid in technischen Gemischen vorkommen. Den Chlortoluolen ist eine ausgeprägte Reizwirkung auf Haut und Schleimhäute eigen. Sie haben einen stechenden Geruch und höhere Konzentrationen oberhalb von 10 mg/m3 führen schon nach wenigen Minuten zu unerträglichen Reizerscheinungen. Während 6-8 mg/m3 nach fünf Minuten zu leichten Bindehautentzündungen führen, sind 85 mg/m3 schon nach einer Minute unerträglich. Für α-Chlortoluol liegen arbeitsmedizinische Erfahrungen vor, die bei einer Exposition von 10 mg/m3 Klagen der Exponierten über Schwäche, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Appetit- und Schlaflosigkeit beschreiben. In den exponierten Kollektiven wurden erhöhte Serumbilirubinwerte gefunden. Auch über neurologische Ausfallserscheinungen (Tremor) und Blutbildveränderungen (Leukopenie) wurde berichtet. Aus tierexperimentellen Untersuchungen ist abzuleiten, daß α,α,α-Trichlortoluol auch nephrotoxisch wirken und Schilddrüsenveränderungen bewirken kann, wobei die tierexperimentellen Studien nur geringgradige histopathologische Veränderungen beschreiben.

Untersuchungen zur Kanzerogenität technischer Gemische am Menschen liegen von zwei Arbeitsgruppen vor. In einem Betrieb von 20 Mitarbeitern fiel die Erkrankung eines Nichtrauchers an einem Lungenkarzinom im Alter von 44 Jahren auf. In diesem Betrieb, der zwischen 1953 und 1973 insgesamt 41 Personen beschäftigt hat, wurden zwei weitere Lungenkarzinomfälle von einem 44- und 57-jährigen Raucher beobachtet, die 15 bzw. 6 Jahre exponiert waren. Von denselben Autoren wird über 2 weitere Lungenkarzinome aus einem anderen Betrieb berichtet, die zum Zeitpunkt der Diagnose 35 bzw. 40 Jahre alt waren, wobei der erste Nichtraucher war.

Die zweite Studie umfaßt eine Kohorte von 953 Personen, von denen 163 hoch und 790 als nicht exponiert eingestuft wurden. In dieser Kohorte wurden 5 Atemwegskarzinome und 5 Karzinome des Verdauungstraktes beobachtet, das bei 1,78 bzw. 1,24 erwarteten Fällen einer signifikant erhöhten SMR entspricht. In einem Follow-Up bis zum Jahr 1984 erhöhte sich die Zahl der Lungenkrebserkrankungen auf insgesamt 10 (3,02 erwartet, SMR 331; p < 0,01) in der exponierten Gruppe, während die nichtexponierten Beschäftigten keine signifikant erhöhte Lungenkrebsmortalität zeigte.

In einer weiteren Kohortenstudie an 697 Personen konnte gezeigt werden, daß die Zahl der Lungenkrebserkrankungen bei mehr als 15 Jahren Beschäftigten hochsignifikant ansteigt (SMR 399). Die Beurteilbarkeit der letzten Studie ist jedoch eingeschränkt, da das Rauchverhalten nicht berücksichtigt wurde, und der Beschäftigungsbetrieb direkt neben einer Kokerei lag. Die erkennbare Abhängigkeit der Dosis auf die Zahl der Erkrankten ist in deutlicher Hinweis auf die humankanzerogene Wirkung technischer Gemische von α-Chlortoluolen [2].

Toxikologische Erfahrungen

Das Gemisch bestehend aus den drei α-Chlortoluolen hat sich als kanzerogen am Menschen erwiesen [5]. Tierexperimentelle Daten zum Gemisch liegen nicht vor; daher muß bei der toxikologischen Bewertung des Gemisches auf die Befunde zu den vier Einzelkomponenten zurückgegriffen werden.

Zu den drei α-Chlortoluolen wurden bereits zusammenfassende Darstellungen in der TRGS 901 bzw. 906 veröffentlicht; die Bewertung von Benzoylchlorid wird ebenfalls in der TRGS 906 publiziert [3, 4].

Alle drei α-Chlortoluole haben sich im Tierversuch als genotoxisch und als deutlich kanzerogen (α-Chlor- und α,α,α-Trichlortoluol) bzw. krebsverdächtig (α,α-Dichlortoluol) erwiesen. Dabei traten sowohl lokale Tumoren (Lunge, Haut, Vormagen), als auch systemische Tumoren auf.

Das in technischen Gemischen möglicherweise anzutreffende Benzoylchlorid zeigt eine andere Wirkung. In den gängigen Testsystemen wurde keine genotoxische Wirkung beobachtet; die Daten zur Kanzerogenität sind aufgrund methodischer Unzulänglichkeiten nicht bewertbar. Insgesamt scheint Benzoylchlorid kein nennenswertes kanzerogenes Potential zu besitzen, wahrscheinlich bedingt durch die rasche Hydrolyse der Substanz. Aus diesem Grund bleibt Benzoylchlorid beim Einstufungsvorschlag für das Gemisch abweichend von dem Vorschlag der DFG-Senatskommission [2] unberücksichtigt.

Insgesamt ist damit das Gemisch aus den drei α-Chlortoluolen aufgrund der vorliegenden toxikologischen Daten zu den Einzelkomponenten als genotoxisch und als kanzerogen im Tierversuch anzusehen; die humankanzerogene Wirkung ist durch epidemiologische Daten belegt.

Meßverfahren

Anerkannte Analysenverfahren für α-Chlor-, α,α-Dichlor- und α,α,α-Trichlortoluol liegen in der ZH 1/120-Sammlung vor. Die Probenahme erfolgt auf Tenax, nach Desorption mit n-Hexan folgt eine gaschromatographische Bestimmung. Die Bestimmungsgrenzen liegen übereinstimmend bei 0,01 mg/m3 für 48l Probeluftvolumen.

Herstellung und Vorkommen

Die α-Chlortoluole werden durch Chlorierung von Toluol und destillative Auftrennung hergestellt. α,α-Dichlortoluol kommt ausschließlich intermediär auf dem Weg zu α,α,α-Trichlortoluol vor. Benzoylchlorid kann in Spuren infolge eines geringen Wassergehaltes in Toluol entstehen, vorwiegend jedoch durch partielle Hydrolyse von reinem α,α,α-Trichlortoluol.

Sowohl bei der Chlorierung als auch bei der Destillation werden Proben zur Qualitätsüberwachung gezogen. Die Reinprodukte werden in Kesselwagen und Fässer abgefüllt.

Weniger als 100 Beschäftigte sind in dem oben beschriebenen Chlorierbetrieb regelmäßig oder gelegentlich eingesetzt.

Ergebnisse von Arbeitsbereichsmessungen

Die Arbeitsplatzmeßergebnisse für α-Chlortoluol, α,α-Dichlortoluol und α,α,α-Trichlortoluol wurden bereits veröffentlicht (TRGS 901 Teil II lfd. Nr. 44, 75 und 71).

Hinweise zur Beurteilung von Arbeitsplätzen

Für die einzelnen Stoffe sind in der TRGS 900 bereits die folgenden Luftgrenzwerte festgelegt worden:

α-Chlortoluol: 0,2 mg/m3 (TRK)
α,α-Dichlortoluol: 0,1 mg/m3 (MAK)
α,α,α-Trichlortoluol: 0,1 mg/m3 (TRK)

In der Analytik werden die drei Stoffe individuell bestimmt; zum Vergleich mit einem Grenzwert für Gemische ist dann ein Additionsverfahren erforderlich. Für die Bewertung von Stoffgemischen gibt die TRGS 403 ein Additionsverfahren an.

Literatur

[1] TRGS 905 "Verzeichnis krebserzeugender, erbgutverändernder oder fortpflanzungsgefährdender Stoffe" BArbBl. (1997) Nr. 6, S.40-46

[2] Henschler, D. (Hrsg.) Gesundheitsschädliche Arbeitsstoffe Toxikologisch-arbeitsmedizinische Begründung von MAK-Werten Verlag Chemie, Weinheim (1975)

[3] TRGS 901 "Begründungen und Erläuterungen zu Grenzwerten in der Luft am Arbeitsplatz". Teil II lfd. Nr. 44 und 71, BArbBl. Heft 9/1993 S. 76 und BArbBl. Heft 5/1996 S. 59

umwelt-online - Demo-Version


(Stand: 20.08.2018)

Alle vollständigen Texte in der aktuellen Fassung im Jahresabonnement
Nutzungsgebühr: 90.- € netto (Grundlizenz)

(derzeit ca. 7200 Titel s.Übersicht - keine Unterteilung in Fachbereiche)

Preise & Bestellung

Die Zugangskennung wird kurzfristig übermittelt

? Fragen ?
Abonnentenzugang/Volltextversion