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Methoden zur Bestimmung der Toxizität

B.38 Verzögerte Neurotoxizitat phosprororganischer Substanzen
bei wiederholter Gabe über 28 Tage

Anhang V
zur RL 67/548/EWG

zur aktuellen Fassung

B.38. 1. Methode

B.38. 1.1. Einleitung

Bei der Abschätzung und Bewertung der toxischen Wirkungen von Substanzen muß auch das Potential bestimmter Substanzklassen für spezifische neurotoxische Wirkungen, die in anderen Toxizitätsstudien möglicherweise nicht nachweisbar sind untersucht werden. Bei einigen phosphororganischen Verbindungen wurden verzögerte neurotoxische Wirkungen beobachtet; diese Substanzen kommen für eine Untersuchung mit der vorliegenden Methode in Frage.

In-vitro-Screening-Tests könnten verwendet werden, um Substanzen zu identifizieren, die eine verzögerte Polyneuropathie hervorrufen können; allerdings lassen negative Ergebnisse von Invitro-Studien nicht darauf schließen, daß die Prüfsubstanz kein Neurotoxikum ist.

Diese Prüfung auf verzögerte Neurotoxizität nach 28tägiger Gabe gibt Aufschluß über mögliche Gesundheitsgefahren infolge wiederholter Exposition über einen begrenzten Zeitraum. Die Prüfung erlaubt Rückschlüsse auf die Dosis-Wirkungs-Beziehung und ermöglicht die Abschätzung einer Schwellendosis, unterhalb der keine toxische Wirkung mehr feststellbar ist (NOAEL).

Mit Hilfe des NOAEL lassen sich Sicherheitskriterien für die Exposition beim Menschen festlegen.

Siehe auch Allgemeine Einführung Teil B.

B.38. 1.2. Definitionen

Zu den phosphororganischen Substanzen zählen ungeladene phosphororganische Ester, Thioester oder Anhydride von Phosphinsäuren, Phosphonsäuren bzw. Phosphoramidsäuren oder die engverwandten Thiophosphinsäuren, Thiophosphonsäuren bzw. Thiophosphoramidsäuren oder sonstige Substanzen, welche die bei dieser Substanzklasse bisweilen zu beobachtende verzögerte Neurotoxizität hervorrufen können.

Verzögerte Neurotoxizität ist ein Syndrom, das mit langsamem, verzögertem Auftreten von Ataxien, distalen Axonopathien in Rückenmarks- und peripheren Nerven sowie einer Hemmung und Alterung der Neuropathy target Esterase (NTE) im Nervengewebe verbunden ist.

B.38. 1.3. Prinzip der Prüfmethode

Die Prüfsubstanz wird 28 Tage lang einmal täglich oral an Haushühner verabreicht Die Tiere werden bis 14 Tage nach der letzten Gabe mindestens einmal täglich auf auffälliges Verhalten, Ataxie und Paralysen hin beobachtet. Biochemische Parameter, insbesondere die Neuropathy target Esterase (NTE), werden im allgemeinen 24 und 48 Stunden nach Verabreichung der letzten Dosis bei Rennen bestimmt, die nach Zufallskriterien aus jeder Gruppe ausgewählt werden. Zwei Wochen nach der letzten Gabe werden die verbliebenen Rennen getötet, und ausgewählte Nervengewebe werden histopathologisch untersucht.

B.38. 1.4. Beschreibung der Prüfmethode

B.38. 1.4.1. Vorbereitungen

Gesunde junge erwachsene Rennen, die frei von störenden Viruserkrankungen und Arzneimitteln sind und keine Gangstörungen aufweisen, werden randomisiert, der Behandlungs- oder der Kontrollgruppe zugeteilt und für die Dauer von mindestens fünf Tagen vor Beginn der Studie an die Laborbedingungen akklimatisiert.

Die Käfige oder Gehege sollten so groß sein, daß sich die Tiere frei bewegen können und ihr Gangbild gut zu beobachten ist.

Die orale Gabe der Prüfsubstanz an 7 Tagen in der Woche sollte vorzugsweise mittels Magensonde oder Verabreichung von Gelatinekapseln erfolgen. Flüssigkeiten können unverdünnt oder aufgelöst in einem geeigneten Vehikel wie z. 8. Maisöl verabreicht werden. Feste Substanzen sollten nach Möglichkeit aufgelöst werden, da größere Dosen fester Stoffe in Gelatinekapseln möglicherweise nicht wirksam resorbiert werden. Bei nichtwässrigen Vehikeln sollten deren toxische Eigenschaften bekannt sein. Ist dies nicht der Fall, müssen sie vor der Prüfung bestimmt werden.

B.38. 1.4.2. Prüfbedingungen

B.38. 1.4.2.1. Versuchstiere

Junge erwachsene Legehennen (Gallus gallus domesticus) im Alter von 8 bis 12 Monaten werden für den Test empfohlen. Normalgroße Rassen sollten verwendet werden, und die Rennen sollten normalerweise unter Bedingungen aufgewachsen sein, unter denen sie sich frei bewegen konnten.

B.38. 1.4.2.2. Anzahl und Geschlecht

In der Regel sollten mindestens drei Behandlungsgruppen sowie eine Vehikelkontrollgruppe getestet werden. Die Vehikelkontrollgruppe ist, abgesehen von der Verabreichung der Prüfsubstanz, genauso zu behandeln wie die Behandlungsgruppen.

Die Anzahl der Tiere in jeder Gruppe sollte so bemessen sein, daß mindestens sechs zur Bestimmung biochemischer Parameter (jeweils drei Tiere zu zwei Beobachtungszeitpunkten) getötet werden können und mindestens sechs Tiere für die pathologische Untersuchung bis 14 Tage nach der letzten Gabe überleben.

B.38. 1.4.2.3. Dosierungen

Bei der Wahl der Dosisstufen sind die Ergebnisse einer Akutprüfung auf verzögerte Neurotoxizität sowie weitere vorliegende Daten zur Toxizität oder Kinetik der Prüfsubstanz berücksichtigt worden. Die höchste Dosis sollte so gewählt werden, daß zwar toxische Wirkungen, vorzugsweise eine verzögerte Neurotoxizität, aber keine Todesfälle oder schweres Leiden hervorgerufen werden. Anschließend sollte eine absteigende Folge von Dosisstufen gewählt werden, um dosisabhängige Wirkungen und die niedrigste Dosis ohne zu beobachtende unerwünschte Wirkungen nachzuweisen.

B.38. 1.4.2.4. Limit-Test

Verursacht die Prüfung einer Dosis von mindestens 1000 mg/kg Körpergewicht pro Tag unter Verwendung der für diese Studie beschriebenen Verfahren keine feststellbaren toxischen Wirkungen, und ist aufgrund der Daten strukturverwandter Substanzen keine Toxizität zu erwarten, kann auf eine Studie mit einer höheren Dosis gegebenenfalls verzichtet werden. Der Limit-Test findet allerdings keine Anwendung, wenn die Expositionswirkungen beim Menschen die Prüfung in einer höheren Dosis angezeigt erscheinen lassen.

B.38. 1.4.2.5. Beobachtungszeitraum

Alle Tiere werden während der Expositionsdauer und bis 14 Tage danach mindestens täglich beobachtet, sofern sie nicht für die Sektion vorgesehen sind.

B.38. 1.4.3. Versuchsdurchführung

Die Tiere erhalten die Prüfsubstanz für die Dauer von 28 Tagen an sieben Tagen in der Woche.

B.38. 1.4.3.1. Allgemeine Beobachtungen

Die Beobachtungen sollten unmittelbar nach Behandlungsbeginn beginnen. Alle Hennen sind an jedem der 28 Behandlungstage und an den 14 Tagen nach der letzten Gabe oder bis zur vorgesehenen Tötung mindestens einmal täglich zu beobachten. Alle Toxizitätszeichen, einschließlich Zeitpunkt ihres Beginns sowie Art, Schweregrad und Dauer sind zu dokumentieren. Die Beobachtungen sollten auch, jedoch nicht nur, Verhaltensauffälligkeiten einschließen. Die Ataxie wird auf einer Ordinalskala aus mindestens vier Stufen bewertet, und Paralysen werden ebenfalls dokumentiert. Mindestens zweimal wöchentlich sollten die Rennen aus dem Käfig genommen und für einen bestimmten Zeitraum zu verstärkter motorischer Aktivität, z.B. durch Begehen einer Leiter, gezwungen werden, um die Beobachtung bereits geringster toxischer Wirkungen zu erleichtern. Moribunde Tiere und Tiere, bei denen schweres Leiden oder starke Schmerzen festgestellt werden, sollten ausgesondert, unter Verwendung einer tierschutzgerechten Methode getötet und seziert werden.

B.38. 1.4.3.2. Körpergewicht

Alle Rennen müssen unmittelbar vor der ersten Gabe der Prüfsubstanz und danach mindestens einmal wöchentlich gewogen werden.

B.38. 1.4.3.3. Biochemische Untersuchungen

Je sechs Rennen, die nach Zufallskriterien aus der Behandlungs- und der Vehikelkontrollgruppe ausgewählt werden, sollten einige Tage nach der letzten Gabe der Prüfsubstanz getötet werden, um Gehirn und lumbales Rückenmark zu präparieren, und auf hemmende Aktivität gegen Neuropathy target Esterase (NTE) zu untersuchen. Auch die Präparation und Untersuchung des Ischiasnervengewebes auf hemmende Aktivität gegen Neuropathy target Esterase kann aufschlußreich sein. In der Regel werden drei Tiere der Kontrollgruppe sowie jeder Behandlungsgruppe nach 24 Stunden und drei 48 Stunden nach der letzten Dosis getötet. Sind aufgrund der Daten aus der Akutstudie oder aus anderen Untersuchungen (z.B. zur Toxikokinetik) andere Tötungszeiten nach der letzten Gabe der Prüfsubstanz angezeigt, sollte entsprechend vorgegangen und das geänderte Vorgehen begründet werden.

An diesen Proben können auch Bestimmungen der Acetylcholinesterase (AChE) vorgenommen werden, wenn dies angezeigt erscheint. Allerdings kann es in vivo zur spontanen Reaktivierung von AChE kommen, so daß die Wirksamkeit der Prüfsubstanz als AChE-Hemmer unterschätzt wird.

B.38. 1.4.3.4. Autopsie

Alle Versuchstiere (sowohl die nach Plan getöteten als auch die aufgrund ihres moribunden Zustands getöteten) werden einer Autopsie zur Untersuchung von Gehirn und Rückenmark unterzogen.

B.38. 1.4.3.5. Histopathologische Untersuchung

Nervengewebe von Tieren, die die Beobachtungsdauer überleben und nicht für biochemische Untersuchungen vorgesehen sind, wird mikroskopisch untersucht. Die Gewebe werden in situ mittels Perfusionsverfahren fixiert. Gewebeschnitte werden unter anderem von Cerebellum (mittlere Längsebene), Medulls oblongata, Rückenmark und peripheren Nerven angefertigt. Die Rückenmarkachnitte sind vom oberen Halswirbelsegment, der mittleren thorakalen und der lumbosakralen Region zu entnehmen. Auch vom distalen Bereich des Nervus tibialis und seiner Verzweigungen zum Musculus gastrocnemius sowie vom Nervus sciaticus sollten Schnitte angefertigt werden. Die Schnitte werden mit geeigneten myelin- und axonspezifischen Färbemitteln angefärbt. Die mikroskopischen Untersuchungen sind zunächst an den konservierten Geweben aller Tiere in der Kontrollgruppe sowie der höchsten Dosisgruppe vorzunehmen. Ergeben sich Anhaltspunkte für Wirkungen in der höchsten Dosisgruppe, sollte die mikroskopische Untersuchung auch bei den Hennen aus der mittleren und niedrigen Dosisgruppe erfolgen.

B.38. 2. Daten

Negative Ergebnisse für die in dieser Methode gewählten Endpunkte (Biochemie, Histopathologie und Verhaltensbeobachtung) erfordern normalerweise keine weiteren Untersuchungen auf eine verzögerte Neurotoxizität. Zweifelhafte oder unklare Ergebnisse für diese Endpunkte erfordern ggf. weitere Untersuchungen.

Die Daten für die einzelnen Tiere sollten aufgeführt werden. Ferner sollten alle Daten in tabellarischer Form zusammengefaßt werden. Daraus müssen für jede Prüfgruppe folgende Angaben hervorgehen: die Anzahl der verwendeten Tiere bei Beginn der Prüfung, die Anzahl der Tiere mit Läsionen, verhaltensbezogenen oder biochemischen Wirkungen, die Arten und Schweregrade dieser Läsionen bzw. Wirkungen sowie der Anteil der von den verschiedenen Arten und Schweregraden der Läsionen bzw. Wirkungen betroffenen Tiere.

Die Ergebnisse dieser Studie sind im Hinblick auf Häufigkeit, Schweregrad und Korrelation der verhaltensbezogenen, biochemischen und histopathologischen Wirkungen sowie sonstiger verzeichneter Wirkungen in den Behandlungs- und. Kontrollgruppen zu bewerten.

Die numerischen Daten sind nach Möglichkeit durch geeignete und allgemein akzeptierte statistische Verfahren auszuwerten. Diese statistischen Verfahren sollten bei der Festlegung des Designs der Studie ausgewählt werden.

B.38. 3. Abschlußbericht

Prüfbericht

Der Prüfbericht soll nach Möglichkeit folgende Angaben enthalten:

Versuchstiere:

Prüfbedingungen

Ergebnisse:

Diskussion der Ergebnisse.

Schlußfolgerungen.

B.38. 4. Literatur

Diese Methode entspricht der OECD TG 419.

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