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Methoden zur Bestimmung der Toxizität

B.37 Verzögerte Neurotoxizität phosphororganischer Substanzen
nach akuter Exposition

Anhang V
zur RL 67/548/EWG

zur aktuellen Fassung

B.37. 1. Methode

B.37. 1.1. Einleitung

Bei der Abschätzung und Bewertung der toxischen Wirkungen von Substanzen muß auch das Potential bestimmter Substanzklassen für spezifische neurotoxische Wirkungen, die in anderen Toxizitätsstudien möglicherweise nicht nachweisbar sind, untersucht werden. Bei einigen phosphororganischen Verbindungen wurden verzögerte neurotoxische Wirkungen beobachtet; diese Substanzen kommen für eine Untersuchung mit der vorliegenden Methode in Frage.

In-vitro-Screening-Tests könnten verwendet werden, um Substanzen zu identifizieren, die eine verzögerte Polyneuropathie hervorrufen können; allerdings lassen negative Ergebnisse von Invitro-Studien nicht darauf schließen, daß die Prüfsubstanz kein Neurotoxikum ist.

Siehe auch Allgemeine Einführung Teil B.

B.37. 1.2. Definitionen

Zu den phosphororganiscben Substanzen zählen ungeladene phosphororganische Ester, Thioester oder Anhydride von Phosphinsäuren, Phosphonsäuren bzw. Phosphoramidsauren oder die engverwandten Thiophosphinsäuren, Thiophosphonsäuren bzw. Thiophosphoramidsäuren oder sonstige Substanzen, welche die bei dieser Substanzklasse bisweilen zu beobachtende verzögerte Neurotoxizität aufweisen können.

Verzögerte Neurotoxizität ist ein Syndrom, das mit langsamem, verzögertem Auftreten von Ataxien, distalen Axonopathien in Rückenmarks- und peripheren Nerven sowie einer Hemmung und Alterung der Neuropathy target Esterase (NTE) im Nervengewebe verbunden ist.

B.37 . Referenzsubstanzen

Eine Referenzsubstanz kann mit einer positiven Kontrollgruppe getestet werden, um nachzuweisen, daß sich die Reaktion der geprüften Spezies unter den Laborversuchsbedingungen nicht wesentlich verändert hat.

Ein Beispiel für ein weitverbreitetes Neurotoxikum ist das Tri-o-tolylphosphat (CAS 78-30-8, EINECS 201-103-5, CAS-Bezeichnung: Tris(2-methylphenyl)phosphorsäureester), das auch als Tris-o-cresylphosphat bezeichnet wird.

B.37. 1.4. Prinzip der Prüfmethode

Die Prüfsubstanz wird oral als Einmalgabe an Haushühner verabreicht, die ggf. gegen akute cholinergische Wirkungen geschützt wurden. Die Tiere werden für die Dauer von 21 Tagen auf Verhaltensauffälligkeiten, Ataxie und Paralysen hin beobachtet. Biochemische Parameter, insbesondere die Neuropathy target Esterase (NTE), werden im allgemeinen 24 und 48 Stunden nach Verabreichung bei Rennen bestimmt, die nach Zufallskriterien aus jeder Gruppe ausgewählt werden. 21 Tage nach der Exposition werden die verbliebenen Hennen getötet, und ausgewählte Nervengewebe werden histopathologisch untersucht.

B.37. 1.5. Beschreibung der Prüfmethode

B.37. 1.5.1. Vorbereitungen

Gesunde junge erwachsene Hennen, die frei von störenden Viruserkrankungen und Arzneimitteln sind und keine Gangstörungen aufweisen, werden randomisiert, der Behandlungs- oder der Kontrollgruppe zugeteilt und für die Dauer von mindestens fünf Tagen vor Beginn der Studie an die Laborbedingungen akklimatisiert.

Die Käfige oder Gehege sollten so groß sein, daß sich die Tiere frei bewegen können und ihr Gangbild gut zu beobachten ist.

Die Gabe der Prüfsubstanz erfolgt normalerweise auf oralem Wege mittels Magensonde, Gelatinekapseln oder einer vergleichbaren Methode. Flüssigkeiten können unverdünnt oder aufgelöst in einem geeigneten Vehikel wie z. 8. Maisöl verabreicht werden. Feste Substanzen sollten nach Möglichkeit aufgelöst werden, da größere Dosen fester Stoffe in Gelatinekapseln möglicherweise nicht wirksam resorbiert werden. Bei nichtwässrigen Vehikeln sollten deren toxische Eigenschaften bekannt sein. Ist dies nicht der Fall, müssen sie vor der Prüfung bestimmt werden.

B.37. 1.5.2. Prüfbedingungen

B.37. 1.5.2.1. Versuchstiere

Junge erwachsene Legehennen (Gallus gallus domesticus) im Alter von 8 bis 12 Monaten werden für den Test empfohlen. Normalgroße Rassen sollten verwendet werden, und die Hennen sollten in der Regel unter Bedingungen aufgewachsen sein, unter denen sie sich frei bewegen konnten.

B.37. 1.5.2.2. Anzahl und Geschlecht

Neben der Behandlungsgruppe sollte eine Vehikelkontrollgruppe und eine positive Kontrollgruppe getestet werden. Die Vehikelkontrollgruppe ist, abgesehen von der Verabreichung der Prüfsubstanz, genauso zu behandeln wie die Behandlungsgruppe.

Die Anzahl der Tiere in jeder Gruppe sollte so bemessen sein, daß mindestens sechs Tiere zur Bestimmung biochemischer Parameter (jeweils drei Tiere zu zwei Beobachtungszeitpunkten) getötet werden können und sechs Tiere für die pathologische Untersuchung bis zum 21. Tag überleben.

Die positive Kontrollgruppe kann gleichzeitig getestet werden oder es kann sich um eine bereits zuvor untersuchte Kontrollgruppe handeln. Die Gruppe sollte aus mindestens sechs Rennen bestehen, die mit einem bekannten verzögerten Neurotoxikum behandelt wurden. Drei der Tiere sind für biochemische, drei für pathologische Untersuchungen nach Ende des Tests vorgesehen. Es empfiehlt sich eine regelmäßige Aktualisierung der Archivdaten. Neue positive Kontrolldaten sollten erarbeitet werden, wenn ein wesentlicher Aspekt des Testablaufs (z.B. Rasse, Futter, Haltungsbedingungen) vom durchführenden Labor geändert wurde.

B.37. 1.5.2.3. Dosierungen

In einer Vorstudie an einer geeigneten Zahl von Tieren und Dosisgruppen ist die in der Hauptstudie zu verwendende Dosis zu ermitteln. Hierbei sind in der Regel einige Todesfälle erforderlich, um eine angemessene Dosis für die Hauptstudie festlegen zu können. Um aber Todesfälle durch akute cholinerge Wirkungen zu vermeiden, kann Atropin oder ein anderer schützender Wirkstoff, von dem man weiß, daß er keinen Einfluß auf verzögerte neurotoxische Wirkungen hat, verabreicht werden. Zur Abschätzung der maximalen nicht letalen Dosis der Prüfsubstanz stehen eine Reihe verschiedener Methoden zur Auswahl (siehe Methode B.1 bis). Bereits vorliegende frühere Daten für Rennen oder andere toxikologische Daten können ebenfalls bei der Wahl der Dosis von Bedeutung sein.

Die Dosis der Prüfsubstanz in der Hauptstudie sollte unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Vorstudie zur Dosisfindung sowie der oberen Grenzdosis von 2000 mg/kg Körpergewicht möglichst hoch sein. Auch wenn Todesfälle auftreten, sollten bis zum 21. Tag genügend Tiere für die biochemischen (sechs) und die histologischen Untersuchungen (sechs) überleben. Um Todesfälle infolge akuter cholinergischer Wirkungen auszuschließen, sollte Atropin oder ein anderer schützender Wirkstoff, der nachgewiesenermaßen keinen Einfluß auf verzögerte neurotoxische Wirkungen hat, gegeben werden.

B.37. 1.5.2.4. Limit-Test

Verursacht die Prüfung einer Dosis von mindestens 2000 mg/kg Körpergewicht pro Tag unter Verwendung der für diese Studie beschriebenen Verfahren keine feststellbaren toxischen Wirkungen, und ist aufgrund der Daten strukturverwandter Substanzen keine Toxizität zu erwarten, kann auf eine Studie mit einer höheren Dosis gegebenenfalls verzichtet werden. Der Limit-Test findet allerdings keine Anwendung, wenn die Expositionswirkungen beim Menschen die Prüfung in einer höheren Dosis angezeigt erscheinen lassen.

B.37. 1.5.2.5. Beobachtungszeitraum

Der Beobachtungszeitraum sollte 21 Tage betragen.

B.37. 1.5.3. Versuchsdurchführung

Nach Verabreichung eines schützenden Wirkstoffs zur Verhinderung von Todesfällen durch akute cholinergische Wirkungen wird die Prüfsubstanz als Einmalgabe verabreicht.

B.37. 1.5.3.1. Allgemeine Beobachtungen

Die Beobachtungen sollten unmittelbar nach der Exposition beginnen. Alle Rennen sind in den ersten beiden Tagen mehrmals am Tag und danach bis zum 21. Tag oder bis zur vorgesehenen Tötung mindestens einmal täglich zu beobachten. Alle Toxizititszeichen, einschließlich Zeitpunkt des Beginns, Art, Schweregrad und Dauer von Verhaltensauffälligkeiten, sind zu dokumentieren. Die Ataxie wird auf einer Ordinalskala aus mindestens vier Stufen bewertet, und Paralysen werden dokumentiert. Mindestens zweimal wöchentlich sollten die für die pathologische Untersuchung vorgesehenen Rennen aus dem Käfig genommen und für einen bestimmten Zeitraum zu verstärkter motorischer Aktivität, z.B. durch Begehen einer Leiter, gezwungen werden, um die Beobachtung bereits geringster toxischer Wirkungen zu erleichtern. Moribunde Tiere und Tiere, bei denen schweres Leiden oder starke Schmerzen festgestellt werden, sollten ausgesondert, unter Verwendung einer tierschutzgerechten Methode getötet und seziert werden.

B.37. 1.5.3.2. Körpergewicht

Alle Hennen müssen unmittelbar vor der Verabreichung der Prüfsubstanz und danach mindestens einmal wöchentlich gewogen werden.

B.37. 1.5.3.3. Biochemische Untersuchungen

Je sechs Hennen, die nach Zufallskriterien aus der Behandlungs- und der Vehikelkontrollgruppe ausgewählt werden, sowie drei Hennen aus der positiven Kontrollgruppe (wenn diese Gruppe gleichzeitig getestet wird), sollten einige Tage nach der Ga6e der Prüfsubstanz getötet werden, um Gehirn- und lumbales Rückenmark zu präparieren und auf hemmende Aktivität gegen Neuropathy target Esterase zu untersuchen. Auch die Präparation und Untersuchung des Ischiasnervengewebes auf hemmende Aktivität gegen Neuropathy target Esterase kann aufschlußreich sein. In der Regel werden drei Tiere der Negativkontrolle sowie jeder Behandlungsgruppe nach 24 Stunden und drei nach 48 Stunden getötet, während die drei Hennen der Positivkontrolle nach 24 Stunden getötet werden sollten. Zeigt die Beobachtung der klinischen Zeichen der Intoxikation (z.B. durch Beobachtung des zeitlichen Beginns der cholinergen Zeichen), daß der toxische Wirkstoff möglicherweise ausgesprochen langsam eliminiert wird, empfiehlt es sich gegebenenfalls, von je drei Tieren zu jeweils zwei Zeitpunkten innerhalb von 24 bis spätestens 72 Stunden nach der Verabreichung der Prüfsubstanz Gewebeproben zu entnehmen.

An diesen Proben können auch Bestimmungen der Acetylcholinesterase (AChE) vorgenommen werden, wenn dies angezeigt erscheint. Allerdings kann es in vivo zur spontanen Reaktivierung von AChE kommen, so daß die Wirksamkeit der Prüfsubstanz als AChE-Hemmer unterschätzt wird.

B.37. 1.5.3.4. Autopsie

Alle Versuchstiere (sowohl die nach Plan getöteten als auch die aufgrund ihres moribunden Zustands getöteten) werden einer Autopsie zur Untersuchung von Gehirn und Rückenmark unterzogen.

B.37. 1.5.3.5. Histopathologische Untersuchung

Nervengewebe von Tieren, die die Beobachtungsdauer überleben und nicht für biochemische Untersuchungen vorgesehen sind, wird mikroskopisch untersucht. Die Gewebe werden in situ mittels Perfusionsverfahren fixiert. Gewebeschnitte werden unter anderem von Cerebellum (mittlere Längsebene), Medulls oblongata, Rückenmark und peripheren Nerven angefertigt. Die Rückenmarkschnitte sind vom oberen Halswirbelsegment, der mittleren thorakalen und der lumbosakralen Region zu entnehmen. Auch vom distalen Bereich des Nervus tibialis und seiner Verzweigungen zum Musculus gastrocnemius sowie vom Nervus sciaticus sollten Schnitte angefertigt werden. Die Schnitte werden mit geeigneten myelin- und axonspezifischen Färbemitteln angefärbt.

B.37. 2. Daten

Negative Ergebnisse für die in dieser Methode gewählten Endpunkte (Biochemie, Histopathologie und Verhaltensbeobachtung) erfordern normalerweise keine weiteren Untersuchungen auf eine verzögerte Neurotoxizität. Zweifelhafte oder unklare Ergebnisse für diese Endpunkte erfordern ggf. weitere Untersuchungen.

Die Daten für die einzelnen Tiere sollten aufgeführt werden. Ferner sollten alle Daten in tabellarischer Form zusammengefaßt werden. Daraus müssen für jede Prüfgruppe folgende Angaben hervorgehen: die Anzahl der verwendeten Tiere bei Beginn der Prüfung, die Anzahl der Tiere mit Läsionen, verhaltensbezogenen oder biochemischen Wirkungen, die Arten und Schweregrade dieser Läsionen bzw. Wirkungen sowie der Anteil der von den verschiedenen Arten und Schweregraden der Läsionen bzw. Wirkungen betroffenen Tiere.

Die Ergebnisse dieser Studie sind im Hinblick auf Häufigkeit, Schweregrad und Korrelation der verhaltensbezogenen, biochemischen und histopathologischen Wirkungen sowie sonstiger verzeichneter Wirkungen in den Behandlungs- und Kontrollgruppen zu bewerten.

Die numerischen Daten sind nach Möglichkeit durch geeignete und allgemein akzeptierte statistische Verfahren auszuwerten. Diese statistischen Verfahren sollten bei der Festlegung des Designs der Studie ausgewählt werden.

B.37. 3. Abschlußbericht

Prüfbericht

Der Prüfbericht soll nach Möglichkeit folgende Angaben enthalten:

Versuchstiere:

Prüfbedingungen;

Ergebnisse

Diskussion der Ergebnisse

Schlußfolgerungen.

B.37. 4. Literatur

Diese Methode entspricht der OECD TG 418.

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