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Maßnahmen bei Zwischenfällen mit radioaktiven Stoffen
- Hessen -
Fassung 2008
(StAnz. Nr. 49 vom 01.12.2008 S. 3125; 06.01.2014 S. 19 aufgehoben)
Archiv: 2003
Gemeinsamer Runderlass des Hessischen Ministeriums für Umwelt, ländlichen Raum und Verbraucherschutz, des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport und des Hessischen Ministeriums der Justiz
1. Gefährdung durch radioaktive Stoffe
Radioaktive Stoffe emittieren ohne äußere Beeinflussung Energie in Form nicht sichtbarer Strahlung (Alpha-, Beta- und/oder Gamma-Strahlung, im Einzelfall Neutronenstrahlung). Radioaktivität ist mit menschlichen Sinnen nicht wahrnehmbar und kann nur mit geeigneten Messgeräten festgestellt werden. Radioaktive Stoffe können in fester oder flüssiger Form oder gasförmig vorliegen. Eine optische Unterscheidung zu anderen Stoffen ist nicht möglich. Offene radioaktive Stoffe werden vorwiegend in der Medizin und der Forschung verwendet. In Industrie und Gewerbe werden hauptsächlich umschlossene Strahler eingesetzt.
Aus Zwischenfällen mit radioaktiven Stoffen können sich erhebliche Gefahren für die Einsatzkräfte, die Bevölkerung und die Umwelt ergeben. Gefahren können auftreten durch:
Unsachgemäßer Umgang mit radioaktiven Stoffen kann diese Gefahren vergrößern. Maßnahmen zur Gefahrenabwehr sind daher in erster Linie darauf ausgerichtet, Strahlenschutzfachkräfte so früh wie möglich in das Geschehen einzubeziehen.
2. Regelungsgegenstand
Der Runderlass enthält Regelungen über die Zusammenarbeit der Behörden und sonstigen Einrichtungen, die bei Zwischenfällen mit radioaktiven Stoffen zuständig sind oder im Wege der Amtshilfe tätig werden. Die strikte Einhaltung der hier getroffenen Regelungen ist notwendig, um die unverzügliche Durchführung der erforderlichen Maßnahmen zu gewährleisten und notwendige Entscheidungen nicht zu verzögern. Der Runderlass gibt Hinweise zur Bewältigung der Lage nach einem Zwischenfall mit radioaktiven Stoffen.
Der Runderlass gilt nicht für Zwischenfälle
3. Zuständigkeiten
Angelegenheiten des Strahlenschutzes (ausgenommen Röntgenverordnung) fallen gemäß Beschluss der Landesregierung vom 2. November 2005 über die Zuständigkeit der einzelnen Ministerien nach Art. 104 Abs. 2 der Verfassung des Landes Hessen (GVBl. I S. 702) in die Ressortzuständigkeit des Hessischen Ministeriums für Umwelt, ländlichen Raum und Verbraucherschutz (HMULV).
Die für diese Aufgaben erforderlichen Strahlenschutzfachkräfte des Landes Hessen sind verfügbar beim HMULV, den Regierungspräsidien (RPU) sowie dem Hessischen Landesamt für Umwelt und Geologie (HLUG). Ihre Erreichbarkeit für Zwischenfälle mit radioaktiven Stoffen ergibt sich aus dem durch das HMULV fortlaufend aktualisierten "Strahlenschutz-Alarmplan". Der Strahlenschutz-Alarmplan wird dem Lagezentrum der Landesregierung im Hessischen Ministerium des Innern und für Sport und den darin aufgeführten Behörden zur Verfügung gestellt, er wird nicht veröffentlicht.
Zwischenfälle mit radioaktiven Stoffen oder ionisierender Strahlung (vergleiche Nr. 5) gehen häufig über reine Strahlenschutzangelegenheiten hinaus, meist sind originäre Zuständigkeiten unterschiedlicher Behörden des Innen- und Umweltressorts berührt, die auf unterschiedlichen Rechtsgrundlagen beruhen (zum Beispiel HSOG, HBKG, AtG, StrlSchV; vergleiche Nr. 7). Einer engen Zusammenarbeit und Koordination der beteiligten Behörden kommt speziell beim Zusammentreffen unterschiedlicher Gefahrenlagen (zum Beispiel Brand, Sprengstoff, Strahlung) eine große Bedeutung zu. Abhängig von der Entwicklung einer Lage kann dabei zunächst der eine (zum Beispiel Sprengstoff), dann der andere Aspekt (zum Beispiel Strahlung) handlungsbestimmend sein. Bei sehr komplexen Lagen (zum Beispiel Terrordrohungen mit radioaktiven Stoffen) werden häufig spezifische Kommunikations- und Steuerungswege eingerichtet, die nicht Gegenstand des vorliegenden Erlasses sind.
Zuständige Behörde für Angelegenheiten des Strahlenschutzes bei Zwischenfällen mit radioaktiven Stoffen ist im Rahmen des vorliegenden Erlasses grundsätzlich das örtlich zuständige Regierungspräsidium (RPU). Sofern aufgrund kürzerer Wegezeiten Strahlenschutzfachkräfte anderer RPU, des HLUG oder des HMULV (mit-)alarmiert werden beziehungsweise sich bereits am Ort des Zwischenfalls befinden, übernehmen diese die Aufgaben der Strahlenschutzfachkräfte des zuständigen RPU bis zu deren Eintreffen. Die Strahlenschutzfachkräfte sind befugt, über die Zentralen Leitstellen Strahlenspürtrupps der Feuerwehr anzufordern. Die Alarmierung erfolgt über die Zentralen Leitstellen oder Leitfunkstellen.
Die Zuständigkeit der Polizeibehörden und Feuerwehren beschränkt sich im Rahmen der Eilkompetenz nach §§ 1, 2 HSOG beziehungsweise §§ 1 Abs. 2, 6 HBKG bis zum Eintritt der Handlungsfähigkeit der zuständigen Behörde auf die Durchführung unaufschiebbarer Maßnahmen (zum Beispiel Absperrung, Rettung gefährdeter Personen, Räumung). Darüber hinaus sind die Polizeibehörden für die Strafverfolgung zuständig (nach § 6 HSOG-DVO werden die Ermittlungen grundsätzlich durch das HLKa geführt), die im Regelfall zunächst in den Hintergrund tritt (vergleiche Nr. 7.1). Im Übrigen leisten Polizei und Feuerwehr neben anderen Stellen der originär zuständigen Behörde Amtshilfe.
4. Beteiligte Stellen
Grundsätzlich ist die Zusammenarbeit folgender Dienststellen und Fachkräfte zu koordinieren:
5. Zwischenfälle
Als Zwischenfälle mit radioaktiven Stoffen sind insbesondere anzusehen:
Als Zwischenfall ist bereits das Vorliegen eines konkreten Verdachts anzusehen (zum Beispiel begründete Hinweise auf radioaktive Stoffe in den oben aufgeführten Fällen oder Fund von Objekten, die mit dem Strahlenzeichen gekennzeichnet sind, vergleiche Anlage 1).
Nicht als Zwischenfall im Sinne dieses Erlasses gelten folgende Ereignisse, jedoch nur so lange keine Immissionen (Kontamination, Strahlung) in öffentlich zugänglichen Bereichen zu befürchten sind:
Derartige Ereignisse unterliegen nicht der unter Nr. 6 definierten Meldepflicht.
6. Meldewege/-pflichten
Erfährt eine der unter Nr. 4 genannten Dienststellen von einem Zwischenfall mit radioaktiven Stoffen, meldet sie dies unverzüglich dem Lagezentrum der Hessischen Landesregierung im HMdIS.
Die Meldung eines Zwischenfalls mit radioaktiven Stoffen soll insbesondere enthalten:
Das Lagezentrum der Hessischen Landesregierung im HMdIS alarmiert unverzüglich die Rufbereitschaft der Abteilung "Kerntechnische Anlagen und Strahlenschutz" im HMULV. (Hinweis: Damit kommt der/die Meldende gleichzeitig ihrer Berichtspflicht nach dem Erlass des HMdIS vom 27. August 2007 "Berichtspflicht der Dienststellen" nach [StAnz. S. 1666]). Das HMULV nimmt die Meldung des Lagezentrums entgegen und alarmiert bei Vorliegen eines Zwischenfalls mit radioaktiven Stoffen und Bedarf Strahlenschutzfachkräfte der atomrechtlich zuständigen Behörde gemäß Strahlenschutz-Alarmplan und gegebenenfalls weitere Dienststellen (zum Beispiel das Bundesumweltministerium). Falls erforderlich, nimmt es hierzu die Amtshilfe des Lagezentrums in Anspruch. Die Strahlenschutzfachkräfte veranlassen spätestens nach ihrem Eintreffen am Ort des Zwischenfalls alle erforderlichen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr vor ionisierender Strahlung.
Hinweis:
Für die Strahlenschutzfachkräfte der RPU selbst ist keine Rufbereitschaft eingerichtet. Ständig erreichbar über eine Rufbereitschaft ist außerhalb der Dienstzeit eine Person der Abteilung "Kerntechnische Anlagen und Strahlenschutz" des HMULV. Außerhalb der Dienstzeiten werden die Strahlenschutzfachkräfte der RPU über ihre Privattelefone oder, falls vorhanden, Diensthandys alarmiert und müssen gegebenenfalls zunächst Strahlenschutzmesstechnik und persönliche Schutzausrüstung im Dienstgebäude aufnehmen. Die örtlich zuständige Strahlenschutzbehörde ist spätestens zu Beginn der regulären Dienstzeit zu unterrichten. Erfahren das HMULV, ein RPU oder das HLUG außerhalb des im letzten Absatz beschriebenen Meldewegs von einem Zwischenfall mit radioaktiven Stoffen, so alarmieren sie nach einer Bewertung der Lage falls erforderlich Strahlenschutzfachkräfte des örtlich zuständigen RPU beziehungsweise das HLUG. Parallel stellen sie sicher, dass das Lagezentrum über den Vorgang informiert ist.
Eine schematische Darstellung der Meldewege findet sich in Anlage 2.
7. Maßnahmen
7.1 Gefahrenabwehr/Strafverfolgung
Im Falle widerstreitender Interessen von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung hat die Gefahrenabwehr Vorrang (zum Beispiel Sicherung der radioaktiven Stoffe zur Vermeidung weiterer Strahlenexpositionen oder der Verschleppung von Kontaminationen).
7.2 Sofortmaßnahmen
Vor dem Eintreffen der Strahlenschutzfachkräfte des RPU am Ort des Zwischenfalls führen Polizei und Feuerwehr im Rahmen ihrer Zuständigkeiten die unaufschiebbaren Sofortmaßnahmen durch. Hierzu zählen vorrangig:
Ferner sollen bis zum Eintreffen der Strahlenschutzfachkräfte des RPU verfügbare Informationen gesammelt und sichergestellt werden (zum Beispiel schriftliche Weisungen, Genehmigungen, Beförderungspapiere, Befragung von Zeugen) sofern dies unter besonderer Berücksichtigung der Eigensicherung vertretbar ist.
Die Feuerwehren führen im Rahmen der Eigensicherung und zur Aufklärung der Lage Messungen der Ortsdosisleistung und von Kontaminationen durch, sofern im Einzelfall Messgeräte vor Ort zur Verfügung stehen. Die Bewertung der radiologischen Lage und abschließende Entscheidungen, insbesondere über die Aufhebung von Absperrungen oder das Verbringen radioaktiver Stoffe oder kontaminierter Gegenstände, treffen die Strahlenschutzfachkräfte des RPU (vergleiche Nr. 7.3).
7.3 Maßnahmen der Strahlenschutzfachkräfte
Die alarmierten Strahlenschutzfachkräfte des RPU begeben sich unverzüglich an den Ort des Zwischenfalls. Dazu nehmen sie gegebenenfalls die Amtshilfe anderer Dienststellen in Anspruch. Nach dem Eintreffen am Ort des Zwischenfalls klären die Strahlenschutzfachkräfte, ob
Spätestens mit dem Eintreffen am Ort des Zwischenfalls treffen die Strahlenschutzfachkräfte die hinsichtlich des Strahlenschutzes erforderlichen Entscheidungen und veranlassen die entsprechenden Maßnahmen. Dabei sind sie insbesondere verantwortlich für folgende Aufgabenbereiche:
Die Strahlenschutzfachkräfte haben keine originären Zuständigkeiten für zum Beispiel
Öffentlichkeitsarbeit und Information der Medien erfolgen über die zuständigen Pressestellen.
Soweit die Strahlenschutzfachkräfte Maßnahmen nicht mit eigenen Kräften umsetzen können (zum Beispiel großräumige Absperrungen oder Dekontaminierungsarbeiten) oder es aufgrund der Lage sinnvoll erscheint, leisten Feuerwehr und/oder Polizei Amtshilfe. Weitere Sachverständige oder sonst zur Hilfeleistung organisatorisch, personell und materiell entsprechend ausgestattete Stellen (zum Beispiel Strahlenschutzbeauftragte von Betrieben in der Nähe) können von den Strahlenschutzfachkräften des RPU um Unterstützung ersucht werden.
Die Strahlenschutzfachkräfte am Ort des Zwischenfalls unterrichten das HMULV unverzüglich über die wesentlichen Erkenntnisse, Entscheidungen und Maßnahmen. Das HMULV entscheidet nach den Umständen des Einzelfalles, ob der für nukleare Nachsorgefälle vorgesehenen Führungsstab im HMULV einberufen wird oder ob die Einberufung des Krisenstabs der Landesregierung beim HMdIS beantragt werden soll.
8. Strahlenexposition
Als zulässige Körperdosen für alle Einsatzkräfte am Ort des Zwischenfalls gelten die folgenden Richtwerte für die effektive Dosis, die sich an entsprechende Grenzwerte und Richtwerte der StrlSchV anlehnen. Der Richtwert nach Nr. 1 entspricht dem Grenzwert für Jugendliche in Ausbildung nach § 55 Abs. 3 StrlSchV, die Richtwerte nach Nr. 3 und Nr. 4 orientieren sich an den Richtwerten für Strahlenexposition bei Personengefährdung und Hilfeleistung nach § 59 Abs.1 StrlSchV. Die Richtwerte Nr. 2 bis Nr. 4 sind identisch mit den Richtwerten der FwDV 500 "Einheiten im ABC-Einsatz". Dort ist auch der Einsatz von Frauen im Feuerwehrdienst geregelt.
1. | Einsätze zum Schutz von Sachwerten für beruflich nicht strahlenexponierte Personen außer Feuerwehrkräften | 6 mSv | pro Person je Einsatz und Kalenderjahr |
2. | Einsätze zum Schutz von Sachwerten für beruflich strahlenexponierte Personen und Feuerwehrkräfte | 15 mSv | pro Person je Einsatz |
3. | Einsätze zur Abwehr von Gefahren für Menschen und zur Verhinderung einer wesentlichen Schadensausweitung | 100 mSv | pro Person je Einsatz und Kalenderjahr |
4. | Einsätze zur Rettung von Menschenleben | 250 mSv | pro Person je Einsatz und Leben |
5. | Zu einem Einsatz gemäß der vorstehenden Nr. 3 und 4 dürfen nur Freiwillige über 18 Jahren eingesetzt werden, die zuvor über die Gefahren des Einsatzes unterrichtet worden sind. | ||
6. | Der Richtwert für die Rettung von Menschenleben von 250 mSv darf im Einsatz auf Anweisung des Einsatzleiters nur in Ausnahmefällen überschritten werden, wenn dies nach Beurteilung einer fachkundigen Person unverzichtbar und vertretbar ist. Die betroffenen Einsatzkräfte müssen auf diese Lage hingewiesen werden. |
Zum Vergleich:
Über die Strahlenexposition der am Einsatz beteiligten Personen sind von den jeweiligen Einsatzleitungen Aufzeichnungen zu führen und dem örtlich zuständigen RPU zu übergeben. Bei Verdacht der Inkorporation radioaktiver Stoffe leitet das RPU die notwendigen Maßnahmen ein (zum Beispiel Inkorporationsmessungen, Hinzuziehung von Fachärzten).
9. Eigensicherung
Die Dienstvorschriften zur Eigensicherung sind zu beachten (zum Beispiel LF 371 "Eigensicherung im Polizeidienst", LF 450 "Gefahren durch chemische, radioaktive und biologische Stoffe", FwDV 500 "Einheiten im ABC-Einsatz").
10. Nachsorge
Das örtlich zuständige RPU ist verantwortlich für Organisation und Durchführung der Nachsorge zum jeweiligen Zwischenfall, zum Beispiel sicheren Abtransport unter Beachtung der gefahrgutrechtlichen Vorschriften und sichere Verwahrung der radioaktiven Stoffe, Dekontamination und Freimessung des Ortes des Zwischenfalles. Dies geschieht gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit dem HMULV, dem HLUG, dem Eigentümer der radioaktiven Stoffe sowie sonst betroffenen Stellen.
Nach Abschluss des Verfahrens berichtet das örtlich zuständige RPU dem HMULV.
11. Schlussbestimmungen
Der Erlass vom 17. Dezember 2003 (StAnz. 2004 S. 226) wird aufgehoben. Dieser Erlass tritt am 1. November 2008 in Kraft.
Strahlenzeichen | Anlage 1 |
in der Regel:
Kennzeichen: schwarz (Symbol)
Untergrund: gelb
Vorgesehene Meldewege bei Zwischenfällen mit radioaktiven Stoffen | Anlage 2 |
ENDE |
(Stand: 16.06.2018)
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