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DGUV Information 207-022 - Bewegen von Menschen im Gesundheitsdienst und in der Wohlfahrtspflege - Hilfestellung zur Gefährdungsbeurteilung nach der Lastenhandhabungsverordnung
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) Information
(Ausgabe 10/2014aufgehoben)
1 Vorbemerkungen
Die Lastenhandhabungsverordnung konkretisiert das Arbeitsschutzgesetz im Hinblick auf den manuellen Umgang mit Lasten. Mit der Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der manuellen Handhabung von Lasten bei der Arbeit (Lastenhandhabungsverordnung - LasthandhabV) wurde 1996 die europäische Richtlinie über Mindestvorschriften bei der manuellen Lastenhandhabung (Richtlinie 90/269/EWG) in deutsches Recht umgesetzt. Sie regelt die Pflichten der Unternehmensleitung in Bezug auf den manuellen Umgang mit jeglicher physikalischer Last - also Menschen, Tiere und Gegenstände. Dies dient der Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit und soll Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren vermeiden oder minimieren.
Die Lastenhandhabungsverordnung ist branchenübergreifend anzuwenden. Deshalb ist sie abstrakt gehalten und muss für die einzelnen Branchen und Arbeitsaufgaben konkretisiert werden.
Die vorliegende DGUV Information erläutert, wie die Lastenhandhabungsverordnung bezüglich des Bewegens/der Bewegungsunterstützung von Menschen, auch mit Hilfsmitteln, in Einrichtungen des Gesundheitsdienstes und der Wohlfahrtspflege umgesetzt werden kann.
Die Belastung der Lendenwirbelsäule der Beschäftigten beim manuellen Bewegen von Menschen ist nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen so hoch, dass ein akuter Handlungsbedarf besteht.
Primärer Adressat dieser Schrift ist die Unternehmensleitung sowie alle diejenigen die sie bei der Wahrnehmung ihrer Verantwortung unterstützen - unabhängig von der Betriebsgröße. Weiterhin richtet sich diese Information an die gewählten Vertretungen der Beschäftigten, Fachkräfte für Arbeitssicherheit, den betriebsärztlichen Dienst und sonstige mit dem Thema Befasste - bis hin zu den Beschäftigten.
Die Schutzziele der Lastenhandhabungsverordnung sind verbindlich. Die hier beschriebenen Maßnahmen helfen, diese Schutzziele zu erreichen. Somit dient diese Information der Unternehmensleitung als Hilfestellung zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung nach der Lastenhandhabungsverordnung. Diese ist auch hier das zentrale Instrument für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz.
Eine systematische Gesamtstrategie für den Arbeits- und Gesundheitsschutz sollte, neben der gesetzlichen Verpflichtung, Teil des Unternehmensleitbilds einer Gesundheitseinrichtung sein. Ebenso sollte das betriebliche Arbeitsschutz- und Gesundheitsmanagement zur Kultur im Unternehmen gehören. Die Unternehmensleitung muss deutlich machen, dass eine sichere Arbeitsweise ausdrücklich erwünscht ist. Nur so wird nachhaltig erreicht, dass Beschäftigte gesund arbeiten können.
Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung erarbeiteten diese DGUV Information in einer vom DGUV-Fachbereich Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege beauftragten Expertengruppe. Damit gibt diese DGUV Information den abgestimmten gemeinsamen Standpunkt der Unfallversicherungsträger wieder.
In dieser Schrift wird vorrangig das Ziel Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten gemäß Arbeitsschutzgesetz betrachtet. Der Vorrang von Sicherheit und Gesundheit vor dem ressourcenfördernden Ansatz gilt für alle Beteiligten. Dieser steht weder im Widerspruch zu den Interessen und Bedürfnissen des pflege-/ betreuungsbedürftigen Menschen, noch zu den Expertenstandards (bspw. Dekubitus-, Sturzprophylaxe oder Erhaltung und Förderung der Mobilität).
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Begriffsdefinition
Der Begriff "Beschäftigte" steht in dieser Information geschlechtsneutral stellvertretend für alle Personen, die das Bewegen oder die Bewegungsunterstützung von Menschen durchführen. Darunter fallen sowohl beruflich als auch ehrenamtlich Tätige. Hinweis: Nach § 2 Abs. 1 der DGUV Vorschrift 1 "Grundsätze der Prävention" gelten in staatlichem Recht bestimmte Maßnahmen auch zum Schutz von Versicherten, die keine Beschäftigten sind. Der Begriff "Mensch" steht geschlechtsneutral stellvertretend für alle "Patienten/Bewohner/Pflegebedürftige/ Menschen mit Behinderungen" im Gesundheitsdienst und in der Wohlfahrtspflege. Der Begriff "Unternehmensleitung" wird für die Unternehmerin/den Unternehmer gleichermaßen wie für die Arbeitgeberin/ den Arbeitgeber verwendet. Der Begriff "Bewegen von Menschen" steht stellvertretend für alle Tätigkeiten, bei denen Menschen, die pflege-/betreuungsbedürftig sind, bewegt oder bei Bewegung unterstützt werden und dadurch die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten gefährdet ist, also beispielsweise eine Positionsveränderung wie der Transfer von der Bettkante in den Rollstuhl oder die Positionsunterstützung zur Dekubitusprophylaxe. |
2 Anwendungsbereich
§ 1 (1) LasthandhabV
Diese Verordnung gilt für die manuelle Handhabung von Lasten, die aufgrund ihrer Merkmale oder ungünstiger ergonomischer Bedingungen für die Beschäftigten eine Gefährdung für Sicherheit und Gesundheit, insbesondere der Lendenwirbelsäule, mit sich bringt. |
Hier wird der Anwendungsbereich der Verordnung auf die manuelle Handhabung von Lasten festgelegt, die die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten gefährden können.
Lasten - Der menschliche Körper als "Last"
Im Gesundheitsdienst und in der Wohlfahrtspflege ist die physikalische Last neben anderem das Gewicht des Menschen. Die gefährdende Tätigkeit ist u. a. das Bewegen/die Bewegungsunterstützung von Menschen durch die Beschäftigten. Eine Besonderheit dieser Tätigkeit ist, dass beim Bewegen von Menschen nicht allein deren Gewicht und dessen Verteilung, sondern auch die soziale Beziehung zwischen pflegender und zu pflegender Person eine wichtige Rolle spielt. So haben unter anderem Fragen der Persönlichkeit und Würde, sowie der physische und psychische Zustand, aber auch die Kooperationsbereitschaft des Menschen und gegenseitige Verhaltenserwartungen Einfluss auf diese Beziehung.
Merkmale oder ungünstige ergonomische Bedingungen
Die gefährdenden Tätigkeiten weisen bestimmte Merkmale oder ungünstige ergonomische Bedingungen auf. Solche Merkmale werden explizit im Anhang zur Lastenhandhabungsverordnung aufgezählt. Es wird dabei unterschieden zwischen Merkmalen im Hinblick auf:
Diese Merkmale und ergonomischen Bedingungen können einzeln oder in Kombination zu Gefährdungen führen. Die Aufzählung im Anhang der Lastenhandhabungsverordnung ist nicht abschließend. Es kann also noch weitere Merkmale geben, die zu einer Gefährdung der Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten führen können.
Mögliche ungünstige ergonomische Bedingungen sind beispielsweise:
Gefährdung
Jedes Bewegen/jede Bewegungsunterstützung eines Menschen - auch mit Hilfsmitteln - kann für den Beschäftigten, je nach Körperhaltung, Kraftausübung und Bewegungsausführung, zu einer Gefährdung seines Muskel-Skelett-Systems führen und damit zu einer Gefährdung für Sicherheit und Gesundheit im Sinne dieser Verordnung.
Die Unternehmensleitung ist verpflichtet, sämtliche Tätigkeiten, bei denen Menschen bewegt/bei Bewegung unterstützt werden, im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung in den Blick zu nehmen, Maßnahmen zur Prävention abzuleiten, diese umzusetzen und ggfs. auch anzupassen.
... insbesondere der Lendenwirbelsäule
Bei den Gefährdungen für Sicherheit und Gesundheit wird in der Lastenhandhabungsverordnung ausdrücklich die Gefährdung insbesondere der Lendenwirbelsäule hervorgehoben. "Insbesondere" heißt demnach, es können auch andere Bereiche des Bewegungsapparats gefährdet sein, beispielsweise die Halswirbelsäule, Schultergelenke, Knie- oder Hüftgelenke aber auch Beckenboden, Muskeln, Sehnen, etc. Die Hervorhebung der Lendenwirbelsäule ist damit zu begründen, dass die Bandscheiben in diesem Teil der Wirbelsäule beim Bewegen von Lasten einer besonders hohen Belastung ausgesetzt sind.
§ 1 (2) LasthandhabV
Manuelle Handhabung im Sinne dieser Verordnung ist jedes Befördern oder Abstützen einer Last durch menschliche Kraft, unter anderem das Heben, Absetzen, Schieben, Ziehen, Tragen oder Bewegen einer Last. |
Hier wird die manuelle Handhabung im Sinne der Lastenhandhabungsverordnung definiert.
Manuelle Handhabung
Manuelle Handhabung bedeutet im Gesundheitsdienst und in der Wohlfahrtspflege jedes Bewegen/jede Bewegungsunterstützung von Menschen. Das Befördern und Abstützen bedeutet in der Pflege und Betreuung sowohl die aktive als auch die passive Unterstützung der menschlichen Bewegung wie beispielsweise:
Abb. 1 Bewegungsunterstützung einer Patientin im Bett
Heben, Absetzen, Schieben, Ziehen, Tragen oder Bewegen
Die Aufzählung der Tätigkeiten Heben, Absetzen, Schieben, Ziehen, Tragen und Bewegen ist nicht abschließend. Grundsätzlich sind diese Tätigkeiten mehr oder weniger Bestandteil jedes Bewegens/jeder Bewegungsunterstützung eines Menschen. Also beispielsweise immer dann, wenn
stattfindet.
Diese Tätigkeiten können einzeln oder in Kombination vorkommen und summieren sich ggfs. zu der Gesamtbelastung.
§ 1 (3) LasthandhabV
Die Verordnung gilt nicht in Betrieben, die dem Bundesberggesetz unterliegen. |
Zwischen dem Geltungsbereich des Bundesberggesetzes und dem Gesundheitsdienst gibt es keine Überschneidungen, sodass weitere Erklärungen nicht erforderlich sind.
§ 1 (4) LasthandhabV
Das Bundeskanzleramt, das Bundesministerium des Innern, das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, das Bundesministerium der Verteidigung oder das Bundesministerium der Finanzen können, soweit sie hierfür jeweils zuständig sind, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales und, soweit nicht das Bundesministerium des Innern selbst zuständig ist, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern bestimmen, dass für bestimmte Tätigkeiten im öffentlichen Dienst des Bundes, insbesondere bei der Bundeswehr, der Polizei, den Zivil- und Katastrophenschutzdiensten, dem Zoll oder den Nachrichtendiensten, Vorschriften dieser Verordnung ganz oder zum Teil nicht anzuwenden sind, soweit öffentliche Belange dies zwingend erfordern, insbesondere zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit. In diesem Fall ist gleichzeitig festzulegen, wie die Sicherheit und der Gesundheitsschutz der Beschäftigten nach dieser Verordnung auf andere Weise gewährleistet werden. |
Hier werden Bundesbehörden benannt, die im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) bzw. dem Bundesministerium des Inneren (BMI) Ausnahmen benennen können, bei welchen Institutionen des öffentlichen Dienstes Vorschriften der Lastenhandhabungsverordnung nicht angewendet werden müssen.
Dieser Eingriff wird allerdings unter den Vorbehalt gestellt, dass öffentliche Belange, wie die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, ein Abweichen vom Verordnungstext zwingend erfordern. Gemeint sind damit Fälle der Landesverteidigung oder der Katastrophenbekämpfung. Gleichzeitig wird ausgeführt, dass in diesem Fall festzulegen ist, wie die Sicherheit und der Gesundheitsschutz der Beschäftigten auf andere gleichwertige Weise gewährleistet werden kann.
Solange die genannten Ministerien also keine Ausnahmen bestimmen, gilt auch bei den benannten Institutionen die Lastenhandhabungsverordnung. Damit ist die Lastenhandhabungsverordnung beispielsweise auch in Bundeswehrkrankenhäusern und bei deren Beschäftigten ggfs. auch bei Auslandseinsätzen anzuwenden.
3 Maßnahmen
§ 2 (1) LasthandhabV
Der Arbeitgeber hat unter Zugrundelegung des Anhangs geeignete organisatorische Maßnahmen zu treffen oder geeignete Arbeitsmittel, insbesondere mechanische Ausrüstungen, einzusetzen, um manuelle Handhabungen von Lasten, die für die Beschäftigten eine Gefährdung für Sicherheit und Gesundheit, insbesondere der Lendenwirbelsäule mit sich bringen, zu vermeiden. |
Hier wird als vorrangiges Schutzziel die Vermeidung von gefährdenden Tätigkeiten genannt - in dieser DGUV Information das Bewegen/die Bewegungsunterstützung von mobilitätseingeschränkten Menschen.
Vermeiden
Es ist von der Unternehmensleitung als erstes zu prüfen, ob sich zur Prävention von Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE) eine Gefährdung verhindern lässt, ob also beispielsweise ein Mensch überhaupt bewegt bzw. bei Bewegung unterstützt werden muss. In der Pflege und Betreuung ist eine Vermeidung jedoch nur dann möglich, wenn die erforderliche Bewegung durch den Menschen selbst ausgeführt werden kann; beispielsweise wenn
Geeignete organisatorische Maßnahmen zur Vermeidung
Dies sind beispielsweise:
Geeignete Arbeitsmittel, insbesondere mechanische Ausrüstungen zur Vermeidung
In gewerblichen Einrichtungen geschieht das Vermeiden des Bewegens einer Last z.B. durch Automation oder Einsatz von Maschinen. In der Pflege und Betreuung kommen zum Bewegen/zur Bewegungsunterstützung als Arbeitsmittel bzw. mechanische Ausrüstung verschiedene Medizinprodukte zum Einsatz. Diese werden als Hilfsmittel bezeichnet. Es handelt sich in diesem Zusammenhang um die sogenannten Technischen und Kleinen Hilfsmittel sowie Hilfsmittel zur Positionsunterstützung.
Die Bereitstellung von geeigneten Hilfsmitteln, die die Vermeidung der Gefährdung sicherstellen, muss nach geeigneter Auswahl in ausreichender Anzahl erfolgen. Die Ermittlung der benötigten Art und Anzahl der Hilfsmittel muss auf Basis einer individuellen Gefährdungsbeurteilung im Hinblick auf die Ressourcen des Menschen erfolgen. Das Ziel ist, dass Hilfsmittel selbstständig und personenbezogen verwendet werden können.
Abb. 2 Bewegungsfreiraum durch die geeignete Größe und Einrichtung des Pflegezimmers
Beispielsweise ermöglicht
Auf die räumliche und bauliche Gestaltung der Umgebung ist besonders zu achten: diese muss so gestaltet sein, dass der Mensch seine Ressourcen nutzen kann. Dazu zählt beispielsweise
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Der 2014 vorgestellte neue Expertenstandard nach § 113a SGB XI "Erhaltung und Förderung der Mobilität in der Pflege" benennt als zentrale Ziele die Mobilitätserhaltung und Mobilitätsverbesserung bei pflegebedürftigen Menschen. Darüber hinaus schreibt er der Erhaltung und Verbesserung der Mobilität großes Potenzial für die Gesundheitsförderung und Prävention zu. Dies gilt aus Sicht der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung jedoch nicht nur für die pflegebedürftigen Menschen; je höher der Grad der Selbstständigkeit bei diesen ist, desto besser lassen sich Gefährdungen im Sinne der Lastenhandhabungsverordnung bei den Beschäftigten vermindern oder sogar vermeiden. Dem Prozess des Aushandelns der erforderlichen Unterstützung des einzelnen pflegebedürftigen Menschen mit dem Pflegedienstleister wird schließlich durch die Grenze der Belastbarkeit der Beschäftigten ein zwingend einzuhaltender Rahmen gesetzt. |
§ 2 (2) LasthandhabV
Können diese manuellen Handhabungen von Lasten nicht vermieden werden, hat der Arbeitgeber bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach § 5 des Arbeitsschutzgesetzes die Arbeitsbedingungen, insbesondere unter Zugrundelegung des Anhangs, zu beurteilen. Aufgrund der Beurteilung hat der Arbeitgeber geeignete Maßnahmen zu treffen, damit eine Gefährdung von Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten möglichst gering gehalten wird. |
Hier wird die Unternehmensleitung verpflichtet, sofern eine Vermeidung nicht möglich ist, eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen. Diese bezieht sich auf die Gefährdungen der Beschäftigten durch die Bewegung/die Bewegungsunterstützung von Menschen.
Beurteilung der Arbeitsbedingungen
Das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet die Unternehmensleitung im § 5 zu einer Gefährdungsbeurteilung - auch für Gefährdungen des Muskel- und Skelettsystems. Das Pendant zum Arbeitsschutzgesetz auf Seiten der Unfallversicherungsträger ist diesbezüglich die Unfallverhütungsvorschrift DGUV Vorschrift 1 Grundsätze der Prävention. Ähnlich wie das Arbeitsschutzgesetz regelt diese Vorschrift grundlegende Arbeitsschutzbelange im Betrieb. In beiden Vorschriften ist die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung von zentraler Bedeutung. Diese Forderung ist direkt vollziehbar, also rechtsverbindlich.
Für die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung haben die Träger der Gesetzlichen Unfallversicherung und die Arbeitsschutzbehörden sich auf eine einheitliche Vorgehensweise geeinigt, die aus sieben Schritten besteht (Abb.1)
Abb. 1 Die sieben Schritte der Gefährdungsbeurteilung
Diese Vorgehensweise eignet sich auch für die Gefährdungsbeurteilung nach der Lastenhandhabungsverordnung. Im ersten Schritt wird ein Arbeitsbereich oder eine Tätigkeit festgelegt. Beispielsweise der Arbeitsbereich: OP, Endoskopie, Pflege, Physikalische Therapie, Radiologie. Oder Tätigkeiten wie beispielsweise: Pflege am Bett, Umlagern, Mobilisation, Therapie im Bewegungsbad. In besonderen Fällen muss die Gefährdungsbeurteilung auch personenbezogen durchgeführt werden, z.B. bei Beschäftigten mit Handicap oder Schwangeren. Im Regelfall wird die Gefährdungsbeurteilung tätigkeitsbezogen bzw. arbeitsaufgabenbezogen durchgeführt.
Im zweiten Schritt werden die auftretenden Gefährdungen ermittelt.
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MSE-relevante Gefährdungsfaktoren sind vor allem physischer, aber durchaus auch psychischer Art. Gefährdungen beim Bewegen/der Bewegungsunterstützung von Menschen können sich unter anderem ergeben aus (vgl. zusätzlich auch den Anhang der LasthandhabV):
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Im dritten Schritt müssen die ermittelten Gefährdungen beurteilt werden. Das heißt, das Gefährdungspotential wird eingeschätzt. Hierfür sind sehr gute Kenntnisse über die vielfältigen Faktoren, die eine Arbeitssituation beeinflussen können, erforderlich. Der Handlungsbedarf für die Unternehmensleitung leitet sich also aus dem Ergebnis der Beurteilung des Gefährdungspotentials der ermittelten Gefährdung und dem daraus entstehenden Gesundheitsrisiko ab.
Methoden zur Einschätzung der Gefährdung beim Umgang mit Gegenständen sind für die Tätigkeiten beim Bewegen von Menschen nicht geeignet.
Besteht Handlungsbedarf - und davon ist bei der Pflege und Betreuung von Menschen auszugehen - muss die Unternehmensleitung im vierten Schritt Maßnahmen festlegen mit dem Ziel, diese Gefährdungen zu vermeiden oder zu minimieren. Es sind bei der Auswahl der Maßnahmen Prioritäten bei den Belastungen zu setzen, die die höchsten Gefährdungen darstellen. Hilfestellung dazu bietet die Forschungsstudie der BGW zu "Lendenwirbelsäulenbelastungen durch Patiententransfers".
Im fünften Schritt müssen diese Maßnahmen durchgeführt werden. Um im sechsten Schritt die Wirksamkeit der durchgeführten Maßnahmen feststellen zu können, sollten die Maßnahmen sich an zuvor festgelegten so konkret wie möglich beschriebenen Zielen orientieren. Sollten die Maßnahmen nicht die erforderliche Wirksamkeit zeigen, also die anvisierten Ziele nicht erreicht werden bzw. die Maßnahmen nicht geeignet sein, muss die Gefährdungsbeurteilung im siebten Schritt fortgeschrieben werden. Es muss analysiert werden, warum die Maßnahmen nicht zielführend waren. Ggfs. müssen die Maßnahmen modifiziert oder andere Maßnahmen durchgeführt werden. Im Einzelfall ist mit Schritt 1 oder 2 neu zu beginnen. Der Prozess wird solange durchlaufen, bis die Gefährdungen so weit als möglich vermieden bzw. minimiert sind. Bei sich ändernden Arbeitsbedingungen, Arbeitsabläufen etc. ist die Gefährdungsbeurteilung anzupassen.
Der Betrieb muss die Gefährdungsbeurteilung dokumentieren und arbeitsplatznah bereithalten.
Diese systematische Vorgehensweise stellt den nachhaltigen Erfolg der getroffenen Maßnahmen sicher.
Geeignete Maßnahmen
Durch das Arbeitsschutzgesetz wird eine Hierarchie für die Durchführung der Maßnahmen festgelegt. Aufgrund der größeren Wirksamkeit ist es entscheidend, dass bei ermittelten Gefährdungen Maßnahmen in der Rangfolge technische vor organisatorischen Maßnahmen und diese wiederum vor personenbezogenen Maßnahmen (T-O-P) gesucht, festgelegt und durchgeführt werden. In der Praxis jedoch sind die Ebenen untrennbar miteinander verbunden und stehen in Wechselwirkung zueinander. Um Muskel- und Skelett-Erkrankungen zu vermeiden beziehungsweise die Gefährdungen hierfür frühzeitig zu erkennen, zu vermeiden oder zu minimieren, muss eine Vielzahl an Maßnahmen auf allen drei Ebenen in Betracht gezogen werden. Kollektive Maßnahmen haben stets Vorrang vor rein personenbezogenen/individuellen Maßnahmen.
Die Vielfalt der Einflussfaktoren bietet die Chance für eine Vielfalt an Lösungsansätzen für Maßnahmen. Dabei ist nicht wichtig, dass der Betrieb möglichst viele Maßnahmen plant und durchführt, vielmehr ist entscheidend, dass er systematisch vorgeht und die geeigneten Maßnahmen festlegt und durchführt. Die Bereitstellung ausreichender finanzieller Ressourcen ist für alle Maßnahmen erforderlich.
Die technische Ebene beinhaltet u. a.:
Erforderlich ist die Bereitstellung von Hilfsmitteln für alle Situationen, in denen die Gefährdungen durch diese vermieden/minimiert werden können und der Hilfsmitteleinsatz praktikabel ist. Vor allem sind dies Technische und Kleine Hilfsmittel zur Bewegungsunterstützung und Hilfsmittel zur Positionsunterstützung:
Abb. 3 Anlegen eines Liftertuchs im Rollstuhl für das Deckenschienensystem
Abb. 4 Transfer des Patienten aus dem Bett mit Hilfe eines Deckenschienensystems
Technische Hilfsmittel zur Bewegungsunterstützung wie beispielsweise
Nur elektrisch verstellbare Technische Hilfsmittel führen zu einer Vermeidung/Reduzierung der körperlichen Belastung der Beschäftigten.
Kleine Hilfsmittel zur Bewegungsunterstützung wie beispielsweise
Kleine Hilfsmittel zur Positionsunterstützung wie beispielsweise
Hilfsmittel zur Bewegungs- und Positionsunterstützung unterstützen ggf. gleichzeitig auch ressourcenfördernde/-erhaltende Prozesse.
Die Ermittlung der benötigten Art und Anzahl der Hilfsmittel muss auf Basis der Gefährdungsbeurteilung erfolgen. Jeder Bereich/jede Station/jeder Beschäftigte/jeder pflegebedürftige Mensch ist dabei individuell zu betrachten. Zur Einschätzung des individuellen Bedarfs der pflegebedürftigen Menschen können vorhandene Dokumentationsstrukturen wie z.B. Patientenakten genutzt werden. Die Beschäftigten sind bei der Eignungsprüfung und der Auswahl der Hilfsmittel zu beteiligen. Darüber hinaus sollte es einen zentralen Pool mit mindestens jeweils einem der als erforderlich ermittelten Hilfsmittel für einen erweiterten schnellen Zugriff geben.
Folgende Kriterien müssen bei der Ermittlung berücksichtigt werden:
Die Auswahl und Beschaffung muss unter Beachtung des anerkannten Stands der Technik und der aktuellen arbeits- und pflegewissenschaftlichen Erkenntnisse, beispielsweise Expertenstandards zu Dekubitusprophylaxe, Sturzprophylaxe, Erhaltung und Förderung der Mobilität, erfolgen.
Ausreichende Lager- und Stellfläche muss einsatzortnah, also im Pflegezimmer, mindestens aber auf der Station/im Arbeitsbereich, zur Verfügung stehen, damit ein schneller Zugriff auf die Hilfsmittel möglich ist.
Im Unterschied zur klassischen Sicherheitstechnik, bei der technische Maßnahmen unmittelbar wirksam sein müssen, bedarf es im Bereich der Pflege und Betreuung weiterer Maßnahmen insbesondere auf der organisatorischen Ebene, um die Wirksamkeit der technischen Maßnahmen zu gewährleisten.
Abb. 5 Bereitstellung und Einsatz von Kleinen Hilfsmitteln: Antirutschmatte, Rutschbrett und Entspannungskissen
Abb. 6 Ergonomisches und sicheres Schieben eines Pflegebettes mit zwei Pflegekräften
Die organisatorische Ebene
Maßnahmen und Aspekte auf der organisatorischen Ebene, die gleichzeitig auch die Wirksamkeit technischer Maßnahmen unterstützen, sind beispielsweise:
Die personenbezogene Ebene
Maßnahmen auf dieser Ebene sind auf der niedrigsten Stufe in der Hierarchie der Maßnahmen angesiedelt. Interventionen auf der personenbezogenen/individuellen Ebene können niemals zu einer Vermeidung sondern bestenfalls zu einer Minimierung der Gefährdung führen. In der Regel handelt es sich um Aktivitäten, die Beschäftigte in die Lage versetzen sollen, sich sicher - also rückengerecht/ergonomisch - zu verhalten. Häufig führen Betriebe in der Praxis gerade personenbezogene Maßnahmen verstärkt durch - bevorzugt Schulungen und/oder Trainings. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass personenbezogene Maßnahmen den geringsten Wirkungsgrad haben, z.B. weil das Training/die Maßnahme nicht ausreichend intensiv oder nicht geeignet war.
Die Kosten für eine nachhaltige Umsetzung einer Verhaltensänderung sind dagegen jedoch relativ hoch, da sie häufig zeitaufwändig sind. Zudem entstehen Kosten für Ausfall und Ersatz der Beschäftigten sowie für Trainer und ggfs. Räumlichkeiten.
Maßnahmen auf der technischen und der organisatorischen Ebene bedürfen der Ergänzung durch Maßnahmen auf der personenbezogenen Ebene wie Information, Unterweisung, Training, arbeitsmedizinische Vorsorge, etc.:
Inhalte sind beispielsweise:
Im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung bieten sich der Unternehmensleitung weitere Optionen gezielte Angebote zu etablieren. Hierzu gehören beispielsweise Maßnahmen zur Kräftigung der Muskulatur und zur Erhöhung der körperlichen Fitness, aber auch die Vermittlung von Kenntnissen zum rückengerechten Alltagsverhalten und der gesundheitsförderlichen Lebensweise.
Die Unterweisung über geeignete Arbeitsschuhe und die Bereitstellung geeigneter Arbeitskleidung unterstützen die Prävention von Muskel- und Skelett-Erkrankungen vor allem dann, wenn durch Führungskräfte das Tragen sichergestellt wird - unterstützt beispielsweise durch eine Betriebsvereinbarung.
4 Übertragung von Aufgaben
§ 3 LasthandhabV
Bei der Übertragung von Aufgaben der manuellen Handhabung von Lasten, die für die Beschäftigten zu einer Gefährdung für Sicherheit und Gesundheit führen, hat der Arbeitgeber die körperliche Eignung der Beschäftigten zur Ausführung der Aufgaben zu berücksichtigen. |
Hier geht es darum, dass die Arbeitsaufgabe, Bewegen/Bewegungsunterstützung von Menschen, die potenziell zu Gefährdungen führen können, nur Beschäftigten übertragen werden darf, die dafür körperlich geeignet sind.
Übertragung von Aufgaben
Die Unternehmensleitung darf Personen mit Arbeitsaufgaben nur unter folgenden Voraussetzungen beauftragen:
Die Übertragung von Aufgaben sollte schriftlich erfolgen. Dabei muss klar und deutlich hervorgehen, welche Aufgaben in welchem Arbeitsbereich wie erledigt werden sollen. Jede/jeder Beschäftigte, muss konkret wissen, was zu tun ist. So kann beispielsweise dort stehen, dass auf Station X Menschen grundsätzlich mit Hilfe eines Lifters oder eines Rutschbrettes transferiert werden. Dies ist auch in der Pflegeplanung beispielsweise in Form eines Bewegungsplans zu dokumentieren. Auch Ausnahmen hiervon müssen begründet in die Pflegeplanung des einzelnen Menschen aufgenommen werden.
Abb. 7 Fahrzeugeigene Hebebühne für Rollstuhlfahrer
Information | Beispiel |
Erträglichkeit: | |
Eine Arbeit wird dann als erträglich bezeichnet, wenn die Leistungsgrenzen der arbeitenden Menschen - auch unter dem Aspekt der langfristigen Belastungsdauer - nicht überschritten werden. Die Tätigkeit darf auch langfristig keine Schädigungen, wie Berufskrankheiten oder arbeitsbedingte Erkrankungen, verursachen. Die Werte der Maximalkräfte in Abhängigkeit vom Geschlecht und der Art der Kraftaufwendung sind in der DIN 33.411 "Körperkräfte des Menschen" zu finden. Es gibt jedoch keine rechtsverbindlichen Grenzwerte für empfohlene Lastgewichte für alle Beschäftigten. Da die Beanspruchung des Muskel-Skelett-Systems von Zeitdauer/Häufigkeit, Körperhaltungen, Ausführungsbedingungen und Lastgewicht abhängt, sind diese Faktoren in ihrer Kombination zu beachten. | Konsequentes Bewegen von Bewohnerinnen und Bewohnern mit geringen Eigenbewegungsressourcen unter Nutzung Technischer Hilfsmittel wie Lifter oder Positionswechselhilfe. |
Schädigungslosigkeit: | |
Sie zielt darauf ab, dass das Bewegen von Menschen zu keinen unmittelbaren Gesundheitsschäden sowohl für die Beschäftigten, aber auch für die auf Unterstützung angewiesenen Menschen führt (z.B. Stürze, Knietorsionen, Verletzungen des Muskel- und Skelettsystems). | Transfer eines nicht stehfähigen Menschen vom Bett zum Rollstuhl mit Hilfe eines Rutschbrettes, Transfer eines Menschen postoperativ mit Hilfe einer OP-Patientenumbettschleuse. |
Ausführbarkeit: | |
Die Tätigkeit muss unter Beachtung der individuellen Gegebenheiten (Körpermaße, Trainingszustand, Belastbarkeit usw.) erledigt werden können. Dazu zählt bspw. auch die korrekte Abstimmung des Arbeitsniveaus auf die Körpergröße. | Das Bewegen eines Menschen zum Kopfende des Bettes ist mit zwei sehr unterschiedlich großen Beschäftigten (160 + 190 cm) hinsichtlich des Arbeitsniveaus schlecht möglich. |
Beeinträchtigungsfreiheit: | |
Durch die Arbeitsbedingungen soll das Wohlbefinden und damit auch langfristig die Gesundheit der Beschäftigten unbeeinträchtigt bleiben bzw. sogar gefördert werden. Psychische Belastungen wie Überforderung durch Zeitdruck oder Personalmangel, Konflikte mit Pflegebedürftigen, Angehörigen oder anderen Berufsgruppen dürfen ebenfalls nicht zu psychischen oder physischen Folgeerkrankungen führen. | Konsensuale Absprachen zum Transport von Menschen mit den Funktionsbereichen treffen. |
Körperliche Eignung der Beschäftigten berücksichtigen
Die Übertragung von Aufgaben kann ein Arbeitgeber nicht willkürlich vornehmen. Ergibt die Gefährdungsbeurteilung, dass notwendige Tätigkeiten - hier konkret das Bewegen/die Bewegungsunterstützung von Menschen - eine physische Gefährdung für die Beschäftigten darstellen, muss die Unternehmensleitung im Vorfeld die körperliche Eignung der Beschäftigten für diese Tätigkeiten berücksichtigen. Als Hilfestellung kann der DGUV Grundsatz G 46 "Belastungen des Muskel- und Skelettsystems einschließlich Vibrationen" herangezogen werden. Dies bedeutet, sie muss überprüfen, welche Beschäftigten sie mit solchen Tätigkeiten betrauen kann und welche nicht.
Nach geltendem Recht ist folgendes zu beachten:
Hierbei sind verschiedene Prüfkriterien für den einzelnen Beschäftigten von Bedeutung. Dies sind u.a.:
Gesundheitszustand | Berücksichtigung körperlicher Einschränkungen |
Konstitution | Größe, Gewicht, Körperkraft, geschlechtsspezifische Faktoren etc. |
Kondition | insbesondere Beweglichkeit, Kraft und Koordinationsfähigkeit |
Alter | mit zunehmendem Alter reduziert sich die Belastbarkeit des Muskel- und Skelettsystems |
Qualifizierungsgrad | Kenntnis und Erfahrung in Bezug auf die ergonomische Arbeitsweise |
Darüber hinaus sind selbstverständlich die Vorgaben anderer Rechtsquellen zu beachten z.B.:
Hier kann die Unternehmensleitung auf die fachliche Hilfestellung des betriebsärztlichen Dienstes zurückgreifen.
Bei Tätigkeiten mit wesentlich erhöhten körperlichen Belastungen, wie sie beim manuellen Bewegen/bei der manuellen Bewegungsunterstützung von Menschen entstehen, hat die Unternehmensleitung den Beschäftigten nach der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge ( ArbMedVV) eine Angebotsvorsorge anzubieten. Arbeitsmedizinische Vorsorge ist eine individuelle Arbeitsschutzmaßnahme, die technische und organisatorische Arbeitsschutzmaßnahmen wirksam ergänzt. Sie findet im geschützten Raum statt und unter dem Siegel der Verschwiegenheit der Betriebsärztin/des Betriebsarztes. Beschäftigte werden über die Wechselwirkungen zwischen ihrer Gesundheit und der Arbeit informiert und beraten. Zusätzlich zur Beratung wird auch eine körperliche Untersuchung angeboten.
Bei der Beurteilung des Gesundheitsrisikos für Beschäftigte ist nicht nur das Gewicht des zu bewegenden Menschen von Bedeutung. Auch die Dauer und Häufigkeit einer Tätigkeit (z.B. Transferunterstützung vom Rollstuhl auf die Untersuchungsliege), die dabei eingenommene Körperhaltung/der Bewegungsablauf und die Umgebungsfaktoren (z.B. Bewegungsfreiraum) bestimmen mit, wie belastend die Tätigkeit für das Muskel- und Skelettsystem wirklich ist.
5 Unterweisung
§ 4 LasthandhabV
Bei der Unterweisung nach § 12 des Arbeitsschutzgesetzes hat der Arbeitgeber insbesondere den Anhang und die körperliche Eignung der Beschäftigten zu berücksichtigen. Er hat den Beschäftigten, soweit dies möglich ist, genaue Angaben zu machen über die sachgemäße manuelle Handhabung von Lasten und über die Gefahren, denen die Beschäftigten insbesondere bei unsachgemäßer Ausführung der Tätigkeit ausgesetzt sind. |
Hier ist die Kernaussage, dass das Bewegen/die Bewegungsunterstützung von Menschen sachgemäß ausgeführt werden soll. Damit die Beschäftigten dazu in die Lage versetzt werden, muss die Unternehmensleitung sie entsprechend unterweisen.
Unterweisung
Die Unternehmensleitung ist gesetzlich verpflichtet, zu unterweisen, damit
Abb. 8 Unterweisung in der ergonomischen Arbeitsweise: Bewegen einer Patientin im Bett mit Hilfe einer Gleitmatte und einer Antirutschmatte
Unterweisungen beinhalten folgende auf den Arbeitsplatz oder den Aufgabenbereich der Beschäftigten ausgerichtete Teilaspekte:
Medizinprodukte dürfen erst angewendet werden, wenn der Umgang mit ihnen gemäß Medizinproduktebetreiberverordnung sicher beherrscht wird. Dies dient der Erhöhung der Pflegequalität und Förderung der Sicherheit von Menschen und Beschäftigten. An dieser Stelle wird die Notwendigkeit der Ausrichtung der Unterweisung auf den Arbeitsplatz/Aufgabenbereich besonders deutlich.
In der Anlage 2 sind allgemeine Hinweise zu Unterweisungen zu finden.
Sachgemäße manuelle Handhabung
Von einer sachgemäßen manuellen Handhabung ist auszugehen, wenn das Bewegen/die Bewegungsunterstützung von Menschen erträglich, schädigungslos, ausführbar und beeinträchtigungsfrei erfolgen kann. Unter sachgemäß wird der Sache angemessen verstanden. Eine Arbeit sachgemäß auszuführen, bedeutet auch sie fachgerecht auszuführen. Hier wird deutlich, dass zum sachgemäßen Umgang mit Hilfsmitteln oder zum Ausführen von Arbeitsaufgaben Fachkunde vorhanden sein muss.
Eine solche Fachkunde fußt einerseits auf der beruflichen Grundausbildung der Beschäftigten. Andererseits muss davon ausgegangen werden, dass in den Grundausbildungen für Berufe in der Gesundheits- und Krankenpflege, der Altenpflege sowie allen anderen Fachberufen im Gesundheitsdienst und in der Wohlfahrtspflege, vielfach Inhalte nicht abschließend vermittelt bzw. bearbeitet werden. Zudem führen Forschung und Wissenschaft auch immer zu einem zunehmenden Erkenntniswachstum. Dies bedeutet, in der Grundausbildung erworbenes Fachwissen muss im Laufe des Berufslebens fortlaufend erweitert werden. Dementsprechend muss die Fachkunde berufsbegleitend im Rahmen von regelmäßigen Qualifizierungsmaßnahmen aufgefrischt und erweitert werden. Nicht zu vergessen ist zudem, dass in der Pflege und Betreuung vielfach Personal ohne Grundausbildung eingesetzt wird. Solche Beschäftigten benötigen sowohl grundlegende als auch weiterführende Qualifizierungen und Unterweisungen.
Für den hier gewählten Bezugsrahmen wären beispielsweise folgende Themen zu benennen, die für ein sachgemäßes Bewegen von Menschen von Bedeutung sind:
Kenntnisse über den sachgemäßen und sinnvollen Einsatz von Hilfsmitteln | In welchen Situationen ist welches Hilfsmittel geeignet? |
Möglichkeiten zum Einbezug von Bewegungsressourcen | Welche Unterstützung von Seiten der Beschäftigten fördert Ressourcen? Welche Unterstützung wirkt eher hinderlich? |
Ergonomische Arbeitsweise | Wie schütze ich mich vor Schädigungen durch meine berufliche Tätigkeit? |
Ergonomische Umgebungsgestaltung | Wie gestalte ich das Arbeitsniveau und den Bewegungsfreiraum ergonomisch? |
Verbindung von ergonomischer und ressourcenorientierter Arbeitsweise | Wie verbinde ich die Notwendigkeit, mich selbst zu schützen, mit der gleichzeitigen Förderung der Ressourcen der Menschen? |
Therapeutische Notwendigkeiten | Wie gehe ich z.B. mit der zeitweisen Ruhigstellung von Extremitäten um? |
Solcherart fachkundig ausgebildete Beschäftigte können vor Beginn einer Bewegungsaktivität beurteilen
Darüber hinaus sind fachkundige Beschäftigte in der Lage, mit Hilfe einer systematischen Funktionsanalyse die Möglichkeiten der Eigenbewegung des Menschen zu beschreiben und zu dokumentieren. In eine solche Dokumentation sind dann auch Hinweise zu notwendigen Unterstützungsmöglichkeiten (z.B. selbstständiges Aufrichten im Bett mit Hilfe eines Bettzügels möglich) aufzunehmen oder Hinweise dazu, wie der jeweilige Mensch zu dieser Eigenbewegung durch Bewegungsreize motiviert werden kann.
Abb. 9 Bewegungsunterstützung der Patientin: Verbindung von ergonomischer und ressourcenorientierter Arbeitsweise
Betriebsanweisung | Anlage 1 |
Betriebsanweisung | |
Betriebsanweisungen beschreiben in der Regel Gefahren beim Umgang mit Arbeitsmitteln (z.B. Hilfsmittel, Desinfektionsmittel) sowie entsprechende Schutzmaßnahmen. Sie sollten folgende Gliederungspunkte beinhalten:
1. Anwendungsbereich Hier ist der Anwendungsbereich eines Hilfsmittels zu erläutern. So sollte beispielsweise bei dem Haltegürtel explizit beschrieben sein, dass dieser nicht als Hebegürtel zu benutzen ist. 2. Gefahren für Mensch und Umwelt Hier werden die Gefahren für die Beschäftigten und bei Bedarf auch für den zu bewegenden Menschen aufgeführt. So muss beispielsweise ein Liftertuch gemäß Anwendungsbereich (beispielsweise Duschen, Aufheben vom Boden, Transfer), Größe, Gewicht, Proportionen und Funktionsbild ausgewählt werden, damit der Transfer des Menschen mittels des Lifters schädigungsfrei und sicher durchgeführt werden kann. 3. Schutzmaßnahmen und Verhaltensregeln Hier wird das Procedere beschrieben, beispielsweise das Anlegen eines Liftertuches, die Benutzung der OP-Patientenumbettschleuse im OP. 4. Verhalten bei Störungen Hier wird beispielsweise beschrieben, was zu tun ist, wenn der Akku des Lifters für den Transfer nicht mehr ausreicht, eine Handbedienung nicht funktioniert. |
5. Verhalten bei Unfällen, Erste Hilfe
Hier wird beispielsweise beschrieben, was bei einem Sturz eines Menschen passiert (beispielsweise kein manuelles Aufheben vom Boden). 6. Sachgerechte Entsorgung/Instandhaltung Hier werden hygienische Aufbereitung, Wartung und Prüfung von Hilfsmitteln beschrieben (beispielsweise: welches Desinfektionsmittel wird für die Aufbereitung von Gleitmatten eingesetzt). 7. Folgen der Nichtbeachtung Hier werden beispielsweise mögliche Konsequenzen - sprich Gefährdungen - bei Nicht- oder Fehlbenutzung der Hilfsmittel angeführt. Es kann auch auf eine vorhandene Dienstvereinbarung verwiesen werden. Nicht jeder dieser Punkte ist bei jedem Hilfsmittel gleich gewichtet. Was jedoch immer gilt: Entsprechend § 4 Arbeitsschutzgesetz ist insbesondere bezüglich Punkt 3 der Auflistung die Rangfolge T-O-P (technische vor organisatorischen und diese vor personenbezogenen Maßnahmen) einzuhalten. Die Betriebsanweisungen müssen für die Beschäftigten in verständlicher Form und Sprache verfasst sein. Dies kann bedeuten, dass sie ggf. mehrsprachig oder zusätzlich in leichter Sprache für Beschäftigte mit Handicap zur Verfügung gestellt werden müssen. |
Hinweise zur Unterweisung | Anlage 2 |
Wer muss unterweisen?
Grundsätzlich ist die Unternehmensleitung zur Unterweisung seiner Beschäftigten verpflichtet. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie die Unterweisungen selber durchführen muss. Sie hat allerdings dafür Sorge zu tragen, dass die Unterweisungen fach- und sachkundig durchgeführt werden.
Wer darf unterweisen?
Grundsätzlich sind Unterweisungen von fach- und sachkundigen Personen (z.B. Medizinprodukte-Beauftragte, Hilfsmittelexperten) durchzuführen. So dürfen Medizinprodukte nur von einschlägig ausgebildeten Personen angewendet werden, die über die dafür erforderlichen Kenntnisse und praktischen Erfahrungen oder eine Schulung verfügen. Anwender von Medizinprodukten nach Anlage 1 zur MPBetreibV müssen anhand der Gebrauchsanweisung in die sachgerechte Handhabung eingewiesen worden sein. Der Betreiber darf nur Personen mit der Anwendung beauftragen, die diese Voraussetzungen erfüllen. Bei Unterweisungen zum Bewegen/zur Bewegungsunterstützung von Menschen sollten entsprechend speziell ausgebildete bzw. qualifizierte Beschäftigte eingesetzt werden.
Grundsätzlich sollten Personen, die Unterweisungen durchführen, auch über didaktische Grundkenntnisse verfügen.
Zur Unterstützung können in Unterweisungen der betriebsärztliche Dienst, Fachkräfte für Arbeitssicherheit sowie weitere Experten eingesetzt werden.
Wer muss unterwiesen werden?
Bei Arbeitnehmerüberlassung liegt die Pflicht zur arbeitsplatz- und aufgabenbereichsbezogenen Unterweisung beim Entleiher (§ 12 ArbSchG, Abs. 2). Einrichtungen, die mit Arbeitnehmerüberlassung arbeiten, können somit von einer grundsätzlichen Unterweisung durch den Entleiher ausgehen, sollten jedoch eine "konkrete" Unterweisung unter Berücksichtigung der Erfahrung und Qualifizierung der überlassenen Arbeitnehmenden, vor allem im Hinblick auf den Umgang mit den Menschen, ergänzen.
Abb. 10 Unterweisung in der ergonomischen Arbeitsweise: Ausgangsstellung und Körperhaltung
Welche Anlässe (Pflichtanlässe = P) für Unterweisungen gibt es?
Wo findet die Unterweisung statt?
Wo können Unterweisungen in die Arbeitsabläufe integriert werden?
Wie sollte die Unterweisung erfolgen (Methodik/Didaktik)?
Lastenhandhabungsverordnung | Anlage 3 |
Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der manuellen Handhabung von Lasten bei der Arbeit
(Lastenhandhabungsverordnung - LasthandhabV)
§ 1 Anwendungsbereich
§ 2 Maßnahmen
§ 3 Übertragung von Aufgaben
§ 4 Unterweisung
Literaturverzeichnis
Nachstehend sind die insbesondere zu beachtenden einschlägigen Vorschriften, Regeln und Informationen zusammengestellt.
1. Gesetze, Verordnungen
Bezugsquelle:
Buchhandel und Internet: z.B. www.gesetze-im-internet.de
Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit (Arbeitsschutzgesetz - ArbSchG),
Gesetz zum Schutz der erwerbstätigen Mutter (Mutterschutzgesetz - MuSchG),
Gesetz zum Schutz der arbeitenden Jugend (Jugendarbeitsschutzgesetz - JArbSchG),
Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (Arbeitssicherheitsgesetz - ASiG),
Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der manuellen Handhabung von Lasten bei der Arbeit (Lastenhandhabungsverordnung - LasthandhabV),
Gesetz über Medizinprodukte (Medizinproduktegesetz- MPG),
Verordnung über das Errichten, Betreiben und Anwenden von Medizinprodukten (Medizinproduktebetreiberverordnung - MPBetreibV),
Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Bereitstellung von Arbeitsmitteln und deren Benutzung bei der Arbeit, über Sicherheit beim Betrieb überwachungsbedürftiger Anlagen und über die Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes (Betriebssicherheitsverordnung - BetrSichV),
Verordnung über Arbeitsstätten (Arbeitsstättenverordnung - ArbStättV),
Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge ( ArbMedVV).
2. Vorschriften, Regeln und Informationen für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit
Bezugsquelle:
Bei Ihrem zuständigen Unfallversicherungsträger und unter www.dguv.de/publikationen
Unfallverhütungsvorschriften
DGUV Vorschrift 1 "Grundsätze der Prävention" (bisher BGV/GUV-V A1),
DGUV Vorschrift 3 "Elektrische Anlagen und Betriebsmittel" (bisher BGV/GUV-V A3).
Informationen
DGUV Information 207-010 "Rückengerechtes Arbeiten in der Pflege und Betreuung" (bisher BGI/GUV-I 8557),
DGUV Information 207-017 "Neu- und Umbauplanung im Krankenhaus unter Gesichtspunkten des Arbeitsschutzes, Anforderungen an Funktionsbereiche" (bisher BGI /G UV-I 8681-1),
DGUV Information 207-019 "Gesundheitsdienst" (bisher BGI/GUV-I 8682),
DGUV Information 207-021 "Rückengerechtes Arbeiten in der Pflege und Betreuung", CD-ROM, (bisher BG/GUV 77.60),
DGUV Information 208-033 "Belastungen für Rücken und Gelenke - was geht mich das an?" (bisher BGI/GUV-I 7011).
3. Normen/VDE-Bestimmungen
Bezugsquelle:
Beuth-Verlag GmbH, Burggrafenstraße 6, 10787 Berlin bzw. VDE-Verlag, Bismarckstraße 33, 10625 Berlin
DIN 33411 | Körperkräfte des Menschen |
ISO/TR 12296, 12/2013 | Ergonomie - Manuelles Bewegen von Personen im Bereich der Pflege |
4. BGW
Bezugsquelle:
www.bgwonline.de
"Starker Rücken - Ganzheitlich vorbeugen, gesund im Beruf bleiben" (BGW Themen M 655, Hrsg.: BGW, 2013),
"Gesund pflegen - Gesund bleiben" (BGW Themen, Hrsg.: BGW),
"Sachmittelausstattung in der stationären und ambulanten Altenpflege" (BGW Forschung, Hrsg.: BGW),
"Prävention von Rückenbeschwerden" (topAS_R - Konzept der BGW für Pflege und Betreuung, Hrsg.: BGW),
"Gut zu Fuß im Pflegeberuf-Kriterien für sichere Arbeitsschuhe" (BGW-Info; Hrsg.: BGW Stand 11/2013 bgwonline.de Stichwort Pflegeschuhe),
"Gefährdungsbeurteilung in Kliniken" (BGW check TP-4GB),
"Gefährdungsbeurteilung in der Pflege" (BGW check TP-11GB),
"Gefährdungsbeurteilung in Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation und Werkstätten" (BGW check TP-F14GB),
"Unterweisen in der betrieblichen Praxis" (BGW Ratgeber RGM 8),
5. Forschungsergebnisse
Bezugsquelle:
www.bgwonline.de
"Messtechnische Analyse von ungünstigen Körperhaltungen bei Pflegekräften - eine geriatrische Station im Vergleich mit anderen Krankenhausstationen" (Forschungsstudie, BGW-Info, Hrsg.: BGW bgwonline.de Stichwort CUELA),
"Lendenwirbelsäulenbelastung durch Patiententransfers" (Forschungsstudie, BGW-Info, Hrsg.: BGW bgwonline.de Stichwort IfADo),
"Lendenwirbelsäulenbelastung durch Patiententransfers mit schwergewichtigen Patienten" (Forschungsstudie, BGW-Info, Hrsg.: BGW bgwonline.de Stichwort Schwergewichtige).
6. Leitfäden
"Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit im Gesundheitswesen" (Leitfaden für Prävention und gute Betriebspraxis, Hrsg.: Europäische Kommission, Luxemburg, 2012; eine Gemeinschaftsproduktion von BAuA, BGW, Contec, DNGfK und BAD Teamprevent GmbH), ISBN 978-92-79-21316-8,
"Screening Gesundes Arbeiten" (Leitfaden Hrsg.: BAuA, 2010),
"Leitlinie zum Schutz, zur Gesunderhaltung und Berufsbindung von Fachkräften in der Pflege" (Hrsg.: BGW, Stand 06/2012),
"Prävention von Rückenbeschwerden in der stationären Krankenpflege" (Leitfaden, BGW Forschung, Hrsg.: BGW),
"Prävention von Rückenbeschwerden in der stationären Altenpflege" (Leitfaden, BGW Forschung, Hrsg.: BGW),
"Körperliche Belastungen des Rückens durch Lastenhandhabung und Zwangshaltungen im Arbeitsprozess" (S1-Leitlinie der DGAUM und der GfA, AWMF-Register 002/029, Stand 11/2013),
www.sichereskrankenhaus.de/apps/hilfsmitteldatenbank.
ENDE |
(Stand: 21.08.2023)
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