895. Sitzung des Bundesrates am 30. März 2012
A
Der federführende Gesundheitsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift gemäß Artikel 84 Absatz 2 des Grundgesetzes nach Maßgabe folgender Änderungen zuzustimmen:
1. Zu § 2 Absatz 1 Satz 3 MPGVwV
In § 2 Absatz 1 ist der Satz 3 wie folgt zu fassen:
"Diese Grundsätze sollen insbesondere Kriterien für risikobasierte Überwachungsmaßnahmen enthalten."
Begründung:
Kern der Medizinprodukte-Durchführungsvorschrift ist die Verpflichtung der Länder, auf der Grundlage der Grundsätze von § 2 Absatz 1 Satz 3 ein gemeinsames Rahmenüberwachungsprogramm nach § 3 festzulegen, um die Sicherheit der Medizinprodukte durch eine aufeinander abgestimmte Überwachungstätigkeit zu erhöhen und dem europäischen Recht Rechnung zu tragen. Das Rahmenüberwachungsprogramm ist seinerseits durch Überwachungspläne der zuständigen Behörden zu konkretisieren.
Es widerspricht dem daraus resultierenden hohen Abstraktionsniveau der Grundsätze, dort bereits Festlegungen zu Überwachungsintervallen oder zur Behördenausstattung zu machen. Zudem liegt es im wohlverstandenen Interesse der Länder, die Inhalte des Programms unter Beachtung der genannten Zielsetzungen und weitgehender Wahrung der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung der Exekutive in Artikel 83, 84 Absatz 1 GG eigenständig zu erarbeiten.
Vor diesem Hintergrund sind vor allem die Ausführungen der Bundesregierung in der Begründung zu § 2, insbesondere zu Orientierungswerten und Plangrößen, wenig hilfreich. Den Obersten Landesbehörden bleibt es unbenommen, sich aus eigenem Entschluss dieses Themas anzunehmen. Soweit solche Parameter sinnvoll sind, wären sie von allen Ländern auf der Grundlage ihrer langjährigen Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Rahmenüberwachungsprogramm gemeinsam zu ermitteln.
2. Zu § 4 Absatz 3 MPGVwV
In § 4 ist Absatz 3 wie folgt zu fassen:
"Die zuständigen Obersten Landesbehörden berichten dem Bundesministerium für Gesundheit jährlich über die aufgestellten Rahmenüberwachungsprogramme. Sie überprüfen und bewerten alle vier Jahre die Funktionsweise der Überwachung und berichten dem Bundesministerium für Gesundheit über die Ergebnisse."
Begründung:
In der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift werden die Berichtspflichten mit den Verpflichtungen aus Artikel 18 Absatz 5 der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 begründet. Diese Vorschrift enthält jedoch keine Verpflichtung, dem Bund oder der EU jährlich anlassunabhängig über die Ergebnisse der Überwachung zu berichten.
Artikel 18 Absatz 6 der EU-Verordnung verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Funktionsweise ihrer Überwachungstätigkeit alle vier Jahre zu überprüfen. Die Berichtsfrist der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift ist dementsprechend anzupassen.
Im Übrigen sind für die Medizinproduktesicherheit andere Informationspflichten, wie etwa die Regelungen zur Zusammenarbeit der Behörden, insbesondere bei (dem Verdacht auf) Zuwiderhandlungen (insbesondere § 11, § 4 Absatz 1 und 2), von entscheidender Bedeutung.
3. Zu § 5 Absatz 1 Satz 1 MPGVwV
In § 5 Absatz 1 Satz 1 sind nach den Wörtern "Inspektionen sind" die Wörter "in der Regel" einzufügen.
Begründung:
Diese Änderung dient der Klarstellung. In der Regel sollen Inspektionen vor Ort durchgeführt werden. Jedoch kann es gerade bei umfangreichen Unterlagenprüfungen (zum Beispiel klinische Bewertungen, Risikomanagement oder Dokumentationen zum Vigilanzsystem) sinnvoll sein, diese Prüfung in der Behörde durchzuführen. Hier stehen den überwachenden Personen weitere Informationsquellen, Unterlagen und gegebenenfalls eine Zweitmeinung zur Verfügung. Auch werden die zu Überwachenden nicht unnötig zeitlich gebunden, wenn Unterlagenprüfungen mehrere Stunden dauern oder weitere Überwachungstermine angesetzt werden müssen.
4. Zu § 5 Absatz 4 Satz 1 MPGVwV
In § 5 Absatz 4 Satz 1 ist nach dem Wort "sind" das Wort "grundsätzlich" einzufügen.
Begründung:
Das Wort "grundsätzlich" soll die Möglichkeit eröffnen, insbesondere bei anlassbezogenen Inspektionen von den Vorgaben der Verfahrensanweisungen abweichen zu können.
5. Zu § 7 Absatz 2 MPGVwV
In § 7 ist Absatz 2 wie folgt zu fassen:
- (2) Für die Überprüfung von Medizinprodukten gilt § 5 Absatz 2 entsprechend."
Begründung:
Durch die Änderung wird § 7 Absatz 2 MPGVwV an die geänderte Fassung des § 5 Absatz 2 MPGVwV angepasst. Damit wird den Ländern zugleich grundsätzlich die Möglichkeit einer Refinanzierung des Überwachungsaufwands durch Gebühren eröffnet.
6. Zu § 8 Absatz 1 MPGVwV
In § 8 Absatz 1 ist das Wort "ein" zu streichen und dem Wort "Vorgehensweise" ist das Wort "grundsätzliche" voranzustellen.
Begründung:
Es bestehen grundsätzliche Bedenken gegen die Festlegung eines einheitlichen Verfahrens durch die zuständigen Behörden bei möglichen und festgestellten Mängeln. Zum einen gibt das Medizinproduktegesetz (MPG) selbst bereits bestimmte Verfahren verbindlich vor (vgl. zum Beispiel § 27 MPG), zum anderen hat die Behörde die konkreten Umstände des Einzelfalls im Rahmen der Ausübung ihres Ermessens zu berücksichtigen (vgl. § 26 Absatz 2 MPG), weshalb sich eine schematische Reaktion selbst bei identischen Mängeln schon aus Gründen der Vermeidung eines Ermessensfehlers verbieten kann.
7. Zu § 9 Satz 4 Nummer 1 MPGVwV In § 9 Satz 4 ist die Nummer 1 zu streichen. Begründung:
Nach § 2 Absatz 2 MPGvWV wird das System zur Qualitätssicherung nach § 9 von den zuständigen Obersten Landesbehörden gemeinsam und einheitlich festgelegt. Nach § 9 Satz 4 MPGVwV soll das gemeinsam und einheitlich festzulegende Qualitätssicherungssystem die in den folgenden Ziffern genannten Gegenstände zum Inhalt haben.
Diese Regelung ist hinsichtlich der Behördenausstattung (§ 9 Satz 4 Nummer 1 MPGVwV) nicht sachgerecht.
Zum einen sind die Länder bereits auf der Grundlage von § 26 Absatz 2a MPG verpflichtet, eine entsprechende personelle und sachliche Ausstattung vorzuhalten. Zum anderen liegt es im wohlverstandenen Interesse der Länder, die Inhalte des Systems unter Beachtung der anerkannten Zielsetzungen und weitgehender Wahrung der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung der Exekutive in Artikel 83, 84 Absatz 1 GG eigenständig zu erarbeiten. Dies gilt in besonderem Maße für die Kernbereiche eigenstaatlicher Kompetenzen, wie etwa die Personalhoheit.
Den Obersten Landesbehörden bleibt es unbenommen, sich aus eigenem Entschluss dieses Themas anzunehmen. Einer "Soll"-Vorschrift bedarf es insofern nicht. Die Verpflichtung aller Länder aus § 26 Absatz 2a MPG bleibt unberührt.
8. Zu § 9 Satz 4 Nummer 5 MPGVwV
In § 9 Satz 4 Nummer 5 sind die Wörter "zu ergreifen sind""* durch die Wörter "ergriffen werden können," zu ersetzen.
Begründung:
Es bestehen grundsätzliche Bedenken gegen die Festlegung eines einheitlichen Verfahrens für Maßnahmen, die aufgrund der Ergebnisse der Probenuntersuchung zu ergreifen sind. Die zuständige Behörde muss bei den Maßnahmen, die aufgrund des Untersuchungsergebnisses ergriffen werden, die konkreten Umstände des Einzelfalls im Rahmen der Ausübung ihres Ermessens berücksichtigen (zum Beispiel bei Komplettrückruf eines lebensnotwendigen Medizinprodukts aufgrund des mikrobiologischen Untersuchungsergebnisses die Verfügbarkeit von Alternativen).
9. Zu § 12 Absatz 3 Satz 1 MPGVwV
In § 12 Absatz 3 Satz 1 sind die Wörter "; in der Regel an durchschnittlich zehn Tagen im Jahr" zu streichen.
Begründung:
Die Festlegung einer bestimmten Anzahl von Fortbildungstagen ist nicht sinnvoll.
Der Fortbildungsbedarf der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, insbesondere vom jeweiligen Personalkörper, vom konkreten Aufgabengebiet, von der Ausbildung, den sonstigen Vorkenntnissen, usw.
Zudem knüpft die Regelung an eine rein quantitative Größe an, die zur Beurteilung der Effizienz von Fortbildungsmaßnahmen weitgehend unergiebig ist. Wesentlich bedeutsamer ist es vielmehr, für die jeweilige Mitarbeiterin oder den Mitarbeiter die richtige Fortbildung zum richtigen Zeitpunkt anzubieten.
Es gehört zu einer verantwortungsbewussten Personalführung des Vorgesetzten, den Fortbildungsbedarf der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter festzustellen, der zur Gewährleistung des in § 12 Absatz 1 und 2 MPGVwV beschriebenen hohen Qualifikationsniveaus und zu einer individuellen Personalentwicklung erforderlich ist. Zentrale, bundeseinheitliche Vorgaben sollten eine gute Personalführung nicht kontraproduktiv einschränken.
10. Zu § 13 Absatz 1 und Absatz 2 Satz 1 MPGVwV
§ 13 ist wie folgt zu ändern:
- a) Absatz 1 ist zu streichen.
- b) In Absatz 2 ist die Absatzbezeichnung "(2)" zu streichen und Satz 1 ist wie folgt zu fassen:
"Die zuständigen Behörden sollen Verfahren zur Vorgehensweise bei Verstößen von Betrieben und Einrichtungen nach § 26 Absatz 1 des Medizinproduktegesetzes gegen Vorschriften des Heilmittelwerberechts sowie bei entsprechenden Verbraucherbeschwerden und sonstigen Beanstandungen festlegen."
Begründung:
Zu Buchstabe a:
In Artikel 11 Nummer 6 Buchstabe a des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften soll der Inhalt von § 26 Absatz 2 MPG gesetzlich geregelt werden. Die Aufnahme gesetzlicher Regelungen in eine Verwaltungsvorschrift ist überflüssig und zudem EU-rechtlich nicht erforderlich.
Zu Buchstabe b:
Hierbei handelt es sich um die Anpassung des Absatzes 2 an die Streichung des Absatzes 1.
B
- 11. Der Finanzausschuss empfiehlt dem Bundesrat, der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift gemäß Artikel 84 Absatz 2 des Grundgesetzes zuzustimmen.
C
Der federführende Gesundheitsausschuss (G) und der Finanzausschuss (Fz)
empfehlen dem Bundesrat ferner, folgende Entschließungen zu fassen:
- 12. Der Bundesrat stellt fest, dass die in der Medizinprodukte-Durchführungsvorschrift (MPGVwV) getroffenen Regelungen eine wichtige Voraussetzung für eine zwischen den Ländern einheitlich koordinierte und qualitätsgesicherte Marktüberwachung im Bereich der Medizinprodukte darstellen.
Nach derzeitigen Schätzungen muss indes von einem erheblichen finanziellen Mehraufwand für die Länder ausgegangen werden. Nach Auffassung des Bundesrates müssen die bei der Ausführung der MPGVwV von den zuständigen Behörden des Bundes und der Länder noch festzulegenden Grundsätze, Anforderungen und Verfahren daher in besonderem Maße ein effizientes Verwaltungshandeln fördern, damit die Marktüberwachung weitestgehend mit vorhandenen Personal- und Sachmitteln bewältigt werden kann.
- 13. Die Vorfälle um die silikongelgefüllten Brustimplantate der Hersteller Poly Implant Prothese (PIP) und Rofil Medical Nederland B.V. haben die dringende Notwendigkeit aufgezeigt, die bestehenden Regelwerke zur Sicherheit von Medizinprodukten kritisch zu überprüfen und weiterzuentwickeln.
Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die Überarbeitung des Medizinprodukterechts im Interesse der Sicherheit der Verbraucherinnen und Verbraucher auf nationaler und europäischer Ebene entschlossen voranzubringen. Dabei kommen insbesondere folgende Maßnahmen in Betracht:
- - Einführung einer Zulassungspflicht für besonders risikobehaftete Medizinprodukte, beispielsweise für Produkte, die dauerhaft im menschlichen Körper verbleiben;
- - Erhöhung der Anforderungen an klinische Prüfungen von Medizinprodukten beziehungsweise Leistungsbewertungsprüfungen;
- - Einführung einer Meldepflicht für Betriebe und Einrichtungen, welche besonders risikobehaftete Medizinprodukte, die dauerhaft im menschlichen Körper verbleiben, anwenden oder in den Verkehr bringen; - Mindestaufbewahrungsfristen für Dokumente bei Herstellern und Anwendern mit Regelungen für die Fälle, in denen Inhaber wechseln oder Betriebe aufgelöst werden;
- - Gewährleistung einer ausreichenden Produkthaftung nebst Einführung einer entsprechenden Pflichtversicherung, die für Folgekosten aufkommt, die aus der Anwendung besonders risikobehafteter Medizinprodukte resultieren.
Darüber hinaus fordert der Bundesrat die Bundesregierung auf,
- - die Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung (MPSV) dahin gehend zu ändern, dass wichtige aktuelle Informationen von bundesweiter Bedeutung, speziell in den Fällen, in denen eine rasche Information der Anwender erforderlich ist, nicht nur auf der Webseite des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) öffentlich zugänglich gemacht, sondern darüber hinaus auf Bundesebene aktiv an betroffene Organisationen und Fachgesellschaften kommuniziert werden sowie
- - zu evaluieren, ob das Meldeverhalten der Anwender von Medizinprodukten in Hinblick auf Vorkommnisse und Beinahe-Vorkommnisse den Vorgaben der MPSV gerecht wird und gegebenenfalls Wege aufzuzeigen, um das Meldeverhalten der Anwender von Medizinprodukten in Hinblick auf Vorkommnisse und Beinahe-Vorkommnisse zu verbessern.
Begründung:
Aus den skandalösen Vorfällen um die silikongelgefüllten Brustimplantate der Hersteller Poly Implant Prothese (PIP) und Rofil Medical Nederland B.V. sind Konsequenzen für die Medizinproduktesicherheit zu ziehen.
Eine aufeinander abgestimmte, risikobasierte Überwachung der Hersteller und Anwender von Medizinprodukten durch die zuständigen Behörden des Bundes und der Länder auf der Grundlage eines gemeinsamen Rahmenüberwachungsprogramms, wie sie durch den Erlass der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Medizinproduktegesetzes erreicht werden soll, ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, greift aber zu kurz.
Mit Blick auf den Skandal ist insbesondere festzustellen, dass es sich seitens des Herstellers um kriminelle Aktivitäten gehandelt hat, die auch durch eine verstärkte Routineüberwachung kaum aufzudecken gewesen wären. Auf der anderen Seite wären die fehlerhaften Brustimplantate vermutlich auch in Deutschland früher in den Fokus geraten, wenn alle Vorkommnisse und Beinahe-Vorkommnisse entsprechend § 3 Absatz 2 MPSV an die zuständige Bundesoberbehörde gemeldet worden wären.
Mit den genannten Maßnahmen könnte die Medizinproduktesicherheit deutlich verbessert und könnten künftig ähnliche Vorfälle verhindert, schneller aufgedeckt und/oder deren Folgen für die Betroffenen gelindert werden.
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Der Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik hat von einer Empfehlung an das Plenum abgesehen.