Der Bundesrat hat in seiner 959. Sitzung am 7. Juli 2017 die aus der Anlage ersichtliche Entschließung gefasst.
Anlage
Entschließung des Bundesrates zur "Gewaltprävention für gefährdete Beschäftigte in Dienstleistungsberufen"
- 1. Sowohl im öffentlichen Dienst wie auch in anderen Berufsfeldern sind Beschäftigte immer häufiger Angriffen ausgesetzt. Dies betrifft nicht nur körperliche Übergriffe, sondern auch verbale oder im Internet begangene Angriffe auf deren Würde. Der Bundesrat verurteilt jedwede Form der physischen oder psychischen Gewalt gegen Beschäftigte, ganz gleich ob es sich um Angriffe auf Polizeivollzugskräfte, private Sicherheitsdienste, Rettungs- und Lehrkräfte, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Jobcentern, Sozial- und Finanzämtern, von privaten und öffentlichen Verkehrs-, Gesundheits- oder Pflegediensten oder andere Berufsgruppen handelt.
- 2. Gewaltprävention ist primär staatliche Aufgabe, insbesondere von Polizei und Justiz, unabhängig davon, ob es um Beschäftigte oder sonstige Personen geht. Angesichts steigender Gewaltbereitschaft müssen Straftaten auch gegen Beschäftigte im Dienstleistungssektor konsequenter verhindert, verfolgt und geahndet werden. Da Gewalt gegen Personen oftmals im Zusammenhang mit anderen Straftaten begangen wird, ist auch gegen die Täter von Eigentumsdelikten konsequenter vorzugehen, zum Beispiel bei bandenmäßigem Ladendiebstahl.
- 3. Voraussetzung für ein Zurückdrängen physischer und psychischer Gewalt gegen Beschäftigte und für ein Abmildern von Gewaltfolgen ist, dass Länder, Bund, Gemeinden sowie private Arbeitgeber und die Akteure der Zivilgesellschaft in allen Handlungsfeldern der Prävention und der Opferhilfe nachhaltig zusammenwirken. Diese reichen vom Arbeitsschutz und der Berufsbildung bis hin zur Bildung, Sozialarbeit und Prävention bereits im jungen Alter. Neben der Verantwortung der Länder, zu der sich der Bundesrat bekennt, sind zivilgesellschaftliche Akteure ebenso gefordert wie deren Unterstützung durch den Bund. Der Bundesrat möchte mit dieser Entschließung eine gesamtgesellschaftliche Diskussion auch über die Wertschätzung für diese Berufsgruppen anregen.
- 4. Der Bundesrat sieht in der fachkundigen Umsetzung der vom Arbeitgeber nach dem Arbeitsschutzgesetz geforderten Beurteilung der Arbeitsbedingungen und in der Festlegung geeigneter Maßnahmen des Arbeitsschutzes ein wesentliches Element zur Vermeidung oder Verringerung von Gefährdungen durch Übergriffe Dritter auf Beschäftigte. Insbesondere beim Auftreten tätigkeitsbezogener Risikofaktoren, wie
- - dem Umgang des Beschäftigten mit Bargeld oder wertintensiven Gütern, Zugang zu Rauschmitteln/Drogen, - der Ausübung von amtlichen Befugnissen, Kontroll- und Inspektionsaufgaben,
- - der Umsetzung direkter Dienstleistungen für andere Menschen, wie Beratung, Ausbildung, Gesundheits- und Sozialfürsorge, Auskunftsdienste,
- - dem Umgang mit schwierigen Personengruppen, wie Personen mit fremdaggressivem Verhalten aufgrund einer psychischen Störung oder Alkohol- oder Drogeneinfluss, sozial auffällige Personen, Personen mit Forderungen, die nicht erfüllt werden können,
- - öffentlich zugänglichen Einzelarbeitsplätzen oder Einzelarbeitsplätzen vor Ort beim Kunden oder Klienten sind vom öffentlichen oder privaten Arbeitgeber spezifische Maßnahmen des Arbeitsschutzes im Sinne der Gewaltprävention umzusetzen. Solche Maßnahmen betreffen sowohl die Prävention von Gewalttaten als auch die Hilfeleistung für betroffene Beschäftigte bei eingetretenen Gewaltfällen.
- 5. Mit technischen und/oder organisatorischen Maßnahmen muss der Arbeitgeber versuchen, Gewalttaten zu erschweren oder unmöglich zu machen, den Tatanreiz zu senken und das Risiko für den Täter zu erhöhen. Auch hat sich die Erstellung von Notfallplänen bewährt.
Weitergehende personenbezogene Maßnahmen dienen der Aufklärung und Kompetenzentwicklung, damit gefährdete Beschäftigte problematische Situationen vermeiden oder aber bewältigen können. Inhalte personenbezogener Maßnahmen sind Schulungen über das Gefährdungspotenzial am eigenen Arbeitsplatz, über psychische Auswirkungen erlebter Gewalt und über die richtigen Verhaltensweisen im Notfall, ein Training zum frühzeitigen Erkennen konfliktträchtiger Situationen, zum Konfliktmanagement bzw. zur Deeskalation und die Ausbildung von betrieblichen Ersthelfern für die psychologische Erste Hilfe.
- 6. Bei eingetretenen Gewaltereignissen muss Ziel sein, die Auswirkungen des Geschehens auf die betroffenen Beschäftigten nach Möglichkeit zu mildern. Neben der gegebenenfalls erforderlichen medizinischen Ersten Hilfe ist die psychologische Erste Hilfe eine wichtige Maßnahme zur Stabilisierung der Betroffenen. Sie kann durch Kollegen oder Vorgesetzte geleistet werden (am besten: geschulte betriebliche Ersthelfer), auch durch Notfallseelsorger, Kriseninterventionsdienste oder Ähnliches.
Weiterhin ist zeitnah das Angebot einer Nachbetreuung im Betrieb, bei Bedarf die Überleitung in eine therapeutische Behandlung und die Unterstützung bei der Rückkehr an den Arbeitsplatz zu unterbreiten.
- 7. Im Ergebnis der im Rahmen der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie durchgeführten repräsentativen Betriebsbefragung von bundesweit 6 500 Betrieben gaben 2015 nur 54 Prozent der Betriebe an, eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen. Dies muss nach Ansicht des Bundesrates Ansporn sein, um die Bemühungen zur Gewaltprävention zu intensivieren. Insbesondere in kleinen Betrieben und in dienstleistenden Bereichen ist diese Forderung häufig nicht umgesetzt. Da, wie aufgeführt, die Gefährdungsbeurteilung ein wesentliches Element der Prävention vor Gewalt durch Dritte darstellt, bekräftigt der Bundesrat die von den Arbeitsschutzbehörden seiner Länder und den übrigen an der Umsetzung der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie beteiligten Institutionen Bund und Unfallversicherungsträger sowie Sozialpartner ergriffenen Anstrengungen zum Beispiel mit den bundesweiten Arbeitsprogrammen für eine bessere betriebliche Arbeitsschutzorganisation und zum Schutz der Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.
- 8. Gleichzeitig erinnert der Bundesrat an die Notwendigkeit, der Prävention vor Gewalteinwirkungen durch Dritte einen höheren Stellenwert einzuräumen und die Bedingungen dafür zu schaffen, dass in Risikobereichen Gefährdungsbeurteilungen durchgeführt und im Ergebnis technische oder organisatorische und personenbezogene Maßnahmen umgesetzt werden können. Hierzu gehört wesentlich auch die Zuordnung einer angemessenen Personalausstattung als Voraussetzung für die Umsetzung der spezifischen Maßnahmen zum Beispiel zur Vermeidung von Gefährdungen durch Alleinarbeit, Bereitstellung von Zeitressourcen für Weiterbildung und Deeskalationstrainings.
Der Bundesrat erkennt in der Umsetzung der genannten Maßnahmen einen praktischen Beitrag zur Erhöhung der Sicherheit und der Wertschätzung für dienstleistende Personengruppen, die Gefährdungen durch von Dritten ausgehende Gewalt ausgesetzt sind.
- 9. Im Bereich der polizeilichen Präventionsarbeit kommt einer gesamtgesellschaftlichen Herangehensweise eine erfolgskritische Bedeutung zu. Demokratie, Toleranz und Respekt müssen nachhaltig gestärkt werden. Dabei ist im Rahmen von berufsgruppenübergreifenden Präventionsstrategien zu den Gefahren und Konsequenzen gewalttätigen Handelns zu sensibilisieren. So können die Zielgruppen der Präventionsmaßnahmen beispielhaft erleben, dass Gesundheits-, Sozial-, und Ausländerbehörden, Schule und Sicherheitsbehörden im Team zusammenarbeiten und somit unterschiedliche Berufsgruppen mit unterschiedlichen Motivationen und unterschiedlichen Meinungen gemeinsam an der Lösung gesellschaftlicher Fragen arbeiten. So wird Extremismus- und Gewaltbereitschaftstendenzen frühzeitig vorgebeugt und eine wehrhafte Demokratie gestärkt.
Gewalt gegen Personen darf keine öffentliche Billigung und Unterstützung erfahren. Opfer- und Helferschutz darf nicht hinter dem Täterschutz zurückstehen. Hierauf müssen gefährdete Beschäftigte, Helfer und Gewaltopfer vertrauen können.