Der Bundesrat hat in seiner 833. Sitzung am 11. Mai 2007 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
1. Zum Richtlinienvorschlag allgemein
Der Bundesrat erkennt angesichts der unterschiedlichen und in einzelnen Mitgliedstaaten möglicherweise nicht ausreichenden Regelungen zur Festlegung von Flughafenentgelten das Ziel des Richtlinienvorschlags grundsätzlich an, einen europaweit einheitlichen Regulierungsrahmen für Flughafenentgelte zu schaffen.
Der Bundesrat betont jedoch, dass in Deutschland ein Rechtsrahmen existiert, dessen Anwendung den in dem Richtlinienvorschlag aufgestellten Grundsätzen weitgehend ebenso entspricht wie den von der International Civil Aviation Organization (ICAO) ausgesprochenen Der Bundesrat sieht daher keine Notwendigkeit zur Einrichtung einer nationalen unabhängigen Regulierungsbehörde. Eine Änderung der bestehenden Länderzuständigkeit ist nicht angezeigt.
Der Bundesrat weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Richtlinienvorschlag erhebliche Unklarheiten bei der Bestimmung von Aufgabe und Funktion einer solchen Regulierungsbehörde aufweist: Nach Artikel 10 Abs. 1 soll die Behörde die nach Artikel 4 und 7 der Richtlinie dargelegten Aufgaben übernehmen. Artikel 4 Abs. 3 regelt, dass diese Behörde als Schlichtungsstelle fungiert, falls es bei der Festlegung der Entgelte zwischen Flughafenbetreiber und Gesellschaften zu keiner Einigung kommt, so dass grundsätzlich die Entgeltfestlegung der Einigung der Marktteilnehmer überlassen wird. Auch Artikel 7 Abs. 2 sieht lediglich eine schlichtende Funktion bei grundsätzlicher Selbstregulierung durch die Marktteilnehmer vor. Die Funktionen der Regulierung einerseits und der bloßen Schlichtung andererseits widersprechen sich jedoch und bedürfen im weiteren Rechtsetzungsverfahren der Präzisierung.
Der Bundesrat stellt weiterhin fest, dass die Kommission sehr detaillierte Regelungsvorschläge unterbreitet, obgleich sie als Regelungsinstrument eine Richtlinie wählt, die als solche nach Artikel 249 EGV den Mitgliedstaaten die Wahl der Form und der Mittel zur Erreichung des durch die Richtlinie vorgegeben Ziels zu überlassen hat. So sollen z.B. genaue Verfahrensabläufe und enge Fristvorgaben geregelt werden. Ebenso werden detailliert Auskunftspflichten der Flughäfen beschrieben, die über das übliche Maß hinausgehen, so dass der Eindruck entsteht, dass auch Geschäftsgeheimnisse offen gelegt werden müssen. Auf der anderen Seite sind dagegen Luftverkehrsgesellschaften nicht gehalten, derartige Informationen vorzulegen oder ihre längerfristigen Planungen in Bezug auf einen Flughafen darzulegen.
Der Bundesrat ist daher der Auffassung, dass es einer europäischen Regelung zu den Flughafenentgelten in der vorgelegten Form nicht bedarf. Wenn das Instrument einer Richtlinie gewählt wird, sollten sich die Vorschläge auf einen generellen Rahmen beschränken, den die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer nationalen Vorschriften umsetzen.
2. Im Einzelnen
Ungeachtet seiner grundsätzlichen Ablehnung des Richtlinienvorschlags in der vorgelegten Form ist der Bundesrat aber weiterhin der Auffassung, dass der vorgeschlagene Richtlinientext in mehrfacher Hinsicht dringend der Überarbeitung bedarf. Im Einzelnen betrifft dies die folgenden Vorschriften:
- Artikel 2 - Begriffsbestimmung/Definition
Die Definition zu "Flughafenentgelten" in Artikel 2 Buchstabe d ist missverständlich. Dieser Vorschrift ist nicht eindeutig zu entnehmen, welche Leistungen und Entgelte von der Richtlinie erfasst werden. Auch ist mit der Formulierung "Abfertigung von Fluggästen und Fracht" die Abgrenzung zu Bodenabfertigungsdiensten nicht eindeutig, obgleich in Artikel 1 Abs. 2 Satz 2 darauf hingewiesen wird, dass die Richtlinie keine Anwendung auf Entgelte im Rahmen von Bodenabfertigungsdiensten findet. Ebenso ist nicht ersichtlich, ob auf Grundlage von Artikel 2 Buchstabe d die Erhebung von zentralen Infrastrukturentgelten umfasst wird. Falls letzteres beabsichtigt sein sollte, bittet der Bundesrat die Bundesregierung, darauf hinzuwirken, dass für diese Entgelte keine weiteren Vorgaben gemacht werden. Die in Deutschland übliche Praxis der Erhebung von zentralen Infrastrukturentgelten (ZI), die nach § 6 BADV unabhängig von der Erhebung von Start- und Landeentgelten erfolgt, hat sich bewährt. Ohne die Möglichkeit der Preissteuerung des Flughafenbetreibers bei der Inanspruchnahme engpassgeneigter, zentraler Infrastrukturen besteht die Gefahr, dass wesentliche kapazitätsbestimmende Infrastrukturen eines Flughafens nicht mehr steuerbar sind und damit die Gesamtkapazität dieses Flughafens eingeschränkt wird.
- Artikel 3 - Diskriminierungsverbot
Die Mitgliedstaaten können in der Praxis nicht gewährleisten, dass eine Diskriminierung nicht stattfindet. Der Text sollte daher in dem Sinne geändert werden, dass die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass Flughafenentgelte nicht zwischen Flughafennutzern oder Fluggästen diskriminieren.
- Artikel 4 - Konsultation und Rechtsbehelf
Das in Artikel 4 geregelte Konsultationsverfahren sieht vor, dass eine Konsultation mindestens einmal jährlich stattfinden soll. Eine solche strikte Fristvorgabe ist jedoch nicht angezeigt. Der Bundesrat ist vielmehr der Auffassung, dass eine Konsultation nur dann erforderlich ist, wenn tatsächlich Bedarf besteht, das heißt bei anstehenden Entgeltänderungen.
Die in Artikel 4 Abs. 2 vorgeschlagene Formulierung "die Mitgliedstaaten gewährleisten" ist entsprechend der Erläuterung zu Artikel 3 zu ändern und durch die Formulierung "tragen dafür Sorge" zu ersetzen. Ebenso sollte Artikel 4 Abs. 2 Satz 3 geändert werden: Es kann nicht angehen, dass auf Antrag nur eines Flughafennutzers der Flughafenbetreiber ein Konsultationsverfahren durchführen muss, insbesondere, wenn man hierbei berücksichtigt, dass auf den großen internationalen Verkehrsflughäfen unter Umständen hunderte von Flughafennutzern vertreten sind.
- Artikel 5 - Transparenz
Es ist evident, dass die Flughafenbetreiber in ihren Konsultationen Informationen hinsichtlich der Festlegung der Höhe der Entgelte vorzulegen haben. Allerdings ist der von der Kommission aufgestellte Katalog in Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe a bis h zu weitgehend. Eine Transparenzregelung kann nicht so weit gehen, dass einerseits Flughafenbetreiber ggf. verpflichtet werden, Geschäftsgeheimnisse preiszugeben, Luftverkehrsgesellschaften andererseits hingegen auf ein Minimum an Informationspflichten beschränkt sind. Dies würde zu einem Ungleichgewicht zwischen Gesellschaften und Flughafenbetreiber führen.
Darüber hinaus ist der Regelungsvorschlag bei allem Detaillierungsgrad zumindest missverständlich, wenn in Absatz 1 Buchstabe d "Erträge und Kosten jeder Kategorie von Entgelten" zusammen geregelt werden. Diese Formulierung legt nahe, dass zunächst Kategorien von Entgelten zu bilden und hierauf sodann die jeweiligen Erträge und Kosten abzubilden seien. Dies widerspricht dem bewährten Prinzip der Gesamtkostendeckung, wonach die gesamten Erträge der Flughafenentgelte einen Deckungsbeitrag zu den gesamten Kosten des Flugbetriebs liefern, nicht aber jeweils einzelne Leistungen nur den durch sie verursachten Kosten entsprechend bepreist werden dürfen. Eine Einzelkostendeckung für jede einzelne Entgeltart vorzusehen, würde die Flughäfen des für die operative Steuerung des Flugbetriebs wichtigen wirtschaftlichen Instruments der Entgeltdifferenzierung im Rahmen einer Gesamtkostendeckung berauben.
Weiterhin erschließt sich das Erfordernis in Absatz 1 Buchstabe g, Informationen über die tatsächliche Nutzung der "Gerätschaften" des Flughafens vorzulegen, nicht. Eine Darstellung der Nutzung aller Gerätschaften eines Flughafens würde einen erheblichen Aufwand erfordern, dem wenig Nutzen und Informationsgehalt gegenüberstünden.
- Artikel 6 - Neue Infrastruktur
Auch diese Vorschrift ist zu weitgehend. Es versteht sich von selbst, dass Flughafenbetreiber ihre Nutzer über die Vorhaben neuer Infrastruktur an dem jeweiligen Flughafen informieren. Eine Konsultierung allerdings ist nicht angemessen. Der Einfluss der Nutzer auf die Planung der Flughafeninfrastruktur sollte wegen der unterschiedlichen Anforderungen der Vielzahl von Nutzern auf ein Minimum beschränkt bleiben. Ansonsten besteht die Gefahr, dass ein Flughafen seine Entwicklungsziele, soweit sie nicht mit den Interessen aller Nutzer im Einklang stehen, nicht umsetzen kann.
- Artikel 7 - Qualitätsstandards
Diese Regelung ist für eine Richtlinie zu detailliert. Die Festlegung von Qualitätsstandards sollte einvernehmlich zwischen den Flughafenbetreibern und den Nutzern erfolgen.
- Artikel 8 - Entgeltdifferenzierung
Die Entgeltdifferenzierung darf nicht nur nach Qualitätsniveaus erfolgen, sondern muss auch nach Umweltgesichtspunkten möglich sein, namentlich nach den Lärmauswirkungen von Flugzeugen sowie zum Schutz der Nachtruhe. Der Richtlinienvorschlag berücksichtigt dies in keiner Weise.
Darüber hinaus muss beachtet werden, dass Differenzierungen in der Entgeltstruktur wie etwa der das Verhältnis von fixen (flugzeugbezogenen) und variablen (auf Verkehrseinheiten bezogenen) Entgelten oder die Bepreisung unterschiedlicher, aber funktional vergleichbarer Leistungen (z.B. von Gebäudepositionen und Außenpositionen bei der Abfertigung oder von unterschiedlichen Abstellpositionen) ein wichtiges ökonomisches Steuerungsinstrument des Flughafenbetriebs darstellen, das nicht durch eine möglicherweise abschließende Regelung der Entgeltdifferenzierung eingeschränkt werden darf.
- Neuer Artikel
Der Vorschlag enthält keine Regelung zur Vorfinanzierung von Infrastrukturprojekten. Eine solche Regelung, die nach ICAO-Vorgaben zulässig ist, sollte in die Richtlinie aufgenommen werden. Dadurch würde es den Flughäfen gestattet, zur Vorfinanzierung von Infrastrukturmaßnahmen entsprechende Entgelte oder Entgeltzuschläge in Rechnung zu stellen.