COM (2018) 634 final; Ratsdok. 12099/18
Der Bundesrat hat in seiner 972. Sitzung am 23. November 2018 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
Zur Vorlage allgemein
- 1. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die effektive Rückführung von Drittstaatsangehörigen, die kein Aufenthaltsrecht in der EU haben, von herausgehobener Bedeutung für den Erfolg des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist. Er begrüßt, dass die Kommission ihre Bemühungen intensiviert, die Verfahren zur Rückführung von Drittstaatsangehörigen effektiver zu gestalten.
Er begrüßt daher die geplante Überarbeitung der Richtlinie 2008/115/EG vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Rückführungsrichtlinie) mit dem Ziel, die Rückkehrverfahren in den Mitgliedstaaten stärker zu vereinheitlichen.
- 2. Er begrüßt insbesondere das mit dem Richtlinienvorschlag verfolgte Vorhaben, mit einer Neufassung der Rückführungsrichtlinie klarere und wirksamere Vorschriften über den Erlass von Rückkehrentscheidungen und über Rechtsbehelfe gegen diese Entscheidungen zu schaffen.
Einige der vorgesehenen Regelungen sind im deutschen Recht bereits umgesetzt und erprobt. Insbesondere ist hierbei die Einführung von Programmen zur Unterstützung der freiwilligen Rückkehr und Wiedereingliederung zu nennen.
Die geltende Rückführungsrichtlinie sowie ihre Umsetzung in nationales Recht haben zu einer Vielzahl von Auslegungsproblemen in der Praxis der Verwaltungsgerichte geführt. Dies zeigt, dass bei einer Neufassung der Rückführungsrichtlinie außerordentliche Sorgfalt geboten ist. Denn rechtliche Zweifelsfragen, die auf der Ebene des Unionsrechts angelegt sind, führen absehbar zu erheblichen Verzögerungen bei der Durchführung von gerichtlichen Rechtsschutzverfahren und von Abschiebungen. Daher sollte bei der Neufassung der Rückführungsrichtlinie angestrebt werden, die Zahl neuer Zweifelsfragen bei der Auslegung des Unionsrechts so klein wie möglich zu halten.
Zu Artikel 8
- 3. Die Formulierung "nationaler Flüchtlingsstatus" in Artikel 8 Absatz 6 des Richtlinienvorschlags steht weder in Einklang mit dem derzeitigen Stand des Vorschlags der Anerkennungsverordnung noch mit dem völkerrechtlichen Sprachgebrauch im Zusammenhang mit der Genfer Flüchtlingskonvention. Hieraus ergeben sich Ansatzpunkte für schwierige Auslegungsfragen, die zu den oben angesprochenen Verzögerungen führen können.
Zu Artikel 13
- 4. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich im Rat im Rahmen der Änderung der Rückführungsrichtlinie dafür einzusetzen, dass die Löschung von bestehenden Einreiseverboten im Schengener Informationssystem bis zur Begleichung aller ausstehenden öffentlichen Forderungen aufschiebend bedingt wird. Nach gegenwärtiger Rechtslage wird die Dauer des Einreiseverbots im Sinne des Artikels 11 Absatz 2 der Rückführungsrichtlinie von Amts wegen bereits vor der Abschiebung unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgelegt (vergleiche 6. und 14. Erwägungsgrund der Rückführungsrichtlinie) und sie soll gemäß Artikel 11 Absatz 2 der Rückführungsrichtlinie grundsätzlich fünf Jahre nicht überschreiten.
Somit besteht kein oder nur sehr enger Spielraum für die Erwägung, die Wiedereinreise eines Ausländers davon abhängig zu machen, dass die vom Ausländer zu tragenden öffentlichen Kosten (wie etwa die Abschiebungskosten oder die bei Straftätern angefallenen Gerichtskosten) bereits beglichen worden sind.
Es ist jedoch eine legitime Erwägung, dass die Abschiebungskosten und andere öffentliche Kosten, die von einem Ausländer zu tragen sind, nicht der öffentlichen Hand zur Last fallen sollen (vergleiche VG Freiburg, Urteil vom 18. September 2014, 4 K 2304/13, Randnummer 54).
Zum Beispiel: Straftäter verursachen in gerichtlichen Verfahren oft hohe Kosten, ohne diese vor ihrer Ausreise bzw. Abschiebung zu begleichen. Sofern diese Kosten nicht vor einer Wiedereinreise beglichen werden müssen, besteht die Gefahr, dass diese Kosten dauerhaft der öffentlichen Hand zur Last fallen. Die Löschung von Einreiseverboten sollte deshalb zwingend davon abhängig gemacht werden, dass grundsätzlich alle öffentlichen Forderungen (zum Beispiel Abschiebungskosten, Gerichtskosten, Steuerschulden) beglichen worden sind.
Eine solche Regelung, die darauf hinwirkt, dass die Abschiebungskosten vor einer Wiedereinreise der Ausländer zu begleichen sind, würde auch für ausreisepflichtige Ausländer einen erheblichen Anreiz zur Vermeidung von Abschiebungskosten und damit zur freiwilligen Ausreise bieten.
Zu Artikel 16 und Artikel 22
- 5. Artikel 16 Absatz 1 Unterabsatz 2 des Richtlinienvorschlags kann ferner zu einer unerwünschten Doppelung von Rechtsschutzverfahren und damit im Ergebnis zu Verfahrensverzögerungen führen. Nach geltendem deutschen Recht werden Bescheide über die Versagung eines Schutzstatus regelmäßig zugleich mit einer Abschiebungsandrohung (Rückkehrentscheidung) verbunden. Damit bezieht sich auch das verwaltungsgerichtliche Asylstreitverfahren einheitlich auf beide Gegenstände. Die in Artikel 16 Absatz 1 Unterabsatz 2 des Richtlinienvorschlags vorgesehene zeitliche Staffelung der jeweiligen Verwaltungs- und Rechtsschutzverfahren würde demgegenüber zu erheblichen Nachteilen in Form von Mehraufwand und einer deutlichen zeitlichen Verlängerung führen.
- 6. Der Bundesrat bewertet die Anordnung in Artikel 16 Absatz 3 Unterabsatz 2 Satz 1 und Artikel 22 Absatz 6 Unterabsatz 3 des Richtlinienvorschlags, dass über einen Antrag auf vorübergehende Aussetzung der Vollstreckung einer Rückkehrentscheidung regelmäßig innerhalb von 48 Stunden nach Antragstellung zu entscheiden ist, kritisch. Denn nach den Erfahrungen der Praxis dürfte diese Frist kaum einzuhalten sein, zumal der Normwortlaut auch Wochenenden und Feiertage einschließt. Eine Entscheidung innerhalb der vorgenannten Frist dürfte in vielen Fällen ohnehin schon daran scheitern, dass die erforderlichen Verwaltungsvorgänge nicht rechtzeitig zur Verfügung stehen. Effektiver Rechtsschutz ließe sich auf diese Weise nicht gewähren. Der Bundesrat ist allerdings der Auffassung, dass über den Weg der Öffnungsklausel des Artikels 4 Absatz 3 des Richtlinienvorschlags, wonach günstigere Bestimmungen der Mitgliedstaaten unberührt bleiben, kein zwingender Anpassungsdruck entsteht.
- 7. Er lehnt daher die Frist des Artikels 16 Absatz 3 Unterabsatz 2 Satz 1 des Richtlinienvorschlags ab, nach dem die Mitgliedstaaten sicherstellen sollen, dass eine Entscheidung über den Antrag auf vorübergehende Aussetzung der Vollstreckung einer Rückkehrentscheidung innerhalb von 48 Stunden getroffen wird. Eine sachgerechte gerichtliche Entscheidung kann innerhalb einer solchen Frist nur selten getroffen werden. Eine solche Regelung begegnet wegen des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf und auf effektiven Rechtsschutz (Artikel 47 Absatz 1 der Charta der Grundrechte der EU, Artikel 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention und Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes) sowie der sachlichen Unabhängigkeit der Gerichte (Artikel 47 Absatz 2 der Charta der Grundrechte der EU und Artikel 97 Absatz 1 des Grundgesetzes) erheblichen Bedenken.
- 8. Der Bundesrat weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Effizienz von Rückkehrverfahren nicht vorrangig davon abhängt, ob Gerichte über die Aussetzung einer Rückkehrentscheidung innerhalb von 48 Stunden entscheiden. Rückkehrverfahren sind vor allem deshalb nicht effizient, weil bestehende und gerichtlich bestätigte Rückkehrverpflichtungen im Verwaltungsweg häufig nicht vollzogen werden können. Ein entscheidender Hinderungsgrund der Vollziehung einer Rückkehrverpflichtung ist, wie die Kommission selbst feststellt, neben der fehlenden Mitwirkung der Drittstaatsangehörigen vor allem die mangelnde Kooperationsbereitschaft der Herkunftsstaaten. Der Bundesrat bittet, die Bemühungen in der Zusammenarbeit mit den Herkunftsstaaten weiter fortzusetzen.