Stellungnahme des Bundesrates
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen

Der Bundesrat hat in seiner 933. Sitzung am 8. Mai 2015 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

1. Zu Artikel 1 Nummer 1 (Inhaltsübersicht zu § 90r und § 90s IRG),

Nummer 2 (§ 90r Überschrift, einleitender Satzteil, § 90s Überschrift, Absatz 1, Absatz 2, Absatz 3, Absatz 4 Satz 1 und 2, § 90t Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 Satz 1, Absatz 3 Satz 1, § 90u Absatz 1 Satz 1, Absatz 3 Nummer 1 und 2, Absatz 5, § 90v Absatz 1 Satz 1 und 2, Absatz 2 Satz 1 und 2, Absatz 3, § 90w Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 1, § 90y Absatz 1 Satz 1, Satz 3, Absatz 2, Absatz 3, Absatz 4, Nummer 3, § 90z Absatz 1 Satz 1, Satz 2, Satz 3, Absatz 2 einleitender Satzteil, Nummer 2 und 4 IRG)

Artikel 1 ist wie folgt zu ändern:

Begründung:

Der Änderungsvorschlag betrifft sowohl die Zuständigkeit für die Bewilligung ein- und ausgehender Ersuchen(a), als auch die gerichtliche Zuständigkeit für die Entscheidung über die Zulässigkeit sowie die Überwachung von Maßnahmen bei eingehenden Ersuchen(b). Im Einzelnen:

2. Zu Artikel 1 Nummer 1 (Inhaltsübersicht Überschrift Achter Teil, Abschnitt 5 IRG),

Nummer 1a - neu - (Überschrift Achter Teil IRG), Nummer 2 (Eingangssatz, § 90o Überschrift, Absatz 1, Absatz 2 Satz 2, § 90p Überschrift, § 90q Überschrift, § 90r Überschrift, einleitender Satzteil, Nummer 1 und 4, § 90s Überschrift, Absatz 3 Satz 1, § 90t Überschrift, Absatz 1 Satz 1 und 2, Absatz 2 Satz 1, § 90u Überschrift, Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 Satz 1, Absatz 3 Nummer 1 und 2, § 90v Überschrift, Absatz 2, § 90w Überschrift, Absatz 1, Absatz 4 Nummer 4, § 90x Überschrift, Satz 1 und 2, § 90y Überschrift und § 90z Überschrift IRG)

Artikel 1 ist wie folgt zu ändern:

Begründung:

Mit dem Gesetzentwurf sollen die Regelungen des Rahmenbeschlusses 2009/829/JI des Rates vom 23. Oktober 2009 über die Anwendung - zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union - des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen über Überwachungsmaßnahmen als Alternative zur Untersuchungshaft, ABl. 294 vom 11.11.2009, S. 20 (Rahmenbeschluss Überwachungsanordnung) in dem Teil des IRG zum Vollstreckungshilfeverkehr mit den Mitgliedstaaten der EU (Neunter Teil) umgesetzt werden.

Tatsächlich handelt es sich bei den nach dem Rahmenbeschluss vorgesehenen Maßnahmen nicht um solche der Vollstreckungshilfe, sondern um die Unterstützung eines ausländischen Ermittlungsverfahrens. Vollstreckungshilfe wird dagegen zur Unterstützung eines ausländischen Strafverfahrens durch Vollstreckung einer rechtskräftigen und vollstreckbaren ausländischen Entscheidung geleistet. Diese in der Dogmatik allgemein anerkannte Abgrenzung hat der Gesetzgeber in § 66 Absatz 3 IRG ausdrücklich übernommen. Sie liegt auch der Regelung des im Neunten Teil des IRG enthaltenen § 89 IRG zu Grunde, wonach auf Ersuchen um vorläufige Sicherstellungen von Vermögenswerten zur Vorbereitung einer späteren Einziehungs- oder Verfallsentscheidung Vorschriften des die sonstige Rechtshilfe regelnden Zehnten Teils des IRG Anwendung finden. In der Chronologie eines Strafverfahrens beginnt Vollstreckungshilfe daher erst dann, wenn Ermittlungs- und Erkenntnisverfahren durch rechtskräftiges Urteil bzw. Entscheidung abgeschlossen sind und - mit Ausnahme ihrer Wiederaufnahme - durch Rechtsmittel nicht mehr angefochten werden können.

Der Rahmenbeschluss Überwachungsanordnung zielt indes ausschließlich auf die Vermeidung von Untersuchungshaft zur Sicherung der Hauptverhandlung bzw. zum Schutz der Allgemeinheit vor Wiederholungstaten bis zur endgültigen Entscheidung über den strafrechtlichen Vorwurf (siehe Erwägungsgrund 3 Rahmenbeschluss Überwachungsanordnung).

Die teilweise vorhandenen Belastungen einer Maßnahme für den Verfolgten lassen die Maßnahme auch nicht als sanktionsähnlich erscheinen; andernfalls verstießen sie gegen den in Artikel 6 Absatz 2 EMRK kodifizierten Grundsatz der Unschuldsvermutung. Die Vollstreckung einer auf die Sanktion anrechenbaren Untersuchungshaft soll vielmehr zur Stärkung des Rechts auf Freiheit und der Unschuldsvermutung vermieden werden (siehe Erwägungsgrund 4 Rahmenbeschluss Überwachungsanordnung). In ähnlicher Weise wird auch in der Begründung des Gesetzesentwurfs, BR-Drucksache 125/15 (PDF) , S. 32 Absatz 3 ausgeführt:

"Der Rb Überwachungsanordnung trifft Regelungen für das Erkenntnisverfahren und der Rb Bewährungsüberwachung schafft Regelungen für das Vollstreckungsverfahren."

Daher liegen auch den Überwachungsmaßnahmen nicht im Sinne deutscher juristischer Terminologie "rechtskräftige" Entscheidungen zugrunde (vgl. Begründung S. 46 und die Hinweise in der Begründung S. 56 und 72 zu "enforceable" der englischen Fassung des Rahmenbeschlusses, was eher mit "vollstreckbar" als mit "rechtskräftig" zu übersetzen sein dürfte). Nach Artikel 1 des Rahmenbeschlusses soll die Anerkennung einer "als Alternative zur Untersuchungshaft erlassene Entscheidung über Überwachungsmaßnahmen" grenzüberschreitend anerkannt werden. Aus Sicht des deutschen Rechts betrifft dies die Fälle, in denen ein Untersuchungshaftbefehl gemäß §§ 116, 116a StPO außer Vollzug gesetzt worden ist. Bei einem Untersuchungshaftbefehl handelt es sich jedoch gerade nicht um eine Entscheidung, die in Rechtskraft erwächst, sondern sie ist jederzeit, sofern die Voraussetzungen für ihren Erlass nicht mehr gegeben sind, von Amts wegen oder auf Antrag aufzuheben. Im Text des Gesetzentwurfs ist daher auch zutreffend von einer "vollstreckbaren" ausländischen Entscheidung die Rede (§ 90q Absatz 1 IRG-E).

Auch die Entstehungsgeschichte des Rahmenbeschlusses weist daraufhin, dass der europäische Gesetzgeber hier kein weiteres Instrument der Vollstreckungshilfe schaffen wollte. Der Rahmenbeschluss Überwachungsanordnung geht auf einen am 29. August 2006 vorgelegten Vorschlag der Kommission für einen "Rahmenbeschluss über eine Europäische Überwachungsanordnung in Ermittlungsverfahren in der Europäischen Union" zurück, dessen Ziel die Vermeidung unnötiger Untersuchungshaft von Personen mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, die einer Straftat verdächtig sind, ist.

Die Sicherung des Verfahrens durch Erlass und Vollstreckung von Untersuchungshaftbefehlen wird im zwischenstaatlichen Bereich durch das Instrument der Auslieferung zur Strafverfolgung gewährleistet. Die nach dem Rahmenbeschluss vorgesehenen Maßnahmen - zum Zweck der Vermeidung von Auslieferungen - sind daher als verhältnismäßig milderer Eingriff in engem Zusammenhang mit dem Auslieferungsrecht zu sehen. Der enge sachliche Zusammenhang mit dem Auslieferungsrecht wird auch daran deutlich, dass bei der Bewilligung von Überwachungsmaßnahmen die Auslieferungsfrage stets inzident zu prüfen ist (§ 90r Nummer 2 IRG-E). Auch aus der Sicht des ersuchenden Staates stellt sich eine Überwachungsanordnung als Alternative zu einem Auslieferungsersuchen dar, wenn sich der Verfolgte noch nicht im Anordnungsstaat befindet.

Aus diesen Gründen sollte eine systematische Einordnung der Vorschriften zum Rahmenbeschluss Überwachungsanordnung in Abschnitt 5 des Achten Teils des IRG (Auslieferungs- und Durchlieferungsverkehr mit Mitgliedstaaten der Europäischen Union) erfolgen. Mit Ausnahme der Überschrift des Achten Teils bedarf es hierfür keiner weiteren systematischen Änderungen der in Abschnitt 1 enthaltenen Allgemeinen Regeln, weil sich diese nach ihrem Wortlaut nur auf Auslieferungs- und Durchlieferungsersuchen beziehen.