Vervollständigung des Modells einer nachhaltigen Landwirtschaft für Europa durch die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) - Reformvorschläge für den Zuckersektor
KOM (2004) 499 endg.; Ratsdok. 11491/04 A
Der Agrarausschuss (A) und der
Finanzausschuss (Fz)
empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
A
- 1. Die Kommission hat dem Rat und dem Europäischen Parlament am 22. Juni 2005 die Legislativvorschläge zur Reform der Zuckermarktordnung mit folgenden Eckpunkten vorgelegt:
- - Laufzeit der neuen Zuckermarktordnung bis zum Ende des Zuckerwirtschaftsjahrs (ZWJ) 2014/15.
- - Zuckerwirtschaftsjahr künftig vom 1. Oktober bis 30. September des Folgejahres.
- - Schrittweise Kürzung des Zuckerrübenmindestpreises bis zum Wirtschaftsjahr 2007/2008 weit über das Maß hinaus, das in der Mitteilung der Kommission vom 14. Juli 2004 vorgeschlagen war. Der Zuckerrübenmindestpreis soll um ca. 43 % (nach bisherigem Vorschlag um 37 %) gekürzt werden.
- - Möglichkeit, den Mindestpreis nochmals um bis zu 10 % nach unten anzupassen.
- - Abschaffung der Intervention und Einführung einer privaten Lagerhaltung.
- - Umwandlung des bisherigen Interventionspreises in einen Referenzpreis, der auf 385,5 Euro/t im ZWJ 2008/09 gesenkt werden sol1. Unter Berücksichtigung einer Strukturabgabe der Zuckerindustrie ergibt sich eine Erlösminderung bereits ab dem ZWJ 2007/08 von ca. 40 %.
- - Zusätzliche Produktionsabgabe von 12 Euro/t Zucker, an der die Rübenanbauern bis zu 50 % beteiligt werden können.
- - Ausgleich von 60 % der Einkommenseinbußen der Rübenerzeuger über entkoppelte Direktzahlungen und somit Einbindung in die horizontalen Regelungen der Agrarreform von 2003.
- - Senkung des Garantiepreises für Rohzucker aus den AKP- und den am wenigsten entwickelten Staaten "Least Developed Countries" - LDC -Umwandlung der derzeit unbegrenzten zollfreien Zuckereinfuhren aus Westbalkanländern in Zollkontingente auf der derzeitigen Lieferhöhe.
- - Zusammenfassung der bisherigen A- und B-Quote zu einer einzigen Quote.
- - Erhöhung der Quote in den Mitgliedstaaten, die bisher C-Zucker produziert haben, um insgesamt 1 Mio. t Weißzucker gegen Abgabe.
- - Beibehaltung der Möglichkeit der Übertragung und Anrechnung von Überschussmengen auf die Quoten des Folgejahrs.
- - Erhöhung der Isoglucosequoten.
- - Möglichkeit des freiwilligen Herauskaufs von Quoten mit dem Ziel der Rückführung der Produktion.
- - Schaffung eines finanziellen Anreizsystems für Zuckerunternehmen, die ihre Quote auf freiwilliger Basis ganz oder teilweise zurückgeben wollen, mit dem Ziel der Rückführung der Produktion (Restrukturierungsfonds).
- - Spätere Reduzierung der Zuckerquoten nach den dann gegebenen Markterfordernissen.
- - Möglichkeit der Beibehaltung der Produktionserstattungen oder eines zollfreien Zugangs zu Weltmarktzucker für die chemische Industrie.
- - Einbeziehung von Zuckerrüben in die bestehenden Regelungen zum Anbau Nachwachsender Rohstoffe auf Stilllegungsflächen und zur Energiepflanzenbeihilfe.
*) Erster Beschluss des Bundesrates vom 24. September 2004, BR-Drucksache 566/04(B) Wiederaufnahme der Beratungen gemäß § 45i Abs. 1 GO BR (jetzt: EU, A, Fz)
- 2. Der Bundesrat kann die endgültige Entscheidung des WTO-Schiedsgerichts zum Zuckerpanel nicht nachvollziehen. Er hält die seitens der EU in die Verhandlungen eingebrachten Argumente zu den Zuckerausfuhren bei der Entscheidung für nicht angemessen berücksichtigt. Der Bundesrat verweist in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Einstufung der Reexporte von AKP-Zucker. Er bedauert im Hinblick auf diese Entscheidung insbesondere auch, dass die "Alles außer Waffen"- Initiative nicht nachgebessert werden sol1. Im Zusammenwirken dieser Entscheidungen wird die Zuckererzeugung in der EU insgesamt erheblich gefährdet. Der Bundesrat sieht die Kommission nun gefordert, die Verpflichtungslisten der Uruguay-Runde vor Ablauf der Umsetzungsfrist des WTO-Panels zu überprüfen und auf eine entsprechende Korrektur im Sinne der Interessenlage der EU hinzuwirken. Diese Korrekturen sind nach Auffassung des Bundesrates bei der Ausgestaltung der Zuckermarktordnung zu berücksichtigen. Der Bundesrat sieht im Verhandlungsergebnis des Streitschlichtungsverfahrens ein Indiz dafür, dass die von der EU erbrachte Selbstbeschränkung bei Produktion und Export durch die WTO nicht honoriert wurde. Der Schiedsspruch im Streitschlichtungs-Verfahren der WTO verbessert die Position der großen Zuckererzeuger außerhalb der EU zu Lasten des europäischen Zuckerrübenanbaus, der seine Erzeugung in der Vergangenheit mit Hilfe der entsprechenden Marktordnungsinstrumente (Deklassierung, Chemiezuckerregelung) an die Situation auf dem Weltmarkt angepasst hat. Eine Produktionssteigerung bei Rübenzucker ist im Gegensatz zur stetigen Ausweitung der Rohrzuckerproduktion nicht erfolgt.
- 3. Der Bundesrat stellt fest, dass die von der Kommission dargelegten Haushaltsauswirkungen des Reformvorschlags noch erheblichen Klärungsbedarf über die letztendliche Höhe der Belastungen und deren konkrete Finanzierung aufwerfen. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, in den weiteren Verhandlungen auf EU-Ebene vordringlich diese Fragen abzuklären.
- 4. Die Reform darf nicht zu einer Verschlechterung der Nettozahlerposition Deutschlands oder zu einer Überschreitung der in dem Beschluss des Europäischen Rates vom Oktober 2002 festgelegten Obergrenzen für Agrarausgaben führen. Eine eventuelle Änderung der Direktzahlungen zu Lasten der Landwirtschaft in der EU als Folge der Obergrenzen ist parallel auf die Direktzahlungen im Übrigen zu übertragen. Die durch den Agrarkompromiss gesetzten Obergrenzen sollten nicht durch eine Überführung von Fördermaßnahmen aus der Agrarpolitik in die Entwicklungshilfe umgangen werden.
- 5. In diesem Zusammenhang weist der Bundesrat noch einmal auf seine wiederholt gefassten Beschlüsse, zuletzt am 24. September 2004 (BR-Drucksache 566/04(B) ) und am 13. Februar 2004 (BR-Drucksache 844/03(Beschluss) ), hin, in denen er eine nationale Kofinanzierung der Direktbeihilfen, die in Deutschland vollständig und dauerhaft vom Bund sicherzustellen ist, gefordert hat. Dies hält er nach wie vor für eine sinnvolle Option zur Sicherung der Finanzierbarkeit der Gemeinsamen Agrarpolitik in der erweiterten Union. Auch das Europäische Parlament hat in seiner Entschließung vom 8. Juni 2005 zu den politischen Herausforderungen und Haushaltsmitteln der erweiterten Union 2007 bis 2013 vorgeschlagen, dass die Möglichkeit einer schrittweisen Einführung des Prozesses der obligatorischen Kofinanzierung der Agrarpolitik innerhalb der EU-15 genutzt werden sollte, wenn der Bedarf insbesondere durch die Erweiterung um Bulgarien und Rumänien die Vorhersagen übersteigt.
- 6. Eine nationale Kofinanzierung in Deutschland wäre vollständig und dauerhaft vom Bund zu leisten. Eine Belastung der Länderhaushalte durch zusätzliche Ausgaben im Zusammenhang mit der Zuckermarktordnung lehnt der Bundesrat ab.
- 7. Hinsichtlich der Auswirkungen auf die Landwirtschaft, die Zuckerwirtschaft und den ländlichen Raum verweist der Bundesrat ebenfalls auf seine Stellungnahme vom 24. September 2004 ( 566/04(B) ).
- 8. Gegenüber den ursprünglichen Vorschlägen in der Mitteilung der Kommission des Jahres 2004 bringen die Legislativvorschläge der Kommission einerseits gewisse Verbesserungen, andererseits sind jedoch noch weiterreichende Einschnitte ohne entsprechende Berücksichtigung von Anpassungszeiträumen vorgesehen. Daraus folgend ist ein erheblicher Strukturwandel in der Land- und Zuckerwirtschaft einschließlich des Verlusts einer großen Zahl von Arbeitsplätzen zu erwarten, wenn die Pläne der Kommission unverändert beschlossen würden.
Im Einzelnen bewertet der Bundesrat die Legislativvorschläge der Kommission wie folgt:
- Der Bundesrat begrüßt
- - - den Verzicht der Kommission auf dauerhafte Quotenkürzungen zum jetzigen Zeitpunkt,
- - - die Möglichkeit des Herauskaufs von Quoten auf freiwilliger Basis,
- - - die Laufzeitverlängerung für eine reformierte Zuckermarktordnung bis zum Jahr 2015,
- - - dass ein Ausgleich für Landwirte vorgesehen ist,
- - - die Möglichkeit der Flexibilisierung bei der Festsetzung des Referenzzeitraums,
- - - die verbesserte Planungssicherheit durch den Verzicht auf eine Halbzeitbewertung sowie
- - - die Möglichkeit des zusätzlichen Quotenerwerbs für die C-Zucker produzierenden Mitgliedstaaten.
Die Unternehmen können damit unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten längerfristig planen und entscheiden. Vorrangiges Ziel muss es sein, die Wettbewerbsfähigkeit der Zuckerwirtschaft zu stärken. Unter diesem Gesichtspunkt müssen die vorhandenen Produktionskapazitäten optimal ausgelastet werden.
Die parallel angebotene Hilfe zur Schaffung alternativer Einkommensmöglichkeiten ist für die in der Zuckerwirtschaft Beschäftigten ebenso wichtig wie für Landwirte, die unter den künftigen Vorgaben keine Zuckerrüben mehr erzeugen können oder wollen und auf den landwirtschaftlichen Produktmärkten keine adäquaten Alternativen finden.
- - In Folge der völligen Öffnung des Europäischen Zuckermarktes durch die Initiative "Alles außer Waffen" zu Gunsten der "Least Developed Countries" - LDC - sieht der Bundesrat auf Grund der Gefahr eines unkontrollierten und unbegrenzten Zuckerimports eine Konterkarierung der Bestrebungen für die Sicherung einer nachhaltigen Zuckerproduktion in Europa und damit eine Aushebelung europäischer Regelungen. Dieses Risiko wird noch verstärkt durch die den Balkanländern zugestandene Importquote, die weit über der derzeitigen Erzeugung dieser Länder liegt und bereits in der Vergangenheit zu illegalen Praktiken zu Lasten der deutschen und europäischen Zuckerwirtschaft geführt hat. Es ist zu befürchten, dass trotz der von der Kommission vorgeschlagenen massiven Senkung der Zuckergarantiepreise in der EU der Zuckerimport in einer Weise ansteigen wird, dass das Kernelement der EU-internen Produktionsbegrenzung und damit die gesamte Zuckermarktordnung einem permanenten Erosionsprozess ausgesetzt sein wird.
- - Der Bundesrat weist auf die kritikwürdigen ökologischen und sozialen Bedingungen hin, zu denen Zucker in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern produziert wird. Während sich die EU auf Grund eigener Vorgaben in der Vergangenheit erheblichen Produktionsbegrenzungen (Deklassierungen) unterworfen hat, wird der Weltmarkt durch eine expansive Exportstrategie einiger weniger Rohrzuckerproduzenten zu Lasten der ärmeren Entwicklungsländer zunehmend belastet.
- - Es muss gewährleistet werden, dass alle Warenströme unterbunden werden, die das zentrale entwicklungspolitische Ziel der Initiative "Alles außer Waffen", nämlich die unmittelbare Begünstigung der LDC für deren eigene Erzeugung, unterlaufen. Dazu müssen insbesondere Dreiecksgeschäfte (SWAP-Geschäfte) wirksam ausgeschlossen werden. Die Einfuhren aus diesen Ländern müssen sich auf ihre Nettoüberschüsse beschränken.
- - Darüber hinaus hält der Bundesrat die Vereinbarung fester Mengengerüste in angemessenem Umfang, wie sie auch für die AKP-Staaten bestehen und seitens vieler LDC selbst gefordert werden, für notwendig und zielführend. Der von der Kommission vorgeschlagene Weg, über massive Preissenkungen den Anreiz der LDC zum Export in die EU zu dämpfen, wäre damit zum Nutzen sowohl der ärmsten Länder der Welt als auch der EU- und AKP-Staaten obsolet.
- - Der Bundesrat lehnt die Dimension der vorgeschlagenen Preissenkungen für Zuckerrüben und Zucker um 43 bzw. 39 % ab. Dieser Einschnitt gefährdet die Existenz der Zuckerwirtschaft in Europa und läuft dem entwicklungspolitischen Ziel der Initiative "Alles außer Waffen" entgegen.
- - Im Hinblick auf die anstehenden WTO-Verhandlungen hält der Bundesrat es für unverzichtbar, neben Milch auch Zucker als sensibles Produkt der EU einzustufen. Angesichts der ohnehin erforderlichen erheblichen strukturellen Anpassungserfordernisse in der europäischen Zuckerwirtschaft sollten Zugeständnisse an die Handelspartner in diesem Sektor auf das absolut unvermeidliche Maß begrenzt werden.
- 9. - Der Bundesrat lehnt die Abschaffung der Intervention und deren Ersatz durch die Einführung eines Systems der privaten Lagerhaltung ab, da unter reformierten Marktbedingungen ein garantiertes Mindestpreisniveau unverzichtbar ist. Das Jahr 2005 hat gezeigt, dass die EU-Erweiterung zu veränderten Rahmenbedingungen geführt hat und erstmals seit 20 Jahren nicht unbedeutende Mengen interveniert werden mussten. Zukünftige Preisabsenkungen, der schrittweise Abbau des Außenschutzes sowie witterungsbedingte Ertragsspitzen werden ohne kurzfristige Interventionsmöglichkeiten für Industrie und Landwirte das Risiko erhöhen.
- 10. - Der Bundesrat hält es für dringend erforderlich, dass der vorgeschlagene Teilausgleich für die Einkommenseinbußen den Betroffenen zumindest in Höhe von 60 % der Erlöseinbußen betriebsbezogen möglichst lange und ungeschmälert zugute kommt. Die Regelungen zur Gewährung der Ausgleichszahlungen müssen so ausgestaltet werden, dass sie die Einbeziehung der entkoppelten Zahlungen in die Betriebsprämienregelung als betriebsindividuellen Zuschlag erlauben. Die Höhe des betriebsindividuellen Zuschlags muss sich nach der betrieblichen Quote zum Zeitpunkt möglichst unmittelbar vor der Einführung dieser Zahlungen bemessen.
- - Der Bundesrat sieht die Notwendigkeit, Absatzmöglichkeiten von Zuckerrüben bzw. Zucker auch außerhalb der traditionellen Märkte im Lebensmittelbereich zu verstärken. Dazu gilt es, industrie-, technologie- und energiepolitische Chancen zu nutzen. Ein dauerhafter Außenschutz über die WTO ist für die Bioethanolproduktion erforderlich.
- - Bei der Neuregelung muss auch darauf geachtet werden, dass die Grundstoffversorgung der Zucker verarbeitenden Wirtschaft einschließlich der bisherigen Zusatzleistungen (beispielsweise justintime-Lieferung, temperierte Flüssiglieferung, gesicherte Qualität) im gewohnten Maß aufrecht erhalten werden kann. Dafür muss eine ausreichende Zahl leistungsfähiger Zuckerstandorte in der EU erhalten bleiben.
- - Der Bundesrat hält es für erforderlich, dass der im Kommissionsvorschlag vom 14. Juli 2004 vorgesehene Quotentransfer zwischen den Mitgliedstaaten ermöglicht wird.
- 11. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, die dargestellten Positionen in den weiteren Verhandlungen auf europäischer Ebene mit Nachdruck zu verfolgen.
B
- 12. Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union hat von einer Stellungnahme zu der Vorlage abgesehen.
Begründung
Das Absehen von Stellungnahme erfolgt angesichts der noch nicht abgeschlossenen Umfrageverfahren der mitberatenden Ausschüsse und der sehr fachspezifischen Thematik.