Der Bundesrat hat in seiner 869. Sitzung am 7. Mai 2010 die aus der Anlage ersichtliche Entschließung gefasst.
Anlage
Entschließung des Bundesrates zu dem geplanten Abkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten, Australien, Japan, Kanada, Republik Korea, Königreich Marokko, den Vereinigten Mexikanischen Staaten, Neuseeland, der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Republik Singapur und den Vereinigten Staaten von Amerika über den Schutz des geistigen Eigentums (Anti-Counterfeiting Trade Agreement - ACTA)
- 1. Der Bundesrat begrüßt, dass sich die EU bemüht, durch völkerrechtliche Verträge einen effektiven Schutz des geistigen Eigentums zu gewährleisten.
- 2. Der Bundesrat teilt die in der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. März 2010 zur Transparenz und zum Stand der Verhandlungen über das ACTA zum Ausdruck kommenden Bedenken.
- 3. Der Bundesrat teilt das Bedauern des Europäischen Parlaments über die bewusste Entscheidung der Beteiligten, nicht im Rahmen etablierter internationaler Gremien wie der WIPO und der WTO zu verhandeln. Effektiver und nachhaltiger Schutz geistigen Eigentums und vor Produktpiraterie verlangt nach einer breiten Basis, die nur durch Einbeziehung der größtmöglichen Anzahl von Staaten gewährleistet werden kann. Der Bundesrat bedauert, dass nicht die im Rahmen der WIPO und der WTO bereit stehenden Strukturen für die Information der Öffentlichkeit und die Durchführung von Konsultationen zum Tragen kommen.
- 4. Der Bundesrat erinnert zugleich an seine Entschließung vom 10. Oktober 2008 (BR-Drucksache 598/08(B) ), wonach unabhängig von den Bemühungen zum Abschluss multinationaler Abkommen auch fair ausgestaltete bilaterale Freihandelsabkommen der EU verstärkt genutzt werden sollten, um auf diese Weise Mindeststandards zum Schutz des geistigen Eigentums zu verankern und Lücken von TRIPS (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights) bei der Umsetzung in nationale Rechtsordnungen zu schließen.
- 5. Der Bundesrat erachtet eine substantielle Beteiligung der nationalen Gesetzgebungsorgane und des Europäischen Parlaments an den Verhandlungen des Abkommens angesichts der weitreichenden Bedeutung für die Freiheitsrechte für geboten. Der Bundesrat erinnert daran, dass sich die Informations- und Mitwirkungsrechte der Länder auch auf die Vorbereitung und den Abschluss völkerrechtlicher Abkommen durch die EU erstrecken.
- 6. Der Bundesrat teilt die Sorge des Europäischen Parlaments über den Mangel an Transparenz bei den Verhandlungen über das ACTA.
- 7. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, einem Abkommen über den Schutz des geistigen Eigentums nur zuzustimmen, wenn ein solches vollständig dem gemeinschaftlichen Besitzstand entspricht, es nicht der Entwicklung des materiellen Rechts des geistigen Eigentums in der EU vorgreift und es keine Änderung der derzeitigen Rechtslage in Deutschland im nichtkommerziellen Bereich zur Folge hat.
- 8. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, einem Abkommen über den Schutz des geistigen Eigentums erst nach einer Beteiligung der Länder sowie unter Berücksichtigung der berechtigten Belange der Länder zuzustimmen.
- 9. Der Bundesrat begrüßt die Forderung des Europäischen Parlaments an die Kommission, im Vorfeld der Zustimmung der EU zu einem konsolidierten Text des ACTA eine Abschätzung der Folgen der Umsetzung des ACTA für die Grundrechte und den Datenschutz durchzuführen und das Europäische Parlament hierüber zu informieren. Solche Informationen sollen auch an die Gesetzgebungsorgane der Mitgliedstaaten der EU weitergegeben werden.
Begründung
Die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums und die Bekämpfung der Produktfälschung und -piraterie sind bereits wegen der hohen wirtschaftlichen Schäden, die durch Verletzungen geistigen Eigentums und Produktfälschung bzw. -piraterie entstehen, ein zentrales Anliegen der EU, der USA und der weiteren an ACTA beteiligten Staaten. So ist ein effektiver Schutz des geistigen Eigentums und von Urheberrechten ein wichtiger Bestandteil der Innovationsförderung. Daher teilt der Bundesrat grundsätzlich das Bestreben, hierzu völkerrechtliche Abkommen abzuschließen.
Allerdings sind hierbei die verfassungsmäßigen Anforderungen zu beachten. So muss der verfassungsmäßig garantierte Schutz des Eigentums gegen die daraus resultierenden Eingriffe in die ebenfalls in der Verfassung garantierten Rechte wie die Meinungsfreiheit und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und auf Schutz der Privatsphäre gegeneinander abgewogen und zu einem gerechten Ausgleich gebracht werden.
Zugleich muss die Wahrung der demokratischen Verfahren gewährleistet sein. Hierfür ist die frühzeitige und umfassende Information des Europäischen Parlaments, der nationalen Gesetzgebungsorgane und der Öffentlichkeit über den Verlauf der Verhandlungen zu einem solchen Abkommen zu gewährleisten.
Aufgrund der nicht öffentlichen Verhandlung des Abkommens und wenigen offiziellen Unterlagen zu ACTA ist eine abschließende Bewertung des Inhalts des Abkommens derzeit nicht möglich. Es wurden jedoch nicht offizielle Entwürfe einzelner an den Verhandlungen teilnehmender Staaten bekannt, deren Inhalt im Widerspruch zu der Aussage steht, dass für die EU keine weitreichenden Änderungen zu erwarten seien.
Vor diesem Hintergrund besteht Anlass zu der Sorge, dass auch in anderen Bereichen der nach ACTA angestrebten Zusammenarbeit Regelungen und Durchsetzungsinstrumente zur Debatte stehen, gegen die erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken bestehen. Genannt werden dabei auch die anlasslose Durchsuchung von Laptops, Mobiltelefonen und MP-3-Geräten durch Grenz- und Zollbehörden ohne richterlichen Durchsuchungsbefehl.
Besonders bei Maßnahmen, die den Zugang zu und/oder die Nutzung von Diensten und Anwendungen durch die Nutzer einschränken, ist sicherzustellen, dass die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger einschließlich des Rechts auf Privatsphäre, der Richtervorbehalt sowie der Grundsatz der Subsidiarität geachtet werden.
Auch aus diesem Grund sind die Nichtöffentlichkeit der Verhandlungen und die nur spärlich erfolgende Unterrichtung über den Stand der Verhandlung durch die Kommission und die Bundesregierung, die als Beobachter an den Verhandlungen teilnimmt, kritisch zu würdigen. Des Weiteren würde eine abschließende Regelung hinsichtlich Themenkomplexen, wie der Beschränkung des Internetzuganges, ohne eine vorausgehende öffentliche Diskussion der Bedeutung der Freiheitsrechte der Betroffenen nicht gerecht werden.
Es ist weiterhin in Frage zu stellen, ob ACTA der richtige Weg zu einem umfassenden Schutz von geistigem Eigentum und vor Produktfälschung ist. Zwingender Bestandteil zur Gewährleistung eines möglichst umfangreichen und effektiven Schutzes von geistigem Eigentum und vor Produktfälschung ist ein möglichst weitgreifendes Abkommen unter Einbezug möglichst vieler Staaten.