Die Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz Mainz, 10. September 2019
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Daniel Günther
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierungen Rheinland-Pfalz und Bremen haben beschlossen, dem Bundesrat die als Anlage beigefügte Entschließung des Bundesrates zur Strafbarkeit des unbefugten Anfertigens von Bildaufnahmen intimer Körperbereiche einer Person in der Öffentlichkeit zuzuleiten.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung auf die Tagesordnung der 980. Sitzung des Bundesrates am 20. September 2019 zu setzen und anschließend den zuständigen Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Malu Dreyer
Entschließung des Bundesrates zur Strafbarkeit des unbefugten Anfertigens von Bildaufnahmen intimer Körperbereiche einer Person in der Öffentlichkeit
Der Bundesrat möge beschließen:
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung zu prüfen, wie gesetzlich sichergestellt werden kann, dass das unbefugte Anfertigen von Bildaufnahmen der üblicherweise von Kleidung bedeckten Intim- und Sexualbereiche einer Person in der Öffentlichkeit vollumfänglich strafbar ist.
Begründung:
Mit dem Begriff des "Upskirting" wird ein Verhalten beschrieben, bei dem vor allem Mädchen und Frauen in der Regel im öffentlichen Raum heimlich unter Röcke oder Kleider fotografiert oder gefilmt wird. Derartige Handlungen werden durch die Möglichkeit der schnellen und unauffälligen Verwendung von Smartphones mit integrierter Kamera begünstigt. Das Anfertigen solcher Bildaufnahmen stellt einen erheblichen Eingriff in das durch Artikel 1 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel. 2 Absatz 1 Grundgesetz geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen (insbesondere das Recht auf Achtung des Intim- und Sexualbereichs) dar (vgl. VGH München, Beschluss vom 7. Mai 2009 - 10 CS 09.747, BeckRS 2009, 43260, Rn. 9). Es kann zur Folge haben, dass betroffene Personen in der Öffentlichkeit die Wahl ihrer Kleidung überdenken, damit keine unbefugten Aufnahmen ihrer Intimbereiche etwa auf Gehwegen, in Treppenhäusern oder auf Rolltreppen angefertigt werden können.
Das unbefugte Anfertigen von Bildaufnahmen von intimen oder sexuellen Körperbereichen einer Person in der Öffentlichkeit ist bislang regelmäßig nicht strafbar.
Der Tatbestand des § 201a Absatz 1 Nummer 1 Strafgesetzbuch (StGB) ist nicht erfüllt, da sich dessen räumlicher Schutzbereich nicht auf Bildaufnahmen in der Öffentlichkeit, sondern lediglich auf solche erstreckt, die von einer Person gefertigt werden, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet. Aufgrund der damit durch den Gesetzgeber intendierten strafbewehrten Abschirmung des letzten persönlichen Rückzugsbereichs (BT-Drucksache 015/2466, Seite 5), zu dem anders als Toiletten- oder Umkleidekabinen bereits der den Eintritt zahlenden Besuchern zugängliche Saunabereich eines Erlebnisbades nicht gehört (vgl. OLG Koblenz NStZ 2009, 268, 269), ist auch die Verbreitung von in der Öffentlichkeit gefertigten Aufnahmen nach § 201a Absatz. 1 Nummer 3 StGB nicht strafbar. Sofern die Bildaufnahme geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden, kommt zwar eine Strafbarkeit nach § 201a Absatz 2 StGB in Betracht. Allerdings unterfällt dieser Vorschrift nur das Zugänglichmachen entsprechender Aufnahmen. Das Herstellen und der bloße Besitz werden dagegen nicht erfasst (vgl. MüKoStGB/Graf, StGB, 3. Auflage, § 201a Rn. 70).
Auch durch den Straftatbestand der Beleidigung ( § 185 StGB) wird das Phänomen des "Upskirtings" nicht in ausreichender Weise pönalisiert. Hiernach sind lediglich solche Handlungen unter Strafe gestellt, bei denen mit dem Fotografieren ein Angriff auf die Ehre der betroffenen Person einhergeht. Das bloße heimliche Anfertigen von Bildaufnahmen von intimen Körperregionen muss nicht zwingend eine (konkludente) Kundgabe der Missachtung darstellen und damit einen selbständigen beleidigenden Charakter erkennen lassen (vgl. OLG Nürnberg NStZ 2011, 217, 218). Dies gilt umso mehr, als dass dem Täter regelmäßig der Rückzug auf die Behauptung offensteht, die Aufnahmen lediglich "aus Bewunderung" gefertigt zu haben.
Auch eine sexuelle Belästigung gemäß § 184i StGB liegt regelmäßig nicht vor. Der Tatbestand des § 184i StGB setzt voraus, dass der Täter auf das Opfer unmittelbar körperlich einwirkt. Hierfür ist der Kontakt des Täters mit seinem eigenen Körper am Körper des Opfers erforderlich (BT-Drucksache 18/9097, Seite 30). Dies ist bei dem bloßen Fertigen von Bildaufnahmen üblicherweise nicht der Fall.
Schließlich gewährleistet auch die Strafvorschrift des § 33 des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie (KunstUrhG) keine hinreichende strafrechtliche Ahndungsmöglichkeit. Danach ist zum einen lediglich das Verbreiten, nicht aber schon das (vorgelagerte) unbefugte Herstellen von Bildnissen unter Strafe gestellt. Zum anderen schützt § 33 KunstUrhG von vorneherein nur Bildnisse im Sinne von § 22 KunstUrhG, also die Darstellung einer natürlichen Person, die deren äußere Erscheinung in einer für Dritte erkennbaren Weise wiedergibt. Hierfür reicht es allerdings nicht aus, dass das Bild keine Merkmale der Person wiedergibt, auch die Begleitumstände nicht aussagekräftig sind und beim Betrachter lediglich ein assoziatives Bild entsteht oder nur bestimmte Dritte die Person aufgrund Sonderwissens aus der Situation und nicht anhand persönlicher Merkmale erkennen können (vgl. Erbs/Kohlhaas/Kaiser, KunstUrhG, 223. Ergänzungslieferung Januar 2019, § 33 Rn. 5 ff.).
Ungeachtet der bestehenden strafrechtlichen Schutzlücke kann sich das unbefugte Anfertigen von Bildaufnahmen intimer oder sexueller Bereiche einer Person in der Öffentlichkeit im Einzelfall als Belästigung der Allgemeinheit gemäß § 118 Absatz 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) darstellen (vgl. VGH München, Beschluss vom 7. Mai 2009 - 10 CS 09.747, BeckRS 2009, 43260).
Der Verweis hierauf genügt - unabhängig von den je nach Fallgestaltung ohnehin nicht vorliegenden Voraussetzungen von § 118 Abs. 1 OWiG - nicht, um von einer strafrechtlichen Ahndung des im "Upskirting" zum Ausdruck kommenden, persönlichkeitsverletzenden und für das geordnete Zusammenleben unerträglich erscheinenden Verhaltens abzusehen. Dies gilt umso mehr, als die bestehende Strafbarkeitslücke nicht nachzuvollziehende Ungereimtheiten in der Strafwürdigkeit der Anfertigung unbefugter Bildaufnahmen aufwirft. So suggeriert § 201a StGB mit der Überschrift "Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen" einen bereits jetzt bestehenden umfassenden Schutz, der aber wie dargelegt gerade nicht besteht. Es vermag nicht zu überzeugen, dass sich der räumliche Schutzbereich von § 201a StGB auf denjenigen, der "in der Arztpraxis in der Nase bohrt" erstreckt, dagegen Personen in der Öffentlichkeit nicht vor der unbefugten Anfertigung von Aufnahmen des Intimbereichs geschützt sind (vgl. Fischer, StGB, 66. Auflage, § 201a Rn. 9).
Der strafrechtliche Schutz muss - ungeachtet des Geschlechts - alle Träger von Bekleidung erfassen, die das Anfertigen solcher unbefugten, nicht von einer Einwilligung gedeckten Aufnahmen zulässt (z.B. auch männliche Träger von Kilts oder sonstigen Röcken und diversgeschlechtliche Menschen).
Dabei wird insbesondere zu prüfen sein, ob angesichts des verletzten Rechtsgutes - des Intim- und Sexualbereichs - und unter Wahrung des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes eine Änderung des § 184i StGB in Betracht zu ziehen sein könnte.
Die bestehenden strafrechtlichen Schutzlücken werden abschließend auch nicht dadurch aufgewogen, dass dem Opfer zivilrechtliche Ansprüche nach § 823 Absatz 1, § 249 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) gegen den Täter auf Unterlassung, Schadensersatz und/oder Schmerzensgeld zustehen können. Denn bei deren Geltendmachung ist grundsätzlich das Opfer verpflichtet, die Rechtsverletzung mit dem ihm zur Verfügung stehenden begrenzten Mitteln nachzuweisen. Strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen scheiden dagegen aus. Durch diese hohen prozessualen Hürden kommt den zivilrechtlichen Folgen des "Upskirtings" keine hinreichend abschreckende Wirkung auf potentielle Täter zu.