954. Sitzung des Bundesrates am 10. März 2017
A
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Rechtsausschuss (R) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
Allgemeines
- 1. Der Bundesrat unterstützt das von der Kommission verfolgte Ziel, Wachstum und Beschäftigung in Europa durch die Ermöglichung einer frühzeitigen und effektiven Umstrukturierung in der Krise zu fördern. [Allerdings kritisiert der Bundesrat, dass zwingend ein neues, dem bisherigen Instrumentarium des Insolvenzrechts zeitlich vorgelagertes Verfahren eingeführt werden soll, das voraussichtlich zu großen Teilen das abgestimmte und gut funktionierende deutsche Insolvenzrecht außer Kraft setzt. Denn im Falle eines Scheiterns einer Restrukturierung wird das Insolvenzverfahren mangels Masse, da diese wegen der hohen und zugleich gesicherten Kosten des Restrukturierungsverfahrens aufgebraucht ist, nur noch in den seltensten Fällen eröffnet. Zudem wird ein Paradigmenwechsel eingeführt: Das deutsche Insolvenzrecht sorgt derzeit für einen angemessenen Ausgleich zwischen den Gläubigerinteressen und den Schuldnerinteressen. Außerdem erfolgt eine Sanierung eines Unternehmens nur dann, wenn dies auch wirtschaftlich sinnvoll ist. Im Gegensatz dazu hat der Richtlinienvorschlag überwiegend die Interessen des Schuldners im Blick; dies erfolgt zu Lasten der Gläubigergesamtheit. Die Voraussetzungen für die Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens sind zudem sehr gering, die dem Schuldner zur Verfügung stehenden Maßnahmen (allgemeines Durchsetzungsverbot der Gläubigerforderungen, keine Insolvenzantragspflicht während eines Durchsetzungsverbots, et cetera) jedoch extrem scharf. Dies wird im Ergebnis dazu führen, dass eine Restrukturierung eines Unternehmens auch dann stattfindet, wenn diese betriebswirtschaftlich und/oder volkswirtschaftlich nicht sinnvoll ist. Leidtragende sind hierbei die Gläubiger. Im Richtlinienvorschlag wird zudem nicht berücksichtigt, dass auch die Gläubiger in der Regel Unternehmen sind, so dass eine starke Privilegierung des Schuldners zu Lasten anderer Unternehmen geht. Folgeinsolvenzen von Gläubigerunternehmen und damit ein enormer volkswirtschaftlicher Schaden sind gut vorstellbar.]
Zur Rechtsgrundlage
- 2. Der Bundesrat weist darauf hin, dass Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Rechtsgrundlage des Artikels 114 AEUV ist, dass der geplante Rechtsakt tatsächlich den Zweck hat, die Voraussetzungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zu verbessern oder spürbare Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen. Darüber hinaus muss eine auf Artikel 114 AEUV gestützte Maßnahme auch objektiv der Verbesserung des Funktionierens des Binnenmarktes dienen, indem Handelshemmnisse abgebaut oder Wettbewerbsverzerrungen beseitigt werden. Hingegen verfügt die EU im Bereich des Insolvenzrechts über keine umfassende Rechtsetzungs- und Harmonisierungskompetenz. Soweit die Kommission Mängel im Insolvenzrecht einzelner Mitgliedstaaten festgestellt hat, sollten diese daher vorrangig auch dort behoben werden. Die von der Kommission angestrebte Harmonisierung sollte auf die absolut notwendigen Elemente eines präventiven Restrukturierungsrahmens beschränkt sein.
- 3. Der Bundesrat bezweifelt, dass Unterschiede im Insolvenzrecht der Mitgliedstaaten und speziell Unterschiede hinsichtlich eines dem Insolvenzverfahren vorgelagerten präventiven Restrukturierungsverfahrens tatsächlich den ihnen zugesprochenen Einfluss auf unternehmerische und Anlegerentscheidungen über grenzüberschreitendes Tätigwerden und damit Binnenmarktrelevanz haben. Die allgemeine wirtschaftliche Situation eines Mitgliedstaates oder eines Unternehmens, ein funktionierendes Rechtssystem und stabile wirtschaftliche wie gesellschaftliche Rahmenbedingungen dürften für Unternehmen und Anleger die zentrale Rolle spielen. Da das präventive Restrukturierungsverfahren von diversen Voraussetzungen und allen voran vom Einverständnis des Schuldners abhängig ist, kann nicht sicher prognostiziert werden, ob es in der wirtschaftlichen Krise eines Unternehmens überhaupt zu einem Restrukturierungsverfahren kommen wird. Ebenso wenig ist voraussehbar, in welchem Maße bei der Risikobewertung des Kapitalanlegers die Überlegung eine nennenswerte Rolle spielt, ob der Unternehmer in der Krise seinen Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlagern könnte, um früher an eine Restschuldbefreiung zu gelangen.
- 4. Der Richtlinienvorschlag betrifft angesichts der begrenzten Zahl grenzüberschreitender Insolvenzverfahren ganz überwiegend rein nationale Sachverhalte. Der Bundesrat regt daher an, im weiteren Gesetzgebungsverfahren bei den konkreten Einzelregelungen des Richtlinienvorschlags genau zu hinterfragen, ob und inwieweit eine unionsweite Koordinierung unerlässlich ist. Entsprechend der von der Kommission angeführten kapitalmarktrechtlichen Zielsetzung sollte der Anwendungsbereich des vorgeschlagenen Restrukturierungsrahmens auf Finanzgläubiger des Unternehmens beschränkt werden (siehe nachfolgend Ziffer 13). Eine Erstreckung auf weitere Gläubigergruppen könnte angesichts der engen Verknüpfung des Insolvenzrechts mit dem jeweiligen nationalen Vertrags- und Sachenrecht, dem Handels- und Gesellschaftsrecht, dem Kreditsicherungsrecht, dem Arbeits- und Sozialrecht sowie dem Steuerrecht zu tiefgreifenden Folgewirkungen in Rechtsgebieten führen, in denen der Union keine Kompetenz zusteht. Außerdem sollten Eingriffsinstrumente, die traditionell dem förmlichen Insolvenzverfahren zuzurechnen sind, nur insoweit auf das Restrukturierungsverfahren übertragen werden, als dies für eine überschaubare Zeit und nur zur Unterstützung erfolgversprechender Verhandlungen unerlässlich ist. Dies gilt zum Beispiel für die Aussetzung von Vollstreckungsmaßnahmen (Artikel 6 des Richtlinienvorschlags), die Fortsetzung von Verträgen (Artikel 7 des Richtlinienvorschlags) und die Privilegierung von Finanzierungsmaßnahmen und Transaktionen in einer späteren Insolvenz (Artikel 16 und 17 des Richtlinienvorschlags). Unabhängig von dem Risiko einer missbräuchlichen Inanspruchnahme dieser nach dem Richtlinienvorschlag leicht verfügbaren Instrumente sollte das Restrukturierungsverfahren nach seiner zeitlichen und inhaltlichen Reichweite nicht so weit gefasst sein, dass das rechtsstaatliche Insolvenzverfahren mit seinen besonderen Kontrollen durch Gerichte, Insolvenzverwalter und Gläubigergremien in den Hintergrund gedrängt wird. Das Restrukturierungsverfahren soll das Insolvenzverfahren in bestimmten Fällen um eine vorgeschaltete Sanierungsoption ergänzen. Nicht jedoch soll ein mit dem Insolvenzverfahren konkurrierendes oder dieses womöglich verdrängendes Parallelverfahren geschaffen werden. [Der Richtlinienvorschlag erweckt den Eindruck, dass in jedem Fall eine präventive Restrukturierung um jeden Preis durchgeführt werden soll. Das Verhältnis zwischen den unterschiedlichen Verfahren muss jedoch derart austariert sein, dass die für die Volkswirtschaft sowie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jeweils beste Option durchgeführt wird. Dies ist nicht immer zwingend eine Restrukturierung, sondern kann auch der rechtzeitige Verkauf des Unternehmens oder - bei nicht profitablen Unternehmen - die zügige Abwicklung sein.] Die Ermöglichung einer bis zu zwölf Monate dauernden Restrukturierungsphase mit umfassendem Moratorium für sogar insolvenzreife Unternehmen geht zu weit, zumal der Schuldner die Geschäfte in Eigenverwaltung und ohne Überwachung durch einen Restrukturierungsverwalter weiter führen soll.
Zum Richtlinienvorschlag im Allgemeinen
- 5. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren zu einer Verbesserung der Restrukturierungskultur in Europa führen kann. Die Vermeidung eines Insolvenzverfahrens durch eine präventive Restrukturierung kann wesentlich dazu beitragen, den in einem überlebensfähigen Unternehmen verkörperten Wert zu erhalten. Dies dient nicht nur dem Interesse von Investoren und Finanzgläubigern, sondern hilft insbesondere auch den Lieferanten, Kunden sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern des Unternehmens. Gemäß dem Leitbild der Verordnung (EU) Nr. 848/2015 des Europäischen Parlaments und des Rates über Insolvenzverfahren vom 20. Mai 2015 sollten die Zwecke der Rettung, der Schuldenanpassung und der Reorganisation gefördert werden, um - soweit dies wirtschaftlich möglich und sinnvoll ist - eine Zerschlagung von Unternehmen zu regelmäßig geringeren Liquidationswerten zu vermeiden.
- 6. Das deutsche Insolvenzrecht bietet allerdings bereits jetzt einen leistungsfähigen und international anerkannten Rahmen für die Bewältigung von Unternehmensinsolvenzen. So liegt Deutschland im Bereich "Resolving Insolvency" nach dem Bericht "Doing Business 2017" der Weltbank unter den Mitgliedstaaten der EU auf dem zweiten Platz und weltweit auf dem dritten Platz. Die Weltbank bewertet die Stärke der insolvenzrechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland mit 15,0 auf einer Skala von 0 bis 16. Der Bundesrat sieht es vor diesem Hintergrund als wichtige Vorgabe an, dass die künftige Richtlinie gut funktionierende Sanierungsinstrumente des deutschen Insolvenzrechts nicht verschlechtert.
- 7. Die von der Kommission vorgeschlagene Regelungstechnik der Mindestharmonisierung verdient im Grundsatz Zustimmung, da sie zu einem "level playing field" im Bereich der Unternehmenssanierung beiträgt. Die an verschiedenen Stellen vorgesehenen Ermächtigungen der Mitgliedstaaten zu abweichenden Regelungen begegnen jedoch zumindest dann Bedenken, wenn sie einerseits zentrale Schutzmechanismen für vom Verfahren betroffene Personen und andererseits schuldnerfreundliche Regelungen in das Ermessen der Mitgliedstaaten stellen (insbesondere Artikel 5 Absatz 3, Artikel 6 Absatz 5, Artikel 7 Absatz 3 und Absatz 4 Satz 2, Artikel 9 Absatz 2 Satz 4, Artikel 11 Absatz 2, Artikel 12 Absatz 2, Artikel 16 Absatz 2, Artikel 17 Absatz 3, Artikel 22 Absatz 1 bis Absatz 4 des Richtlinienvorschlags). Hierdurch besteht die Gefahr, dass der Richtlinienvorschlag den Insolvenztourismus fördert und zu einem "race to the bottom" führt. Hiergegen bieten die Verdachtsperioden in Artikel 3 der Verordnung (EU) Nr. 848/2015 nur einen zeitlich begrenzten Schutz. Der Bundesrat regt daher an, die Harmonisierung stärker auf ein einheitliches Mindestschutzniveau zu Gunsten der Gläubiger anzuheben, als dies bisher im Richtlinienvorschlag der Fall ist. Dazu sollten an verschiedenen Stellen die Abweichungsmöglichkeiten für die Mitgliedstaaten hinterfragt werden, die eine stärkere Beschränkung der Gläubigerrechte erlauben und - aus Sicht des Bundesrates - teilweise auch ein starkes Missbrauchspotenzial enthalten (siehe im Einzelnen die nachfolgenden Ausführungen).
- 8. Aus Sicht des Bundesrates ist es konsequent, den Anwendungsbereich des Richtlinienvorschlags auf Unternehmen und Unternehmer zu begrenzen. Verbraucherinsolvenzverfahren werfen strukturell anders gelagerte Fragen auf. Häufig geht es nicht nur um finanzielle Aspekte, sondern auch um Unterstützung für Schuldner, wieder zu einem schuldenfreien Leben zu finden. Auch ist es fraglich, ob Artikel 53 und Artikel 114 AEUV unionsweite Vorgaben für Verbraucherinsolvenzen erlauben würden. Der Ausschluss einer Anwendung auf Verbraucherinnen und Verbraucher ist aber im Richtlinienvorschlag nicht konsequent umgesetzt. Soweit Artikel 1 Absatz 3 des Richtlinienvorschlags den Mitgliedstaaten eine Ausdehnung der Regelungen zur Restschuldbefreiung auf Nicht-Unternehmer ermöglichen will, bleibt offen, ob diese Ausdehnung dazu führen würde, dass die bestehenden deutschen Regelungen zur Restschuldbefreiung für Verbraucherinnen und Verbraucher den Anforderungen der Richtlinie genügen müssten. Vorzugswürdig und ausreichend erscheint es, lediglich die Nichtgeltung des Richtlinienvorschlags für Verbraucherinnen und Verbraucher anzuordnen, wie dies in Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe g des Richtlinienvorschlags erfolgt. Artikel 1 Absatz 3 des Richtlinienvorschlags sollte entfallen und die Restschuldbefreiung für Verbraucherinnen und Verbraucher allein dem Recht der Mitgliedstaaten überlassen bleiben.
- 9. Der Bundesrat regt an, eine eigenständige Definition für Unternehmer aufzunehmen oder zumindest die Definition in Artikel 2 Nummer 13 des Richtlinienvorschlags klarer zu fassen. Beispielsweise stellt sich die Frage, ob die Vorgaben zur Entschuldung auch auf Gesellschafter und Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften Anwendung finden oder insofern das innerstaatliche Recht für Nicht-Unternehmer einschlägig ist.
- 10. Die Regelungen über Frühwarnsysteme in Artikel 3 des Richtlinienvorschlags sind in ihrer Reichweite und Bedeutung unklar. Der Bundesrat stimmt der Einschätzung zu, dass gerade kleine und mittlere Unternehmen Instrumente brauchen, um eine sich abzeichnende wirtschaftliche Krise des Unternehmens frühzeitig zu erkennen. Die in Erwägungsgrund 16 angesprochenen Instrumente der Buchführung und Überwachung sind aber Pflichten, die einer ordentlichen Geschäftsführung nach kaufmännischen Grundsätzen ohnehin obliegen. Ebenso sind die Berater des Unternehmens (zum Beispiel Steuerberater) auf Grund der vertraglichen Beziehung verpflichtet, die Geschäftsführung auf finanzielle Schwierigkeiten aufmerksam zu machen. Ein Regelungsbedürfnis ist daher nicht ersichtlich. Soweit Hinweispflichten der Steuerbehörden oder Sozialversicherungsbehörden im Interesse Betroffener erwähnt werden, sind diese mit den hoheitlichen Aufgaben dieser Behörden nicht vereinbar. Die ordnungsgemäße Führung eines Unternehmens (einschließlich der Überwachung dessen wirtschaftlicher Lage im Rahmen der Buchführung) ist originäre Aufgabe des Unternehmers oder der Geschäftsführung und kann nicht in die Verantwortung von Behörden gestellt werden.
Zur Einführung eines Rahmens für frühzeitige Umstrukturierungen
- 11. Der Bundesrat hält es für wichtig, den Mechanismus zur außerinsolvenzlichen Sanierung von Unternehmen durch präventive Restrukturierung klar von den in den Mitgliedstaaten vorhandenen Insolvenzverfahren abzugrenzen. Die Praxistauglichkeit der Zugangskriterien "drohende Insolvenz" und "finanzielle Schwierigkeiten" in Artikel 4 Absatz 1 des Richtlinienvorschlags ist jedoch angesichts ihrer Unbestimmtheit fraglich. Insbesondere stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zur drohenden Zahlungsunfähigkeit, die nach deutschem Recht zur Insolvenzreife des Unternehmens führt. Erforderlich ist eine klare Abgrenzung zum Insolvenzverfahren, um eine "Übersanierung" zur Optimierung des Geschäftsbetriebs zu vermeiden. [Für das Gericht ist unklar, ob und mit welcher Tiefe im Falle eines Moratoriums (Aussetzung von Durchsetzungsmaßnahmen nach Artikel 6 des Richtlinienvorschlags) eine Überprüfung vorzunehmen ist, wann eine für ein Drohen der Insolvenz hinreichende Wahrscheinlichkeit vorliegt
- 12. Aus diesen Gründen befürwortet der Bundesrat unionsweite Vorgaben an den Antrag auf ein Moratorium. Um dem Gericht eine schnelle und gründliche Prüfung des Antrags auf ein Moratorium zu ermöglichen, sollte ein Antragsteller eine Bescheinigung eines unabhängigen Experten vorlegen müssen, aus der sich zumindest ergibt, dass das Unternehmen nicht zahlungsunfähig ist und der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit mindestens innerhalb der nächsten sechs Monate nicht zu erwarten ist. Außerdem darf die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos erscheinen, was das Unternehmen durch eine dem Antrag auf das Moratorium beizufügende Grobplanung für die Restrukturierung belegen sollte. Durch diese Mechanismen werden gerade missbräuchliche Inanspruchnahmen des Vollstreckungsschutzes vermieden. Der Gefahr einer "Flucht" in das Restrukturierungsverfahren zur Vermeidung eines Insolvenzverfahrens sowie der zivil- und strafrechtlichen Haftung sollte durch eine gerichtliche Eingangskontrolle begegnet werden. Der Regelung in Artikel 6 Absatz 1 des Richtlinienvorschlags ist nicht eindeutig zu entnehmen, ob der Schuldner vor Beantragung des Moratoriums bereits in Verhandlungen mit seinen Gläubigern getreten sein muss oder ob ein solcher Antrag bei Gericht bereits vor der Aufnahme von Verhandlungen mit seinen Gläubigern zulässig ist. Dies sollte in der Richtlinie klargestellt werden. Derzeit ist nach dem Richtlinienvorschlag auch nicht sichergestellt, dass das Gericht im Falle des Moratoriums zumindest im beschränkten Umfang eine materiellrechtliche Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Eingriffes in die Gläubigerrechte vornehmen darf. Die Überprüfung, ob die Tatbestandsmerkmale des Artikels 6 Absatz 1 des Richtlinienvorschlags tatsächlich vorliegen, muss dem Gericht aber bereits aus Gründen des Gläubigerschutzes möglich sein. Andernfalls ist zu erwarten, dass viele Schuldner ohne konkretes Konzept und ohne realistische Einigungsaussichten behaupten werden, in Restrukturierungsverhandlungen eintreten zu wollen, nur um zunächst in den Genuss des mehrmonatigen Moratoriums zu kommen. Die erwähnten Nachweise sind als Gegenleistung für den Vertrauensvorschuss gerechtfertigt, den das Unternehmen durch den Vollstreckungsschutz erhält. Ein ordnungsgemäß planendes Unternehmen kann die Nachweise ohne großen Aufwand innerhalb kurzer Zeit erbringen, da eine ernsthafte Sanierung gut überlegt und vorbereitet sein wird. Artikel 6 des Richtlinienvorschlags und die Erwägungsgründe 17 und 19 sollten entsprechend angepasst werden.
- 13. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass der Anwendungsbereich des Restrukturierungsrahmens auf die Finanzgläubiger eines Unternehmens beschränkt werden sollte. Weist ein Unternehmen einen defizitären operativen Geschäftsbetrieb auf, erscheint fraglich, ob das auf Verschaffen von Verhandlungsspielraum gerichtete präventive Restrukturierungsverfahren zur nachhaltigen Unternehmenssanierung geeignet ist. So besteht bei einer Restrukturierung von Verbindlichkeiten gegenüber Gläubigern aus dem operativen Geschäftsbetrieb (insbesondere Lieferanten und Kunden) das Risiko, dass lediglich die Symptome der Unternehmenskrise zeitweise gelindert werden, ohne die zu Grunde liegende Krisenursache dauerhaft zu beseitigen. Geht man davon aus, dass nur {nachhaltig} tragfähige Unternehmen in den Genuss des Restrukturierungsrahmens kommen sollen, reicht eine Beschränkung der im Richtlinienvorschlag vorgesehenen Eingriffsinstrumente auf die Finanzverbindlichkeiten aus. Denn ein tragfähiges Unternehmen wird über einen ausreichenden operativen "Cash-Flow" verfügen, um die Gläubiger aus der laufenden Geschäftstätigkeit zu befriedigen. Ist nicht einmal die Tragfähigkeit für den laufenden Geschäftsbetrieb gewährleistet, sollte ein Insolvenzverfahren durchgeführt werden, wenn eine einvernehmliche Sanierung scheitert. [Insbesondere ist aus Sicht des Bundesrates zu kritisieren, dass das Restrukturierungsverfahren grundsätzlich auch auf offene Forderungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erstreckt werden könnte. Neben Lohnforderungen könnte dies beispielsweise auch Gewinnbeteiligungen oder Pensionsansprüche betreffen. Ein Regelungsbedürfnis für derart weit gehende Eingriffe in wohlerworbene Arbeitnehmerrechte ist nicht ersichtlich.] {Zudem ist davon auszugehen, dass ein Restrukturierungsrahmen, der Gläubiger aus dem operativen Geschäftsbetrieb miteinbezieht, dafür sorgt, dass es zu Dominoeffekten in der Lieferantenkette kommt und dies gegebenenfalls sogar systemische Risiken hervorruft. Die Restrukturierung eines Unternehmens kann daher gravierende Folgen, wie zum Beispiel Folgeinsolvenzen, für andere Unternehmen mit sich bringen und damit einen großen Schaden für die gesamte Volkswirtschaft verursachen.}
- 14. Der Bundesrat stimmt der Einschätzung zu, dass es bei einem frühen Verfahrensbeginn angemessen ist, die Geschäftsführungsbefugnis des Schuldners unangetastet zu lassen (Eigenverwaltung). Die in Artikel 5 des Richtlinienvorschlags vorgesehene Beschränkung der gerichtlichen Bestellung eines Restrukturierungsverwalters zur Unterstützung und möglicherweise auch zur Überwachung des Schuldners begegnet jedoch Bedenken. Wie in Erwägungsgrund 18 ausgeführt, können insbesondere etwaige Eingriffe in die Rechte Dritter solch eine Bestellung rechtfertigen. Die in Artikel 5 Absatz 3 des Richtlinienvorschlags genannten Ausnahmefälle sind zu eng gefasst und lassen zudem offen, ob die Mitgliedstaaten auch in weiteren Fällen die Bestellung eines Restrukturierungsverwalters vorsehen dürfen. In Betracht kämen zum Beispiel nationale Regelungen, nach denen ein Restrukturierungsverwalter auch auf Antrag eines bestimmten Teils der Gläubiger bestellt werden kann. Nach Auffassung des Bundesrates ist eine Überwachung des Schuldners bei jedem Moratorium (nicht nur bei einem für alle Gläubiger geltenden) sachgerecht. In gleicher Weise sollte ein Restrukturierungsverwalter immer dann bestellt werden müssen, wenn sich ein Bedürfnis nach einer Planbestätigung durch das Gericht nach Artikel 10 und 11 des Richtlinienvorschlags abzeichnet. In der Praxis wird diese Bestätigung in den meisten Fällen erforderlich sein, eine einvernehmliche Umstrukturierung die Ausnahme bilden. Angesichts der in diesen Fällen erfolgenden Eingriffe in Gläubigerrechte ist eine Überwachung des Schuldners im Gegenzug für den gewährten Freiraum sachgerecht und dient auch der Akzeptanz vorgeschlagener Restrukturierungspläne. [Darüber hinaus dient es der Verfahrensbeschleunigung, wenn das Gericht für die Entscheidungen über die Verlängerung des Moratoriums (Artikel 6 Absatz 4, Absatz 5 des Richtlinienvorschlags) und über die Planbestätigung (Artikel 10 und 11 des Richtlinienvorschlags) auf einen unabhängigen Ansprechpartner zurückgreifen kann, der Einblick in die bisherigen Restrukturierungsverhandlungen hat.] Zur Rolle des Restrukturierungsverwalters ist unklar, welche Bedeutung die in Artikel 2 Nummer 15 Buchstabe c des Richtlinienvorschlags vorgesehene Beschränkung auf eine nur teilweise Kontrolle über die Vermögenswerte oder die Geschäfte des Schuldners hat. Dies sollte klargestellt werden.
- 15. Neben einer Kontrolle durch einen Restrukturierungsverwalter erscheint es erwägenswert, während eines Moratoriums einen vom Gericht einzusetzenden Gläubigerausschuss einzurichten, der wichtigen Geschäftsmaßnahmen außerhalb des üblichen Geschäftsbetriebs zustimmen muss, insbesondere der Veräußerung von Betriebsvermögen und von Sachen, an denen Sicherheiten bestellt sind (zum Beispiel Warenlager oder Grundstücke). Hierdurch wird im Gegenzug für den gewährten Vollstreckungsschutz sichergestellt, dass die wesentliche Haftungsmasse im Unternehmen erhalten bleibt oder ihre Zusammensetzung jedenfalls nur im Rahmen des üblichen Geschäftsverkehrs verändert wird. Angesichts der Bedeutung des Gläubigerausschusses und zur Vermeidung etwaiger Missbräuche sollte das Gericht an der Bestellung des Gläubigerausschusses beteiligt sein und dessen Zusammensetzung überwachen.
- 16. Dass das Moratorium durch ein Gericht angeordnet werden muss, sollte sich nicht nur aus Artikel 2 Nummer 4 des Richtlinienvorschlags ergeben, sondern angesichts der hohen Bedeutung der Aussetzung einzelner Durchsetzungsmaßnahmen unmittelbar in Artikel 6 Absatz 1 des Richtlinienvorschlags geregelt werden. Wie bereits ausgeführt (vorstehend Ziffer 12), sollte der Antrag des Schuldners durch eine Bescheinigung eines unabhängigen Experten mit Aussagen zur [fehlenden] bzw. {nicht drohenden} Zahlungsunfähigkeit und zur vorhandenen Sanierungsfähigkeit begleitet werden. Um dem Gericht die Prüfung der Erforderlichkeit des Moratoriums und damit zugleich dessen Dauer sowie der erfassten Gläubigergruppen zu erlauben, sollte der Schuldner gerade auch zu Angaben hierzu verpflichtet sein. Um missbräuchliche Moratorien zu verhindern, sollte nicht allein auf das Kriterium abgestellt werden, dass das Moratorium für die Unterstützung der Planverhandlungen notwendig sein muss. Weitere Voraussetzung für das Moratorium sollte generell das Fehlen einer unangemessenen Gläubigerbenachteiligung sein. Die Regelung in Artikel 6 Absatz 9 des Richtlinienvorschlags reicht hierfür nicht, da sie offenbar einen Antrag eines Gläubigers voraussetzt, sich nur auf einzelne Gläubiger oder Gläubigergruppen bezieht und außerdem unklar lässt, wer für das Vorliegen oder Fehlen einer unangemessenen Benachteiligung beweispflichtig ist. Nach Ansicht des Bundesrates sollte der Schuldner stets glaubhaft machen müssen, warum den Gläubigern das Moratorium zumutbar ist, zum Beispiel weil sie gegen einen etwaigen Wertverlust ihrer Sicherheiten geschützt sind.
- 17. Aus Sicht des Bundesrates sollte die Möglichkeit der Anordnung eines Moratoriums in Artikel 6 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags grundsätzlich auf solche Gläubiger beschränkt sein, in deren Rechte durch einen möglichen Restrukturierungsplan eingegriffen werden soll. Sollte es notwendig erscheinen, das Moratorium im Ausnahmefall auf weitere Gläubiger zu erstrecken, sollte im Gegenzug die Bestellung eines Restrukturierungsverwalters zwingend erfolgen müssen. Der Restrukturierungsverwalter sollte die Erfüllung der nicht vom Moratorium erfassten Verpflichtungen des Schuldners gegenüber diesen Gläubigern überwachen und falls erforderlich durch geeignete Maßnahmen sicherstellen (siehe auch nachfolgend Ziffer 24). Hierdurch wird gewährleistet, dass die Rechte nicht an der Abstimmung über den Restrukturierungsplan beteiligter Gläubiger eingehalten werden, wenn sie im Ausnahmefall ein Moratorium hinnehmen und die vertragliche Beziehung zum Schuldner fortsetzen müssen.
- 18. Aus Sicht des Bundesrates sollte der in Artikel 6 Absatz 4 des Richtlinienvorschlags vorgesehene Höchstzeitraum für das Moratorium im Ausgangspunkt nicht mehr als drei Monate betragen. Eine Verlängerung über diesen Zeitraum hinaus sollte im Regelfall nur möglich sein, wenn das Gericht noch über einen innerhalb der Drei-Monats-Frist gestellten Antrag auf Planbestätigung nach Artikel 10 oder 11 des Richtlinienvorschlags entscheiden muss. Sorgfältige Unternehmen werden das gerichtliche Verfahren vorbereiten, um eine unerwünschte Publizität zu vermeiden und den gerichtlichen Teil der Restrukturierung zügig abzuschließen. Eine klare Begrenzung der Dauer des Moratoriums würde den Anreiz schaffen, im Sinne des angestrebten Frühwarnmechanismus rechtzeitig und sorgfältig eine Sanierung vorzubereiten und damit möglichst viele Schritte vor Beantragung des Moratoriums einzuleiten. Zudem würde das Unternehmen motiviert, die durch das Moratorium gewährte Verhandlungszeit überlegt und effektiv zu nutzen. Eine zu lange Dauer würde dagegen Anreize schaffen, die Verhandlungen erst nach dem Beginn des Moratoriums ernsthaft zu betreiben. Durch eine Dauer von mehr als drei Monaten wird außerdem die Akzeptanz des Restrukturierungsverfahrens durch Kreditinstitute gefährdet, die der "Capital Requirements Regulation" (CRR) unterliegen. Solche Kreditinstitute könnten sich bei länger dauernden Moratorien zu einer Beendigung des Kreditengagements gezwungen sehen[, da der Kredit nach 90 Tagen als so genannter "nonperforming loan" einzustufen ist. Ein Kreditinstitut wird in diesen Fällen versuchen, den Kredit zu kündigen oder diesen an andere Finanzmarktteilnehmer, unter Umständen auch Hedgefonds oder "Bad Banks" zu verkaufen. In solchen Fällen ist die Restrukturierung des Unternehmens nahezu aussichtslos]. Die in das Ermessen der Mitgliedstaaten gestellte Verlängerungsmöglichkeit nach Artikel 6 Absatz 5 des Richtlinienvorschlags sollte daher nur in Ausnahmefällen zum Tragen kommen [und sich auf eine Gesamthöchstdauer von sechs Monaten beschränken. Zudem muss Voraussetzung der Verlängerung sein, dass nochmals eine Bescheinigung eines unabhängigen Experten mit Aussagen zur nicht drohenden Zahlungsunfähigkeit für die nächsten drei Monate vorgelegt wird].
- 19. Das Fehlen einer unangemessenen Gläubigerbeeinträchtigung sollte allgemeine Voraussetzung des Moratoriums sein, das heißt auch bei der erstmaligen Anordnung des Moratoriums. Demgegenüber ist der Nutzen des Kriteriums der hohen Annahmewahrscheinlichkeit ("nach den Umständen des Einzelfalls sehr wahrscheinlich") für eine Verlängerung des Moratoriums fraglich, weil sich die Frage stellt, wie das Gericht diese Wahrscheinlichkeit beurteilen will (Artikel 6 Absatz 6 des Richtlinienvorschlags). Zur Konkretisierung sollte man vorsehen, dass das Unternehmen dem Gericht den Stand der Verhandlungen mitteilen muss. Hierbei sollten die noch streitigen Punkte des Plans und das angekündigte Abstimmungsverhalten der Gläubiger zu benennen sein.
- 20. Die in Artikel 6 Absatz 8 des Richtlinienvorschlags vorgesehenen Aufhebungsgründe sind unzureichend. Insbesondere sollte auch vorgesehen werden, dass das Gericht das Moratorium aufheben kann, wenn es die Voraussetzungen für die Anordnung oder für die Verlängerung nicht mehr als gegeben ansieht. Diese Aufhebung sollte auch von Amts wegen erfolgen können. Aufgrund der Missbrauchsgefahr sollte auch sichergestellt sein, dass in den Fällen, in denen ein Schuldner zum Beispiel Auskünfte an vom Moratorium betroffene Gläubiger nicht erteilt, obwohl die Gläubiger einen Anspruch auf solche Auskünfte haben, das Gericht auf Antrag dieser Gläubiger oder von Amts wegen das Moratorium aufheben kann. Aus Sicht des Bundesrates verdient nur der redliche Schuldner den Schutz eines Moratoriums.
- 21. Ebenso sollte die Aufhebungsmöglichkeit bei unangemessener Beeinträchtigung nach Artikel 6 Absatz 9 des Richtlinienvorschlags nicht auf einzelne Gläubiger oder Gläubigergruppen beschränkt, sondern auch die Aufhebung des Moratoriums insgesamt (also für alle Gläubiger) möglich sein und ebenfalls von Amts wegen erfolgen können. Gerade bei gesicherten Gläubigern kommt eine solche Beeinträchtigung in Betracht, wenn das Sicherungsgut sich während des Moratoriums verschlechtert oder an Wert verliert. Um einen Entzug notwendiger Betriebsmittel, auf denen Sicherungsrechte lasten, zu vermeiden, sollte alternativ zur Aufhebung des Moratoriums vorgesehen werden können, dass dem betroffenen Gläubiger Ersatz für die Verschlechterung oder den Wertverlust geleistet werden kann.
- 22. Die Aussetzung der Pflicht zur Insolvenzantragstellung während des Moratoriums ist in Bezug auf den Insolvenzgrund der Überschuldung nachvollziehbar, nicht jedoch, falls trotz des gewährten Moratoriums das Unternehmen zahlungsunfähig wird. Der Schuldner sollte bei jedem Eintritt von Zahlungsunfähigkeit nicht von der Stellung eines Insolvenzantrags entbunden sein, wenn das innerstaatliche Recht - wie in Deutschland - eine Antragspflicht für zahlungsunfähige Unternehmen vorsieht. Artikel 7 Absatz 1 und Absatz 3 des Richtlinienvorschlags sind insofern anzupassen. Hierbei sollte klargestellt werden, ob für die Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit die infolge des Moratoriums ausgesetzten Zahlungspflichten zu berücksichtigen sind oder nicht. Der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit während des Moratoriums zeigt jedenfalls, dass nicht einmal der weitgehende Freiraum durch Vollstreckungsschutz ausreicht, um die Tragfähigkeit des Unternehmens zu sichern. Dann ist die Durchführung eines Insolvenzverfahrens unvermeidlich und auch im Gläubigerinteresse geboten, um die Insolvenzmasse nicht noch weiter aufzuzehren. Aus den gleichen Erwägungen sollten bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit die Gläubiger einen Insolvenzantrag stellen können. So wird ein weiteres Misswirtschaften des Schuldners verhindert. Dem steht bisher Artikel 7 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags entgegen, nach dem die Abweichungsmöglichkeit nach Absatz 3 nicht für Gläubigeranträge gilt. Nicht sachgerecht ist es jedenfalls, sogar im Falle der Zahlungsunfähigkeit weiterhin den Schutz durch ein vorheriges Vollstreckungsmoratorium zu gewähren (Artikel 7 Absatz 3 des Richtlinienvorschlags). In einem solchen Fall muss es nach nationalem Recht möglich sein, Sicherungsmaßnahmen nach der Insolvenzordnung anzuordnen, die der Entscheidung über die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vorgelagert sind. Im Rahmen der Prüfung des Gerichts, ob ein Insolvenzverfahren zu eröffnen ist, bleibt ausreichend Raum, um begonnene und andauernde Verhandlungen mit den Gläubigern fortzusetzen.
- 23. Mit einer Begrenzung des Restrukturierungsverfahrens auf Finanzgläubiger ist Artikel 7 Absatz 4 und 5 des Richtlinienvorschlags, der auf Lieferanten abzielt, überflüssig und zu streichen. Nur für den Fall, dass das Restrukturierungsverfahren sämtliche Gläubiger umfassen soll, ist auf Folgendes hinzuweisen: Der Schutz für noch nicht beiderseits erfüllte Verträge nach Artikel 7 Absatz 4 und 5 des Richtlinienvorschlags ist zu weitgehend. Denn es werden lediglich die Interessen des Schuldners in den Vordergrund gerückt, um diesem die Fortführung seines Geschäftsbetriebs und damit den Erhalt der in ihm verkörperten Vermögenswerte während der Verhandlungen zu ermöglichen. Um ein Gleichgewicht der Gläubiger- und Schuldnerinteressen zu erreichen, darf ein Gläubiger nicht dazu gezwungen werden, an den Schuldner zu liefern im Wissen, dass er keine Gegenleistung erhalten wird. Ein solches Recht des Schuldners, eine Forderung weiterhin vom Gläubiger zu verlangen, ohne dass dieser ein Zurückbehaltungsrecht hat, widerspricht dem deutschen Rechtsverständnis und greift zu tief in nationales Recht ein. Im Ergebnis würden die Regelungen des Artikels 7 Absatz 4 und 5 des Richtlinienvorschlags dazu führen, dass Gläubiger ihre Rechte gegenüber schwachen Vertragspartnern schon vor einem Moratorium geltend machen werden. Damit verlagert sich der Gefährdungszeitpunkt für kriselnde Unternehmen weiter nach vorne, so dass mit dieser Regelung genau das gegenteilige Ziel erreicht wird. Artikel 7 Absatz 4 und 5 des Richtlinienvorschlags ist daher zu streichen.
- 24. Der Schutz für noch nicht beiderseits erfüllte Verträge nach Artikel 7 Absatz 4 des Richtlinienvorschlags ist im Ansatz sachgerecht, weil er die Fortführung des Geschäftsbetriebs des Unternehmens des Schuldners und damit den Erhalt der in ihm verkörperten Vermögenswerte während der Verhandlungen ermöglicht. Die Regelungen sollten jedoch in zweierlei Hinsicht ergänzt werden: Zum einen sollte aufgenommen werden, dass die Vertragsfortsetzung unter dem Vorbehalt steht, dass der Schuldner seine Pflichten weiterhin erfüllt sowie vergangene Vertragsverstöße heilt, soweit sie nicht durch das Moratorium überlagert werden. Dies entspricht nach Erwägungsgrund 21 der Intention der Regelung und sollte auch in den verfügenden Teil des Richtlinienvorschlags aufgenommen werden. Die Formulierung in Artikel 7 Absatz 6 des Richtlinienvorschlags, dass nichts den Schuldner an einer Zahlung laufender Forderungen hindere, ist hierzu nicht ausreichend. Zum anderen erscheint es erforderlich, dem zur vertragsgemäßen Vorleistung verpflichteten Gläubiger eine angemessene Sicherung für seine Gegenansprüche gegen den Schuldner zu gewähren. Die Weiterbelieferung mit für das Unternehmen unverzichtbaren Waren und Gütern entspricht nämlich einer Zwischenfinanzierung nach Artikel 16 des Richtlinienvorschlags, nur werden die betroffenen Gläubiger durch das Moratorium möglicherweise gegen ihren Willen zu einem Restrukturierungsbeitrag gezwungen. Daher muss sichergestellt werden, dass sie die geschuldete Gegenleistung für während des Moratoriums erbrachte Leistungen erhalten, unabhängig davon, ob der der Leistung zugrundeliegende Anspruch vor oder nach der Aussetzung begründet wurde. Ohne diese Sicherheitsleistung sollte den Gläubigern ein Leistungsverweigerungsrecht zustehen.
- 25. Die Anforderungen an den Mindestinhalt von Restrukturierungsplänen sind weitgehend sachgerecht. Ergänzend sollte jedoch eine Ertrags- und Finanzplanung erforderlich sein, um die angestrebten Planwirkungen nachprüfen zu können. Soweit begründete Erklärungen der Ursachen und des Umfangs der Unternehmenskrise sowie der Rentabilität des Unternehmens und der Abwendung der Insolvenz gefordert werden (Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b und g des Richtlinienvorschlags), sollte klargestellt werden, was hiermit genau gemeint ist. Insbesondere muss auf eine vollständige und richtige Information der zur Abstimmung berufenen Gläubiger geachtet werden. [Um eine spätere Planbestätigung nicht wegen mangelnder Information zu gefährden, sollte das Gericht den Planvorschlag vorher zur Abstimmung freigeben. Durch eine gerichtliche Vorabkontrolle können Fehler frühzeitig erkannt und möglicherweise korrigiert werden. Eine Verweigerung der Planbestätigung aus formalen Gründen wird dadurch vermieden, ebenso Planverfahren, die offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg haben. Das Gericht hat in diesem Stadium außerdem die Möglichkeit, eine missbräuchliche Bildung der Gläubigerklassen frühzeitig zu verhindern. Die Freigabe sollte aber nur auf eine Evidenzkontrolle beschränkt sein, um Verzögerungen zu minimieren.]
- 26. Zur Annahme eines Restrukturierungsplans wird nach dem Richtlinienentwurf ein Mehrheitsquorum gefordert, das in keinem Fall über 75 Prozent des Betrags der Ansprüche oder Beteiligungen in jeder Klasse liegen darf. Dieses Mehrheitserfordernis ist zu gering, da damit dem Gläubigerschutz nicht ausreichend Rechnung getragen wird. Es soll lediglich verhindert werden, dass einzelne dissentierende Gläubiger überstimmt werden können. Insofern ist eine qualifiziertere Mehrheit erforderlich, beispielsweise eine strikte 75 Prozent Mehrheit.
- 27. Die Einführung eines online verfügbaren Planmusters erscheint nicht praktikabel, da jedes Unternehmen Besonderheiten aufweist, auf die gerade im Plan einzugehen ist. Ein Muster müsste daher so allgemein gefasst sein, dass es in der Praxis keinen Mehrwert bringt. Ohnehin wird sich ein Unternehmen bei der Planaufstellung fachkundig beraten lassen, so dass ein Bedürfnis hierfür nicht besteht. Jedenfalls ist es abzulehnen, dass das Muster in gebräuchlichen Sprachen des internationalen Geschäftsverkehrs verfügbar sein muss und die Parteien sich für die Verwendung dieses Musters entscheiden können (Artikel 8 Absatz 2 und Absatz 3 des Richtlinienvorschlags). Die hieraus im Gegenzug folgende Annahmepflicht der Gerichte ist abzulehnen: Zum einen gibt es kaum eine Sprache, die nicht im internationalen Geschäftsverkehr verwendet wird, zum anderen wird durch das Verwendungsrecht fremdsprachiger Muster die Gerichtssprache missachtet, die in einem Mitgliedstaat zugelassen ist. Schließlich können sich bei Bereitstellung eines staatlichen Planmusters schwierige Haftungsfragen stellen, wenn im späteren gerichtlichen Verfahren einem unzureichenden Plan die Bestätigung versagt wird.
- 28. Die Regelung der vorgesehenen gerichtlichen Bestätigung streitiger Restrukturierungspläne begegnet erheblichen Bedenken. Zum einen dürfte das Gericht kaum in der Lage sein, die ordnungsgemäße Übermittlung an alle bekannten, voraussichtlich betroffenen Gläubiger nachzuprüfen. Hier sollte besser auf eine entsprechende Bestätigung eines Restrukturierungsverwalters abgestellt werden. Zum anderen ist es mit der richterlichen Unabhängigkeit und der in komplexen Sanierungsverfahren zu fordernden Sorgfalt nicht zu vereinbaren, eine starre Entscheidungsfrist von maximal 30 Tagen vorzusehen (Artikel 10 Absatz 4 des Richtlinienvorschlags). Eine Entscheidung dieser wirtschaftlichen Tragweite wird nur in den wenigsten Fällen innerhalb einer Frist von 30 Tagen sachgerecht getroffen werden können. Gerade in streitigen Fällen wird nämlich eine Unternehmensbewertung einzuholen sein (siehe Artikel 13 des Richtlinienvorschlags). Dies ist innerhalb dieser kurzen Zeit nicht möglich. Durch eine kurze Entscheidungsfrist wird es in sehr vielen Fällen zur Einlegung von Rechtsmitteln kommen. Verantwortungsvolle Richter sind sich in Insolvenzsachen bewusst, dass eine eilige Entscheidung erforderlich ist. Gerade der Schutz von überstimmten Gläubigern verbietet es, eine Entscheidungsfrist vorzugeben. Nur die richterliche Bestätigung rechtfertigt die Annahme von Restrukturierungsplänen gegen den Willen der überstimmten Gläubiger, in deren Eigentumsrecht eingegriffen wird. Es entspricht dem Respekt vor dieser richterlichen Funktion, eine sorgfältig überlegte Entscheidung zu ermöglichen. Der Bundesrat lehnt daher jegliche Fristvorgabe für die Planbestätigung ab. Um den Interessen des Unternehmens Rechnung zu tragen, sollte ein bereits angeordnetes Moratorium allerdings für die Zeit weiter gelten, die das Gericht für seine Entscheidung braucht.
- 29. Der Bundesrat begrüßt den "best interest of creditors test" als wirtschaftlichen Maßstab, um bei der Planbestätigung eine effiziente Restrukturierung sicherzustellen (Artikel 10 Absatz 2 Buchstabe b des Richtlinienvorschlags). In gleicher Weise gewährleistet die Regel des absoluten Vorrangs bei der gruppenübergreifenden Überstimmung ("cramdown") ein effizientes Ergebnis (Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe c des Richtlinienvorschlags). Um die Akzeptanz der gruppenübergreifenden Überstimmung sicherzustellen, sollte ein entsprechender Plan aber durch eine [qualifiziere] Mehrheit von Gläubigern getragen werden, wobei die Mehrheit nach der Summe der vom Plan erfassten Verbindlichkeiten berechnet werden sollte. Das Gericht sollte hierbei überprüfen können, ob und in welchem Umfang die Forderung eines Gläubigers tatsächlich besteht. Es erscheint nicht sachgerecht, abhängig vom Recht der Mitgliedstaaten nur die Genehmigung mindestens einer Gläubigergruppe ausreichen zu lassen. Sinnvoll wäre es außerdem, die Regel des absoluten Vorrangs dahingehend einzuschränken, dass ein eigentlich verbotener Erhalt der Rechte nachrangiger Gläubiger oder von Eigenkapitalgebern dann zulässig ist, wenn sie dem Unternehmen entsprechende neue Vermögenswerte zugeführt haben, so dass sie ihre Stellung gleichsam neu erkauft haben ("new value exception"). Insbesondere bei inhabergeführten Unternehmen ist eine derartige Flexibilität erforderlich, um die Unternehmerpersönlichkeit auch in Zukunft angemessen an dem Unternehmen zu beteiligen.
- 30. Die Regelung zur Bestimmung des Unternehmenswerts in Artikel 13 des Richtlinienvorschlags sollte klarer gefasst werden. Es sollte geregelt werden, wie sich der Liquidationswert und der Wert des Unternehmens [("going concern")] auf der Grundlage seines Wertes als laufendes Unternehmen voneinander abgrenzen, nachdem nach dem Erwägungsgrund 30 auch der Liquidationswert auf der Basis eines Verkaufs als laufendes Unternehmen ermittelt werden kann. {Nach dem Verständnis des Bundesrates muss eine Überprüfung der Unternehmensbewertung schon im Rahmen der gerichtlichen Bestätigung eines streitigen Restrukturierungsplans erfolgen und nicht erst, wenn der Plan beanstandet oder angefochten wird. Da eine gerichtliche Auseinandersetzung über eine Unternehmensbewertung aufwändig und streitanfällig ist, sollte außerdem Raum für eine einvernehmliche Einigung der Gläubiger auf einzelne Bewertungsgrundlagen oder Elemente der Unternehmensbewertung gelassen werden. Hierdurch lässt sich der Aufwand für das Gericht und den zu beauftragenden Sachverständigen verringern. Gerade auch die Einsetzung eines Gläubigerausschusses könnte in solchen Fällen sinnvoll sein, um eine Einigung zwischen Schuldner und Gläubigern herbeizuführen oder zu beschleunigen.}
- 31. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Möglichkeit von Gläubigern zur Anfechtung einer gerichtlichen Planbestätigung von einschränkenden Voraussetzungen abhängen sollte. Zumindest sollten solche Einschränkungen zur Verhinderung der missbräuchlichen Einlegung von Rechtsmitteln nach dem Recht der Mitgliedstaaten zulässig sein. So könnte die bisher vorbehaltlose Anfechtungsmöglichkeit nach Artikel 15 Absatz 1 des Richtlinienvorschlags bestimmte Gläubiger dazu ermuntern, die Planbestätigung in der vagen Hoffnung auf eine finanzielle Besserstellung anzufechten oder sich ihr Anfechtungsrecht abkaufen zu lassen.
- 32. Die Vorgabe, dass gemäß Artikel 15 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags über Rechtsmittel gegen die gerichtliche Planbestätigung in einem beschleunigten Verfahren zu entscheiden ist ("zügig"), sollte aus den unter Ziffer 26 genannten Gründen als unnötige Beschränkung der richterlichen Unabhängigkeit unterbleiben. Angesichts der vorgesehenen sofortigen Vollziehbarkeit von Restrukturierungsplänen ist auch keine Eilbedürftigkeit erkennbar. In der Rechtsmittelinstanz kann insbesondere die Einholung weiterer Sachverständigengutachten erforderlich werden, was Zeit braucht. Bedenken bestehen gegen den generellen Ausschluss einer aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels. So sollte dem Gericht eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels dann möglich sein, wenn ein offensichtlicher und besonders schwerer Rechtsverstoß vorliegt. Diese Möglichkeit sollte daher - zumindest im Wege einer Öffnungsklausel für den nationalen Gesetzgeber - eröffnet werden. Darüber hinaus gibt der Bundesrat zu bedenken, dass die Gewährung eines Anspruchs auf Ausgleich durch das Gericht nach Artikel 15 Absatz 4 Buchstabe b des Richtlinienvorschlags, der vom Schuldner oder von den zustimmenden Gläubigern zu zahlen ist, die Gläubiger dazu veranlassen könnte, ihre Zustimmung zu einem Plan aus Angst vor einer potentiellen Zahlungspflicht, die neben den im Plan erklärten Forderungsverzicht treten würde, zu verweigern und einen Plan abzulehnen. Hierdurch bestünde die Gefahr, dass auch zustimmungswürdige Restrukturierungspläne nicht die erforderlichen Mehrheiten erhalten und eine Sanierung scheitert.
- 33. Der Bundesrat begrüßt den Grundgedanken, dass Finanzmittel zur Ermöglichung und Umsetzung der Restrukturierung gefördert und geschützt werden müssen (Artikel 16 des Richtlinienvorschlags). Die pauschale Privilegierung dieser Transaktionen geht jedoch deutlich zu weit. Die Kategorien der betrügerischen und bösgläubigen Mittelgewährung als Schranken für die andernfalls umfassende Haftungsfreistellung sind nicht ausreichend, um missbräuchliches Verhalten durch Gläubiger und Schuldner auszuschließen. Zumindest sollten diese Kategorien in einem Erwägungsgrund näher mit Beispielen erläutert werden. Die Fallgruppen scheinen nur vorsätzliches Verhalten zu erfassen. Eine umfassende Haftungsfreistellung erscheint aber zumindest bei grob fahrlässigem Verhalten des Kreditgebers ebenfalls nicht geboten. Es sollte sichergestellt sein, dass Zwischenfinanzierungen nur dann privilegiert sein können, wenn ein schlüssiges Sanierungskonzept vorliegt und die Beteiligten auf den erfolgreichen Ausgang der Verhandlungen vertrauen durften. Insbesondere sollte hier auch geregelt werden, was für Finanzmittel gilt, die von Personen mit Insider-Kenntnissen bereitgestellt werden (Gesellschafter oder Geschäftsführer, mit diesen verbundene oder verwandte Personen). In diesen Fällen ist die Missbrauchsgefahr besonders hoch und ein strengerer Haftungsmaßstab als bei außenstehenden Geldgebern gerechtfertigt.
- 34. Die Ausdehnung dieses Schutzes auf begleitende Transaktionen ist nach Einschätzung des Bundesrates zu weitgehend und begünstigt missbräuchliches oder verschwenderisches Verhalten (Artikel 17 des Richtlinienvorschlags). [Dem Grunde nach] ist zwar eine Privilegierung für angemessene Verhandlungs- und Beratungskosten noch hinnehmbar. [Der Begriff "angemessen" dürfte aber ohne beispielhafte Erläuterungen in der Richtlinie oder zumindest in den Erwägungsgründen wenig praktikabel sein und erheblichen Raum für missbräuchliche und die Masse aufzehrende Verhandlungs- und Beratungskosten gewähren. Bereits heute zeigt sich in der insolvenzrechtlichen Praxis, dass die Kosten für eine Sanierungsberatung in solchen Insolvenzverfahren, denen eine Sanierung im Insolvenzplanverfahren vorausgegangen war, die für eine Verteilung an die Gläubiger zur Verfügung stehende Masse nahezu vollständig aufzehren. Ohne eine Höchstgrenze steht gleiches für die außergerichtlichen Sanierungsverfahren zu befürchten. Es ist nach Artikel 17 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags unklar, ob sich die Beurteilung der Angemessenheit von Gebühren oder Kosten an der Größe des Unternehmens, an dem Bilanzwert, an den freien Vermögenswerten des in Sanierung befindlichen Unternehmens oder an dem Gesamtwert des Verzichts aller Gläubiger orientieren soll. Denkbar wäre auch die Einführung einer maximal zulässigen Höchstgrenze, bis zu der Verhandlungs- und Beratungskosten maximal angemessen wären. Eine Begrenzung auf die maximal in einem Unternehmensinsolvenzverfahren oder die in einem Insolvenzplanverfahren abrechenbaren Kosten wäre in Erwägung zu ziehen. Darüber hinaus] ist ein Bedürfnis nach einer Privilegierung anderer Zahlungen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang sowie sogar von Transaktionen außerhalb des normalen Geschäftsgangs nicht ohne weiteres erkennbar. Jedenfalls sollte ein Zustimmungsvorbehalt bei solchen Transaktionen zwingend vorgeschrieben sein, um deren Angemessenheit zu überprüfen. Eine Transaktion ist nur dann angemessen, wenn für sie ein nachvollziehbares Bedürfnis besteht, sie zu marktüblichen Konditionen erfolgt und die Gegenleistung den finanziellen Verhältnissen des Schuldners entspricht. [Die Überwachung könnte durch den Restrukturierungsverwalter oder einen Gläubigerausschuss erfolgen sowie bei einem erheblichen Transaktionswert auch von einer gerichtlichen Zustimmung abhängen. Der Zustimmungsvorbehalt in Artikel 17 Absatz 3 des Richtlinienvorschlags sollte insofern auf weitere Transaktionen des Absatzes 2 erstreckt werden können.]
- 35. Der Bundesrat regt eine Überprüfung der Regelung zu den Pflichten der Unternehmensleitung in Artikel 18 des Richtlinienvorschlags an. Die dort vorgesehenen Pflichten dürften sich in vielen Fällen schon aus dem Gesellschaftsrecht der Mitgliedstaaten ergeben. Zudem hängen die Pflichten von den jeweiligen Gesellschaftsformen der Mitgliedstaaten ab, so dass sich unionsweite Vorgaben nur schwer einfügen lassen. Nicht klar wird auch, ob diese Pflichten, wie die Überschrift des Kapitels 5 nahelegt, nur im Zusammenhang mit Verhandlungen über einen präventiven Restrukturierungsplan oder allgemein gelten sollen. Die Mitgliedstaaten wären möglicherweise gezwungen, bisher von der Rechtsprechung entwickelte gesellschaftsrechtliche und insolvenzrechtliche Vorgaben zu kodifizieren, um Artikel 18 und 34 des Richtlinienvorschlags zu entsprechen. Unklar ist, ob durch die Einbeziehung von anderen Stakeholdern auch Pflichten zu deren Gunsten begründet werden sollen, die zu Haftungsansprüchen gegen die Geschäftsführer führen könnten. Abzulehnen ist die Pflicht, vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten zum Nachteil des Unternehmens zu unterlassen. Durch die Formulierung wird der Eindruck erweckt, einfach fahrlässiges Verhalten sei hinnehmbar und dürfe nicht zur Haftung führen. Unklar ist schließlich das Verhältnis der Pflichten zu Artikel 7 Absatz 6 des Richtlinienvorschlags, weil die dort vorgesehene Zahlung laufender Rechnungen nach dem Gesellschaftsrecht der Mitgliedstaaten zumindest dann pflichtwidrig sein wird, wenn eine Insolvenz kurz bevorsteht oder Insolvenzreife möglicherweise sogar schon vorliegt.
Zur zweiten Chance für Unternehmer
- 36. Der Bundesrat erkennt an, dass durch eine Entschuldung durch Restschuldbefreiung für ehrliche Unternehmer die unternehmerische Initiative gestärkt wird, da das Scheitern eines Unternehmens nicht in eine wirtschaftliche Sackgasse für den Unternehmer persönlich führt. [Allerdings ist eine Frist von drei Jahren für die Restschuldbefreiung als zu kurz anzusehen. Denn eine solche Restschuldbefreiung des Schuldners wird immer zu Lasten seiner Gläubiger gehen. Je kürzer die Frist ist, desto mehr wird der Schuldner einen Anreiz haben, seine Gläubiger nicht zu befriedigen, sondern die "Durststrecke" durchzustehen. Eine Regelentschuldungsfrist von fünf Jahren ist aus Sicht des Bundesrates sachgerecht.]
- 37. Die Voraussetzungen der Restschuldbefreiung nach Artikel 19 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags sollten offener gefasst werden. Insbesondere sollte nach Maßgabe des Rechts der Mitgliedstaaten die Restschuldbefreiung [nach drei Jahren] von einer Mindestbefriedigungsquote für die Gläubiger abhängen dürfen, um Raum für Anreizsysteme für eine schnellere Schuldenbegleichung zu lassen. Gleichzeitig sollte aufgenommen werden, dass bei einer Maßgeblichkeit der individuellen Einkommenssituation des Schuldners eine Obliegenheit für den Unternehmer besteht, eine angemessene Erwerbstätigkeit auszuüben oder sich zumindest um eine solche zu bemühen. Schließlich sollte vorgesehen werden, dass der Schuldner an dem Restschuldbefreiungsverfahren und an einem parallel laufenden Insolvenzverfahren kooperativ mitwirken muss, insbesondere durch Auskünfte (vor allem zu Einkommen und Vermögen) und Anzeigepflichten (zum Beispiel bei einem Wohnsitzwechsel). Bei der Verletzung dieser Obliegenheiten sollte dem Schuldner die Restschuldbefreiung versagt werden können. Artikel 22 des Richtlinienvorschlags sollte insofern ergänzt werden.
- 38. Die von Artikel 22 des Richtlinienvorschlags vorgesehenen Einschränkungen sind in zeitlicher Hinsicht zu eng gefasst. Zusätzlich sollten Fälle aufgenommen werden, in denen eine einmal erteilte Restschuldbefreiung auch nachträglich widerrufen werden kann. Ein legitimes Bedürfnis hiernach besteht insbesondere, wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Schuldner seine Pflichten vorsätzlich verletzt und dadurch Gläubigerinteressen geschadet hat (etwa durch falsche Angaben). Ebenso sind Fälle denkbar, in denen der Schuldner kurz nach der Restschuldbefreiung wegen einer zuvor begangenen Straftat verurteilt wird, die die Restschuldbefreiung ausgeschlossen hätte. Ebenso sollte der Schuldner auch nach der Restschuldbefreiung verpflichtet sein, an einem weiterhin laufenden Insolvenzverfahren mitzuwirken. Unkooperativen oder unehrlichen Schuldnern sollte damit auch nachträglich die Restschuldbefreiung wieder entzogen werden können. Aus Gründen der Rechtssicherheit könnte man hierfür eine Höchstfrist vorsehen.
- 39. Der Bundesrat bezweifelt, dass die Koppelung der Beendigung von berufsrechtlichen Sperren an die Erteilung der Restschuldbefreiung sachgerecht ist (Artikel 21 des Richtlinienvorschlags). Solche Berufsverbote dienen in der Regel einem besonderen Schutz des Geschäftsverkehrs vor unredlichen Personen und haben daneben auch einen Sanktionscharakter, der beispielsweise Geschäftsführer zur rechtzeitigen Stellung eines Insolvenzantrags anhält. Dieser doppelte Schutzzweck entfällt nicht ohne weiteres mit Erteilung der Restschuldbefreiung, sondern kann darüber hinaus fortbestehen. Die in Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe a des Richtlinienvorschlags enthaltene Abweichungsmöglichkeit bei unredlichem oder bösgläubigem Verhalten ist zu eng, da ein Handeln zum Nachteil der Gläubiger bei Eingehen der Schulden oder bei deren Befriedigung vorausgesetzt wird. Hiervon wären beispielsweise die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen und das nicht ordnungsgemäße Führen der Bücher nicht erfasst, so dass auf eine Rechtfertigung durch das Allgemeininteresse abgestellt werden müsste. Unklar wäre außerdem die Behandlung von Sperren, die Personen im Vermögensverfall die Ausübung bestimmter Berufe verwehren (insbesondere Berufe, in denen einer Person Fremdgelder anvertraut werden, wie beispielsweise einem Rechtsanwalt). Im Ergebnis sind kaum Fälle denkbar, in denen eine berufsrechtliche Sperre nicht durch das Allgemeininteresse gerechtfertigt sein wird. Wegen des fraglichen Mehrwerts sollte Artikel 21 des Richtlinienvorschlags ganz entfallen.
- 40. Es erscheint dem Bundesrat im Ansatz zutreffend, bestimmte Arten von Verbindlichkeiten von der Restschuldbefreiung auszunehmen. In Artikel 22 Absatz 3 des Richtlinienvorschlags ebenfalls erwähnt werden sollten noch weitere wichtige Fälle, beispielsweise die Haftung für hinterzogene Steuern oder Abgaben, für rückständigen gesetzlichen Unterhalt, den der Schuldner vorsätzlich pflichtwidrig nicht gewährt hat, sowie für die im Zusammenhang mit dem Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahren entstandenen Verfahrenskosten. Eine entsprechende Erläuterung könnte auch in einem Erwägungsgrund erfolgen.
- 41. Auch die in Artikel 22 Absatz 4 des Richtlinienvorschlags vorgesehene Anknüpfung an in Strafverfahren erlassene Berufsverbote als Ausnahme von der Koppelung an die Restschuldbefreiung ist zu eng formuliert. Nicht erfasst sind hiervon nämlich die zumindest in Deutschland häufigen Fälle, in denen eine Sperre nur tatbestandlich an eine strafgerichtliche Verurteilung (zum Beispiel wegen Insolvenzverschleppung) anknüpft, nicht aber unmittelbar im Urteil des Strafgerichts ausgesprochen wird, sondern sich aus dem Gesetz ergibt. Solche auf Gesetz beruhenden Verbote müssen auch weiterhin möglich sein. Außerdem sollte eine Anknüpfung nicht nur an strafrechtliche Verurteilungen erfolgen, sondern an alle gerichtlichen und behördlichen Maßnahmen, die eine Sperre unmittelbar oder mittelbar nach sich ziehen. Von dem jetzigen Vorschlag nicht erfasst wäre beispielsweise eine berufsgerichtliche Verurteilung oder eine behördliche Entziehung einer Erlaubnis wegen Unzuverlässigkeit des Unternehmers.
Zur Effizienz insolvenzrechtlicher Verfahren
- 42. Der Bundesrat teilt die Auffassung, dass die mit Insolvenz- und Restrukturierungsverfahren befassten Richter eine wichtige Aufgabe wahrnehmen und daher eine ihrer Verantwortung angemessene Qualifikation besitzen müssen. Es ist jedoch wenig sinnvoll, hierzu eine Aus- und Weiterbildung zwingend vorzuschreiben (Artikel 24 Absatz 1 des Richtlinienvorschlags). So gibt es auch Insolvenzrichter, die wegen ihrer Vortätigkeit (beispielsweise als Rechtsanwalt oder Staatsanwalt in diesem Bereich) bereits ausreichend qualifiziert sind. Soweit in Artikel 24 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags die nötige Sachkunde und Spezialisierung der zuständigen Mitglieder der Justizbehörden (Richter, Rechtspfleger) vorgegeben wird, sollte klargestellt werden, dass der Erwerb der Kenntnisse auch in engem zeitlichen Zusammenhang nach der Aufgabenübertragung erfolgen kann. Hierdurch wird die für den Personaleinsatz notwendige Flexibilität geschaffen und Rücksicht auf die Geschäftsverteilungskompetenz der Gerichtspräsidien genommen. Ebenso sollte die Vorgabe entfallen, dass die gerichtlichen Verfahren effizient und zügig zu führen sind. Dies entspricht dem Selbstverständnis der Richter. Entsprechende Vorgaben wären ein Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit und die Organisationshoheit der Mitgliedstaaten im Bereich der Justiz. Aus Sicht des Bundesrates ist es zudem zweifelhaft, ob der EU in Bezug auf die Regelungen in Artikel 24 des Richtlinienvorschlags überhaupt eine entsprechende Regelungskompetenz zusteht.
- 43. Die Vorgaben an die gerichtliche Bestellung von Insolvenz- und Restrukturierungsverwaltern begegnen ebenfalls Bedenken (Artikel 26 des Richtlinienvorschlags). Die zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe führen eher zu Rechtsunsicherheit. Angesichts der angestrebten Mindestharmonisierung nur des Restrukturierungsverfahrens muss den Mitgliedstaaten Raum bleiben, die Zulassung und Tätigkeit gerade von Insolvenzverwaltern unter Berücksichtigung der Erfordernisse des nicht vereinheitlichten Insolvenzrechts autonom zu regeln. Es sollte klargestellt werden, dass durch Artikel 26 des Richtlinienvorschlags keine Pflicht zur Einführung von starren Bewertungssystemen (zum Beispiel Bewertung nach Punkten) bei der Bestellung von Verwaltern geschaffen wird. Eine solche Festlegung würde der Vielfältigkeit insolvenzrechtlicher Fallgestaltungen nicht gerecht werden und die Auswahl des Richters im Einzelfall unangemessen beschränken.
- 44. Die Vorgaben zur elektronischen Kommunikation in Artikel 28 des Richtlinienvorschlags zwingen die Mitgliedstaaten zur Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs in Restrukturierungs- und Insolvenzverfahren. Auch wenn die deutschen Länder die verstärkte Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel befürworten, sollte dies nicht durch Vorgaben der EU erzwungen werden. Insbesondere ist es wenig sinnvoll, den elektronischen Rechtsverkehr nur in einem Bereich des Gerichtswesens einzuführen. Vielmehr handelt es sich um eine Aufgabe, die das gesamte Justizsystem betrifft und nicht isoliert vorgenommen werden kann. Zudem ist die Unionskompetenz für einen derart weitgehenden Eingriff in die innerstaatlichen Gerichtsverfahren fraglich. Da den Verfahrensbeteiligten nach dem Vorschlag die Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel freigestellt bleibt, wäre daneben eine herkömmliche Kommunikation mit Papierschriftsätzen zuzulassen. Dies würde insgesamt eher zu einer Verkomplizierung und Verzögerung der gerichtlichen Verfahren führen.
- 45. Die in Artikel 29 des Richtlinienvorschlags geforderten statistischen Daten ergeben sich im Wesentlichen aus der deutschen Insolvenzstatistik. Bedenken bestehen, wenn zusätzlich aufwändige Berechnungen übermittelt werden sollen (etwa zur Verfahrensdauer und zu Befriedigungsquoten). Nach Auffassung des Bundesrates reicht es aus, die jeweiligen statistischen Grunddaten mitzuteilen. Nicht aber sollten Verfahrenslaufzeiten, prozentuale Anteile oder Durchschnittskosten übermittelt werden. Die entsprechenden Berechnungen können auch durch die Kommission erfolgen. Eine einheitliche Berechnung auf europäischer Ebene dürfte die Fehlerquote sogar vermindern. Jedenfalls sollte eine längere Übermittlungsfrist vorgesehen werden, um Raum für die Behebung technischer Probleme und für die Klärung von Rückfragen zu lassen.
Direktzuleitung an die Kommission
- 46. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.
B
- 47. Der Ausschuss für Arbeit, Integration und Sozialpolitik empfiehlt dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.