Beschluss des Bundesrates
Verordnung zur Umsetzung der Regelungen der Europäischen Union über die Anerkennung von in anderen Mitgliedstaaten ausgestellten ärztlichen oder zahnärztlichen Verschreibungen von Arzneimitteln und Medizinprodukten

Der Bundesrat hat in seiner 916. Sitzung am 8. November 2013 beschlossen, der Verordnung gemäß Artikel 80 Absatz 2 des Grundgesetzes nach Maßgabe der sich aus der Anlage ergebenden Änderungen zuzustimmen.

Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung gefasst:

Die Bundesregierung wird gebeten, unter frühzeitiger Einbeziehung der Länder zu prüfen, wie sich vor dem Hintergrund des Artikels 11 Absatz 1 Satz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2011/24/EU über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung die ausnahmsweise Nichtanerkennung von Verschreibungen aus den Mitgliedstaaten der EU, die ohne persönlichen Patientenkontakt ausgestellt werden, arzneimittel- bzw. apothekenrechtlich umsetzen lässt.

Begründung:

Nach Artikel 11 Absatz 1 Satz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2011/24/EU sind Einschränkungen bezüglich der Anerkennung persönlicher Verschreibungen zum Schutz der menschlichen Gesundheit zulässig, sofern diese auf das notwendige und angemessene Maß begrenzt und nicht diskriminierend sind.

Fernbehandlungen, die ohne Patientenkontakt erfolgen, sowie die damit verbundene Ausstellung von Online-Rezepten durch Ärzte verstoßen gegen das in der Bundesrepublik Deutschland geltende ärztliche Berufsrecht (vergleiche § 7 Absatz 4 der Musterberufsordnung), sind jedoch etwa in Großbritannien unter bestimmten Voraussetzungen zulässig.

Auf Grund der mit reinen Fernbehandlungen verbundenen Gefahren für die Patientengesundheit, wie etwa das erhöhte Risiko von Fehldiagnosen, ist eine Einschränkung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Verschreibungen angezeigt und erforderlich, soweit es sich um ärztliche oder zahnärztliche Verschreibungen handelt, die ohne vorherigen unmittelbaren Kontakt zwischen Arzt und Patient ausgestellt werden.

Diese Problematik wurde bereits in Zusammenhang mit der Erstellung des sich im Anhang der Durchführungsrichtlinie 2012/52/EU befindlichen Verzeichnisses diskutiert; sie hat in dem Verzeichnis aber keine unmittelbare Berücksichtigung gefunden. Es erscheint aus diesem Grund nicht möglich, in der vorliegenden Verordnung, welche der Umsetzung zuvor genannter Durchführungsrichtlinie sowie des Artikels 11 der Richtlinie 2011/24/EU dient, eine entsprechende Einschränkung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung persönlicher Verschreibungen vorzunehmen.

Gleichwohl gilt es vor dem Hintergrund des Artikels 11 Absatz 1 Satz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2011/24/EU zu prüfen, wie sich zur Lösung der dargestellten Problematik die ausnahmsweise Nichtanerkennung von Verschreibungen aus den Mitgliedstaaten der EU, die ohne persönlichen Patientenkontakt ausgestellt werden, arzneimittel- bzw. apothekenrechtlich umsetzen lässt.

Anlage
Anlage zur Verordnung zur Umsetzung der Regelungen der Europäischen Union über die Anerkennung von in anderen Mitgliedstaaten ausgestellten ärztlichen oder zahnärztlichen Verschreibungen von Arzneimitteln und Medizinprodukten

Zur Überschrift, Zu Artikel 1 Nummer 1 - neu - ( 2 Absatz 1a und 1b AMVV), Nummer 2 - neu - (Anlage 1 (zu 1 Nummer 1 und 5) Stoffe und Zubereitungen nach 1 Nummer 1 AMVV) und Artikel 3 (Inkrafttreten)

Begründung:

Nach § 48 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 AMG ist das Bundesministerium für Gesundheit ermächtigt, die Verschreibungspflicht für Arzneimittel aufzuheben, wenn auf Grund der bei der Anwendung des Arzneimittels gemachten Erfahrungen die Voraussetzungen für die Verschreibungspflicht nicht oder nicht mehr vorliegen.

Seit längerem wird über die Entlassung der "Pille danach" mit dem Arzneistoff "Levonorgestrel" aus der Verschreibungspflicht diskutiert. Das Arzneimittel wird als Notfallkontrazeptivum eingesetzt und unterdrückt oder verzögert den Eisprung. In nahezu allen europäischen Ländern ist das Arzneimittel inzwischen rezeptfrei erhältlich, um einen niedrigschwelligen Zugang zur Verhinderung ungewollter Schwangerschaften in Notfallsituationen, insbesondere bei jungen Frauen, zu ermöglichen.

Die Abgabe der "Pille danach" in Apotheken ohne ärztliche Verschreibung soll auch in der Bundesrepublik Deutschland einen niedrigschwelligen und schnellen Zugang zur Verhinderung einer ungewollten Schwangerschaft ermöglichen. Die derzeitige Praxis der Verschreibungspflicht führt dazu, dass mit der Rezeptausstellung durch eine Gynäkologin oder einen Gynäkologen zu viel Zeit verstreichen kann. Dies ist insbesondere am Wochenende der Fall, weil ein Rezept für die "Pille danach" nur in Krankenhausambulanzen oder durch den ärztlichen Notdienst ausgestellt werden kann.

Die "Pille danach" kann vor allem jungen Frauen helfen, ungewollte Schwangerschaften bzw. Schwangerschaftsabbrüche zu verhindern. Voraussetzung hierfür ist die rechtzeitige Einnahme der Pille, die ohne Arztbesuch eher zu gewährleisten ist. Außerdem wird damit Frauen in ländlichen Regionen oder Frauen, für die der Arztbesuch eine große Hürde darstellt, der Zugang zu einer Notfall-Nachverhütung erleichtert.

Aus frauenpolitischer Sicht ist die "Pille danach" ein wichtiges Instrument der selbstbestimmten Reproduktion von Frauen. Der gesicherte und vor allem eigenverantwortliche Zugang zur Familienplanung - inklusive der "Pille danach" -, gehört zu den sexuellen und reproduktiven Menschenrechten, wie sie im Jahr 1994 auf der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo festgeschrieben wurden.

Durch die Apothekenpflicht des Präparats wird auch nach der Entlassung aus der Verschreibungspflicht die notwendige Beratung der Patientinnen kompetent gewährleistet, bei der gegebenenfalls an die Ärztin oder den Arzt weiterzuverweisen ist.

Die wissenschaftlichen Studien der Weltgesundheitsorganisation, die Empfehlungen des Europarates sowie die positiven Erfahrungen aus dem Ausland zeigen, dass es keine sachlichen Gründe gibt, die rezeptfreie Vergabe der "Pille danach" abzulehnen. Medizinische Risiken in der Anwendung sind bisher nicht bekanntgeworden. Bedenken im Hinblick auf eine eventuelle Vernachlässigung der Langzeitverhütung sowie mögliche negative gesundheitliche Auswirkungen bei zu häufiger Einnahme und fehlender ärztlicher oder gynäkologischer Begleitung haben sich in langjähriger Anwendung ebenfalls nicht bestätigt.

In vielen Ländern, wie in den Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien, Frankreich, Schweden, Finnland, Portugal, Dänemark und in der Schweiz, liegen gute Erfahrungen mit der Aufhebung der Verschreibungspflicht vor. Untersuchungen in diesen Ländern zufolge hat die Freigabe geholfen, Schwangerschaftsabbrüche zu verhindern. Auch habe der erleichterte Zugang zur "Pille danach" keinen Einfluss auf die Verwendung regulärer Verhütungsmittel und das Sexualverhalten. Weder stieg die Zahl ungeschützter Sexualkontakte noch konnte eine Zunahme von Geschlechtskrankheiten beobachtet werden.

Vor diesem Hintergrund ist die Freigabe, wie sie der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht nach § 53 Absatz 2 AMG bereits im Jahr 2003 befürwortet hat, unter Arzneimittelsicherheitsaspekten geboten.

Die Regelung zu Levonorgestrel tritt erst zum 1. Mai 2014 in Kraft, damit dem Gesetzgeber ausreichend Zeit für eine Regelung über die Kostenerstattung durch die gesetzliche Krankenversicherung bleibt, wie zum Beispiel durch Anfügen zweier neuer Sätze in § 24a Absatz 2 SGB V ("Bei Notfallkontrazeptiva auf der Basis von Levonorgestrel entfällt die Notwendigkeit der ärztlichen Verordnung nach Satz 1. Die Kosten sind den Versicherten zu erstatten.") und/oder durch Ergänzungen in § 34 SGB V.

Diese noch ausstehende Regelung hindert jedoch nicht, dass die Rezeptfreistellung von Notfallkontrazeptiva auf der Basis von Levonorgestrel nicht bereits jetzt erfolgen kann.

Unter anderem steht, unabhängig von der Rezeptfreiheit von Levonorgestrel, mit dem Wirkstoff Ulipristal weiterhin eine verschreibungspflichtige und für die Versicherten bis zum 20. Lebensjahr erstattungsfähige Alternative zur Verfügung.

Auf die entsprechende Entschließung des Bundesrates vom 5. Juli 2013, vergleiche BR-Drucksache 555/13(B) HTML PDF , wird verwiesen.