915. Sitzung des Bundesrates am 11. Oktober 2013
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union und der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
Zur Vorlage insgesamt
- 1. Der Bundesrat verweist auf seine Stellungnahme vom 5. Juli 2013 (BR-Drucksache 412/13(B) ), in der bereits zahlreiche Aspekte des Verordnungsvorschlags, u.a. die Ausdehnung des Anwendungsbereichs, die Vielzahl der Ermächtigungen zum Erlass delegierter Rechtsakte sowie die Erhöhung des bürokratischen Aufwands durch einzelne Regelungen, kritisch beurteilt wurden. Ergänzend weist der Bundesrat auf Folgendes hin:
Anwendungsbereich (Pflanzenschutz, Saatgut, GVO und ökologischer Landbau)
- 2. Der Bundesrat bekräftigt seine Stellungnahme vom 5. Juli 2013 (Ziffern 2 bis 8), mit der er bereits deutliche Kritik an der geplanten Erweiterung des Anwendungsbereichs (z.B. in den Bereichen Pflanzenschutzmittel, Pflanzengesundheit, Pflanzenvermehrungsmaterial einschließlich forstliches Material, Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) und die Anwendung von GVO in geschlossenen Systemen) geübt hat.
- 3. Ergänzend zu seiner Stellungnahme vom 5. Juli 2013 bittet der Bundesrat die Bundesregierung, bei den weiteren Verhandlungen auf EU-Ebene darauf hinzuwirken, dass von einer vollständigen Verlagerung sämtlicher Kontrollvorschriften für den ökologischen Landbau unter die horizontale Kontrollverordnung abgesehen wird und die speziellen Vorgaben zu den Kontrollen im ökologischen Landbau auch weiterhin im EU-Fachrecht verbleiben.
- 4. Sollte es auf EU-Ebene keine Mehrheit für den Verbleib eigenständiger Fachrechtsakte in den jeweiligen Bereichen geben, ist es zur Gewährleistung der Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit sowie zur adäquaten Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Bereichs erforderlich, die Vorgaben für einzelne Bereiche in separaten Kapiteln der Verordnung zusammenzuführen. Bewährte Kontrollsysteme sollen unverändert fortgeführt werden können. Dies gilt insbesondere auch für die Bereiche des ökologischen Landbaus, der ökologischen/biologischen Produktion und der Kennzeichnung ökologischer/biologischer Erzeugnisse sowie für den Bereich der geographischen Herkunftsangaben.
Verschwiegenheitspflicht, Transparenz der amtlichen Kontrollen (Artikel 7)
- 5. Der Bundesrat begrüßt die in Artikel 7 Absatz 3 des Legislativvorschlags vorgesehene Möglichkeit, die Öffentlichkeit über die Ergebnisse amtlicher Kontrollen zu informieren. Um jedoch eine umfassende Transparenz und praxistaugliche Verbraucherinformation zu ermöglichen, hält er es im Hinblick auf die in Artikel 7 Absatz 1 und 2 geregelten Verschwiegenheitsverpflichtungen für erforderlich, die Vorschrift so zu fassen, dass die in Erwägungsgrund 26 vorgegebene Zielrichtung rechtssicher erreicht wird. Es bedarf hierzu der Klarstellung, dass keine Geheimhaltungsverpflichtung besteht, wenn der Öffentlichkeit sachliche Informationen über das Ergebnis amtlicher Kontrollen bei einzelnen Unternehmern zugänglich gemacht werden.
- 6. Der Bundesrat hält es über die in Artikel 7 des Legislativvorschlages vorgesehenen Regelungen hinaus für erforderlich, dass die Befugnisse zur behördlichen Verbraucherinformation im europäischen Recht ausgeweitet und harmonisiert werden. Es ist klarzustellen, dass eine Information der Öffentlichkeit nicht nur bei Vorliegen von Gesundheitsgefahren, sondern auch bei verzehrungeeigneten oder ekelerregenden Lebensmitteln oder im Falle von nicht nur unerheblichen Irreführungen und Täuschungen erfolgen soll. Die jüngsten grenzüberschreitenden Vorkommnisse im Bereich des Lebensmittelbetruges haben gezeigt, dass den zuständigen Behörden im Hinblick auf eine sachgerechte Verbraucherinformation europaweit vergleichbare und rechtssichere Instrumentarien zur Verfügung gestellt werden müssen.
Amtliche Kontrollen bei Tieren und Waren, die keinen besonderen amtlichen Kontrollen an der Grenze unterliegen (Artikel 42 und 43)
- 7. Die Bundesregierung wird gebeten, die Kommission um eine Klarstellung der Kontrollpflichten für Tiere und Waren, die keinen besonderen amtlichen Kontrollen an der Grenze unterliegen, zu ersuchen. Dies betrifft insbesondere die Regelung der Verfahren (z.B. Anzeigepflicht) für Waren, die einer Dokumentenprüfung zu unterziehen sind.
Kontrollpflicht von tierischen Erzeugnissen durch den amtlichen Tierarzt (Artikel 47 Absatz 4 und Artikel 53 Absatz 2)
- 8. Die Bundesregierung wird gebeten, die Kommission um eine Beibehaltung der Pflicht zur Kontrolle von tierischen Erzeugnissen durch den amtlichen Tierarzt, wie im bisherigen Recht (Richtlinie 097/78/EG) geregelt, zu ersuchen. Nicht nur bei der Kontrolle von lebenden Tieren, sondern ebenso bei der Kontrolle von tierischen Erzeugnissen geht es um die Abwehr von Tierseuchen und den Schutz der Tiergesundheit innerhalb der EU. Dieses setzt tierärztlichen Sachverstand voraus, was unter anderem auch daran erkennbar ist, dass Gesundheitszertifikate von tierischen Erzeugnissen von einem amtlichen Tierarzt im Drittland unterzeichnet sein müssen.
Zur Finanzierung amtlicher Kontrollen und anderer amtlicher Tätigkeiten (Artikel 76 ff.)
- 9. Der Bundesrat vertritt die Auffassung, dass die derzeit geltende Regelung einer fakultativen Gebührenerhebung, welche es den Mitgliedstaaten überlässt, auch für Regelkontrollen Gebühren zu erheben, in eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Gebührenerhebung bei Regelkontrollen umgewandelt wird.
Pflichtgebühren für amtliche Kontrollen an Grenzkontrollstellen (Artikel 77 Absatz 1 Buchstabe d)
- 10. Der Bundesrat vertritt die Auffassung, dass die derzeit geltende separate Regelung der Gebühren für Einfuhrkontrollen in Form von Mindestgebühren im bisherigen Umfang beibehalten werden sollte. Das System hat sich in den letzten Jahren sehr bewährt und zu einer großen Transparenz der Gebührenerhebung an den europäischen Grenzkontrollstellen geführt, was den Harmonisierungsprozess im hohen Maße gefördert hat. Eine Gebührenberechnung auf dem Grundsatz der vollen Kostendeckung gemäß Artikel 76 hingegen hätte eine Verschiebung der Handelsströme und Wettbewerbsverzerrungen zur Folge.
Gebührennachlass für Unternehmer, die sich gleichbleibend vorschriftsmäßig verhalten (Artikel 80)
- 11. Artikel 80 sieht eine Besserstellung sich gleichbleibend vorschriftsmäßig verhaltender Unternehmen vor, sofern die Kontrollgebühren im Rahmen einer Pauschale nach Artikel 79 Absatz 1 Buchstabe a erhoben werden. Ergänzend zu seiner Stellungnahme vom 5. Juli 2013 (Ziffer 17) ist der Bundesrat der Auffassung, dass stattdessen eine Regelung entsprechend Artikel 27 Absatz 6 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 in die neue Kostenregelung aufgenommen werden sollte, damit den Mitgliedstaaten ermöglicht wird, Art und Umfang der Ausnahmen selbst zu regeln.
Befreiung von Kleinstunternehmen (Artikel 82)
- 12. Der Verordnungsvorschlag sieht die Einführung vollumfänglicher Pflichtgebühren bei Regelkontrollen vor, um unabhängig von der Finanzkraft der jeweiligen Mitgliedstaaten eine funktionierende Lebensmittelüberwachung zu gewährleisten. Richtigerweise nimmt der Vorschlag Kleinstunternehmen hiervon aus. Da der Anteil der Kleinstunternehmen aber in vielen Mitgliedstaaten den weit überwiegenden Teil der Unternehmen ausmacht, wird die Ausnahme zur Regel. Dies widerspricht dem Ziel einer gebührenfinanzierten Lebensmittelüberwachung, das mit dem Verordnungsvorschlag verfolgt wird. Der Bundesrat bedauert, dass die tatsächlichen Gegebenheiten nicht bei der Folgenabschätzung berücksichtigt worden sind.
- 13. Ergänzend zu seiner Stellungnahme vom 5. Juli 2013 (Ziffer 18) weist der Bundesrat darauf hin, dass die derzeit im Legislativvorschlag vorgesehene generelle Gebührenbefreiung von Unternehmen, die weniger als zehn Personen beschäftigen und deren Jahresumsatz oder Jahresbilanzsumme nicht über 2 Millionen Euro liegt (Kleinstunternehmen), allein im Bereich der amtlichen Schlachttier- und Fleischuntersuchung auf Grund der in Deutschland bestehenden Betriebsstrukturen zu erheblichen Einnahmeausfällen führen würde.
- 14. Unabhängig davon enthält Artikel 82 mit der Anknüpfung an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Jahresumsatz oder Jahresbilanzsumme keine Kriterien, mit denen eine korrekte Auswahl der Kleinstunternehmer möglich ist. Auch ein Groß-Lebensmittelunternehmen kann nach diesem Vorschlag durch die Organisation des Betriebes in Filialen in den Vorteil der Kleinstunternehmerregelung kommen. Eine solche Entwicklung würde nach Auffassung des Bundesrates die Finanzierung der Lebensmittelüberwachung gefährden.
- 15. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass im Hinblick auf die Gebührenerhebung die bisherige Differenzierung zwischen Regelkontrollen und Kontrollen, die über die normale Kontrolltätigkeit hinausgehen, grundsätzlich beibehalten werden muss. Der über die normale Kontrolltätigkeit hinausgehende Aufwand muss auch im Falle von Kleinstunternehmen zukünftig gebührenpflichtig bleiben.
Der Bundesrat verweist zur Frage der Gebührenbefreiung von Kleinstunternehmen auf seine Stellungnahme vom 5. Juli 2013 (Ziffer 18) und schlägt zur Berücksichtigung der Interessen von Kleinstunternehmen vor, eine Regelung entsprechend Artikel 27 Absatz 6 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 in die neue Kostenregelung aufzunehmen, damit den Mitgliedstaaten ermöglicht wird, Art und Umfang der Ausnahmen selbst zu regeln. Die Bundesregierung wird gebeten, bei den weiteren Verhandlungen auf EU-Ebene darauf hinzuwirken, dass eine solche Ermächtigung für die Mitgliedstaaten aufgenommen wird.
Transparenz (Artikel 83)
- 16. Die im Verordnungsvorschlag vorgesehene vollständige behördliche Transparenz hinsichtlich der Gebührenerhebung und Gebührenverwendung bedeutet in der Praxis einen erheblichen Aufwand für die Behörden. Folgt man dem im Vorschlag ebenfalls zum Ausdruck gebrachten Gedanken der vollständigen Refinanzierung der Lebensmittelüberwachung durch Gebühren, werden durch den Bürokratieaufwand die Unternehmen im Wege höherer Gebühren sowie die Verbraucherinnen und Verbraucher als Abnehmer erheblich mit höheren Preisen belastet. Der Bundesrat hält es daher für erforderlich, den Verordnungsvorschlag besonders kritisch auf zusätzlichen Bürokratieaufwand zu überprüfen.
Delegierte Rechtsakte
- 17. Der Bundesrat weist darauf hin, dass Artikel 290 Absatz 1 Satz 2 AEUV verlangt, dass Ziele, Inhalt, Geltungsbereich und Dauer der Befugnisübertragung im Gesetzgebungsakt ausdrücklich festgelegt werden. Diesen Vorgaben wird der Verordnungsvorschlag nach Auffassung des Bundesrates oftmals nicht gerecht. Er enthält in 44 Fällen Ermächtigungen der Kommission zum Erlass delegierter Rechtsakte. Der mögliche Regelungsgehalt eines delegierten Rechtsaktes ist in vielen Fällen nicht ausreichend scharf umrissen, so dass nicht vorhersehbar ist, welche delegierten Rechtsakte sich im Einzelnen auf den Verordnungsvorschlag stützen lassen. Damit lässt sich auch nicht vorhersehen, ob die Länder mit personellem und finanziellem Mehraufwand rechnen müssen. Dieser Umstand verschärft sich noch, weil das Europäische Parlament bei den delegierten Rechtsakten nur sehr eingeschränkte Mitwirkungsmöglichkeiten hat. Möglich ist im Ergebnis nur, einen delegierten Rechtsakt vollständig abzulehnen. Inhaltliche Veränderungen können demgegenüber nicht vorgenommen werden. Dieses "Ja" oder "Nein" lässt die Gestaltungsmöglichkeiten auf ein Mindestmaß zusammenschrumpfen und höhlt die Kontrollrechte des Europäischen Parlaments stark aus.
- 18. Nach Auffassung des Bundesrates erscheint es daher erforderlich, die im Verordnungsvorschlag enthaltenen Ermächtigungen der Kommission zum Erlass delegierter Rechtsakte auf die Einhaltung der Vorgaben des Artikels 290 Absatz 1 Satz 2 AEUV zu überprüfen. Im Übrigen hält er es für unerlässlich, dass alle für die Lebensmittelüberwachung besonders zentralen Regelungen in der Verordnung selbst getroffen werden. In diesem Zusammenhang verweist der Bundesrat auf die Ziffern 10 bis 14 seiner Stellungnahme vom 5. Juli 2013.
- 19. Ergänzend zu seiner Stellungnahme vom 5. Juli 2013 (Ziffer 10) lehnt der Bundesrat auch die in Artikel 25 des Legislativvorschlags vorgesehene Ermächtigungsgrundlage für delegierte Rechtsakte ab. Diese befugt die Kommission zum Erlass delegierter Rechtsakte, in denen bestimmte Aufgaben der amtlichen Kontrolle festgelegt werden, die nicht an beauftragte Stellen übertragen werden dürfen, damit die Unabhängigkeit oder die Kernaufgaben der zuständigen Behörden erhalten bleiben. Der Bundesrat hält es für zwingend erforderlich, dass diese Bestimmung, die erhebliche Auswirkungen auf die Überwachungstätigkeit in den Ländern hat, entsprechend den bereits jetzt geltenden Regelungen in Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 unter Beteiligung der Mitgliedstaaten in einem Durchführungsrechtsakt geregelt wird.
- 20. Weiterhin lehnt der Bundesrat auch die in den Artikeln 110 (Vorgaben zur Prioritätensetzung in der amtlichen Kontrolle) und 132 und 133 (technische Anforderungen an das Informationsmanagementsystem für amtliche Kontrollen (IMSOC)) des Legislativvorschlags vorgesehene Ermächtigungsgrundlage für delegierte Rechtsakte ab. Der Bundesrat hält es für zwingend erforderlich, dass alle Bestimmungen, die erhebliche Auswirkungen auf die Haushalte in den Ländern haben, direkt in die Verordnung aufgenommen werden müssen. Darüber hinaus wird die Bundesregierung gebeten, die Kommission im Zusammenhang mit dem Erlass delegierter Rechtsakte nach Artikel 139 um Klärung zu bitten, wie sie das in Erwägungsgrund 81 beschriebene Vorgehen umsetzen will. Demnach muss die Kommission bei den vorbereitenden Arbeiten entsprechende Konsultationen durchführen, auch mit Sachverständigen. Der Bundesrat hält es für erforderlich, eine Beteiligung von Sachverständigen der Mitgliedstaaten in Artikel 139 selbst zu verankern.
IMSOC (Artikel 130 bis 133)
- 21. Der Bundesrat hält eine Klarstellung der Vorschriften in Bezug auf das IMSOC, insbesondere der Verpflichtungen und Auswirkungen, die sich daraus für die Länder ergeben, für erforderlich. Darüber hinaus hält er eine Sicherstellung der Bereitstellung von Schnittstellen durch die EU für unabdingbar. Die Artikel 130 bis 133 sind nicht hinreichend klar in Bezug auf Umfang, Ausgestaltung und Auswirkungen des neu zu schaffenden Systems IMSOC, insbesondere in Bezug auf die bereits bestehenden europäischen (u.a. TRACES, RASFF) sowie die vorhandenen nationalen Systeme im Bereich der Lebensmittel-, Tierseuchenund Tierschutzkontrolle sowie der sonstigen Bereiche. Darüber hinaus wurden keine Regelungen in Bezug auf die Beteiligung der Mitgliedstaaten (Pflichtenheft, Service Level Agreement, Mitsprache bei Neu- und Weiterentwicklung der IT-Systeme u. ä.) sowie die Bereitstellung von Schnittstellen getroffen. Die Einrichtung von neuen IT-Systemen und die Bedienung durch die zuständigen Behörden sowie Unternehmer und Unternehmerinnen haben eine hohe finanzielle Relevanz.