Der Bundesrat hat in seiner 831. Sitzung am 9. März 2007 beschlossen, die aus der Anlage ersichtliche Entschließung zu fassen.
Anlage
Entschließung des Bundesrates zur Optimierung der Lebensmittelsicherheit
I. Der Bundesrat stellt fest,
dass die Unternehmerpflichten und die Kontrollinstrumente der Behörden dem modernen Marktgeschehen im Lebensmittelbereich noch besser angepasst werden müssen. Die Lebensmittelmärkte haben sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend globalisiert. Große Kühlhäuser haben sich zu Durchgangsstationen internationaler Warenströme entwickelt. Dies stellt die Veterinär- und Lebensmittelüberwachung vor besondere Herausforderungen. Neben den notwendigen Schritten auf Landes- und Bundesebene sind auch EU-weite Regelungen unerlässlich.
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, auf EU-Ebene darauf hinzuwirken, dass folgende Maßnahmen ergriffen werden:
- 1. Einführung einer Meldepflicht Es ist notwendig, dass Lebensmittelunternehmer, denen unsichere Lebensmittel angeboten werden, verpflichtet werden, die zuständige Behörde darüber zu informieren. Dies gilt auch dann, wenn sie das Lebensmittel zurückweisen. Die bisher möglichen "stillen Retouren" redlicher Unternehmer sind eine Gefahrenquelle, weil sie "schwarzen Schafen" die Möglichkeit geben, unsichere Retour-Ware an andere, weniger sorgsame Abnehmer auszuliefern. Zugleich können häufigere Retouren wegen unzureichender Lebensmittelqualität ein Indiz für Mängel im Qualitätsmanagement des liefernden Unternehmens sein. Mit einer Meldepflicht in diesen Fällen kann eine entscheidende Lücke im Frühwarnsystem der Lebensmittelsicherheit geschlossen werden.
Der Bundesrat verweist insoweit auf seinen Beschluss vom 21. Dezember 2005, BR-Drs. 826/05(B) und die Unterrichtungen der Bundesregierung vom 16. Februar 2006 und 17. März 2006, BR-Drs. 147/06 (PDF) . Der Bundesrat unterstützt nachdrücklich die Ankündigung von Bundesminister Seehofer, dieses Anliegen in den von Kommissar Kyprianou angekündigten Gesprächen mit den Mitgliedstaaten mit Nachdruck zu vertreten.
Wenn die Einführung einer Meldepflicht auf EU-Ebene nicht zu verwirklichen ist, sollte eine entsprechende Regelung auf nationaler Ebene geschaffen werden.
- 2. Einführung einer Kodierung Für eine effektive und zügige Rückverfolgbarkeit der Lebensmittel ist eine einheitliche EU-weite Kodierungspflicht für verpackte Lebensmittel unerlässlich. Die Kodierungspflicht soll die zentralen kontrollrelevanten Produktinformationen (z.B. Produktionsdatum) umfassen. Die Kodierung soll manipulationssicher und für die Kontrolleure leicht lesbar ausgestaltet werden (z.B. EDV-lesbare Strich-Code-Systeme oder Chip-Systeme). Die Wirtschaft wird bei der Entwicklung der Verfahren beteiligt.
- 3. Einführung einer verbesserten K3-Kennzeichnung Durch die Einführung einer verbesserten EU-weiten Kennzeichnung von K3-Material muss das Einschleusen von K3-Material in die Lebensmittelschiene erschwert werden. Notwendig ist die Kennzeichnung des Materials selbst (z.B. durch Einfärben oder Geruchsstoffe), der Transportbehälter und der Frachtbegleitpapiere. Dabei soll nach Möglichkeit die Gewährleistung der weiteren Verwendungsmöglichkeit außerhalb der Lebensmittelschiene beachtet werden. Die Wirtschaft wird bei der Entwicklung der Verfahren beteiligt. Der Bundesrat verweist insoweit auch auf seinen Beschluss vom 10. März 2006, BR-Drs. 002/06(B) .
- 4. Verschärfte Regelungen zur Mindesthaltbarkeit Die Vorschriften zur Angabe des Mindesthaltbarkeitsdatums auf Lebensmitteln müssen verschärft werden. Die Veränderung eines Mindesthaltbarkeitsdatums muss einer Untersuchungs- und Dokumentationspflicht unterworfen werden.
- 5. Einführung eines Sachkundenachweises Für den Handel mit tierischen Lebensmitteln, insbesondere Fleisch und Fisch, muss ein Sachkundenachweis eingeführt werden. Von diesen Lebensmittelhändlern wird bisher grundsätzlich kein Sachkundenachweis verlangt. Da insbesondere von Lebensmitteln tierischen Ursprungs bei unsachgemäßem Umgang Gefahren für die Gesundheit der Verbraucher ausgehen können, ist erforderlich, dass Personen, die mit diesen Lebensmitteln handeln, über die erforderliche Sachkunde verfügen und dies auch belegen können. Anzustreben ist eine Angleichung des Lebensmittelrechts an die Verordnung (EG) Nr. 183/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Januar 2005 mit Vorschriften für die Futtermittelhygiene, die im Futtermittelrecht die Vorlage von Organisations- und Stellenplänen, aus denen die Verantwortungsbereiche und Qualifikationen des leitenden Personals hervorgehen, fordert. Dabei sollte der Unternehmer verpflichtet werden, selber sachkundig zu sein oder sachkundiges Personal einzusetzen. Bestehende berufliche Qualifikationen (z.B. abgeschlossene Berufsausbildung im Metzgerhandwerk oder in der Landwirtschaft) werden als Sachkundenachweis anerkannt. Bei der Einführung dieser Maßnahme wird in geeigneter Weise nach der Betriebsgröße differenziert, um eine übermäßige Belastung kleinerer Unternehmen zu verhindern.
- 6. Pflicht zur Bestellung eines Betriebsbeauftragten Lebensmittelunternehmen - insbesondere im Bereich der Fleischindustrie und der Tiefkühllager - müssen verpflichtet werden, einen Betriebsbeauftragten für die Lebensmittelhygiene, sofern diese Aufgabe nicht schon von einem QS-Beauftragten wahrgenommen wird, zu bestellen, der die Betriebsabläufe hinsichtlich der Lebensmittelhygiene zu überwachen hat. Der Betriebsbeauftragte muss die erforderliche Qualifikation nachweisen können. Angesichts der internationalen Warenströme ist eine EU-weite Regelung geboten. Bei der Einführung dieser Maßnahme wird in geeigneter Weise nach der Betriebsgröße differenziert, um eine übermäßige Belastung kleinerer Unternehmen zu verhindern. Die Urproduktion bleibt ausgenommen.
- 7. Förderung von Zertifizierungen Auf Grund der Vielzahl der bestehenden Zertifizierungssysteme für den Lebensmittelbereich wird die Bundesregierung gebeten, zusammen mit der Wirtschaft auf eine Vereinheitlichung der Zertifizierungssysteme und eine verstärkte Anwendung hinzuwirken. Hierfür sollte auch auf EU-Ebene geworben werden. Die Zertifizierung ist Ausdruck der Eigenverantwortung und die Voraussetzung für die Eigenkontrolle. Sie sollte mit ein Kriterium für die Kontrolldichte und Kontrolltiefe in der Lebensmittelüberwachung sein. Angesichts der großen grenzüberschreitenden Warenströme sollte jedenfalls bei Großbetrieben im Fleischzwischenhandel eine maßgeschneiderte Zertifizierung erfolgen. Die Anerkennung einer Zertifizierung im Rahmen der Risikoeinstufung von Betrieben bedeutet keinen automatischen Datenabgleich zwischen Zertifizierungsstelle und Behörde.
II. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, noch folgende Initiative zu ergreifen:
Lückenschluss im Hygienerecht Durch Erlass der Verordnung zur Durchsetzung lebensmittelrechtlicher Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft (Lebensmittelrechtliche Straf- und Bußgeldverordnung) vom 19. September 2006 (BGBl. I S. 2136) wurden bereits einige Ahndungslücken im deutschen Hygienerecht geschlossen. Allerdings sind bislang nicht alle Verstöße gegen Hygieneregeln sanktionierbar (Beispiel: Regelungen zur Lagerung und zum Transport von Fleisch). Diese Restlücken müssen so schnell wie möglich ebenfalls geschlossen werden.
Die Meldepflicht für Lebensmittelunternehmen muss mit einer Sanktion versehen werden. Wenn ein Lebensmittelunternehmer (z.B. auch Kühlhausbetreiber) seine Betriebsräume nicht oder nur teilweise bei der Behörde anzeigt, muss er mit Konsequenzen rechnen. Wer sich durch Nicht-Meldung der Überwachung entzieht, dem droht ein empfindliches Bußgeld. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, dass der Verstoß gegen die Meldepflicht als Ordnungswidrigkeitentatbestand in die lebensmittelrechtliche Straf- und Bußgeldverordnung aufgenommen wird.
Es wird vorgeschlagen, in § 2 der lebensmittelrechtlichen Straf- und Bußgeldverordnung folgende Nummer 9 anzufügen:
- 9. entgegen Artikel 6 Abs. 2 seinen Meldepflichten nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig nachkommt.
Dadurch wird jeder vorsätzliche oder fahrlässige Verstoß gegen die Meldepflicht zu einer Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldbuße bis zu 20.000 € geahndet werden kann.