- 830. Sitzung des Bundesrates am 16.02.07:
- 831. Sitzung des Bundesrates am 09.03.07:
Der Bayerische Ministerpräsident München, den 23. Januar 2007
An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Dr. Harald Ringstorff
Sehr geehrter Herr Präsident!
Gemäß dem Beschluss der Bayerischen Staatsregierung übermittle ich die in der Anlage beigefügte
- Entschließung des Bundesrates zur Optimierung der Lebensmittelsicherheit
mit dem Antrag, dass der Bundesrat diese fassen möge.
Ich bitte, den Entschließungsantrag unter Wahrung der Rechte aus § 23 Abs. 3 in Verbindung mit § 15 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates gemäß § 36 Abs. 2 GOBR auf die Tagesordnung der 830. Sitzung am 16. Februar 2007 zu setzen und anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Edmund Stoiber
Entschließung des Bundesrates zur Optimierung der Lebensmittelsicherheit Der Bundesrat möge beschließen:
I. Der Bundesrat stellt fest,
dass die Unternehmerpflichten und die Kontrollinstrumente der Behörden dem modernen Marktgeschehen im Lebensmittelbereich noch besser angepasst werden müssen. Die Lebensmittelmärkte haben sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend globalisiert. Große Kühlhäuser haben sich zu Durchgangsstationen internationaler Warenströme entwickelt. Dies stellt die Veterinär- und Lebensmittelüberwachung vor besondere Herausforderungen. Neben den notwendigen Schritten auf Landes- und Bundesebene sind auch EU-weite Regelungen unerlässlich.
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung auf EU-Ebene darauf hinzuwirken, dass folgende Maßnahmen ergriffen werden:
1. Einführung einer Meldepflicht
Es ist notwendig, dass Lebensmittelunternehmer, denen unsichere Lebensmittel angeboten werden, verpflichtet werden, die zuständige Behörde darüber zu informieren. Dies gilt auch dann, wenn sie das Lebensmittel zurückweisen.
Die bisher möglichen "stillen Retouren" redlicher Unternehmer sind eine Gefahrenquelle, weil sie "schwarzen Schafen" die Möglichkeit geben, unsichere Retour-Ware an andere, weniger sorgsame Abnehmer auszuliefern.
Zugleich können häufigere Retouren wegen unzureichender Lebensmittelqualität ein Indiz für Mängel im Qualitätsmanagement des liefernden Unternehmens sein. Mit einer Meldepflicht in diesen Fällen kann eine entscheidende Lücke im Frühwarnsystem der Lebensmittelsicherheit geschlossen werden.
Der Bundesrat verweist insoweit auf seinen Beschluss vom 21.12.05, BR-Drs. 826/05(B) und die Unterrichtungen der Bundesregierung vom 16.02.06 und 17.03.06, BR-Drs. 147/06. Der Bundesrat unterstützt nachdrücklich die Ankündigung von Bundesminister Seehofer, dieses Anliegen in den von Kommissar Kyprianou angekündigten Gesprächen mit den Mitgliedstaaten mit Nachdruck zu vertreten.
Wenn die Einführung einer Meldepflicht auf EU-Ebene nicht zu verwirklichen ist sollte eine entsprechende Regelung auf nationaler Ebene geschaffen werden.
2. Einführung einer Kodierung
Für eine effektive und zügige Rückverfolgbarkeit der Lebensmittel ist eine einheitliche EU-weite Kodierungspflicht für verpackte Lebensmittel unerlässlich.
Die Kodierungspflicht soll die zentralen kontrollrelevanten Produktinformationen (z.B. Produktionsdatum) umfassen. Die Kodierung soll manipulationssicher und für die Kontrolleure leicht lesbar ausgestaltet werden (z.B. EDV-lesbare Strich-Code-Systeme oder Chip-Systeme). Die Wirtschaft wird bei der Entwicklung der Verfahren beteiligt.
3. Einführung einer verbesserten K3-Kennzeichnung
Durch die Einführung einer verbesserten EU-weiten Kennzeichnung von K3-Material muss das Einschleusen von K3-Material in die Lebensmittelschiene erschwert werden. Notwendig ist die Kennzeichnung des Materials selbst (z.B. durch Einfärben oder Geruchsstoffe), der Transportbehälter und der Frachtbegleitpapiere. Die Wirtschaft wird bei der Entwicklung der Verfahren beteiligt.
4. Verschärfte Regelungen zur Mindesthaltbarkeit
Die Vorschriften zur Angabe des Mindesthaltbarkeitsdatums auf Lebensmitteln müssen verschärft werden. Die Veränderung eines Mindesthaltbarkeitsdatums muss einer Untersuchungs- und Dokumentationspflicht unterworfen werden.
5. Einführung eines Sachkundenachweises
Für den Handel mit tierischen Lebensmitteln, insbesondere Fleisch und Fisch, muss ein Sachkundenachweis eingeführt werden. Von diesen Lebensmittelhändlern wird bisher grundsätzlich kein Sachkundenachweis verlangt. Da insbesondere von Lebensmitteln tierischen Ursprungs bei unsachgemäßem Umgang Gefahren für die Gesundheit der Verbraucher ausgehen können, ist erforderlich, dass Personen, die mit diesen Lebensmitteln handeln, über die erforderliche Sachkunde verfügen und dies auch belegen können. Hierfür ist eine Regelung auf EU-Ebene notwendig, die auch die Anforderungen festlegt, die an die Sachkunde zu stellen sind. Dabei sollen bestehende berufliche Qualifikationen (z.B. abgeschlossene Berufsausbildung im Metzgerhandwerk oder in der Landwirtschaft) als Sachkundenachweis anerkannt werden.
Eine Verpflichtung zum Sachkundenachweis im nationalen Recht wäre in einem internationalen Markt nicht zielführend, zumal eine solche Regelung die deutschen Lebensmittelunternehmer einseitig benachteiligen würde. Bei der Einführung dieser Maßnahme wird in geeigneter Weise nach der Betriebsgröße differenziert um eine übermäßige Belastung kleinerer Unternehmen zu verhindern.
6. Pflicht zur Bestellung eines Betriebsbeauftragten
Lebensmittelunternehmen - insbesondere im Bereich der Fleischindustrie und der Tiefkühllager - müssen verpflichtet werden, einen Betriebsbeauftragten für die Lebensmittelhygiene zu bestellen, der die Betriebsabläufe hinsichtlich der Lebensmittelhygiene zu überwachen hat. Der Betriebsbeauftragte muss die erforderliche Qualifikation nachweisen können. Angesichts der internationalen Warenströme ist eine EU-weite Regelung geboten. Bei der Einführung dieser Maßnahme wird in geeigneter Weise nach der Betriebsgröße differenziert, um eine übermäßige Belastung kleinerer Unternehmen zu verhindern.
Die Urproduktion bleibt ausgenommen.
7. Förderung von Zertifizierungen
Aufgrund der Vielzahl der bestehenden Zertifizierungssysteme für den Lebensmittelbereich wird die Bundesregierung gebeten, zusammen mit der Wirtschaft auf eine Vereinheitlichung der Zertifizierungssysteme und eine verstärkte Anwendung hinzuwirken. Hierfür sollte auch auf EU-Ebene geworben werden. Die Zertifizierung ist Ausdruck der Eigenverantwortung und die Voraussetzung für die Eigenkontrolle. Sie sollte mit ein Kriterium für die Kontrolldichte und Kontrolltiefe in der Lebensmittelüberwachung sein. Angesichts der großen grenzüberschreitenden Warenströme sollte jedenfalls bei Großbetrieben im Fleischzwischenhandel eine maßgeschneiderte Zertifizierung erfolgen.
Die Anerkennung einer Zertifizierung im Rahmen der Risikoeinstufung von Betrieben bedeutet keinen automatischen Datenabgleich zwischen Zertifizierungsstelle und Behörde.
II. Der Bundesrat stellt außerdem fest,
dass die bestehenden Sanktionsmöglichkeiten an die Bedeutung der Lebensmittelsicherheit für die Gesundheit der Verbraucher angepasst werden müssen.
Er bittet die Bundesregierung, folgende Schritte zu ergreifen:
1. Lückenschluss im Hygienerecht
Durch Erlass der Verordnung zur Durchsetzung lebensmittelrechtlicher Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft (Lebensmittelrechtliche Straf- und Bußgeldverordnung) vom 19.09.2006 (BGBl I, S. 2136) wurden bereits einige Ahndungslücken im deutschen Hygienerecht geschlossen. Allerdings sind bislang nicht alle Verstöße gegen Hygieneregeln sanktionierbar (Beispiel: Regelungen zur Lagerung und zum Transport von Fleisch). Diese Restlücken müssen so schnell wie möglich ebenfalls geschlossen werden.
Die Meldepflicht für Lebensmittelunternehmen muss mit einer Sanktion versehen werden. Wenn ein Lebensmittelunternehmer (z.B. auch Kühlhausbetreiber) seine Betriebsräume nicht oder nur teilweise bei der Behörde anzeigt, muss er mit Konsequenzen rechnen. Wer sich durch Nicht-Meldung der Überwachung entzieht, dem droht ein empfindliches Bußgeld. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, dass der Verstoß gegen die Meldepflicht als Ordnungswidrigkeitentatbestand in die lebensmittelrechtliche Straf- und Bußgeldverordnung aufgenommen wird.
Es wird vorgeschlagen, in § 2 der lebensmittelrechtlichen Straf- und Bußgeldverordnung folgende Nr. 9 anzufügen:
- "9. entgegen Artikel 6 Abs. 2 seinen Meldepflichten nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig nachkommt."
Dadurch wird jeder vorsätzliche oder fahrlässige Verstoß gegen die Meldepflicht zu einer Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldbuße bis zu 20.000 € geahndet werden kann.
2. Verschärfung der Sanktionen
Die Sanktionen für einschlägige Taten müssen nachhaltig verschärft werden.
Das gilt sowohl für das Ordnungswidrigkeiten- wie auch für das Strafrecht.
Derzeit ist für die betroffenen Ordnungswidrigkeiten lediglich ein Höchstmaß von 20.000 € angedroht (§ 60 Abs. 5 LFBG). Die Erfahrung zeigt, dass die danach möglichen Geldbußen derzeit nicht geeignet sind, die mit ihnen intendierte abschreckende Wirkung bei den Betroffenen zu entfalten. Das Höchstmaß muss auf 50.000 € angehoben werden; insoweit kann das Umweltrecht als Vergleichsmaßstab herangezogen werden, mit dem Ziel, das Lebensmittelrecht und das Umweltrecht zu harmonisieren.
Für das Strafrecht gilt, dass sich der jeweilige Unrechts- und Schuldgehalt in den Strafdrohungen widerspiegeln muss. Dem wird das geltende Recht nicht in jeder Hinsicht gerecht. Das gilt vor allem für die in § 58 Abs. 5 LFGB normierten besonders schweren Fälle. Hier sind Konstellationen betroffen, in denen die Gesundheit einer großen Zahl von Menschen gefährdet, andere in die Gefahr des Todes oder einer schweren Schädigung an Körper oder Gesundheit gebracht werden oder der Täter aus grobem Eigennutz Vermögensvorteile großen Ausmaßes erlangt. Auch im Vergleich zu anderen Tatbeständen (z.B. § 263 Abs. 5, § 267 Abs. 3, § 330 Abs. 1 und 2 StGB, § 95 Abs. 3 AMG), trägt der derzeit angedrohte Strafrahmen, der ein Höchstmaß von lediglich fünf Jahren Freiheitsstrafe enthält, seiner Funktion als gerechte Schuldvorbewertung ebenso wenig Rechnung wie dem Strafzweck der Generalprävention.
Erforderlich ist jedenfalls die Anhebung der Höchststrafe auf zehn Jahre Freiheitsstrafe. Hinsichtlich der sonstigen in § 58 LFGB enthaltenen Strafrahmen muss ggf. eine Harmonisierung herbeigeführt werden.