Gesetzentwurf des Bundesrates
Verfahren eines Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes und zur Änderung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften

A. Problem und Ziel

B. Lösung

C. Alternativen

D. Finanzielle Auswirkungen

E. Sonstige Kosten

Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes und zur Änderung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften

Der Bundesrat hat in seiner 826. Sitzung am 13. Oktober 2006 beschlossen, den beigefügten Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 1 des Grundgesetzes beim Deutschen Bundestag einzubringen.

Anlage
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes und zur Änderung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes

Artikel 2
Änderung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes

Artikel 3
Änderung des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes

Artikel 4
Änderung des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes

Das Berufliche Rehabilitierungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Juli 1997 (BGBl. I S. 1625), zuletzt geändert durch ..., wird wie folgt geändert:

Artikel 5
Änderung des Bundeszentralregistergesetzes

§ 64b Abs. 1 des Bundeszentralregistergesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. September 1984 (BGBl. I S. 1229, 1985 I S. 195), das zuletzt durch ... geändert worden ist, wird wie folgt gefasst:

Artikel 6
Inkrafttreten

Begründung

A. Allgemeines

1. Wegfall der Frist für die Verwendung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes

Am 29. Dezember 2006 endet die durch § 20 Abs. 3 und § 21 Abs. 3 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (StUG) geregelte Frist von 15 Jahren für die Verwendung von Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR zur Überprüfung der in § 20 Abs. 1 Nr. 6 und 7 und § 21 Abs. 1 Nr. 6 und 7 StUG genannten Personen.

Mit dem Ablauf dieser Frist

Das Bundesverfassungsgericht hat in der Entscheidung vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 1934/93 - BVerfGE 96, 189, u.a. ausgeführt:

"Die systematische und umfassende Ausforschung der eigenen Bevölkerung mit nachrichtendienstlichen Mitteln war ein besonders abstoßendes Herrschaftsinstrument des Einparteiensystems."

Das Bundesverfassungsgericht stellt hierzu weiter fest, dass eine Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit nachhaltig die Integrität des Betroffenen sowie seine innere Bereitschaft infrage stellt, Bürgerrechte zu respektieren und sich rechtsstaatlichen Regelungen zu unterwerfen. Ein ehemaliger Stasi-Mitarbeiter erfüllt danach in der Regel nicht die Voraussetzungen für eine Beschäftigung im öffentlichen Dient der Bundesrepublik Deutschland.

Diese Grundsätze wurden in der verfassungsgerichtlichen, arbeitsgerichtlichen und verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung weiter ausgeformt.

Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung auch die "Berücksichtigung des Zeitfaktors" bei der Prüfung der Konsequenzen einer zurückliegenden Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst gefordert:

Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urteil vom 16. Dezember 2004 - 2 AZR 148/04 - AP Nr. 64 zu § 123 BGB ausdrücklich offen gelassen, ob die vom Bundesverfassungsgericht herausgearbeiteten Grundsätze zur "Berücksichtigung des Zeitfaktors" auch dann in vollem Umfang gelten, wenn die Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) erst mit der Auflösung desselben ihr Ende gefunden hat und die "Beanstandungsfreiheit" möglicherweise allein auf der fehlenden Gelegenheit zur Fortsetzung der MfS-Tätigkeit beruht.

Der Zeitfaktor ist nach dieser Rechtsprechung also kein schematisches Element, sondern Bestandteil einer im Einzelfall notwendigen Prüfung der Vorbelastung eines Betroffenen. Offen ist die Bedeutung des Zeitfaktors insbesondere, wenn die Tätigkeit für das MfS erst mit der Auflösung desselben ihr Ende gefunden hat. Zu berücksichtigen ist auch, dass die in § 19 Abs. 1 Satz 2 StUG geregelte Zäsur des 31. Dezember 1975 von der vorliegenden Gesetzesänderung unberührt bleibt.

Es lässt sich weiter feststellen, dass auch 16 Jahre nach Auflösung des MfS die Wunden nicht geheilt sind. Ein Schlussstrich unter die Überprüfungen per Gesetz würde ausnahmslos sowohl hauptamtliche als auch inoffizielle ehemalige Mitarbeiter der Staatsicherheit betreffen. Auch dem bis zuletzt im Dienst des MfS stehenden und nur durch dessen Auflösung an der Fortführung seiner Tätigkeit gehinderten ehemaligen Mitarbeiter dürfte diese Tatsache, beispielsweise bei der Bewerbung für den öffentlichen Dienst oder für ein Ehrenamt, nicht einmal entgegen gehalten werden. Einer differenzierten Bewertung im Wege der Einzelfallprüfung würde der Boden entzogen.

Hinzu kommen gerade derzeit - und wohl nicht zuletzt in Anbetracht des bevorstehenden Fristablaufs - verstärkte Aktivitäten ehemaliger Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes, die gerade die Bedeutung und Wirkungsweise des Staatssicherheitsdienstes als "Schild und Schwert" der SED, als das Herzstück des totalitären Staatswesens der DDR verharmlosen, wenn nicht gar glorifizieren. Das verhöhnt die Opfer der Staatssicherheit, zumal die Rehabilitierung der Betroffenen nicht abgeschlossen ist und schon gar nicht von einer Aufarbeitung dieses Teils der deutschen Geschichte die Rede sein kann.

In Anbetracht vorstehender Einschätzung und in Ansehung der historisch erst kurzen Zeitdauer seit der Auflösung des Staatssicherheitsdienstes ist das Auslaufen der Überprüfungsfristen nach dem geltenden Stasi-Unterlagen-Gesetz nicht hinnehmbar und würde als Signal in die falsche Richtung verstanden werden.

Die dem Charakter der Staatssicherheit und damit auch einer Tätigkeit für die Staatssicherheit entsprechende moralische Bewertung und Vorwerfbarkeit bestimmter Handlungen erledigt sich nicht durch Fristablauf. Im Einzelfall hat der Zeitfaktor in Verbindung mit einer Reihe anderer Faktoren Bedeutung für eine personenbezogene Einschätzung. Der Einzelfall muss aber zunächst überhaupt noch fassbar und überprüfbar bleiben. Dem ist durch den Wegfall der 15-Jahres-Frist Rechnung zu tragen.

Eine weiter zulässige Verwendung der Unterlagen nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 und 7 sowie § 21 Abs. 1 Nr. 6 und 7 StUG und eine hierauf aufbauende Einzelfallprüfung begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken und tragen dem Spannungsfeld zwischen konkreten Eignungsanforderungen für hoheitliche und andere herausgehobene Funktionen und Tätigkeiten einerseits und den Persönlichkeitsrechten und dem "Resozialisierungsgedanken" andererseits gleichermaßen Rechnung.

Mit dem Entwurf eines Änderungsgesetzes sollen deshalb § 20 Abs. 3 und § 21 Abs. 3 StUG aufgehoben werden. Im Ergebnis bleibt die Verwendung von Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes für die in § 20 Abs. 1 Nr. 6 und 7 sowie § 21 Abs. 1 Nr. 6 und 7 StUG genannten Zwecke zur Überprüfung der dort genannten Personen weiter möglich.

2. Verlängerung der Antragsfristen in den Rehabilitierungsgesetzen

Mit dem Gesetz zur Änderung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften vom 22. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2834) wurden die bereits mehrfach verlängerten Antragsfristen in den Rehabilitierungsgesetzen bis zum 31. Dezember 2007 erneut verlängert. Die bisherigen Fristverlängerungen gaben Anlass zur Annahme, dass der jeweils geregelte Zeitraum ausreichend sein würde, allen potenziell Antragsberechtigten die Möglichkeit einzuräumen, sich zu informieren und zu entscheiden, ab sie Anträge auf Rehabilitierung und auf Leistungen nach den Rehabilitierungsgesetzen stellen. Die Statistiken machen jedoch deutlich, dass nach wie vor Anträge auf strafrechtliche, berufliche und verwaltungsrechtliche Rehabilitierung von den Opfern der SED-Diktatur gestellt werden. Das lässt den Schluss zu, dass auch 16 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung eine Anzahl politisch Verfolgter noch nicht von der Möglichkeit der Rehabilitierung Gebrauch gemacht hat.

Als weiterer Aspekt ist zu berücksichtigen, dass die mit einer politischen Verfolgung verbundenen psychischen Belastungen und die bis zur Wende bestehende Schweigepflicht der Opfer schwerwiegende Auswirkungen auch auf die Antragstellung haben. Zum Teil ist nur durch sensible Beratung und Betreuung der Opfer über einen langen Zeitraum zu erreichen, dass Betroffene ihr Schweigen brechen. Auch der Aspekt der erst Jahre nach den politischen Repressalien auftretenden Folgeerkrankungen ist von Bedeutung.

Es erscheint höchst fraglich, ob die Rehabilitierung überhaupt in einem so kurzen Zeitraum seit dem Ende der SED-Herrschaft bewältigt werden kann. Zurückgehende Antragszahlen sind nicht das entscheidende Argument für eine Beendigung der Rehabilitierungsverfahren. Die Folgen der Repressalien und die entstandenen Nachteile wirken auch nicht nur für eine bestimmte Zeit, sondern können lebenslang fortwirken. Dem Schutz der Opfer ist Vorrang vor dem Schutz der Täter einzuräumen. Deshalb soll mit der Verlängerung der Antragsfristen um weitere drei Jahre den Opfern nochmals Gelegenheit gegeben werden, bis zum 31. Dezember 2010 Anträge stellen zu können.

B. Zu den einzelnen Vorschriften

Zu Artikel 1:

Der Entwurf sieht die ersatzlose Aufhebung des § 20 Abs. 3 und des § 21 Abs. 3 vor. In der Folge entfällt die 15-Jahres-Frist für die Verwendung von Unterlagen in den Fällen des § 20 Abs. 1 Nr. 6 und 7 sowie des § 21 Abs. 1 Nr. 6 und 7. Damit entfällt auch das mit dem Fristablauf verbundene Verbot des § 20 Abs. 3 Satz 3 und des § 21 Abs. 3 Satz 3, einem ehemaligen Mitarbeiter der Staatssicherheit die Tatsache dieser Tätigkeit im Rechtsverkehr vorzuhalten und zu seinem Nachteil zu verwerten.

Zu Artikel 2:

Dieser Artikel regelt die nochmalige Verlängerung der Antragsfristen um drei Jahre für das strafrechtliche (gerichtliche) Rehabilitierungsverfahren sowie für die Gewährung der Kapitalentschädigung an Berechtigte nach strafrechtlicher Rehabilitierung und an Berechtigte nach § 25 Abs. 2 (Personen mit einer Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 des Häftlingshilfegesetzes).

Zu Artikel 3:

Danach sollen auch die Antragsfristen für das verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsverfahren nochmals um drei Jahre verlängert werden.

Zu Artikel 4:

Artikel 4 regelt die Verlängerung der Antragsfristen für das berufliche Rehabilitierungsverfahren sowie für die Leistungen nach dem Zweiten und Dritten Abschnitt des Gesetzes um jeweils nochmals drei Jahre.

Zum Ausgleich von Nachteilen in der Rentenversicherung muss eine Rehabilitierung auch noch sechs Monate nach der Rentenantragstellung möglich sein, da vielen Betroffenen erst zu diesem Zeitpunkt, die bei der Rentengewährung durch das SED-Unrecht entstandenen Nachteile bekannt werden. Im Übrigen ist auch die Abarbeitung der Rentenkontenklärung in der ehemaligen DDR noch lange nicht abgeschlossen.

Zu Artikel 5:

Im Hinblick auf die Verlängerung der Antragsfrist im Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz und die Aufhebung der 15-Jahres-Frist im Stasi-Unterlagen-Gesetz für die Verwendung der Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes der DDR wird auch die zeitliche Begrenzung im Bundeszentralregistergesetz für Auskünfte aus dem ehemaligen Strafregister der DDR aufgehoben. Damit wird sichergestellt, dass zu Gunsten von von politischer Strafverfolgung in der DDR Betroffenen weiterhin auf die Informationen aus dem ehemaligen Strafregister der DDR zurückgegriffen werden kann.

Zu Artikel 6:

Die Bestimmung regelt das Inkrafttreten der Änderungen. Vorgesehen ist ein Inkrafttreten am Tage nach der Verkündung des Artikelgesetzes.

Im Gesetzgebungsverfahren ist zu beachten, dass ein Inkrafttreten spätestens am 29. Dezember 2006 (Tag des Fristablaufs nach dem Stasi-Unterlagen-Gesetz) erfolgen muss.