Antrag der Länder Brandenburg, Berlin, Thüringen
Entschließung des Bundesrates zur Verbesserung der sozialen Lage anerkannter politisch Verfolgter durch Novellierung der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze

Der Ministerpräsident Potsdam, 27. Juni 2018 des Landes Brandenburg

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Regierenden Bürgermeister
Michael Müller

Sehr geehrter Herr Bundesratspräsident,
die Regierungen der Länder Brandenburg, Berlin und des Freistaats Thüringen haben beschlossen, dem Bundesrat die als Anlage beigefügte Entschließung des Bundesrates zur Verbesserung der sozialen Lage anerkannter politisch Verfolgter durch Novellierung der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze zuzuleiten.

Ich bitte, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf die Tagesordnung der 969. Sitzung des Bundesrates am 6. Juli 2018 zu setzen und sodann den Ausschüssen zuzuweisen.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Dietmar Woidke

Entschließung des Bundesrates zur Verbesserung der sozialen Lage anerkannter politisch Verfolgter durch Novellierung der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze

Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, die gesetzlichen und verwaltungsseitigen Voraussetzungen für eine Verbesserung der sozialen Lage von als politisch Verfolgte anerkannten Personen in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) zu schaffen mit dem Ziel,

Begründung:

Der Bundesgesetzgeber hat mit den drei Gesetzen zur Rehabilitierung von SED-Unrecht - Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG), Berufliches Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) und Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG) - in den 1990er Jahren ein umfangreiches System von Maßnahmen entwickelt, um Opfern politischer Verfolgung in der SBZ/DDR durch eine Wiedergutmachung des erlittenen Unrechts zu helfen.

Jahrzehnte nach der deutschen Wiedervereinigung zeigt sich, dass nicht alle von politischer Verfolgung in der ehemaligen DDR Betroffenen gleichermaßen und in ausreichendem Umfang von den sozialen und finanziellen Ausgleichsleistungen in Folge ihrer Rehabilitierung profitieren. Politisch Verfolgte klagen oftmals als unmittelbare Auswirkungen aus der Verfolgung über zu geringe Einkünfte und über ein Leben in unserer Gesellschaft an der Armutsgefährdungsgrenze. Viele haben durch die politischen Verfolgungsmaßnahmen in der ehemaligen DDR bleibende Gesundheitsschäden mit wirtschaftlichen Folgewirkungen erlitten. Die Rehabilitierungsgesetze bedürfen daher nach Auffassung des Bundesrates einer Anpassung und Weiterentwicklung an die im Laufe der Jahre bekannt gewordenen tatsächlichen Verhältnisse. Die vorzunehmenden Veränderungen sollen angesichts der sozial prekären Lage einer beträchtlichen Anzahl der in der ehemaligen DDR politisch Verfolgten die gesetzlichen Voraussetzungen dafür schaffen, auch Verfolgtengruppen, die bisher nicht oder nur unzureichend unterstützt werden, besser in das Leistungsspektrum der Rehabilitierungsgesetze einzubinden. Insbesondere sollen künftig diejenigen Rehabilitierten eine effektivere Unterstützung durch die staatliche Gemeinschaft erfahren, die sich verfolgungsbedingt andauernd in einer besonders schwierigen wirtschaftlichen Situation befinden.

Zu 1.

Der Bundesrat ist der Auffassung, dass auch Opfern von Zersetzungsmaßnahmen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR ein Anspruch auf soziale Leistung im Sinne monatlicher Unterstützungsleistungen zusteht. Die Betroffenen waren nach einer Einstufung als politische Gegner des SED-Systems geheimen politisch-operativen Maßnahmen der Staatssicherheit ausgesetzt, die bis in die höchst persönlichen Lebensbereiche reichten. Durch gezielte psychische Beeinträchtigung oder Schädigung versuchte die Staatssicherheit, die Lebensgrundlage der als Gegner oder Feinde wahrgenommenen Oppositionellen zu vernichten. Diese repressive Verfolgungspraxis griff als Unterdrückungsinstrument tief in das Erleben und das Selbstwertgefühl der Opfer ein. Diese massive geheimpolizeiliche Überwachung rechtfertigt nach Ansicht des Bundesrates eine Gewährung besonderer sozialer Leistungen, zumal konkrete Vermögensschäden oder gesundheitliche Schäden im Rahmen des VwRehaG nicht immer nachweisbar auf die Verfolgung zurückzuführen sind. So wäre es auch ein Stück weit mehr möglich, die Lebensleistung der Betroffenen im Hinblick auf ihren gezeigten Widerstand gegen die Politik der DDR und ihr Aufbegehren zu würdigen.

Durch die Staatssicherheit wurden in gleicher Weise durch gezielte Diffamierungen und Benachteiligungen berufliche Misserfolge der Bespitzelten organisiert. Der Nachweis beruflicher Benachteiligung im Sinne des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes als Folge einer Zersetzungsmaßnahme ist durch die Betroffenen oft nur schwer zu führen.

Der Anspruch auf soziale Entschädigungsleistungen besteht gegenwärtig nur dann, wenn nachweisbar kausal durch eine Zersetzungsmaßnahme Gesundheitsschäden verursacht worden sind. Ist dies nicht nachweisbar, sieht das bestehende Regelungsgefüge der Rehabilitierungsmaßnahmen keinerlei Leistungsansprüche für Opfer von Zersetzungsmaßnahmen des MfS vor. Dieser Nachteil darf aber nicht weiterhin zu Lasten derjenigen gehen, die diesen staatlich organisieren Unterdrückungsmaßnahmen ausgesetzt waren.

Zu 2.

Der Bundesrat ist der Ansicht, dass nunmehr auch die Einbeziehung der Gruppe der anerkannten verfolgten Schüler in das Ausgleichsleistungssystem des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes geboten ist. Bisher wird strikt getrennt zwischen Eingriffen in den seinerzeit konkret ausgeübten Beruf bzw. in die berufliche Ausbildung einerseits sowie politischen Verfolgungsmaßnahmen in die vorberufliche schulische Ausbildung oder auch ein Studium andererseits. Da der Betroffenenkreis der verfolgten Schüler aufgrund seiner gesetzlichen Sonderstellung derzeit nicht nach § 1 BerRehaG dem Anwendungsbereich des § 1 BerRehaG unterfällt, erhält er keinen rentenrechtlichen Nachteilsausgleich. Diese Regelung wurde seinerzeit damit begründet, dass im Rahmen des § 1 BerRehaG kein Raum für rein hypothetische Ausbildungs- und Berufsverläufe ist. Damit ist diesem Betroffenenkreis vor allem aber auch ein Anspruch auf soziale Ausgleichsleistung nach § 8 BerRehaG verwehrt. Dieser Ausschluss führt bei den Betroffenen zu Härten und stellt für sie eine zunehmend nicht mehr nachvollziehbare Ungleichbehandlung dar. Schließlich werden in der schulischen Laufbahn die Grundlagen für die spätere weitere berufliche Entwicklung und das Fortkommen gelegt.

Sollte die Bundesregierung bei ihrer Auffassung von einer Trennung der Betroffenengruppen bleiben, sollte zumindest eine finanzielle Einmalleistung als Kompensation in die Erwägungen einbezogen werden.

Zu 3., 4. und 5.

Der Bundesrat ist der Überzeugung, dass eine Angleichung der Ausgleichsleistungen nach dem Ber-RehaG an den § 17a StrRehaG unter gleichzeitiger Festschreibung einer Dynamisierung erreicht werden muss.

§ 17a StrRehaG regelt die besondere monatliche Zuwendung für Haftopfer (sogenannte SED-Opferrente). Seit dem 1. September 2007 erhalten Opfer der politischen Verfolgung, sofern diese in ihrer wirtschaftlichen Lage besonders beeinträchtigt sind und eine mit den wesentlichen Grundsätzen der freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbare Freiheitsentziehung in der DDR von mindestens 180 Tagen erlitten haben, eine monatliche Zuwendung von maximal 300 Euro. Der Anspruch wird unabhängig von einem Rentenbezug berechnet und gewährt.

Der Bundesrat ist der Meinung, dass der Regelungsgehalt des § 17a StrRehaG in modifizierter Form in § 8 BerRehaG zu übernehmen ist, um damit eine Gleichbehandlung aller ehemals politisch Verfolgten zu erreichen, unabhängig davon, welcher politischen Verfolgungsmaßnahme sie ausgesetzt waren.

Zwar wurden mit Gesetz vom 22. Dezember 2014 (Fünftes Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR; Bundestagsdrucksache 18/3120) zum 1. Januar 2015 die Opferrente um 50 Euro und die Ausgleichsleistungen um 30 Euro erhöht.

Dies ist angesichts der wirtschaftlichen Lage vieler Betroffener jedoch nicht ausreichend. Eine regelmäßige Dynamisierung der monatlichen Ausgleichsleistungen an die Entwicklung der Wirtschaft, Einkommen und Preise - wie bei anderen monatlichen Sozialleistungen üblich - würde dem den Rehabilitierungsgesetzen inne wohnenden Grundgedanken des Befriedungsfaktors und den wirtschaftlichen Gegebenheiten und Interessen der Betroffenen nachhaltig gerecht werden.

In diesem Rahmen wäre nach einer Evaluierung gegebenenfalls noch in die Überlegungen einzubeziehen, ob eine Herabsetzung der Mindesthaftdauer gem. § 17a StrRehaG von derzeit 180 Tagen einen signifikant erweiterten Zugang von weiteren berechtigten Leistungsempfängern schaffen würde.

Zu 6.

Der Bundesrat ist der Auffassung, dass eine angemessenere Bewertung der bei Betroffenen von politischer Verfolgung in der ehemaligen DDR häufig bestehenden "komplexen Traumafolgestörungen" im Rahmen der Anerkennung verfolgungsbedingter Gesundheitsschäden angezeigt ist. Viele Betroffene empfinden die Begutachtungspraxis als belastend und im Hinblick auf das von ihnen als politisch Verfolgte erlittene und widerfahrende Unrecht als ungenügend. Seit vielen Jahren fordern die Betroffenen und die sie vertretenden Opferverbände von der Politik, dem Gesetzgeber und den Verantwortlichen in den Verwaltungen entsprechende Nachsteuerungen.