Der Regierende Bürgermeister von Berlin Berlin, 28. April 2015
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Volker Bouffier
Sehr geehrter Herr Präsident,
der Senat von Berlin hat in seiner Sitzung am 28. April 2015 beschlossen, die in der Anlage beigefügte Entschließung des Bundesrates zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Wagniskapital beim Bundesrat einzubringen.
Ich bitte Sie, den Entschließungsantrag gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf die Tagesordnung der 933. Sitzung des Bundesrates am 8. Mai 2015 zu setzen und anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuleiten.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Müller
Entschließung des Bundesrates zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Wagniskapital
Der Bundesrat möge beschließen:
- 1. In ihrem aktuellen Jahreswirtschaftsbericht stellt die Bundesregierung zu Recht fest, dass trotz einer aktiven Startup-Szene mit guten Ideen der Wagniskapitalmarkt in Deutschland im internationalen Vergleich unterentwickelt sei. Insbesondere in der Wachstumsphase fehle es innovativen Gründerinnen und Gründern sowie jungen Unternehmen oftmals an Kapital.
- 2. Der Bundesrat sieht in der Steuerbefreiung für den INVEST-Zuschuss für Wagniskapital, dem Auflegen einer 500 Millionen Euro starken Wachstumsfazilität gemeinsam mit dem Europäischen Investitionsfonds sowie der Reaktivierung der Kreditanstalt für Wiederaufbau als Ankerinvestor für Wagniskapitalfonds in Deutschland erste wichtige Schritte der Bundesregierung zur Stärkung von Wagniskapital in Deutschland. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, weitere steuerpolitische und rechtliche Initiativen aufzunehmen, die dazu beitragen, die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Fonds- und Investitionsstandort für Wagniskapital zu verbessern.
- 3. Die Kapitallücke, mit der zahlreiche Startups in der ersten Wachstumsphase konfrontiert werden, kann von Wagniskapitalgesellschaften häufig nur unzureichend geschlossen werden, da ihre Zahl seit dem Ende des "Neuen Marktes" abgenommen hat und die verbliebenen Gesellschaften oftmals selbst Schwierigkeiten bei der Kapitalakquise haben. Wagniskapitalgesellschaften unterliegen heute in aller Regel dem neuen Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) und damit klaren gesetzlichen Regelungen und Berichtspflichten, die in Deutschland durch die BaFin überwacht werden. Investitionen von Privatanlegern in sog. Alternative Investmentfonds, also auch Wagniskapitalfonds, sind vom KAGB ausdrücklich umfasst. Bislang machen jedoch nur wenige Wagniskapitalgesellschaften von der Möglichkeit Gebrauch, ihre Fondsanteile bei Privatpersonen zu platzieren, da die zu beachtenden Regeln in diesem Zusammenhang sehr weitgehend (und damit kostenintensiv) sind. Da mit dem KAGB insofern bereits ein hohes Schutzniveau gewährleistet ist, fordert der Bundesrat die Bundesregierung auf, zur Stärkung des Wagniskapitalmarktes in Deutschland auch Anreize für Investitionen von Privatanlegern in Wagniskapitalfonds einzuführen, beispielsweise in Anlehnung an INVEST in Form einer Zuschussförderung. Dabei sollten diese so ausgestaltet werden, dass ein sprunghafter Anstieg von Kapitalzuflüssen, der letztlich kontraproduktiv wäre, vermieden wird.
- 4. Die Besteuerung in Deutschland ansässiger Wagniskapitalfonds hängt entscheidend von der Frage ab, ob diese als gewerblich oder als vermögensverwaltend einzuordnen sind. Der Vorteil der ertragsteuerlichen Transparenz liegt darin, dass die steuerpflichtigen Einkünfte direkt den Gesellschaftern bzw. Investoren zugerechnet werden. Zwar erfolgt die Einordnung der Fonds in der Praxis nach einer Verwaltungsanweisung des Bundesministerium der Finanzen regelmäßig als vermögensverwaltend, allerdings ist diese Handhabung nicht gesetzlich verankert, was für potenzielle Investoren eine Quelle der Rechtsunsicherheit darstellt, die durch ein Urteil des Bundesfinanzhofs vom 24.08.2011, in dem die gängige Praxis der deutschen Finanzverwaltung grundlegend in Frage gestellt wird, noch verstärkt wurde. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung zu prüfen, ob durch das Setzen eines verbindlichen Rechtsrahmens in Form eines Gesetzes mehr Klarheit und Rechtssicherheit für Investoren und Fonds geschaffen werden könnte.
- 5. In der Startphase von Hightech-Gründungen entstehen durch umfangreiche Aufwendungen Verlustvorträge, die aufgrund der bestehenden Rechtslage gemäß § 8c KStG nach einem Anteilseignerwechsel nur sehr eingeschränkt steuermindernd geltend gemacht werden können. Die bereits vorgenommene Nachbesserung durch die Einführung der Stille-Reserven-Klausel wirkt begünstigend, allerdings wird sie im Hinblick auf ihre praktische Handhabung in mehrstöckigen Strukturen (Organschaften) sowie ihre konkrete Berechnung derzeit noch als schwer handhabbar empfunden. Die Bundesregierung wird aufgefordert, im bereits in Arbeit befindlichen BMF-Schreiben klarstellende Konkretisierungen und praxistaugliche Hinweise zu geben, um die beim Rechtsanwender auftretenden aufgezeigten Probleme auszuräumen.
- 6. Die Bundesregierung hat angekündigt, die künftige steuerliche Behandlung von Veräußerungsgewinnen aus Streubesitz im Rahmen der für Mitte 2015 angekündigten Investmentsteuerreform erneut ergebnisoffen aufzugreifen. Der Bundesrat hält eine Besteuerung derartiger Veräußerungsgewinne aus steuersystematischen Gründen und zur Vermeidung von Missbrauch zwar grundsätzlich für angezeigt, fordert die Bundesregierung aber gleichzeitig auf, nach einer verfassungsfesten, unter Beihilfegesichtspunkten unbedenklichen und gegenüber Gestaltungen unanfälligen steuerbefreienden Sonderregelung für Startups und Business Angels zu suchen.
- 7. Versicherungen und Pensionskassen stehen heute vor dem Problem, dass relativ sichere Anlagen kaum Erträge generieren. Die Folge ist, dass praktisch alle institutionellen Investoren heute vermehrt in aufsichtsrechtlich vermeintlich sichere Anlagen (Staatsanleihen) und in relativ sichere Anlagen mit regelmäßigen Rückflüssen (Infrastrukturprojekte) investieren wollen. Investitionen in Wagniskapitalfonds können für institutionelle Investoren langfristig jedoch ebenfalls eine sinnvolle Portfoliobeimischung darstellen. Es sind daher weitere Beschränkungen der faktischen Investitionsmöglichkeiten institutioneller Investoren, beispielsweise in Gestalt einer Verschärfung der Anlageverordnung für Versicherungen (AnlV), abzulehnen. EU-rechtliche Spielräume bei den Anlagemöglichkeiten müssen erhalten bleiben.
- 8. Mithilfe von Crowdinvesting wird zunehmend mehr Wagniskapital in Form von stillen Beteiligungen, Genussrechten oder partiarischen Nachrangdarlehen zu Investitionszwecken zur Verfügung gestellt. Das Vorhaben der Bundesregierung, das Potenzial dieser neuen Finanzierungsform weiter zu erschließen und gleichzeitig über das Anlegerschutzgesetz einen verlässlichen Rechtsrahmen zu schaffen, darf nicht zur Folge haben, dass dieser noch recht junge Markt, der für viele Investoren aus dem Privatsektor die erste Berührung mit dem Thema "Gründen und Unternehmertum" überhaupt ist, seiner kreativen Entfaltungschancen beraubt wird. Vor dem Hintergrund, dass sich Crowdinvestment-Plattformen bereits heute im internationalen Wettbewerb befinden, muss es Ziel sein, einen einheitlichen rechtlichen Rahmen nicht isoliert auf nationaler, sondern auf europäischer Ebene zu schaffen. Dabei sind Anleger- und Investorenschutzbelange zu berücksichtigen. Darüber hinaus sollte geprüft werden, inwieweit das bereits etablierte Förderinstrumentarium des Bundes für den Crowdinvestmentmarkt geöffnet werden kann.