Der Bayerische Ministerpräsident München, 10. März 2020
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Dr. Dietmar Woidke
Sehr geehrter Herr Präsident,
gemäß dem Beschluss der Bayerischen Staatsregierung wird die als Anlage beigefügte Entschließung des Bundesrates "Vorfahrt für Infrastruktur und Investitionen: Maßnahmenpaket zur Planungsbeschleunigung bei Vorhabenträgern, Behörden und Gerichten" mit dem Antrag übermittelt, dass der Bundesrat diese fassen möge.
Es wird gebeten, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 GO BR auf die Tagesordnung der 986. Sitzung am 13. März 2020 zu setzen und anschließend den zuständigen Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Markus Söder
Entschließung des Bundesrates "Vorfahrt für Infrastruktur und Investitionen: Maßnahmenpaket zur Planungsbeschleunigung bei Vorhabenträgern, Behörden und Gerichten"
Der Bundesrat möge folgende Entschließung fassen:
Viele Infrastrukturprojekte kommen wegen einer Vielzahl faktischer und rechtlicher Hürden nicht voran. Das ist in Zeiten großer Herausforderungen durch eine sich abkühlende Konjunktur und dringend notwendiger Maßnahmen für den Klimaschutz und für eine nachhaltige Energieversorgung nicht akzeptabel. Neben den jüngsten Gesetzesinitiativen der Bundesregierung, dem Gesetz zur Vorbereitung der Schaffung von Baurecht durch Maßnahmengesetze im Verkehrsbereich und dem Gesetz zur weiteren Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, besteht aus Sicht des Bundesrates daher weiterer Reformbedarf bei der Planung und Genehmigung von Infrastrukturvorhaben und Investitionen. Dazu müssen alle Stufen und Teilbereiche des vorbereitenden Verfahrens, des Genehmigungs- und des anschließenden gerichtlichen Verfahrens auf Möglichkeiten für eine Beschleunigung überprüft werden. Dies betrifft auch Anlagen zur Erzeugung und Speicherung von Strom aus erneuerbaren Energien. Der Bundesrat sieht hierfür folgende Ansatzpunkte:
- 1. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Öffentlichkeitsbeteiligung deutlich effizienter gestaltet werden muss. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, auch unter Nutzung der Möglichkeiten der Digitalisierung eine Straffung des Anhörungsverfahrens in Angriff zu nehmen.
- 2. Der Bundesrat betont die Bedeutung effektiven Rechtsschutzes für den Schutz von Grundrechten im demokratischen Gemeinwesen. Er vertritt dabei die Position, dass alle Verfahrensbeteiligten auf eine zügige Durchführung und einen raschen Abschluss des Gerichtsverfahrens hinwirken sollen. Deswegen bittet er die Bundesregierung, Regelungen vorzulegen, wonach auch bei Vorhaben, für die eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung besteht, nach Ablauf einer angemessenen Einwendungsfrist alle Einwendungen ausgeschlossen sind, die nicht auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen und die auf Grundlage der ausgelegten Unterlagen vernünftigerweise hätten rechtzeitig vorgetragen werden können (materielle Präklusion). Falls erforderlich, ist hierzu eine Änderung des Unionsrechts anzustreben.
- 3. Der Bundesrat ist weiter der Auffassung, dass zügiger Rechtsschutz und damit schnelle Rechtssicherheit im Interesse aller Verfahrensbeteiligten und Betroffenen ist. Daraus leitet er folgende Bitten an die Bundesregierung ab:
- a) Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, eine Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung vorzulegen, wonach Rechtsschutz gegen Planungsentscheidungen nur in einer Tatsacheninstanz und in der Regel durch die Oberverwaltungsgerichte bzw. Verwaltungsgerichtshöfe gewährt wird, soweit nicht nach geltendem Recht bereits das Bundesverwaltungsgericht zuständig ist. Gegen Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte bzw. Verwaltungsgerichtshöfe soll nur die Revision im Fall einer Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungs- oder des Bundesverfassungsgerichts (Divergenzrüge) statthaft sein. Die komplexe Sach- und Rechtslage wird bereits im vorausgehenden Verwaltungsverfahren ausführlich aufbereitet.
- b) Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, eine Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung vorzulegen, wonach beim Bundesverwaltungsgericht und bei den Oberverwaltungsgerichten bzw. Verwaltungsgerichtshöfen spezialisierte Planungssenate (wie zum Teil bereits durch die Geschäftsverteilung geschehen) verbindlich einzurichten sind.
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung ferner um Prüfung, ob angesichts der erheblichen personellen Belastung, die Planfeststellungsverfahren gerade für kleinere Oberverwaltungsgerichte darstellen, eine länderübergreifende Kooperation benachbarter Oberverwaltungsgerichte beispielsweise durch Einrichtung gemeinsamer Planungssenate ermöglicht werden kann.
- c) Effektiver Rechtsschutz bedarf eines wirksamen vorläufigen Rechtsschutzes. Allerdings darf dieser Schutz nicht für reine Verzögerungsmanöver missbraucht werden. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung aa) die notwendigen Änderungen der Verwaltungsgerichtsordnung bzw. von Fachgesetzen vorzulegen, damit die besondere Bedeutung von Infrastrukturprojekten für die wirtschaftliche Entwicklung und insbesondere den Klimaschutz als Abwägungsbelang im Rahmen des Vollzugsinteresses zu berücksichtigen ist.
- bb) eine Ergänzung von § 80 Abs. 5 VwGO vorzulegen, wonach die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung auf abtrennbare Teile eines Vorhabens, die nicht wieder rückgängig zu machen wären, beschränkt werden soll, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes ausreicht.
- cc) die notwendigen Änderungen der VwGO vorzulegen, um die konsequente Berücksichtigung rechtlicher und faktischer Heilungsmöglichkeiten von Rechtsverstößen als Abwägungskriterium durch das Gericht zu erreichen. Darüber hinaus soll das Gericht schon im in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes unter Fristsetzung auf eine mögliche Heilung von Fehlern hinwirken, so dass die Vollziehbarkeit schnellstmöglich wiederhergestellt werden kann
- d) Großprojekte der Infrastruktur dürfen nicht allein durch formale Fehler verzögert werden. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, die notwendigen Rechtsänderungen vorzulegen, damit Verfahrensfehler während des anhängigen Verfahrens geheilt werden können. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren soll das Gericht auf die Heilung von Verfahrensfehlern hinwirken.
- e) Bei den meist sehr umfangreichen und komplexen Gerichtsverfahren um Infrastrukturprojekte führt ein personeller Wechsel in der Berichterstattung aufgrund der Einarbeitungszeit und gegebenenfalls zu wiederholender Verfahrensschritte zu erheblichen Verzögerungen. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, einen Vorschlag zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung vorzulegen, wonach Berichterstatter auch bei einer Änderung der Geschäftsverteilung des Gerichts für bereits begonnene Verfahren zuständig bleiben.
- 4. Zahlreiche Infrastrukturen in Deutschland sind in die Jahre gekommen und bedürfen der Sanierung und Erneuerung. Soweit dafür Ersatzneubauten ohne wesentliche Änderungen benötigt werden, beispielsweise bei Brücken, sollte auf ein erneutes Genehmigungsverfahren zugunsten bloßer Anzeigepflichten verzichtet werden. Vergleichbar zum Energieleitungsausbaubeschleunigungsgesetz von Mai 2019 sollten die Möglichkeiten erweitert werden, bei Ersatzneubauten mehrstufige Genehmigungsverfahren auf ein einstufiges Genehmigungsverfahren zu beschränken. Für alle Ersatzneubauten bittet der Bundesrat die Bundesregierung um eine Begrenzung von Genehmigungsverfahren und eine Reduktion der Prüfpunkte. Gegenstand eines Änderungsgenehmigungsverfahrens sollten grundsätzlich nur diejenigen Abweichungen sein, die im Vergleich zum bisherigen Zustand zu einer weitergehenden Beeinträchtigung von geschützten Rechtsgütern führen können. Soweit dafür Anpassungen in europarechtlichen Vorgaben nötig sind, bittet er die Bundesregierung, sich dafür im Sinne eines erweiterten Bestandsschutzes unter Einbeziehung von Ersatzneubauten einzusetzen.
- 5. Der Bundesrat sieht es als erforderlich an, die Planungssicherheit für Großprojekte zu erhöhen. Schon aus technischen Gründen nehmen die Planungen für Großprojekte häufig eine Reihe von Jahren in Anspruch. Kommt es während dieses Zeitraums zu Rechtsänderungen, sind die bislang vorgenommenen Planungen meist zu überarbeiten. Durch Umplanungen kommt es zu Verzögerungen und Kostenexplosion. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, eine Regelung einzuführen, die für gesamtwirtschaftliche relevante Großprojekte planerischen Bestandsschutz gewährt, und sich auch auf europäischer Ebene für entsprechende Rechtsänderungen einzusetzen.
- 6. Der Bundesrat unterstreicht die Bedeutung von ausreichendem Einsatz von qualifiziertem Fachpersonal und entsprechender Mittel für eine zügige Abwicklung von Anhörungs- und Planfeststellungsverfahren insbesondere beim Eisenbahn-Bundesamt und der Bundesnetzagentur. Er bittet daher die Bundesregierung, ausreichend Stellen und Mittel für Planungs- und Genehmigungsarbeiten vorzusehen.
- 7. Der Bundesrat betont das Beschleunigungspotenzial durch digitale Verfahrensbearbeitung.
Er bittet die Bundesregierung, gemeinsam mit den Ländern und unter Berücksichtigung der besonderen Anliegen der Kommunen die notwendigen Rechtsänderungen vorzuschlagen, damit Behörden in förmlichen Verwaltungsverfahren und Planfeststellungsverfahren ihre Akten in Form digital durchsuchbarer Dokumente führen.
Der Bundesrat hält es für erforderlich, dass Daten zu Planungsvorhaben gemäß der vom IT-Planungsrat beschlossenen, verbindlichen Standards für moderne, digitale Planungs- und Bauverfahren (XPlanung und XBau) auf allen Planungsebenen bereitgestellt werden.
- 8. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung das Gesetz über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG so zu ändern, dass missbräuchliche Klagen von Umweltverbänden ausgeschlossen sind. Der Bundesrat ersucht die Bundesregierung, sich für gegebenenfalls erforderliche Rechtsänderungen auf europäischer Ebene einzusetzen.
- 9. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, den Umfang der Unterlagen, die zur haushaltsrechtlichen Genehmigung beispielsweise von Bundesfernstraßen vorgelegt werden müssen, deutlich zu reduzieren.
Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die Kostenexplosion der vergangenen Jahre im Bausektor durch eine Anpassung der haushaltsrechtlichen Vorlagegrenzen zu berücksichtigen. Dabei erscheint mindestens eine Verdopplung der Vorlagegrenzen, die aktuell beispielsweise beim Vorentwurf für Streckenbau bei zehn Millionen Euro und für Brücken zwischen drei und fünf Millionen Euro liegen, als erforderlich und angemessen.
- 10. Der Bundesrat hält eine Anpassung und Flexibilisierung der Vergabevorschriften für eine effektive Planungsbeschleunigung für erforderlich.
- a) EU-weite Ausschreibungsverfahren erfordern viel Zeit und binden Personal. Für bestimmte große und dringliche Infrastrukturprojekte insbesondere des Klimaschutzes sollten bei derartigen Ausschreibungen Erleichterungen gelten. Zudem sollte geprüft werden, ob eine Lockerung der Regelungen über die Vergabe von Teillosen und Fachlosen eine Beschleunigung von Infrastrukturprojekten ermöglicht. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, sich in diesem Zusammenhang für die gegebenenfalls erforderlichen Rechtsänderungen auf europäischer Ebene einzusetzen, soweit dies mit den Vorgaben des Übereinkommens der Welthandelsorganisation über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA) vereinbar ist.
- b Der Bundesrat betont die Notwendigkeit, dass auch öffentliche Auftraggeber innovative Regelungsformen anwenden. Er bittet daher die Bundesregierung, die vergaberechtlichen Möglichkeiten für neue Vertragsformen wie Alliancing-Verträge (Leistungsumfang wird in der Regel erst im Projektverlauf abschließend definiert) und Early-Contractor Involvement-Verträge (Bauvertrag wird bereits in einer frühen Phase der Planung geschlossen) zu schaffen.
- 11. Der Bundesrat spricht sich dafür aus, im Zusammenhang mit der beschleunigten Planung von Infrastruktur die Übererfüllung von europarechtlichen Vorgaben (sogenanntes Gold-Plating) zu beenden. Er bittet die Bundesregierung, ein rechtsvergleichendes Gutachten zu beauftragen, bei welchen Vorschriften des nationalen Umwelt-, Verfahrens- und Vergaberechts Gold-Plating vorgenommen wurde. Anschließend sollte gemeinsam zwischen Bund und Ländern geprüft werden, in welchen Fällen sich die Regelungen bewährt haben und wo es Anpassungsbedarf gibt.